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Während Tammuz auf Frau Coliade wartet, um den wahren Namen des Schlosses Leukadia zu erfahren, faßt er seine Monographie für den wißbegierigen Nergal zusammen:
– Wenn man die Vererbung betrachtet, müßte man das Temperament der Prinzessin Simzerla kennen. Sie ist wahrscheinlich eine Träumerin und lymphatisch: der Roussalkys, einer, der Handschuhe trägt. Sie geben uns die Herzogin von Orvieto, elegant, anständig, schlechte Mutter, zum Trinken neigend. Der Herzog, eine feine geschwächte Natur, ein kleiner Italiener der großen Epoche, zu zart, mehr künstlerisch als moralisch veranlagt, erzeugt einen Prinzen Simzerla, roh wie Roussalkys, müde wie Orvieto, und ein trauriges Mädchen mit androgynischem Gesicht, mit einer vom Körper verschiedenen Seele, das in ihren Nerven einen unbewußten Groll gegen alle Roussalkys, gegen die Männer bewahrt. Rechtschaffen, ohne Lüge, aber unerbittlich gegen die Ungerechtigkeit, könnte das Mädchen, nicht sinnlich, gut erzogen werden, da sie zwar beunruhigend, aber zu retten ist.
»Statt eine sorgfältige Erziehung zu genießen, die vorgebeugt hätte, wurde ihr Vater völlig von seinem Amt als Generalissimus in Anspruch genommen; war ihre Mutter ungerecht und leichtfertig, so absurd in ihrer Mutterschaft wie man es in der Liebe ist, kurz eine Barbarin. Dazu ein Bruder, der seine Schwester schlägt, weil sie ihm nicht zu Willen ist. Dann gleichgiltige Gesichter von Erzieherinnen und Lehrern.
»In sich selbst zurückgedrängt, sich allein entwickelnd, heiratet sie, um ihrer Mutter zu entfliehen. Gattin eines ungeliebten Mannes, der in der Vermögensfrage unfein ist, wird die kleine Prinzessin von den Freunden des Gatten begehrt. Durch ihre Vererbung abgestoßen, wird sie ihre Neigung zur Gynandre unfehlbar ausbilden.
»Auf wen soll sie sich moralisch stützen? Seit sie begreift, auf sich selbst beschränkt, ohne ein Herz, das sie wiegt, oder einen Geist, der sie führt, vermännlicht sie sich. Und die Vererbung treibt sie, sich der positiven Rolle zu bemächtigen: die Nerven rächen sich für die Vergewaltigung, mit der das Leben ihrer Familie begann.
»So verfolgt sie das Ideal des kleinen Mannes. Da sie nur Vorbilder des laxen Lebens, der leichtfertigen Leidenschaften vor Augen hat, wird sie am ersten Tage der Scheidung und Freiheit zu der Schauspielerin gehen. Dann zu der, die sie vor einigen Jahren von einem Dandy hat rühmen hören; ritterlich in ihrer Art, wird sie der eine halbe Million in sechs Monaten geben. Sodann wird sie die schlimme Gewohnheit des Opiums annehmen: so erschreckt sie das Leben, so hoffnungslos erscheint ihr Unglück ihr.
»Wenn sich bei der Frau ein männlicher Ehrgeiz entwickelt, erzeugt dieser einen neuen Stolz. Daß sie in Verruf gekommen war, konnte Simzerla nicht mit halbem Wesen ertragen: da niemand ihr einen Rat gibt, trotzt sie dem Bilde, in dem der Journalismus sie zeigt.
»Jeder weiß sehr wohl, daß man eine zornige Frau nicht auffordern soll, zum Fenster hinauszuspringen, weil die Anhäufung der Nervenkraft unwiderstehliche Entspannung hervorbringt. Bei Simzerla war diese Erscheinung der Art, daß sie das Gewand nahm, das die öffentliche Meinung ihr auferlegte, und sich damit brüstete, sich darin gefiel, aus der Schande einen Reiz machend.
»Sie nahm den Tadel als Herausforderung auf und panzerte sich wie ein Held gegen die Verachtung: ein trauriges Heldentum.
»Niemand kam, um ihr zu sagen: ›Nimm dich in acht, Kind! Du denkst nur daran, dich gegen eine Bestrafung durch die Gesellschaft zu sträuben, aber du dienst der Sache des Bösen! Deine Schönheit, dein Vermögen, dein Name werden künftig ein Laster zieren, ein Laster fördern: es wird vielleicht wuchern durch deine Schuld.‹
»Niemand warnte sie, daß sie die wahre Moral verletze, die, welche nicht will, daß man etwas von seinem Nervenleben an die Oeffentlichkeit bringt.
»Da sie verkannte Tugenden in sich fühlte, wollte sie vielleicht, indem sie sich zugrunde richtete, zugleich die Sitten ihrer Zeit zugrunde richten? Und dennoch, nein: sie war kein Empedokles des Skandals, kein Herostrat, der den Tempel der guten Sitten in Brand steckte; sie war nur das, was die Okkultisten allein begriffen haben, die Seele eines Knaben in dem Körper einer Frau.
»Statt diese Seltsamkeit in harmlosen Verkleidungen auszuleben, in einem Dasein wie Ludwig von Bayern, haben die Umstände diese Unbewußte in den Vordergrund der pariser Komödie geworfen. Hat sie dort, ehe sie eine traurige Gestalt spielte, lieber eine schreckliche spielen wollen?
»Uebrigens, ich gehe nach dem Schloß von Leukadia. Von dort folge ich der Küste, bis auf dem Meere die grünschwarze Flagge auftaucht, die mit einer dreifachen Hekate besternt ist. Wenn ich Simzerla in ihrer Einsamkeit und die Fliegende Gräfin an Bord gesehen habe, werde ich alles gesehen haben: werde ich wissen.
Frau Coliade erschien:
– Ich habe nur einen Augenblick Zeit, ich komme nur, um Sie nicht vergebens warten zu lassen.
– Ein Wort: den wahren Namen des Schlosses von Leukadia.
– Schloß Teutat, bei Saint Jacut de la Mer, Ille et Vilaine. Sie wollen ihr schreiben? Sie wird Ihnen nicht antworten. Auf baldiges Wiedersehen.
Die wohlwollende Kupplerin ging und Tammuz suchte einen Handkoffer.
– Eros möge Sie leiten, Sie verteidigen, Sie belohnen, sagte Nergal.