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– Ach, Tammuz, warum haben Sie mich verlassen? Die Orchideen haben Ihre seltsame Laune nicht fesseln können, und nun sind Sie im Royal Maupin … Das ist schlecht.
Auf diesen Vorwurf Arils erwiderte Nergal:
– Sie kennen nicht die Unbändigkeit des Ideologen: er will wissen! Um die Lösung des Rätsels zu finden, die er sucht …
– Die Lösung des Rätsels findet sich eher bei Aril als bei Goulaine.
Tammuz sprach:
– Meine liebe Aril, ich bin ein Pilger Dantes! Die Zeit, zu sehen und zu lernen, ist mir genau bemessen: wenn ein neuer Frühling über Paris blüht, werde ich die Stadt verlassen, ohne zu wissen, ob es eine Rückkehr gibt. Deshalb verschließe ich mich den Ausströmungen der Sympathie. Ich möchte mich festsetzen, aber ich bin der Wanderer der seelischen Analyse: in einigen Monaten muß ich Eindrücke des Lebens davontragen, um vielleicht zehn Jahre Einsamkeit damit zu bestreiten.
– Sie haben sich bei mir nicht in Ihrem hübschen Kostüm sehen lassen, warf Aril ihm noch vor.
– Seltsamer Vorwurf; ich kann Sie doch nicht in Kniehosen besuchen, sagte der junge Mann.
Dieses Gespräch, das man in einem Konzert von Paderewski führte, wurde von einem Präludium des Virtuosen unterbrochen.
Als sie gingen, nahm Nergal den Arm des Tammuz.
– Nun, Reformator der entarteten Liebe, hatte ich Recht, Ihnen zu sagen, daß es Lesbos gibt, daß es Frauen gibt, die Frauen lieben.
– Sie haben Unrecht, Nergal! Ich sah, wie verfehlte Epheben um die Frauen buhlten, wie positive Naturen sich passiven aufdrängten; ich sah die Komödie von Kindern, die sich verkleideten, um Herrchen und Frauchen, Männchen und Weibchen zu spielen; ich sah, wie Frauen sich knabenhaft das Recht des Mannes anmaßten, wie sie die Männlichkeit parodierten; aber ich sah weder Leidenschaft noch Wollust.
– Sie sahen, wie Lesbos sich tummelte, ein dekoratives und falsches Lesbos, mit einem Federbusch geziert. Sie sahen, wie elegante Frauen die Fechtkunst übten und einander die Hand küßten. Das Royal Maupin, auf das Sie zur Zeit Ihre Beobachtung richten, hat viel Haltung; aber hören Sie eine gewisse Frau Coliade, die wird Ihnen die Kehrseite der Frage zeigen. Sie ist in dieser seltsamen Welt die wohlwollende Kupplerin, die Vermittlerin aus Geschmack und Neigung. Dann signalisiere ich Ihnen eine Seefahrerin, die Fliegende Gräfin: die ist auf ihrer Yacht. Im August irrt sie an den Küsten der Bretagne und Normandie und spielt den Piraten: Sie verstehen, von welcher Art. Kein anderer Mann als der vom Gesetz bestimmte Kapitän ist jemals an Bord gestiegen: ihre Matrosen sind Frauen, sagt die Legende. Sie herrscht über die Meere, wie das Königreich der Erde der Prinzessin Simzerla gehört.
– Jeder spricht von dieser Simzerla und niemand sieht sie; man erzählt immerfort Geschichten von ihr, aber ihre Person bleibt unsichtbar. Ich habe festgestellt, daß sogar manche Frau im Liebeshandel ihre Kleidung, ihre Art nachäfft und daraus großen Vorteil zieht. Mehrere Mal hat man mir zugerufen: »Da ist Simzerla!« Dann: »Nein, das ist eine, die ihr nachäfft«. Die Fliegende Gräfin und Simzerla, der Admiral und der Generalissimus: kennen sie einander?
– Frau Coliade allein wird Ihnen diese Dinge sagen … Es gibt unter diesen Närrinnen ein köstliches Wesen, das ich sehr geliebt habe, das ich noch liebte, wenn mein Stolz nicht unerbittlich jedes Gefühl töten würde, das sich nicht verwirklicht: Rose de Faventine, der Chevalier, wie man sie nennt. Wie schade, daß gerade in diesem Milieu dieser Paradiesvogel seine Flügel schleifen läßt.
– Wenn sie auch schleifen, so haben sich die Flügel doch nicht beschmutzt. Das ist eine Jungfrau unter den Sodomitinnen, und diese Jungfrau wird geschont: unglaublich, aber wahr! Man wagt sie nicht zu küssen, der perverse Kuß macht vor ihr Halt, und ich kann Ihnen versprechen, daß sie gerettet werden wird.
– Durch Sie!
Eifersucht brach in diese beiden Worte aus, plötzlich und lebhaft.
– Ziehen Sie vor, daß sie fällt?
– Nein, Tammuz, ich gleiche nicht jenem Gatten, der es vorzieht, daß seine Frau eine Geliebte hat. Wie oft habe ich diese Antwort eines Mannes gehört, der von einer Lesbierin zurückgestoßen wurde: »Sie lieben die Männer nicht: gut, haben Sie Frauen! Wenn ich aber eines Tages höre, daß Sie nach Kythera gehen, werde ich mich für Ihre heutige Weigerung, mit mir dorthin zu gehen, rächen.«
– Es gibt Schurken, die so sprechen können?
– Dann sind alle Schurken, vom Reporter bis zum Herzog, vom Finanzmann bis zum Kommis. Sie wissen nicht, daß es der neueste Trick des Gatten ist, seine Frau bei Frauen auszubeuten.
– O Schrecken!
– Ja, Schrecken, aber eine Häufung von Schrecken. Ein Laster dort studieren, wo es sich selbst gelagert hat, gibt nicht die ganze Monographie: man muß sehen, was dieses Laster in den sogenannten korrekten Milieus besudelt.
– Es gäbe also, rief Tammuz, einen sodomitischen Liebeshandel, eine besondere Prostitution?
– O dreimal Harmloser, der darüber erstaunt!
Von den dreißig Gynandria, die Tammuz studiert hatte, blieben Aril, Lilith, Goulaine, der jungfräuliche Chevalier und Stella von Senanques übrig als die einzigen, die durch ihr Gewissen und ihr Wollen interessant waren. Keine von den fünf hatte Geliebte im eigentlichen Sinne.
Frau Architekt hatte kein Bedürfnis nach Wollust, Lilith liebte nur das Unmögliche, Goulaine war Sportsmann und Gynandre ganz physisch, Rose endlich neigte sich mit vollem Herzen Tammuz zu: das war die ganze Gynandrie, alles, was die Mühe lohnte, in Lesbos studiert zu werden. Frau von Monistrol, die ihren Mädchennamen Stella von Senanques wieder angenommen hatte, schien in ihrer geheimnisvollen Hoheit diese Gilde mehr zu durchschreiten als darin zu weilen.
Diese fünf Frauen nährten ein geheimes Gefühl für Tammuz; nicht, daß sie ihn im gewöhnlichen Sinne des Wortes liebten, aber sie zogen ihn allen Frauen vor. Um sich das zu verzeihen, sagten sie:
– Tammuz ist kein Mann, das ist ein Androgyn.
Darauf antwortete er:
– Der Androgyn wäre also das Wesen, das fein genug ist, an den Frauen Gefallen zu finden, ohne sie mit Begehren zu verfolgen? Nein, ich bin nur ein Geist, der an die Seelen rührt, ohne die Körper zu berühren; ich bin ein Gedanke.
Da er nicht den Hof machte, sichtlich kein Interesse für geschlechtliches Schmachten aufbrachte, erschien Tammuz zuerst als Ausnahme und vernichtete mit einem Schlage eines der Argumente gegen die männliche Roheit.
Beaudelaire selbst hat es ausgedrückt, indem er die Liebkosungen des Mannes dem Stoß eines Pfluges verglich, und die Lesbierin will im Beischlaf eine Vergewaltigung, eine Marter sehen.
Sodann wußte er, indem er seinen Anzug verweiblichte, den Vorwurf, nicht elegant zu sein, keinen Stil zu haben, zu entkräften. Schließlich widerstand er dem berauschenden Milieu, und die Frauen schätzen immer den, der widersteht. Wenn eine ungewohnte Grazie die Herausforderung kleidet, mischt sich Erregung in ihren Respekt und sie sind halb verführt.
Da jedoch der leidenschaftliche Held noch nicht Drachenblut getrunken hatte, hörte er die Sprache der Vögel nicht; das heißt, da er den lesbischen Fafner nicht niedergeworfen, kannte er die erotischen Geheimnisse dieser Sippe nicht. Er beschloß, von den Gynandria zu den tiefer stehenden Verbrecherinnen hinabzusteigen und die Tatsache des abnormen Nervenzustandes lange zu studieren.
Wenn ihm auch die Seelen bekannt geworden waren, das Körperliche des Problems entzog sich ihm noch; da er es aufgab, dieses an den höheren Exemplaren der Orchideen oder des Royal Maupin zu sehen, glaubte er, die Welt der Theater – die zwischen der vornehmen Frau und der galanten Frau steht – die Schauspielerin – würde ihm das Geheimnis des Orgasmus enthüllen.
Aber eine Unruhe ließ ihn zaudern: die Frau des Theaters lügt immer und doppelt, zuerst als Frau, dann als Schauspielerin. Wenn die Schminke abgewischt ist, wird die Komödiantin nicht wieder Weib, sondern fährt fort zu spielen, nach dem Sinne des griechischen Wortes, das wir auf die Heuchlerin anwenden: Hypokritin, so ist der Name des Theatergeschöpfes. Wenn die tonalisierte Natur des Mannes gegen die Gewohnheit, in der künstlichen Welt zu leben, reagiert, fährt die chamäleonhafte Natur der Frau fort, unwahr zu sein, wenn auch der Vorhang gefallen, die Rampe erloschen ist.
Er folgerte, es würde eine nützliche Uebung sein, der großen Lügnerin, der Komödiantin, gegenüberzutreten: indem er mit ihrer Eitelkeit spielte, würde er ihr instinktive Betrügereien, belehrende Falschheiten, kostbare Lügen entreißen.
Als er Aril seine Absicht eröffnete, versprach ihm diese, zum ersten Male in ihrem Leben eifrig, ihn mit der Sadinet speisen zu lassen, der so geschätzten Soubrette, dem Stern der Operette, ohne den kein Straßenlied populär wird; einer Frau von mittelmäßiger Gestaltungskraft und falscher Stimme, die hunderttausend Franken verdient, indem sie das zotenhafte Couplet in den »Revuen« singt, diesen Albernheiten, die im modernen Paris die Komödien des Aristophanes ersetzen.
Mit unendlicher Vorsicht, denn Aril erlaubte nicht, über diese Dinge zu sprechen, erkundigte er sich nach der Persönlichkeit der Sadinet und erhielt diese Antwort:
– Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und erträgt die Männer, die sie verabscheut.
Aus dieser außergewöhnlichen Rede zog Tammuz die lebhafteste Hoffnung, endlich über jede Dunkelheit aufgeklärt zu werden.
Und er küßte Aril reumütig die Hand zum Zeichen der Dankbarkeit.