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IV.
Stella

Lucia de Goulaine war in ihrer Rolle als Edelmann so aufrichtig entrüstet, daß sie nicht schwieg, wie Tammuz ihr riet. Die Sache wurde ruchbar; immer horcht das Ohr eines Journalisten, wo es Laster gibt; Anspielungen erschienen, Zeitungen beuteten die Anekdote aus.

Die drei Ausgewiesenen unterrichteten in ihrer Wut einige Reporter: man polemisierte in wenig verhüllten Worten, ohne die Gelegenheit zu versäumen, allen Klatsch, der über das Royal Maupin umlief, wieder aufzutischen.

Man kam, um Tammuz zu interviewen, aber der erklärte, er begreife nicht ein Wort von dem, was man ihn fragte. Diese Haltung lenkte keineswegs die Wirkung auf die öffentliche Meinung ab. In gutem Glauben entrüsteten sich die anständigen Leute über die Gruppe der Fechterinnen, die als Ganzes aufgefaßt wurden, und einige Maler machten über dieses Thema Skizzen, um sie für die nächste Ausstellung auszuführen.

In Paris zeigt sich der weibliche Haß im Klatsch, sobald die Hasserin an die Kunst, an den Sport oder an die Liebe rührt. Deshalb haben die, welche sich vergnügen, ihren Journalisten, wie sie ihren Advokaten haben, aber alle täuschen sich: der Lärm, der um ihre Feindschaft geschlagen wird, bespritzt sie ebenso mit Kot wie die, auf welche sie es abgesehen haben, und dient nur dazu, Cafés und Klubs zu belustigen.

In diesem Augenblick wurde dem Geklatsch über das Duell eine viel erstaunlichere Geschichte zugefügt, die wahr sein sollte. Eines der Organe der pariser Gesellschaft stellte sie also dar:

»Donna Juana lebt, nicht in Paris, sondern in einer kleinen Stadt von fünfzehntausend Seelen. Diese Eroberin, die einen schönen, halb belgischen, halb französischen Namen trägt, verliebt sich in Jungfrauen; um sicher zu gehen, sucht sie diese im Pensionat selbst auf. Der Gärtner des Klosters von X hat in der Frühe einen Burschen festgenommen, der über die Mauer kletterte, um zu fliehen. Es kam zum Kampfe, er wurde geknebelt … und auf der Wache hat der Dieb erklären müssen, daß er die hohe und mächtige Dame Blanche Hildegarde de S. sei.

»Sie scheint, als sie das Mädchenpensionat auf einem Spaziergang traf, eine Schülerin erblickt zu haben, so hübsch, daß sie sich sofort verliebte. Sie ließ sich in der kleinen Stadt nieder, dem frommen Hause gegenüber, wußte Briefe zu senden und führte sich schließlich durch die Vesper ein.

»Dieser Fall wird die Vorsicht der Familie und die Besorgnisse Bartholos Beaumarchais, Barbier von Sevilla. vergrößern. Bisher fürchteten Vater und Gatte nur Lindor Lindor, ou les excès de l'amour, Paris 1772.: nun kommt Lindorette! Das setzt dem höllischen Spiele dieses 19. Jahrhunderts, das den Blitz vom Himmel raubte und den Kindern die Sicherheit nahm, die Krone auf.«

Die Wahrheit dieser furchtbaren Geschichte kannte Tammuz: wie verschieden war sie von der pariser Fassung.

Frau von Monistrol, geborene Stella von Senanques, durch Ehevertrag gezwungen, den Willen eines Landjunkers zu erdulden, den sie geheiratet hatte, man wußte nicht, warum, lebte den größten Teil des Jahres auf ihren Gütern, müßig, schweigend und stolz.

Als sie bei einem Spazierritt das Pensionat der Ursulinerinnen von X traf, bemerkte sie ein junges Mädchen, das sie ansprach, während sie bei sich wiederholte:

– Das ist seltsam: seine Schwester! Man sollte meinen, seine wirkliche Schwester Stella und Samas, die Helden in Peladans Roman »Der Androgyn«, der deutsch bereits erschien.!

Seitdem wurde anonym Naschwerk an das Kind gesandt; dann gelangte ein Brief in die kleinen Hände, der zärtliche Brief einer älteren Schwester.

Simone, der Gegenstand dieser überraschenden Neigung, war ein begeistertes und träumerisches, sehr frommes Mädchen, etwas knabenhaft, frühreifen Geistes, so sanft, daß die Nonnen erstaunten. Sie antwortete der älteren Schwester.

Frau von Monistrol ließ sich in X nieder, unter dem Vorwande, die Orgel bei einem alten Meister zu studieren, der ebenso gelehrt war wie das große Genie Alkan. Es gelang ihr, als Mann verkleidet, nachts ins Kloster zu schleichen.

– Das einzige Wesen, das ich liebte, habe ich niemals gesprochen: du gleichst ihm sehr. Ich habe dir sagen wollen, was ich ihm jetzt sagen würde. O kleine Simone, beunruhige dich nicht: ich bin nicht wie deine Kameradinnen vom Kloster, ich bin keusch wie du selbst! Ich will nur deine erste Freundin sein: und dein Herz soll mir das Schlagen seines Erwachens geben.

Simone wehrte sich nicht gegen diese aufrichtigen Worte: sie liebte Stella von ganzem Herzen, sie beklagend, für sie betend.

Frau von Monistrol hatte unter vorsichtigen und andeutenden Ausdrücken erzählt, daß sie an einen häßlichen Oger verheiratet sei, der sie zwang, auf seinem öden Schlosse zu leben, statt sie die Bälle und Feste ihres Alters besuchen zu lassen; daß dieser häßliche Oger vor allem geizig und verrückt sei und sich damit befriedige, ihr Glück zu verschlingen.

Worin bestanden die nächtlichen Stelldicheins?

Wie Augen der Wachsamkeit, welche die Müdigkeit oder die Sicherheit schließt, erloschen die Lichter, eines nach dem andern; eine nach der andern, vereinten sich die guten Ursulinerinnen im Schlummer mit ihrer eingeschlafenen Herde.

Ein Knarren der Tür, ein Knirschen des Sandes unter dem Fuß, und dann eine weiße Gestalt, die sich vorwärts beugt, eilig und unruhig.

Das Gespenst geht geradeaus auf die kleine Tür zu, welche die große Mauer nach der einsamen Straße durchbricht, und mit seinen blassen und zerbrechlichen Händen steckt es in das Schloß einen großen Schlüssel, der sich geräuschvoll in dem verrosteten Eisen dreht.

Hinter der Tür ein lebhaftes Atmen: durch die halbe Oeffnung stürzt ein junger Mann und stößt den Flügel zurück, daß er kracht. Der Jüngling nimmt die Hand des kleinen Gespenstes. Sich ernst an den Fingern haltend, schreiten sie bewegt und freuen sich über ihr Schweigen und über die Nacht.

Plastischer Gegensatz: die Hosenrolle verwirklicht die entwickelte Frau mit ihren schönen Schwellungen, mit ihren Wölbungen und ihrer Fülle; das Mädchen in Weiß ist die nicht entwickelte Frau, nichts bezeichnet das Geschlecht in diesem mageren und weißen Körper, es ist ein jungfräulicher Stengel, weiter nichts, und ohne die Blumen, die Frucht versprechen. Diese zögernde Pubertät gefällt Stella, deren Herz wie Körper sich zeitig, frühreif entwickelt haben.

Selbst bei den wenigen Worten, die gewechselt wurden, enthüllt das Kind einen Gedanken, der auch zögert und stammelt in ihrem Kopfe, indem sie das beständige Erstaunen der Jungfrauen auf den Bildern der flandrischen Maler ausdrückt. Sie wird nicht dumm sein; aber langsam wird das Verständnis kommen, langsam und tief. Sie wird niemals Geist haben, aber in ihr wird das Leben Echos finden, die länger nachzittern.

Stella sieht, wie sich in dieser schlafenden Seele die Furcht vor der Finsternis, die Liebe zum Monde spiegelt.

Mit langsamer und sanfter Stimme deutet Simone das Flüstern der Blätter, die wirren Klänge des Schattens, der sich tummelt: die Seele der Dinge nimmt ihre Seele in Besitz. Die Marquise hört entzückt Worte ohne Glanz und Prägnanz, die krankhafte und tiefe Eindrücke nicht ausdrücken.

Die Wollust ist abwesend in dieser Zärtlichkeit, die keinen Namen hat. Für Simone ist Stella die Fee, die am Tage Geschenke sendet und die nachts kommt, um ihre Stirn mit einer schönen Hand zu streicheln. Für Stella ist Simone ein Doppelgänger: die weibliche Transposition der ersten unvergeßlichen Liebe Peladan, Der Androgyn (deutsch erschienen).. Beider Liebkosungen sind unschuldiger, als die von Schwestern; und doch machen diese nächtlichen Stelldicheins das Verständnis bestürzt.

Weder Laster noch Spiel noch Leidenschaft, und doch hartnäckig wie das eine, entzückend und ausfüllend wie die andern: was bedeutet diese Freude, die Stella von Senanques empfindet, wenn sie sich über die noch schlafende Seele der Simone neigt, um dort die kindliche Unschuld und den wirren Traum sich spiegeln zu sehen.

Simone hat auf den Ruf der Marquise geantwortet, als habe sie ihn erwartet; der Kasuist jedoch würde in beiden vergebens lesen: die Sünde, die hier kauert, verlangt Hellsicht.

Vielleicht lieben beide nur die Nacht, den Mond, das Gefühl, einige Stunden des Schweigens in der Welt des Verbotenen zu leben, indem sie sich die Liebe vortäuschen.

Zwei Träume geben einander jede Nacht die Hand: der eine erinnert sich, sehnt sich zurück und glaubt ähnliche Eindrücke wie in der ersehnten Vergangenheit wieder zu erleben; der andere gehorcht der romantischen Anziehung.

Wer sie sähe, hielte sie für glücklich Liebende, mindestens, und für Schuldige: sie sehen sich so, und genügt das nicht, wenn das Leben beginnt, für eine feine und starke Natur?


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