Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Buch.
Die Erlösung

 

 

Die Himmlische,
die von den Gipfeln niederstieg,
um euch zu führen,
verläßt euch,
da das Werk vollendet ist.

Peladan, Semiramis.

 

 

I.
Stella

Die drängenden Fragen nicht beantwortend, zu den verfänglichen Anspielungen lächelnd, fand Tammuz, durch die Wirkung seiner Abwesenheit vergrößert, diese Verhätschelung wieder, diese unsichtbare und dauernde Liebkosung mehrerer Frauen, die sich in gleicher Weise ihm zuwandten.

Selbst die nicht leidenschaftliche Zärtlichkeit ergreift schnell Besitz, und die Vierzahl der Maupin umschloß ihn bald mit gemeinsamer Eifersucht. Rose de Faventine glaubte Rechte ohne gleichen zu besitzen, weil sie wirklich jungfräulich war; Lilith de Vouivre hielt sich für die erste Seele, die Tammuz ausgezeichnet hatte; Lucia de Goulaine, von den beiden angesteckt, verlangte wenigstens, daß Tammuz sich nicht ihrer Vierzahl entziehe.

Stella von Senanques wachte auch, für ihr eigenes Gefühl, über den jungen Mann; aber sie begriff vor den andern, wie gefährlich ein derartiger Druck auf ein von Natur so entschlüpfendes Wesen, sein könnte. Zu ihrem eigenen Vorteil verriet sie den Pakt, den man geschlossen hatte, als man auf die Suche nach dem verschwundenen Tammuz ging; sie verriet ihn durch diese gescheite Sprache:

– Tammuz, jetzt sind Ihnen Fesseln angelegt; auf jedem Punkt Ihres Horizontes erhebt sich eine Schildwache mit klarem Blick, die sich ihre eigene Instruktion gegeben hat; nehmen wir an, daß ich die im Osten bin: die im Osten wird Sie passieren lassen.

Sie wollen noch immer Lesbos in Tätigkeit sehen? Keine von den Orchideen noch vom Maupin wird sich so sehen lassen! Alle haben Sie wenigstens eine Minute begehrt, alle posieren vor Ihnen und sind um ihr Ansehen besorgt.

Ich gehöre zu Lesbos nicht mehr als Sie selbst, aber interessiere mich viel weniger dafür: ich sehe, was Sie nicht sehen, die Wahrheit. Wenn ich Ihnen diese Wahrheit sagte, würden Sie glauben, daß ich mich persönlich hervortun will. Aber begreifen Sie, daß Lesbos sich verstellt, wenn Tammuz zusieht; wie Soldaten bei der Truppenschau, so nehmen sich die Gynandres zusammen. Ferner unterdrücken Sie Lesbos, wenn Sie da sind. Als Sie gestern eintraten, sagte die magere Brétancourt recht zärtliche Dinge zu Concelles, deren Rundungen sie hypnotisierten; sobald Sie erschienen, trennten sie sich, weil jede von beiden Tammuz vorzieht oder wenigstens einen guten Platz im Urteil des Tammuz haben will. Wenn Sie in Paris blieben, würde ich Ihnen das nicht sagen, da die Kraft der Dinge ein Nachlassen der Haltung herbeiführen würde; aber Sie gehen im Frühling, und wir sind im Dezember; alle wissen es, einige weinen darüber und die andern stellen gewisse Streiche zurück, bis Sie abgereist sind; sie wollen für Sie möglich bleiben.

Denn, und hier spreche ich für alle, die Gynandrie hat ihre Flagge vor Ihnen gesenkt: Sie herrschen, wie man nur herrschen kann, und mehr, als man je in dieser Kaste gesehen hat. Nun möchten die ersten Untertaninnen, die Sie auf den Thron gehoben haben, ein wenig mit Ihnen wandern, ebenso aus Neugier wie aus Eitelkeit, weil wandern das Wort dieser göttlichen Beziehung zwischen einem Siegmund und einer Sieglinde ist, welche die Modernen in Paris so verspotten.

Um diese Rede zu beenden, die längste, die ich gehalten habe, denn ich bin wenig gesprächig nach meinem Naturell: Rose wird das letzte Wort haben, Lucie und Lilith hoffen auch auf einen Spruch …

– Und Sie …, fragte Tammuz.

– Ich, ich möchte Sie ganz! Ich werde Sie nicht erhalten, doch möchte ich einen andern Eindruck auf Sie machen als die andern. Wie? Ich zögere noch!

– Sie sind nicht die Frau, die sucht, ohne zu finden.

– Ich habe gefunden! Aber stehen Sie hoch genug, daß ich mein Ansehen wagen kann, indem ich auf Ihre Dankbarkeit vertraue.

– Warum dieser ungerechte Zweifel?

– Nun gut, es sei! Ich bin entschlossen! Auch habe ich einen Vorwand. Hier ist er! Aschera, die Sie bei der Prinzessin Simzerla gesehen haben, liebt Sie oder glaubt Sie zu lieben, weil sie in dem Milieu gelebt hat, wo das Wort Tammuz stets auf allen Lippen war. Sie wieder hat Ihren Namen und Ihre Person den Ohren und der Phantasie von Aschtoret gepredigt. Das ist eine kleine Person, die mit vierzehn Jahren von einem Abgesandten des Staates in den Orient mitgenommen wurde; er brachte einige chaldäische Pergamentrollen zurück, nach denen er sie getauft hat.

– Ja, Aschtoret, die Pandemos des Euphrat. Erlauben Sie mir, zu erraten, daß Aschtoret, die von Tammuz träumt, auch Stella verehrt.

– Entschieden! Wir sind von so gleicher Feinheit, Tammuz, daß Aufrichtigkeit für uns Pflicht ist.


 << zurück weiter >>