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V.
Eine Aufführung

In der Loge erhoben Senanques, Vouivre, Goulaine und Faventine, im Smoking, eine Blume im Knopfloch, ihre Jünglingsbüsten.

Aril, Ennar und einige der Orchideen richteten ihre Operngläser auf Pentapolis, das im ersten Rang vollzählig erschienen war.

– Das ganze Lesbos ist heute abend hier, sagte Nergal zu Tammuz, der im Parkett neben ihm saß.

– Reimt diese Operette etwa auf Sodomie?

– Tausendfach! Saint-Meen Peladan, Das höchste Laster (deutsch erschienen). und Talagrand Peladan, Das höchste Laster (deutsch erschienen). versuchen heute abend die Tribaden auf die Bühne zu bringen, und Cadenet Peladan, Das höchste Laster (deutsch erschienen). behauptet sapphische Rhythmen gefunden zu haben.

Ein Triangelschlag, unter Harfenklängen und Walzertakten; unterbrochen durch eine Klage des englischen Horns, lösten sich Takte in pizzicati aller Saiten auf, bis die Quinten einstimmig erklangen.

Nach einem Oboenspiel erhebt sich der Vorhang und läßt einen Park von Watteau sehen. In violettrotem Gewände zeigen sich der Gleichgiltige und die Gleichgiltige, Pilger und Pilgerin, mit einander schmollend, einen Kuß ohne Saft und Kraft versuchend.

– Wenn wir auf Abenteuer in die Ferne zögen, meint Pilger, und uns in einem Jahre hier wieder fänden?

Pilgerin nimmt an und schlägt vor, aus Scherz Kleider, Wäsche, Aussehen zu tauschen: Pilgerin wird die Frauen verfolgen, Pilger wird die Männer beunruhigen.

Nach dieser perversen Exposition fällt der Vorhang.

– Mit welchem Sturz sie sich vollzieht, die lateinische Dekadenz, sagte Nergal; vor elf Jahren war ich bei der Aufführung des »Gleichgiltigen«, von denselben Autoren, vor einem ähnlichen Publikum Peladan, Das höchste Laster (deutsch erschienen).. Hurra, Frankreich! Deine Moral sucht das Weite!

Tammuz ging, um die Gynandres zu begrüßen. Einen Augenblick trat er in ihre Loge und drückte die Hände, die sich ihm entgegenstreckten.

Die Zuschauer bemerkten bald den blassen jungen Mann, der allein von diesen als pervers bekannten Frauen aufgenommen wurde. Tammuz sah es, aber kehrte sich nicht daran.

Als er seinen Platz wieder einnahm, rief ihn Nergal.

– Ich suche Sie: man wünscht Sie in Loge 14. Es sind dort vier von Ihren Getreuen, die aber noch nicht gesunken sind: die wollen uns heute abend zum Souper einladen … Frau von Viel Baugé, geborene Nicolas, hübsch, heimlich der Verirrung angeschlossen, wie ich glaube; Fräulein Bommiers, reich, dreißig Jahre, die jede Partie ablehnt; die Baronin de Neung, die Freundin der vorigen; die Gräfin Préfailles, für welche die öffentliche Meinung von großer Nachsicht ist! Werden Sie annehmen? Ja! Es wird seltsam sein.

Der zweite Akt entrollte in zwei Bildern die Abenteuer, die durch den Tausch des Geschlechts entstehen: sie waren recht unsauber.

Tammuz ließ sich in die Loge 14 führen; er wurde freundlich empfangen und ersucht, mit den Damen und Nergal fortzugehen; er nahm an.

Man ging zu Frau von Viel Baugé, der unabhängigsten, und es wurde angenehm, da es improvisiert zu sein schien.

Nergal sagte:

– Eine seltsame Persönlichkeit ist dieser Tammuz: niemand wird seinen Gedanken durchdringen. Denken Sie sich, meine Damen: am selben Abend, als er in Paris ankam, nahm er sich vor, das Rätsel von Lesbos zu lösen. Wir sprachen die ganze Nacht, und am Morgen schrieb er zwei Zeilen … die ich als die schönste Prahlerei aufbewahre …

Tammuz runzelte die Augenbrauen und blickte ins Leere, plötzlich betrübt.

– Ich möchte Sie interviewen, sagte Fräulein Bommiers, geben Sie mir den Arm bis zum kleinen Salon.

Mit einem Blick sah er sie scharf an: sie war unbedeutend und eigensinnig, hatte eine gebogene Nase, einen entschiedenen Gang.

– Sie sind berühmt, Tammuz, und zwar genießen Sie einen Ruhm, der mich drängt, Sie um die Wahrheit zu bitten, über eine Sache, die ich n:it Zögern kennenlernen möchte.

– Glauben Sie, ich weiß nicht, daß Sie Pentapolis besuchen? Ich habe Sie gesehen, nackt gesehen: Sie nennen sich Segor.

– Ich leugne es nicht, aber ich wage nicht mehr zu sagen, was ich möchte.

– Nach dem, was Sie gestehen, ist alles sagbar.

– Nein, ich kann Ihnen nicht sagen, daß ich auf Sie neugierig bin.

Tammuz erhob sich und bot ihr überlegen den Arm, ohne ein Wort zu äußern.

– Ich! rief die Gräfin Préfailles.

Lebhaft, rosig und materiell, eine hübsche Frau.

– Ich werde kurz sein: wenn ich bei Ihnen in den Hafen einlaufen wollte?

Tammuz fuhr zusammen.

– Raten Sie mir, damit ich wählen kann.

Von dieser zweiten Aufforderung gereizt, führte Tammuz sie unzufrieden zurück.

Zu den beiden andern sagte er:

– Kommen Sie alle beide: das wird an Ihrer Gewohnheit nichts ändern.

– Meine Liebe, man kann nichts herausschlagen, nichts.

– Nichts?

– Nichts!

Diese drei Worte fielen in dem Schweigen, und Nergal fügte noch boshaft hinzu:

– Sie sollen wenigstens erfahren, was er bei der ersten Morgendämmerung schrieb, die ihn in Paris sah:

Tammuz führt zurück zum verzeihenden Eros
die edlen Scharen der Sappho, die schied.

Obgleich recht blaß, lächelte der Angeredete und drückte Nergal die Hand.

– Danke, sagte er. Sie rufen mich auf Ihre Art zur Pflicht zurück; Sie lassen mich in vorwurfsvoller Harmonie das Thema von Eros hören: danke.

Dann wandte Tammuz sich an die vier betroffenen und enttäuschten Damen, die in ihrem Ausdruck vergeblicher Neugier respektlos waren.

– Im Namen von Lucia de Goulaine lade ich Sie zur venetianischen Nacht ein, welche sie am 10. März geben wird. Ich lade Sie zuerst ein, weil dieses Fest unvergeßlich sein wird.

Als er gegangen war, rief Nergal:

– Sie wollten mir nicht glauben! Mich schaudert fast, wenn ich daran denke, was dieser Mann tun kann. Lesbos wird sich an den 10. März erinnern.

Und er fragte sich: Wird es das Waterloo von Tammuz oder von Sodom sein?

– Ist der dumm! rief Frau von Préfailles.

– Sie beleidigen aus Aerger! Die Seelentiefe von Tammuz entgeht Ihrer Kurzsichtigkeit: er übertrifft den gewöhnlichen Menschen wie der funkelnde Stern am Himmel die elende Kerze auf Erden. Aber obgleich sein Handeln sich ganz auf die Liebe richtet, werden die Frauen ihn nicht begreifen. Doch wenigstens fühlen sie ihn: er läßt sie unruhig, nervös zurück, unzufrieden mit sich und dem Leben, bedauernd, begehrend. Diese Verwirrung gleicht nicht euern gewöhnlichen Unruhen: sie kommt von größerer Höhe, sie trifft euch tiefer … Was in seiner Seele vorging, unter Ihren Augen, die nicht sahen, grenzt ans Grandiose: in einem Augenblick hat er auf sein Herz, seine Sinne, seinen Stolz verzichtet.

– Ich verstehe Ihren Kommentar ebensowenig wie seine Persönlichkeit.

– Am 10. März werden Sie alle verstehen.


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