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Als die beiden Männer sich auf den großen Diwan gesetzt hatten, dem einzigen Möbelstück zwischen den ganz von Büchern leuchtenden Wänden, stützte sich Nergal auf einen Stoß Kissen.
– Jetzt, junger und schöner Fremdling, werden Sie Ihrem Wirte sagen, von welcher Küste Sie kommen, welche Absicht Sie in unsere Stadt führt?
– Ich bin Kalender, Sohn des Königs, begann Tammuz.
– Das ist die symbolische Formel für alle, die über ihrem Schicksal stehen.
– Ich bin mehr Kalender als jeder andere: ich habe nur ein Jahr, um das Leben zu lernen, um die Seele zu studieren; ich lebe in Bordighera, der Stadt der Palmen.
– Der Gesundheit wegen?
– Aus Armut! Ich habe zwölfhundert Franken Rente.
– Und Sie kommen nach Paris, um Ihr Heil zu versuchen?
– Nein! Vor einem Monat wollte sich eine Miß ertränken: ich habe sie gerettet. Ihr Vater kam zu mir. – Ich schulde Ihnen das Leben meiner Tochter. – Wie hoch schätzen Sie das Leben Ihrer Tochter? fragte ich neugierig. Der Engländer betrachtete mich. Ich war in ungebleichte Leinwand gekleidet und trug Schuhe aus Esparto-Gras. Er sah sich die mit Kalk geweißten Wände an; dann zog er aus seiner Brieftasche acht Scheine zu je tausend Franken, den einen nach dem andern, bei jedem mich mit einem Blick befragend. Ich dachte ihm seine Banknoten ins Gesicht zu werfen. Da kam mir der Gedanke, was dieses Geld für meine Ausbildung bedeuten würde, und trug den Sieg davon. So stellte ich diese Quittung aus: »Ich bestätige hiermit, achttausend Franken erhalten zu haben, als Sold dafür, daß ich Miß Sheffiels das Leben rettete.« Nach der poetischen Auffassung würde diese Handlung mich verkleinern, und auf der pariser Bühne wäre ich nicht mehr der junge sympathische Liebhaber: aber zuweilen muß man wählen zwischen der äußeren Ehre und einem inneren Plan. Die Dankbarkeit des Engländers bedeutete nichts für mich: sein Gold habe ich in den Schmelztiegel geworfen, in dem ich meine Persönlichkeit ausarbeite.
– Wie finden Sie sich mit einem begrenzten Schicksal ab?
– Ich kann mich nicht beugen, und um in das lebendige Leben einzutreten, muß man sich bücken. Uebrigens weiß ich nicht, was die Zivilisation ihren Zuschauern gibt: deshalb habe ich für ein Jahr auf das pariser Theater der Leidenschaft abonniert. Durch meinen klösterlichen Verkehr mit den großen Toten erleuchtet, gehe ich aus dieser Gesellschaft aufgeklärt hervor: das Geheimnis des Moses, der Gedanke des Pythagoras und des Platon, die Seele des Aischylos und des Dante haben zu mir gesprochen. Das Buch hat mir seine Geheimnisse gegeben; ich will das Leben befragen; und das Leben nennt sich mit seinem wahren Namen: Liebe.
– Nachdem Sie das Feld des Gedankens durchlaufen haben, wollen Sie lieben?
– Ja, ich will mein Herz an schönen Herzen versuchen, ich will höherstehenden Seelen Süßigkeit und Traum geben.
– Sie wünschen nicht die Leidenschaft, scheint es, nach den unklaren Ausdrücken Ihrer Sprechweise.
– Ich wünsche … Es gibt zwei Auffassungen der verliebten Hoffnung: die Fee, die Schwester. Die eine tritt in unser Leben wie Lohengrin, wenn Elsa in höchster Not ist; sie liebt, und besonders rettet sie, nicht von der Vereinsamung, von allem. Sind wir arm, bringt sie Gold; sind wir ehrgeizig, erhebt uns ihre Hand, indem sie uns berührt; sind wir verfolgt, gibt sie den Sieg … Die andere, leidend wie wir und kämpfend, stützt sich mehr, als sie unterstützt; als Gefährtin des Schmerzes, gibt sie unserem klagenden Herzen ein Echo und nimmt das Abendmahl in derselben Gestalt von Bitterkeit: das ist unsere Doppelgängerin, ebenso ohnmächtig wie wir selbst … Ich erwarte nicht, einer Fee zu begegnen, und da ich arm bin, genügt die Liebe nicht, mir Glück zu geben. Wenn ich sehr geliebt wäre, würde ich noch jeden Morgen mein Häuschen in Bordighera ausfegen.
Und er zeigte seine weibliche Hand.
– Das moderne junge Mädchen, ohne Schwung und Poesie, wählt ihren Gatten, wie eine Dirne ihren Liebhaber, wenn sie nicht liebt, nach der Versorgung, die er verspricht. An eine ideale Ehe, das heißt, an eine so lebendige und seltsame Verbindung, wie der Roman sie erfindet, denkt die Jungfrau von heute niemals … Der Schwester werde ich begegnen, das ist mein Schicksal: der Frau, die mich bewegt, weil ich ihren Trost enthalte; der Frau, die mich anzieht, weil meine Natur auf sie wirkt; der Frau, die mich erwartet und die mich erkennt, weil ich sanft zu ihr sein werde, entsagungsvoll sanft … Und bin ich nicht gleich bei meiner Ankunft einer Schwester begegnet? Ich war in Notre Dame niedergekniet, ich hatte den Louvre gegrüßt: dann ist mir die Prinzessin Simzerla erschienen! Ihr bleiches und verschlossenes Gesicht hat sich rosig gefärbt und sich meinem milden Blick geöffnet: sie hat begriffen, daß ich sie schätze, sie, die Verleumdete; daß ich sie beklage, sie, die Leidende; kurz, daß ich sie liebe.
– Sie lieben die Prinzessin Simzerla, und Sie kennen ihren Ruf?
– Wer hat ihn gemacht, diesen Ruf? Unsere beiden Engländerinnen haben mir die Legende wiedererzählt, die Schande auf sie wirft: ich glaube an diese Legende nicht.
– Und Sie wollen ihr Liebhaber werden?
– Nein, ich liebe sie, weil sie hochherzig und leidend ist; aber ich begehre sie nicht.
Nergal warf seine Zigarette fort.
– Sie verändern den Sinn der Worte, indem Sie sie gebrauchen: lieben bedeutet für Sie eine Art parteiischer und lebhafter Barmherzigkeit …
– Lieben liegt für mich noch in der Zukunft; die Liebe begreifen noch im Halbschatten, in dem ich nur die Tryphallie Tryo, griech. erschöpfen; also Tryphallie, Erschöpfung der männlichen Kraft. sehe: ich zögere nicht im Wollen, aber ich kenne nicht das Ziel meines Willens.
– Seltsam, daß diese Frau, welche die wahre Leidenschaft am stärksten verneint, Sie verführt, zumal Sie nur flüchtig sie gesehen haben! Welch geheimem Hange gehorchen Sie, indem Sie zuerst die Frau wählen, die nur Frauen liebt?
– Herr Nergal, ich glaube nicht an die Liebe einer Frau für die andere.
– Sie leugnen Lesbos?
– Ich leugne Lesbos als Liebe, nicht als Laster.
– Aber, mein lieber Tammuz, Lesbos hat seine Chronik, hat wie Kythera seine täglichen Berichte in den Boulevardblättern.
– Eine Zeitung kann nur Laster drucken, und zwar öffentliches Laster: das ist eine Folge der pornographischen Studien der Parent du Chatelet Parent du Chatelet, Die Prostitution in Paris. Deutsche Ausgabe, Leipzig 1837.. Was die Liebe betrifft, so können allein deren Katastrophen ins Publikum gelangen, aber nur in den unteren Klassen. Und Sie, der Sie nur Geschichten von Helden erzählen, werden zugeben, daß die Leidenschaft dort unten keinen Wert besitzt.
– Ich versichere Ihnen, daß in den Gesprächen der vornehmen Gesellschaft dieser Satz oft erklingt: »Die Gräfin ist die Geliebte der Baronin.« Haben Sie nicht heute abend Lady Bedforest und Lady Kenmore gesehen?
– Das sind Lasterhafte, nicht Verliebte.
– Ihr Eigensinn wird an den Tatsachen scheitern, die Ihnen das Leben zeigen wird.
– Geben Sie mir zu, daß die menschliche Natur, mit Wesen identisch, sich nur in ihren Aeußerungen unterscheidet. Die Spanierin, die so glühend ist, empört sich über die französisch-italienischen Ausschmückungen und Entartungen der Wollust: wenn man jedoch den geraden Trieb der einen und die nervöse Kompliziertheit der andern abzieht, bleibt das Wesen das gleiche. Die Hindufrau kennt den Kuß nicht, wie er auf unsern Lippen ist; ihr Herz jedoch unterliegt den Gesetzen unseres Herzens. Lesbos muß als eine Frage der Nerven, nicht als eine Form des Gefühls aufgefaßt werden. Lesbos kann zu den Arten des Genusses, nicht zu den Auffassungen der Liebe gezählt werden. Lesbos gehört unter den Artikel »Wollust«, nicht unter die Rubrik »Liebe«. Aber lassen wir doch dieses unbestimmte Wort »Lesbos«. Es gab auf dieser Insel ein Kloster für junge Mädchen, das von einer begeisterten Frau geleitet wurde. Die Erziehung, die sie erhielten, verherrlichte den Körper, nährte die Sinne, erhöhte den Stolz. Zuweilen, wenn sie die Liebe besungen hatten, gerieten die Nerven dieser Jungfrauen in Bedrängnis; da sie nicht wagten, wie Buhlerinnen in ihrer Brunst umherzuirren, um eine Befriedigung mit entehrenden Folgen zu suchen, fielen sie einander in die Arme; und der Kuß erzeugte die Umarmung und die Liebkosung … Lesbos ist die Geschichte eines heidnischen Klosters.
– Lucian, in seinen Gesprächen …
– … von Hetären, mein Lieber … Parent du Chatelet: das ist kein Beweis. Sagen wir Sodomie! Da ich durch Ihre Bücher weiß, daß Sie die Kasuisten besitzen, wollen wir, wenn Sie Lust haben, die Erfahrung der Beichtväter und Gewissenleiter befragen. Durchsuchen wir die moralische Theologie.
– Gut, sagte Nergal, und er zündete die Kerzen an, die so angebracht waren, daß man auf seinem Platze im Lichtstrahl lesen konnte.
– Zuerst die Definition des heiligen Thomas von Aquino, sagte Tammuz, die Summa durchblätternd. – Nergal, es gibt eine unvollkommene Sodomie, die sich auf die Ehegatten bezieht … »Der Beischlaf mit dem nicht dazu bestimmten Geschlecht, nämlich Mann mit Mann, oder Weib mit Weib.« Da ist schon eine Klarheit: die Sodomie ist eine Frage des Geschlechts, nicht der Sitte.
– Der Pater Debreyne, der Arzt war, bevor er Trappist wurde, der neueste der Kasuisten, bleibt beim »nicht dazu bestimmten Geschlecht« stehen; indessen gibt er, mit Craisson, eine »unvollständige« Sodomie zu, wie »die Begattung in dem nicht dazu bestimmten Gefäß des dazu bestimmten Geschlechts«.
– Indessen verpflichtet der heilige Liguori den Beichtvater, sich beim Falle des »extra vas naturale« nicht nach dem »quoloco« und »quomodo« zu erkundigen.
– Oh, rief Nergal, da ist ein Punkt, wo die Kasuistik sich täuscht. »Ich habe mit einer Frau gesündigt«. Diese Formel verwirft man für diese: »Ich habe mit einer Frau geschlafen«. Als ob die pariser Unzucht zu Bett ginge! Und dann diese charakteristische Einzelheit der Unterschiede, bei einer zu strengen Einteilung, mit dem Umstand »pollutionis vel non pollutionis«.
Lange durchsuchten sie noch die Bücher des Ehebruchs, die Sammlungen der Sünden, die moralischen Theologien, die Vorschriften für die Beichtväter. Sanchez, Billuart, Collet, Bouvier, Gousset, Bonacina, Lessius, Cajetanus, Lacroix: alle, welche die Sünde bestimmt und erklärt haben, weil sie berechtigt waren, die Tugend zu predigen.
– Was geht hervor aus diesem eiligen Auszug aus den Ansichten der Katholiken über eine ernste Frage, die beim Nachdenken fast furchtbar wird, fragte Nergal. Die Definition des heiligen Thomas, nichts weiter. Alle strafen das Vergehen; sie nennen es Todsünde oder verzeihliche Sünde, aber keiner gibt die Erklärung des Phänomens noch seine Psychopathie. Was wird der Beichtvater, von diesen Autoren, die wir befragt haben, »gespeist«, der bereuenden Prinzessin Simzerla sagen? Er hört: »Concubui cum femina, ich habe eine Frau beschlafen«. Wie wird er sich Rechenschaft geben von dieser anormalen Tatsache? Sie setzt ein depolarisiertes Nervensystem voraus, eine langsam angegriffene und entartete Phantasie, und schließlich alles, was die gleichzeitige Umkehrung des Ideals und des Triebes an seelischen Vorgängen nötig macht. Haben die Theologen gefürchtet, die Sünde zu entschuldigen, wenn sie ihre ursprünglichen Wurzeln bloßlegten? Oder sind sie, einem heiligen Schrecken gehorchend, vor einer gefährlichen und unnützen Analyse zurückgewichen? Der Psychologe wird einer Sodomitin einen Liebhaber verschreiben, aber der Beichtvater nicht, da er gezwungen ist, unversöhnlich den Begriff der Todsünde bei jeder Wollust aufrecht zu erhalten, die außerhalb der kirchlichen Ehe begangen wird.
– Glauben Sie denn, daß dieses Verschreiben eines Liebhabers befolgt würde und daß es heilte?
– Die Behandlung der Seele verlangt ein Verfahren nach dem Gefühl.
– Man müßte einen Ergänzer wählen, der auf eine dritte Art zu lieben weiß.
– Nein, gewisse Arbeiten, wie edel auch ihr Zweck sei, fordern Arbeiter, die frei von jeder Würde sind.
– Ein weltlicher Arm ist nötig, um gewisse Fälle der Seele zu berühren.
Nergal blätterte in der Muse des Straton.
– Das griechische Epigramm widmet sich ganz der männlichen Sodomie; nicht ein Vers über den Sapphismus. Hören Sie, wie Kristodorus von Koptos unter den Statuen von Zeuxippos die der Sappho beschreibt: »Die Biene von Pieria, Sappho, die melodische Lesbierin, sitzt für sich und allein. Man könnte sagen, daß sie die schöne Hymne verfaßt, welche die schweigenden Musen ihrer bebenden Seele eingeflößt haben.«
Tammuz stieß Ausrufe aus, indem er die Seiten des Planudes umschlug; er las das Epigramm, das Democharis über eine Statue der Sappho verfaßte:
»Künstler, die Natur selbst hat die Form und Züge der Muse von Mytilene enthüllt. Aus ihren Augen springt ein Glanz, der die Lebhaftigkeit ihrer Phantasie enthüllt. Ihr gleichmäßiger Körper, ohne Ueppigkeit, bezeichnet ihre Reinheit, ihre Einfachheit; und an ihrem Gesicht, in dem sich Freude und Nachdenken einen, sieht man, daß sie den Arbeiten der Musen die Freuden von Kythera verband.«
– »Die Freuden von Kythera«, wiederholte Tammuz: ist das klar genug, besiegt es die schmutzige Verleumdung?
– Hören Sie diese Begräbnisreden, sagte Nergal; hören Sie Antipater von Sidon: »Erde von Aeolien, du schließest Sappho ein, die sterbliche Muse, die mit den unsterblichen Musen sang; die Cypria und Eros zusammen erzogen; mit der Peitho den immer frischen Kranz der Pieriden flocht; den Reiz Griechenlands und deinen Ruhm. O Parzen, die ihr auf euern Spindeln zu dreien den Faden unserer Leben spinnt: warum habt ihr nicht ein unvergängliches Leben für Sappho gesponnen, die unvergänglich die Gaben der Musen gemacht hat?« Und dann dieser kurze Glanz: »Sappho ist mein Name: in der Dichtung habe ich alle Frauen übertroffen, wie Homer alle Männer.« Endlich sagt Tullius Laurea: »Fremdling, vor diesem äolischen Grabe nenne nicht tot das lyrische und gelehrte Mädchen von Mytilene. Die Hände der Menschen haben ein Denkmal errichtet und deren Werk wird bald im Staube des Vergessens untergehen; doch richte mich nach der Ehre, die mir die Musen erwiesen, nach ihren Gaben, die ich in meinen neun Büchern Gedichte niederlegte, und du wirst erkennen, daß ich den Finsternissen des Todes entgangen bin. In allen Zeiten und unter allen Sonnen wird man von der Dichterin Sappho sprechen.«
– Ja, sagte Tammuz, die Stimme der Antike protestiert gegen die Verleumdung von heute. »Geht zum strahlenden Tempel der schönen Juno, Lesbierinnen, leichte Reigen tanzend, und bildet zu Ehren der Göttin einen prächtigen Chor: Sappho wird ihn mit ihrer goldenen Leier anführen. Mit welcher Freude werdet ihr zu ihren Tönen tanzen: ihr glaubt die süße Hymne der Kalliope selbst zu hören.«
– Noch dies: »Doricha, deine Knochen werden sich in Staub auflösen wie die Bänder deiner Haare und deine duftende Schläfe, während du jüngst noch den schönen Charaxus, den Bruder der Sappho, in deine Arme drücktest und mit ihm den Kelch des Morgens leertest. Aber deine prächtigen Verse, o Sappho, leben noch: dein Name ist berühmt, Naukratis wird die Erinnerung bewahren, solange die Schiffe von allen Meeren zu den Ufern des Nils kommen werden.«
– Und Antipater von Sidon: »Von den melodischen Tönen der Sappho gepackt, rief Mnemosyne aus: Haben die Sterblichen also eine zehnte Muse?«
– Und diese köstliche Szene, wo die Musen wie die Feen unserer Märchen die Wiege der Sappho als Kind umgeben: »Die Parze hat dir ein schönes Geschick bestimmt, als dein Auge sich dem Licht öffnete; denn wir gaben dir den unsterblichen Efeu, und der Vater der Götter billigte es mit dem Laut seines Donners. Du wirst durch Lieder bei allen Sterblichen berühmt werden, und du wirst den erlauchtesten Ruf genießen.« Sappho erwacht und ruft: »O meine Mutter, ein göttlicher Traum hat meinen Schlummer entzückt.«
– Ist es nicht Visconti, fragte Tammuz, der zuerst die Sappho aus Mytilene von der aus Lesbos unterschied? Die Genossin des Alkäos, durch Pittakos verbannt, von Herodot gelobt, zitiert von Longin und dem Verfasser der Fragmente des Museum criticum von Cambridge, die zehnte Muse, vermischt sich in der Ueberlieferung mit der Buhlerin von Lesbos, der Geliebten des Phaon, die sich vom leukadischen Felsen stürzte.
– Wie soll man die beiden Namen aus einander halten, zumal auf die Buhlerin auch Münzen geprägt wurden?
– Ovid hat sich getäuscht; Bayle und Barthelemy folgen ihm.
– Beide Sapphos kamen zur selben Zeit nach Sizilien: die Dichterin, weil sie sich verschworen, die Buhlerin, ihrem Geliebten folgend.
– Die Münzenkunde also, schloß Tammuz, prägt aus nichts den Anspruch, den eine solche Ueberlieferung auf diese unmögliche Leidenschaft macht. Der Name der Sappho wird von der Anschuldigung der Sodomie befreit: Lucian hat Zeugen verhört über die Sitten der Insel Lesbos! Da sagt Cleonerium zu Leena: »Megilla, diese reiche Lesbierin, soll wie ein Mann in dich verliebt sein. Ihr lebt ehelich zusammen und es geht etwas zwischen euch vor! Du errötest: sprich!« – Leena: »Ich schäme mich, denn es ist widernatürlich.« – Cleonerium: »Bei Ceres, was macht ihr, wenn ihr beisammen seid?« – Das ist eine jener Tribadinnen, wie man sie in Lesbos trifft, Frauen, die das Amt der Männer bei den Frauen ausüben.
– Bemerken Sie, sagte Nergal, daß diese Megilla die Rolle des Mannes, die aktive Rolle, spielt. Bemerken Sie auch, daß Megilla sich Demonassa als Gehilfin nimmt, um das Fest mit Leena zu begehen. Und hier wird der Dialog erstaunlich als Urkunde. »Megilla ist nackt und ganz geschoren. – Hast du einen schöneren Jüngling gesehen? – Aber ich sehe keinen Jüngling, Megilla. – Nenne mich Megillus; ich habe Demonassa längst geehelicht. – Du bist also Hermaphrodit? – Nein, ich bin wirklich ein Mann. Zur Welt gekommen wie ihr Frauen, habe ich die Neigungen, die Begierden und das übrige eines Mannes. – Und du begnügst dich mit Begierden? – Leena, laß dich lieben, und du wirst sehen, daß ich durchaus ein Mann bin. – Ich habe mich lieben lassen, gegen eine Halskette und ein Kleid. Ich habe sie wie einen Mann in meine Arme genommen; sie umschlang mich und schien die größte Lust zu genießen. – Wie hat sie sich dabei benommen? – Frage mich nicht weiter. Das ist nicht schön. Auch habe ich bei Venus geschworen, nichts davon zu sagen.«
– Noch diese Stelle, die in ihrer Kürze zeigt, wie häufig die weibliche Sodomie als Wollust war. »Drei Buhlerinnen, mächtige Cypria, haben dir diese Opfer, die Frucht ihres Gewerbes, geweiht. Euphro hat sie auf verbotene Weise erlangt, Clio auf erlaubte Weise und Atthis durch List. Gewähre ihnen dafür, Euphro Jünglinge, Clio Frauen, Atthis Geschlechtslose.« Dieses Epigramm würde die Buhlerin mit weiblicher Kundschaft bedeuten; doch liegt Doppelsinn in der verbotenen und in der erlaubten Weise.
– Aristainetos, der Verfasser von Samosata, legt in seinen Briefen über die Liebe, den großmütigen Reden gegen die widernatürliche Entartung der Griechen, diese Entrüstung auf die Lippen der Charikles: »Wenn der Verkehr eines Mannes mit seinesgleichen anständig ist, so können in Zukunft die Frauen sich unter einander lieben. Wohlan, Ordner von Unsauberkeiten, Erfinder einer neuen Schande, mögen sich nach deinem Vorbild die Frauen den Frauen vereinen! Möge dieses Wort, das so selten unsere Ohren trifft, möge die Unzucht unserer Tribaden ohne Scham triumphieren! Mögen sich unsere Frauengemächer mit Buhlmädchen füllen! Und wieviel besser wäre es, wenn eine Frau die Glut ihrer Wollust so weit triebe, daß sie der Mann sein will, als daß der Mann sich so tief erniedrigt, die Rolle einer Frau zu spielen.«
– Lysistrata selbst beschwört, als sie die Bühne betritt, die schlimmen Lüste, die den griechischen Frauen des fünften Jahrhunderts zur Gewohnheit geworden waren: »Ah, wenn man sie zu einem Fest des Bacchos, des Pan, der Venus von Kolias oder der Genetyllides geladen hätte …«
– Was ging auf den Bacchanalien und auf den Adonisfesten vor? Der Phallos war entweiht, der Lingam auf die Zweizahl beschränkt?
– Vergebens würden wir in Rom und in Byzanz nach den Namen der Frauen fragen, die in ihr Geschlecht verliebt waren. Die Ausschweifung würde gerichtlich aussagen, nicht die Leidenschaft. Selbst das Mittelalter verrät nichts, scheint es; man muß bis zu diesem Bericht des Herrn von Brantôme kommen: »Herr du Gua und ich lasen einst ein kleines italienisches Buch, das den Titel Ueber die Schönheit trug und in Polen von dem Florentiner Angelo Fierenzuola geschrieben war, und stießen auf diese Stelle: Die Frauen seien ursprünglich von Jupiter so geschaffen worden, daß die einen die Männer liebten, die andern aber die weibliche Schönheit; einige rein und heilig, wie zu unserer Zeit die berühmte Margarethe von Oesterreich, welche die schöne Laodamia liebte; andere unzüchtig wie die Lesbierin Sappho und zu unserer Zeit die große Buhlerin Cecilia in Rom.«
– Sie kennen den Vers von Martial: »Hic ubi vir non est, ut sit adulterium,« der sich auf eine gewisse Bossa bezieht, bei der man keinen Mann eintreten sah, und das »Frictum Grissantis adorat« des Juvenal.
– Wo habe ich gelesen, daß Frau Scarron mit Ninon de Lenclos buhlte?
– Der schönste Typ dieser Art war jene Maupin, die »Fechterin«, die Pallas in der Oper »Kadmus« spielte, auf dem Ball Streit mit drei Herren hatte, diese auf den Platz hinunter steigen ließ, sie alle drei verwundete und die Frau, den Gegenstand des Streites, entführte.
– Für viele ist die »Nonne« von Diderot das klassische Buch der Frage.
– »Das Mädchen mit den Goldaugen« ist in mehr Händen!
– Ei, liest man Balzac? Man kauft ihn höchstens! Dieses übermenschliche Genie kann den Leuten nicht gefallen, die das gewohnt sind, was ein Romanschreiber sie beim Weinhändler und unter dem Gesindel erleben läßt.
Träumerisch sagte Tammuz:
– »Mademoiselle de Maupin« …
Nergal unterbrach ihn:
– Da fällt mir ein, daß eine gewisse Urgulaine sich so gut mit der Kaiserin Livia stand, daß der Prätor zu ihr hingehen mußte, als sie vor Gericht Zeugnis ablegen sollte. Sie wissen auch, daß Beroalde de Verville Verville, Der Weg zum Erfolg. Deutsche Ausgabe, Cassirer, Berlin. Siehe Peladan, Einweihung des Weibes, Kapitel XII. der Sappho den Rang einer Philosophin gibt, weil das Altertum sie beschuldigt, den Frauen die sapphische Liebe gezeigt zu haben, um sie an der sokratischen Liebe zu rächen.
Tammuz wiederholte.
– »Mademoiselle de Maupin« scheint mir eines der lesbischesten Bücher zu sein. Jene beiden Perlen, denen gleich, die Theodora in ihren Haaren trug, die man in dem zerbrochenen und zerwühlten Bett der Rosette fand, diese beiden Perlen sind die literarischen Karfunkel von Lesbos.
– Oh, rief Nergal, Baudelaire hat zwei schwarze Diamanten geschnitten, die das literarische Diadem von Lesbos sind.
– Ich kenne sie nicht! Sollten sie zur mündlichen Ueberlieferung gehören?
– Sie bilden einen Teil der sechs konfiszierten Stücke; man verkauft sie in Belgien als Broschüre unter dem Titel Les Epavés, Die Gestrandeten … Ich werde sie Ihnen vorlesen … und Sie werden mir nachher sagen, ob das, was so feierlich besungen wurde, keine Wirklichkeit besitzt.
Während Nergal mit sonorer Stimme las, stieß Tammuz, von der lyrischen Schönheit gepackt, vom Stoff empört, Ausrufe aus über diese Verse:
Lesbos, wo die Phrynen einander begehren,
wo Seufzer sich an Seufzer reiht,
so wie Paphos dich die Sterne verehren,
und Sappho erregt in Venus Neid.
— — — — —
Was bedeuten Gebote des Guten und Bösen,
erhabene Mädchen, der Inseln Pracht?
Euer Kult ist ebenso schön und erlesen,
die Liebe über Hölle und Himmel lacht.
– Oh, rief Tammuz aus, weil es die Begriffe so gefälscht hat, mußte dieses Genie gelähmt, der Sprache beraubt, sterben.
Nergal las diese beiden Verse, die so voller Melancholie sind, daß man damit das Gedicht beenden möchte:
Abends kehrt zurück zum verzeihenden Lesbos
der edle Leichnam der Sappho, die schied.
Tammuz beugte sich über eine Schreibtafel und schrieb mit fester Hand.
Tammuz führt zurück zum verzeihenden
Eros
die edlen
Scharen der Sappho, die schied.
– Sie notieren einen Vers, ich habe Les Epavés doppelt … ich biete Ihnen ein Exemplar, aber hören Sie den Ton von Delphine und Hippolytos Euripides, Hippolytos, Drama: von Strindberg im »Sokrates« zitiert. – Frau von Staël, Delphine, Roman.:
Der eitle Träumer ewig sei verflucht,
der uns als erster wollt' auftischen,
ach, dies Problem, unlösbar und gesucht:
in Liebe Ehrbarkeit zu mischen.
Wer zum Akkord vereinen will im Schwärmen
mit Sonne Schatten, Tag mit Nacht,
wird niemals den gelähmten Körper wärmen
an roter Glut, die Lieb' entfacht.
– Lästerung, mit der ganzen Kraft der in Brand geratenen Arterie ausgerufen, Lästerung und Unvernunft. Ich weiß, daß es eine Tolle und Kranke spricht; aber die Flamme dieses Wahnsinns, die ansteckende Lebhaftigkeit dieser Krankheit tun mir weh und machen mir Furcht. Welch trauriges Vorrecht hat das Genie, das den Irrtum in Reiz verwandelt! Ja, die Unzucht und ihre Entfesselung perverser und brutaler Triebe stehen im schärfsten Gegensatz zum Guten; aber die Liebe, diese Harmonie, existierte niemals außerhalb der reinen Gesetze der höheren Anziehung, wie die menschliche Bildung kein Werk zitiert, das schön ist und vom erhabenen Abstrakten losgelöst.
– »Den Körper wärmen«, ist gut gesagt.
– Die Liebe wärmt sich nicht, die Liebe steigt und vergeistigt sich.
Traurig, von einer inneren Traurigkeit, welche die Denker kennen, diese Wächter der Idee, welche die allgemeine Seele der Welt überwachen und befragen, während sich die menschliche Herde in blinden Geilheiten wälzt: traurig, wiederholte Tammuz mit halber Stimme die schmerzlichen und beunruhigenden Ausdrücke, welche das langsame Lesen Nergals im nächtlichen Schweigen der Bibliothek ausstreute.
– »In deiner Brust die Kühle der Gräber suchen!«
– Ah, rief Tammuz, da spricht endlich der Katholik in Baudelaire.
Steigt herab, herab, geopferte Frauen,
steigt herab den Weg der ewigen Hölle;
taucht in den tiefsten Schlund, wo alles Grauen …
— — — — —
Fern von den Völkern, die Kriege quälen,
eilt in die Wüste, wie Wölfe gejagt;
schafft euer Schicksal, verdammte Seelen,
flieht den Gott, den ihr in euch tragt.
Wider Willen hatte der Schriftsteller, die Stimme erhebend, dieses Finale fast heftig vorgetragen. Tammuz hörte in seinem Gedanken das beunruhigende Echo dieser Meisterstücke.
– Sind die konfiszierten Gedichte alle pervers?
– Nein, die Kleinodien gehören zum Normalen.
– Dann hat sich das Gericht geirrt. Obgleich ich den Künstler und besonders den großen Künstler als alleinigen Zensor seines Werkes betrachte, gibt es einen derartigen und neuen Taumel in diesen abscheulichen Wundern, daß ich das Entsetzen bürgerlicher Seelen vor diesem Abgrund der Leidenschaft verstanden hätte. Unsere Forschung durch die Vergangenheit, die Aussagen von Jahrhunderten heben meine Verneinung nicht auf: hätten wir die Untersuchung bis ins kleinste getrieben, sie hätte mein sicheres Urteil unterschrieben … Baudelaire packt mich, beunruhigt mich, bedrängt mich. Dieser Beichtvater des Verfalls der Lateiner; dieser erstaunliche Gelehrte dessen, was der Arzt die reine Erfahrung nennt; dieser Lyriker, der die geheimsten Falten der menschlichen Seele erhellt; dieser katholische Dichter, der auf Augenblicke an Dante denken läßt: sagt gegen mich aus, der ich hartnäckig daran festhalte, daß die göttlichen Normen unbesiegbar sind. Das Ende der Griechen und das Ende der Römer haben ein infames Gefallen an der männlichen Perversion gefunden. Wird die aufgelöste Zivilisation der christlichen Lateiner unter den Arten der weiblichen Perversion verfaulen? … Aus der Bedeutung, die der Frau gegeben wird, aus der Mystizität, dem Platonismus, der Galanterie, die entartet und verwickelt sind, sprießt die weibliche Perversion als die schreckliche Blüte so schöner Elemente, die sich aufgelöst haben und sauer geworden sind, die gegärt haben und giftig geworden sind … Sollte dies das höllische Ende der Dame aus den Fidèles d'Amour der Arthénice von Rambouillet sein: die perverse Verwandlung der schönen Preziösen? … Die Anarchie, diese Königin der Institutionen und der Sitten, krönt vielleicht so ihr männliches Werk? Ist es die heutige Form der Gotteslästerung, die letzte Verkörperung des Teufels? Sind es Besessene, abscheuliche Hexen, diese sodomitischen Frauen? … Oh, die Frauen, die in der Perversion eine Abart der Erotik suchen, die sich so beschmutzen, um völlig beschmutzt zu sein, das sind Unzüchtige, die für den Psychologen und Künstler kein Interesse haben … Aber die »Liebe«, die über diesen Noten geschrieben steht, aber die Leidenschaft, die in dem Schlüssel liegt, aber eine anormale Neigung zur Norm: das bringt mich aus der Fassung, das zu vermuten, zwingt mich Baudelaire … Ein Gefühl wird gemessen an der Summe des Schmerzes, die es erregen kann. Ist die Perverse je so eifersüchtig, daß sie tötet; klagt sie so, daß sie verzweifelt? Brennt die Seele, die von diesem abscheulichen Feuer ergriffen ist, wie die Seele eines verliebten Mannes?
– Ja, sagte Nergal.
– Kurz, stirbt man daran?
– Man stirbt daran.
– Nun denn! Bevor diese seelische Krankheit epidemisch wird, muß man sie studieren, sie bestimmen und sie zu heilen suchen.
Nergal machte eine zweifelnde Bewegung.
– Jede Krankheit der Seele ist heilbar, weil der Okkultismus die Heilmittel für die Geisteskrankheit besitzt.
Nergal wiederholte seine verneinende Gebärde.
– Dann lassen wir die Heilung, aber stellen wir die Diagnose. Eine neue Leidenschaft, eine unbekannte Liebe tritt auf, wird eine dauernde Erscheinung: und wir sollten sie nicht studieren? Die physische Wissenschaft richtet doch ein unermüdliches Fernrohr auf die kleinste Erscheinung in der Sternenwelt! Wir sollten diesen schlimmen Meteor sich zeigen lassen, ohne ihn zu beschreiben? Vielleicht gibt er uns Aufklärung über diesen Schatten, der das Böse genannt wird! Sie führen mit stolzer und starker Hand die Feder des Psychologen: und Sie haben nicht versucht, diese neue Seelenkrankheit zu malen?
– Die öffentliche Meinung will nicht, daß man sich anders als lasziv damit befaßt; die öffentliche Meinung klagt den an, der in dieser Frage Urkunden beibringt.
– Der Verfasser schafft die öffentliche Meinung, Nergal; er unterliegt ihr nicht! Sie kennen die hervorragenden Exemplare dieser krankhaften Veranlagung, das heißt, die jungen, schönen, vornehmen, reichen und freien Frauen, die diesem Götzendienst opfern, und Sie können mich denen gegenüber stellen.
– Ja, aber was hat es für einen Zweck, sich dem Absurden gegenüber zu stellen, um es zur Vernunft zu bringen? Die Sprache sträubt sich dagegen! Finden Sie doch ein anständiges Wort, um diese Schuldige zu bezeichnen: eines dieser Worte, die zugleich bestimmt und möglich sind, die weder nach der Straße noch nach der Klinik riechen.
– Gynandre! sagte Tammuz.
– Gynandre?
– Ja, der Androgyn Peladan, Der Androgyn (deutsch erschienen). ist der reine und noch weibliche Jüngling; die Gynandre wird die Frau sein, die auf die Männlichkeit Anspruch macht, sie widerrechtlich an sich reißt: das Weib, welches das Männliche nachäfft!
– Aber von diesen beiden Ausdrücken, die Gegensätze bilden, hat der eine guten, der andere bösen Sinn.
– Der eine stammt aus der Bibel und bezeichnet den ursprünglichen Zustand des menschlichen Wesens: die griechisch-katholische Ueberlieferung hat ihn geweiht. Den andern entnehme ich der Botanik Gynandria, Linnés 20. Klasse, z. B. die Orchideen., und ich taufe damit nicht die Perverse, sondern jede Neigung der Frau, den Mann zu spielen: sowohl eine Mademoiselle de Maupin wie einen Blaustrumpf.
– Gynandre! wiederholte Nergal.
Drei Uhr schlug es in der Nacht.
– Es ist nicht nötig, daß die Morgenröte uns sieht: ich verlasse Sie, Nergal. Ich werde auf ein Zeichen warten, wann Sie mich Ihren Kranken gegenüber stellen werden.
– Meinen Kranken? Es sei!
Sie drückten einander die Hand.
Als Tammuz gegangen war, warf sich der Romancier auf den Diwan. Sein Auge umfaßte die Unordnung der hundert geöffneten und verstreuten Bände, blieb dann auf dem weißen Blatt haften, das sein Besucher beschrieben hatte.
Ohne an den Schlaf zu denken, träumte der Psychologe, diese Seite betrachtend, die von zwei Zeilen in steiler Schrift durchlaufen war:
Tammuz fährt zurück zum verzeihenden
Eros
die edlen
Scharen der Sappho, die schied.