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Wenn Aril sich entfernte, fand Tammuz seinen ersten köstlichen Eindruck wieder: diese geschlechtliche Intimität hüllte ihn anmutig ein; diese schmerzenden Seelen strömten eine Art sinnlicher Melancholie aus, die ihn unerklärlich ergriff.
Das Auge durch die Haltungen verführt, die Nase von feinen Düften geliebkost, das Ohr durch das halblaute Zwitschern gewiegt, überraschte sich Tammuz dabei, wie er unmerklich der süßen Berauschung dieses vergifteten Milieus unterlag.
Diese Frauen wirkten auf ihn wie Tuberosen und Daphnen, seinen regen Gedanken betäubend. Bei diesem Eindruck richtete er sich so lebhaft auf, daß Stheno eine Bewegung nach ihm machte, die Bewegung ihrer guten Hundenatur.
– Eine Idee, die mich gestochen hat, wie es das Blut zuweilen tut.
Sich Stheno nähernd, neigte er sich über diese einfache Seele, indem er als Gesunder Eindrücke der Krankheit erlebte.
Stheno, die man oft Porthos Dumas, Die drei Musketiere. nannte, war eine Art Flamländerin von feiner Gestalt, mit hübschen und geschickten Händen, trotz dicken Armen und Ammenbrust. Ihre Muskeln waren so entwickelt, daß man sie rief, sobald ein Möbel umzustellen, ein Tritt zu halten war. Sie lachte oft ein schönes Lachen mit weißen Zähnen, mit roten Wangen.
Sich für alle aufopfern, sich vervielfältigen, um Freude zu machen, so war Stheno, das Neuland, wie Aril sie nannte.
Immer zufrieden, wenn nicht jemand traurig war; immer bereit, Besorgungen zu machen, die langweilig waren; etwas verspottet und sehr geliebt: entfaltete sie ihre gute Laune in diesem Milieu von seltsamen Blicken, von krampfhaftem Lächeln.
Mit einem prüfenden Blick hatte Tammuz die gute und dicke Stheno gelesen. Er ging Bulis und Aurine entgegen, die eintraten, von den Sprüngen der großen Windhunde begrüßt.
Beide mit reichen Kaufleuten verheiratet, Jugendgespielinnen, Pensionsfreundinnen, Streichgenossinnen, keck, hübsch, falsch, besaßen sie diese Eigenschaften, die der Roman den einstigen Briganten beilegt: besuchten alle Feste, ritten auf jedem Besen. Orchideen waren sie nebenher: sie dinierten in Kythera und soupierten in Lesbos.
Aber verschwiegen, aufrichtig in ihrer Art, ohne die öffentliche Meinung herauszufordern, besuchten sie regelmäßig die Kirche St. Philippe du Roule, machten in Wohltätigkeit, leisteten Aril gute Dienste, führten der Frau Architekt Kunden zu.
Bulis, etwas mager, die Nase gebogen, sehr blaß, die Hand knochig; Aurine, rund und voll, eine Frauenfigur aus Meißner Porzellan: so hob sich die eine von der andern ab. Das war vielleicht das stärkste Band ihrer Freundschaft.
Von Tammuz vorgenommen, zögerten sie zu sprechen, indem sie Blicke wechselten, die bedeuteten: »Sollen wir?« Endlich entschlossen, rief Bulis aus:
– Ach, sagen Sie mir, was haben Sie auf dieser Galeere zu tun?
– Vielleicht mit Ihnen zu rudern.
– Sie haben also erraten, daß wir Ketzerinnen sind? Ich spreche Arilisch, eine verrückte Sprache … Lesbos, mein Lieber, ist ein Vorgericht … oder ein Nachtisch. Lesbos ist der Fünfuhrtee … nichts weiter … Lesbos hat nur von fünf bis sieben Wert, das ist keine Mitternacht.
– Carmente würde nicht dieser Ansicht sein.
Mit einem Blick deutete der junge Mann auf Arils Günstling: geistesabwesend und lymphatisch, träumerisch und erfinderisch, würde Carmente einen ossianischen Reiz gehabt haben, wenn die grünen Augen nicht von unruhigen Schimmern geleuchtet hätten.
Wunderbar gestaltet, von matter Haut, gleichgültig und schweigsam, fand sie ebensoviel Gefallen an der Huldigung der Orchideen wie an der scheinbaren Leidenschaft Arils; etwas geziert, etwas romantisch, liebte sie das Künstliche, suchte seltsame Schminken, neue Parfüms; einen ganzen Tag konnte sie über einen Entwurf für ihre Unterkleider nachdenken, sich selbst anbetend; die Bewegung, den Lärm und den geringsten Zusammenstoß verabscheuend, war sie ein rätselhaftes Glied zwischen der Passiven und der Eigensinnigen, mächtig in der Trägheit und mit Faulheit behaftet; jenen schönen Katzen gleichend, die sich liebkosen lassen, weil es ihnen gefällt, fand sie den Verkehr mit den Orchideen weniger störend als die Eifersucht, Undankbarkeit, Anmaßung eines Liebhabers, den sie sich so vorstellte, wie ihr Gatte bei der Hochzeit gewesen war.
– Carmente hat keine Sinne, erwiderte Aurine.
– Was kartet ihr drei dort ab? fragte Ennar, herantretend.
Mit roten Haaren und milchweißer Haut, erfreute sie sich Stunden lang damit, ihr Mieder zu öffnen oder ihre Aermel zurückzuschlagen, um ihre blauen Adern zu betrachten, die ein so hübsches Netz auf ihrer leuchtenden Haut bildeten.
Ein seltsames Mädchen, unabhängig unter der Vormundschaft einer Großtante, betrachtete sie ihren Körper und den von andern Frauen; schlug vor, in die türkischen Bäder zu gehen, wie man zum Zuckerbäcker geht; auf die Schönheit ihrer Haut war sie so stolz, daß sie sich auf die erste Aufforderung entkleidete; aber mit einer Sorgfalt, als enthülle sie eine Reliquie.
– Tammuz fragte, warum du die Frauen liebst, sagte Aurine.
Bulis rief dazwischen:
– Wenn Aril ein solches Wort bei sich hörte! Man darf den Strick nicht einmal nennen bei der großen Gehängten.
– Nein, Hängerin.
– Warum ich die Frauen liebe?
Ihren Aermel zurückziehend, entblößte sie ihren Vorderarm, drückte ihn mit ihrer Hand und zeigte die sichtbare Spur dieser schwachen Umschlingung.
– Da, ich verabscheue alles, was mich belebt, das heißt, mir die Haut marmoriert: ich bin zu empfindlich für Kythera. Wenn ich in den Museen Faune sehe, empfinde ich Furcht vor diesen haarigen und heftigen Geschöpfen … Ich opfere meine Taille, um die Falten auf der Haut zu vermeiden.
– Sie brauchen Liebkosungen einer Libelle, sagte Tammuz; die Hauche, die Berlioz flüstern läßt, als Beatrice Berlioz, Beatrice und Benedikt, Baden-Baden 1862. der Kusine ihre Liebe gesteht.
– Nein, nicht einmal Hauche: das gibt Gänsehaut.
Nundi trat ein.
– Herr Tammuz, ich komme mit einer Idee … Ich habe eine gefunden, eine hübsche Verführung für eine Frau … Es ist … Oh, ich kann es nicht
sagen … meine Idee übertrifft … Hemera allein würde begreifen … Hemera, meine verständnisvolle Schwester, wo bist du? … Ich sehe nur Tammuz, der Seelen erforscht, und Tutine, die von der
Märtyrerin träumt und summt: »Ist trotz so großer Lieb der Mann der Rache …«
Baudelaire, Eine Märtyrerin:
Ist trotz so großer Lieb' der Mann der Rache
doch nicht befriedigt ganz von dir,
so häuft er, eh' dein toter Leib erwache,
auf ihn unmäßig seine Gier?
Vgl. Peladan, Das allmächtige Gold (deutsch erschienen).
Und Nundi warf sich auf einen Diwan.
Die »Trügerische« genannt, mager und doch mit Brüsten, eine boshafte Beobachterin, durch deren Kopf stets verrückte Ideen schwirrten, fand sie ihr Glück darin, Tollheiten auszuhecken, die sie immer nur einer sagte, und der nur ins Ohr; die aber so gewagt waren, daß diese vor Schrecken blaß wurde.
Aril wies sie zurecht, sobald sie etwas ahnte, denn niemals sagte die Tolle ihre furchtbaren oder possenhaften Ideen laut.
Tammuz fühlte, daß sie von irgendeiner Unanständigkeit träumte, in welcher er eine Rolle spielte; er wollte sie gerade fragen, als Tutine eintrat.
Diese war ein Kind, der verkleidete Schüler, eine Närrin bis in die Nase einer Roxelane, eine Spötterin mit dem aufreizenden Lachen einer Possenreißerin; sie stellte sich, als rede sie irre, Angst hervorrufend, die nie berechtigt war; ihre Schelmerei arbeitete mit Nundis Entartung zusammen. Amerikanerin, wollte sie Architekt sein wie Aril, behauptend, sie habe den Orchideenstil erfunden; zeichnete Entwürfe von Denkmälern in vielfarbigen Blumen, als ob das Ideal der Architektur die Dekoration der Blumenmädchen wäre, die Wagner auf den Balearen fand.
Etwas abseits hielt sich immer die zarte Mermaid, die tiefere Traurigkeit des Schattens liebend, eine Frau des Traumes, die das Leben schon verwundet hatte, eine gesunkene Lady, untröstlich, nicht über ihren Ruf, sondern über einen namenlosen Verlust, von einem Bedauern ohne Gegenstand bestürmt, seufzend und stumm.
Einst in ihrer ersten Liebe enttäuscht, war Hemera düster, fieberte ihr Auge; mit orangefarbener Haut, bläulichschwarzem Haar, versenkte sie sich in maurischen Mysticismus.
Beide stellten wunderbare Karyatiden für einen lesbischen Giebel dar.
Tammuz erkannte, daß Aril mehr umringt als geliebt war. Ihr bestimmtes Auftreten, ihre Gewandtheit, die Ecken abzurunden, verlieh ihr die kostbare Gabe, diese verschiedenen Elemente nach Wunsch zu verschmelzen. Sie selbst sorgte sich nicht um so nahe und so wirre Leidenschaftlichkeiten: sie liebte diese Atmosphäre, in der sie herrschte. Die Orchideen wie Tammuz selbst, aber viel mehr, fanden Gefallen an der Nervenströmung, den dieser seltsame Kreis ausdünstete.
Jetzt, da diese Frauen ihm vertraut waren, dachte der junge Mann daran, sie in ihrem Irrtum leben und in ihrem Laster beben zu sehen. Würde er dazu kommen, sich als Zeuge diesem kleinen Gomorrha einzufügen, als Zeuge mit sympathischem Auge? Er fühlte, bisher hatte er nur die Oberfläche berührt, und er hatte sich gelobt, am Werk, in Handlung zu sehen, was Baudelaire besingt, was die Zeitungen des Boulevards erzählen; was eines der gewöhnlichen Themen des etwas freien Gesprächs geworden ist; kurz, diese Verirrung, die ihre Bücher besaß und ihre Autoren besitzt.
Leidenschaft oder Laster? Oder das eine im andern? Da ruhte das Problem, das noch nicht die Morgenröte der Lösung erhellt hatte.