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Infolge dieses Ereignisses wurde Frau von Monistrol von der Provinz in den Bann getan und vom Adel in Paris, als sie sich dort vorstellte, auf die schwarze Liste gesetzt: sie fiel in die Klasse der »Gynandria«.
Ihre große italienische Stirn beugte sich nicht. Ohne einem Polizeimann zu antworten, da er sie nicht verstanden hätte; ohne ihrem Gatten auf seine häßlichen Vorwürfe etwas zu erwidern; ohne die Gesellschaft noch das Leben zu fürchten, kam Stella de Senanques zu Lucia de Goulaine.
– Die allgemeine Meinung schickt mich zu Ihnen.
– Seien Sie willkommen, sagte Lucia.
Sie drückten sich wie Kavaliere die Hand.
Tammuz interessierte sofort die Marquise, der Art, daß Lilith und Rose sich beunruhigten; aber Stellas Charakter stieß gegen den Willen des jungen Mannes; trotzdem sie sich zueinander hingezogen fühlten, fochten sie seelisch, ohne zärtlich zu werden.
– Wir gleichen einander zu sehr, sagte Stella.
– Ei, ich habe ein Gehirn, das uns unterscheidet, protestierte Tammuz.
– Was müßte man tun, um sein Gehirn zu beweisen?
– Eine Theorie aufstellen.
– Die Theorie von Lesbos?
– Ich fordere Sie dazu heraus!
– Wirklich! Ist es erlaubt, sich auf alte Philosophen zu stützen?
– Das ist Pflicht!
– Gut, in einigen Tagen werden Sie über mich staunen.
In der Tat, sie hielt Wort. Eines Abends, als das Royal Maupin fast vollständig versammelt war, wollte sie ihn in Erstaunen setzen. Sie erzählte ihre Wette und sprach, als alle schwiegen:
– Tammuz, Ihr Wort, daß Sie mich nicht unterbrechen? Gut! Und ihr, meine Schwestern, empfanget aus dem Gehirn einer Frau die Theorie eurer gleichgeschlechtlichen Liebe.
Schon horchte man auf, als Frau Coliade dazwischenkam, eine zügellose Dirne, die von den Maupins wenig geachtet wurde, da man sie unter Umständen kennen gelernt hatte, die der Pariser »cadavres« nennt Verwerfliche Handlung, die jemand verheimlichen muß; deutsch ein »dunkler Punkt«..
Lucia erhob sich gegen den Eindringling, um ihr eine Lektion im guten Ton zu erteilen.
– Ach, meine Damen, rief Coliade, Sie wissen noch nicht, was Ihnen geschehen ist. Alle sind Sie zu erkennen in dem schmutzigen Artikel des …
Sie zeigte ein Blatt.
– Ich werde ihn vorlesen; Sie würden es nicht können; Sie würden daran ersticken.
Die Briefszene aus dem »Misanthrope« begann, aber tragisch: es regnete aus dem Artikel auf das Royal Maupin, nicht Lächerlichkeiten, sondern Infamien.
Als Vorspiel eine geheuchelte Entrüstung gegen diese Frauen, die keine Frauen sein wollen, und dann die genaue Aufzählung der Gruppe:
»Die erste Anführerin ist eine Fechterin, die in ihrem Hause einen Tempel für die Gymnastik errichtet hat. Diese Geschiedene hat regelmäßige Züge und erscheint mit einer Person von runden Formen und rosiger Haut, die Prälaten in ihrer Familie hatte.«
– Goulaine und Concelles.
»Die zweite Anführerin hat den Kopf einer Katze und verkehrt viel bei einer Architektin; sie führt im Wappen eine Schlange mit Zirkel und Florett über Kreuz. Ihre Partnerin trägt ein Monokel im Auge, hat eine spitze Zunge und drei Degen im Schildhaupt.«
– Vouivre und Brétancourt.
»Dann kommen eine Schlittschuhläuferin und zwei Witwen, die ihr Leben damit zubringen, einander ihre Worte, ihre Moden und ihre Geliebten fortzunehmen.«
– Trementines, Saint-Bohaire und Vaujours.
»Das Idol dieses Kreises ist der Chevalier, eine Jungfrau, die es bleiben soll.«
– Epanvilliers, Valprevaire, Rabastens sind nicht genannt, also …
– Der Verfasser? rief Goulaine.
– Ich habe mich erkundigt: es ist ein sehr bedürftiger Zigeuner.
– Wir werden den Redakteur töten.
– Werden wir ihn töten? Und wenn wir ihn töten, werden wir auch den Klatsch töten? Im Gegenteil!
– Wir gehören zur Gesellschaft, wenn wir auch auf dem Index stehen; wir würden es uns nur verscherzen, die Viragos zu spielen.
Lilith de Vouivre äußerte düster:
– Wir haben weder Gatte noch Bruder noch Liebhaber, wir, die Gynandria!