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Das Herz erwacht, ohne geschlechtlich zu sein, und wird von der nächsten Zärtlichkeit gefesselt. Ob dieses Erwachen rein bleibt, hängt von den Nerven des jungen Mädchens ab: das ist eine Frage der Veranlagung.
Eine weibliche Herde wetteifert nach dem selben Unbekannten, stürzt unter der Peitsche des gleichen Triebes hervor. Die heftige Neugier des jungen Mädchens setzt Stück an Stück, sobald sie sich als Weib fühlt: die Lektüre von Zeitungsromanen, die irgend etwas verhüllen; die Lieder der Straße oder die Reden der Dienstboten; die Plaudereien der Eltern und ihre eigenen Träumereien. Man kann sich vorstellen, welch trübe Klarheit in sechs Monaten des Zusammenlebens ein Pensionat hervorbringt, das alles, was man in Familie und Schlafsaal gehört und geahnt hat, gemeinsam macht. Dann kommt die Liebkosung, die zuerst zögernd tastet, die mechanische Liebkosung, die zufällige Liebkosung, und stößt auf die Lust: sie wird wichtig und die Sünde beginnt.
So von Gefühl umrankt, oft so leidenschaftlich ist das junge Mädchen, daß es der Freundin den Abschiedsschwur hält, wenn es die Erziehung beendet und das Kloster verläßt: einen Monat lang kann die Gattin ihr Zimmer dem Gatten verschließen, um auf ihre Art um ihre erste Liebe zu trauern.
Alle Stimmen der Moral können sprechen, eine Stimme übertönt sie: die Stimme der Beobachtung. Diese sagt, daß oft das menschliche Wesen in diesen Sodomien der Pensionate das Feurigste seiner Seele gibt. Das ist unwürdig, man möchte über die menschliche Schwäche weinen, aber es ist so!
Da es so ist, weiß der Gatte, wie schwierig seine Rolle sein wird? Was wird der Husarenoffizier tun, angesichts dieser von der Lust ermüdeten Jungfrau? Wie wird er auf diesem verstimmten Instrument spielen?
Immer, immer, ach! wird er diese dissonierenden Sinne angreifen, mit einer Miene von Tapferkeit, und in einem Augenblick wird er verabscheut werden: wild, körperlich, unheilbar.
Kraft der Erziehung wird die Frage sich in die Pflicht auflösen oder in die Rückkehr zum ersten Laster.
Am häufigsten macht die junge Frau einen oder zwei Versuche mit Liebhabern, die aber wie Gatten handeln. Dann verzichtet sie auf die normale Liebe, fast gegen ihren Willen.
Entschuldigt man eine Sünde, wenn man sie erklärt? Muß man einen Punkt verschweigen, der die Besten der Kulturen und Rassen so stark interessiert?
Wenn ein Organismus durch gefälschte Nervenströme zur Sinnlichkeit geweckt wird, kann die Rückkehr zum Normalen nur auf zwei Arten erfolgen: indem man auf die Einbildungskraft durch irgendeinen Reiz wirkt, oder indem man langsam und geduldig die neue und gesunde Wollust dosiert.
Niemand denkt daran oder geruht es zu tun, scheint es; aber die Heilung geschieht um diesen Preis.
Wie kläglich, zu denken, daß der Körper Herz und Geist zusammen widersteht, und daß ein großes Genie dieses Jahrhunderts, aufs höchste geschätzt, für die geliebte Frau nur eine harte Prüfung war Thomas Carlyle für Jane Welsh.!
Der Katholizismus gebietet, den Körper zu besiegen, und dieses Gebot bildet allein die letzte Würde des Abendlandes; aber die Wissenschaft stellt nach ihrem Recht fest, daß Gefühle und Nerven sich häufig widersprechen.
Wenn die Kirche gebietet, den Körper zu besiegen, kann sie nicht zur Einzelheit hinabsteigen und den Fortschritt der Bemühung verfolgen: es gibt in der Psychopathie einen Teil, der den Laien vorbehalten bleibt. Wie ein Priester, der als Soldat ein Gewehr berührt, ein infamer und abtrünniger Priester ist, so würde der Kasuist, der beschriebe, wie ein verstimmtes Nervensystem behandelt werden muß, die ganze Würde der Geistlichkeit bloßstellen.
Da liegt die Aufgabe des Romanciers, der Sitten schildert: oft besser unterrichtet als der Mönch, immer gebildeter als das Mitglied der moralischen und politischen Wissenschaften, kann er sich täuschen, ohne mit seinem Irrtum den Charakter einer Kaste und das Ansehen des Glaubens zu beflecken.