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45. Kapitel.
Berathschlagung.

Wie Ihr Euch erinnern werdet, Kinder, waren unsere Freunde, als wir das letzte Mal uns von ihnen trennten, in ziemlich gefaßter Stimmung. Sie vertrauten auf den Beistand Gottes, und hatten beschlossen, verschiedene Pläne, die sie zu ihrem Besten entworfen hatten, mit möglichst großer Schnelligkeit in Ausführung zu bringen.

Aber diese Stimmung hielt nicht lange an, sondern machte sehr bald dem größten Mißmuthe und einer mürrischen Unbehaglichkeit Platz, die ihnen alle Entschlossenheit raubte.

Weder Herr Seagrave, noch seine Familie hatten bisher den Schmerz über die vereitelte Hoffnung, an Bord jenes vorübersegelnden Fahrzeugs aufgenommen zu werden, ganz überwinden können, und die gefahrdrohende Flucht der beiden Indianerinnen war keineswegs geeignet gewesen, die düsteren Gesichter aufzuhellen und die kummerschweren Herzen zu erleichtern. Zu der hilflosen Einsamkeit auf einer entlegenen Insel, gesellte sich nun vollends auch noch die keineswegs überflüssige Besorgniß, von einer Schaar grausamer Wilden überfallen und ohne Barmherzigkeit getödtet zu werden; und es ist daher kaum zu verwundern, wenn unsere Freunde eine Zeit lang in träumerischer Unentschlossenheit verharrten, und mehrere Tage verstreichen ließen, ehe sie ernstlich an die Ausführung der beschlossenen Entwürfe zu denken vermogten. Stunden lang verweilten sie am Strande des Meeres, ließen ihre spähenden Blicke über die weite Fläche des Oceans schweifen, und gaben sich dabei theils der schwachen Hoffnung hin, das rettende Schiff wiederkehren zu sehen, theils fürchteten sie, eine Flotte der Wilden zu erblicken, die Verderben drohend gegen sie ansegeln könnte.

So standen eines Morgens bei Sonnenaufgang Herr Seagrave, William und Hurtig am Ufer, und richteten ihre Fernröhre auf die weit entlegene Insel, woselbst sie die Wohnplätze ihrer Feinde, der Indianer, vermutheten. Sie schauten und spähten, ohne irgend etwas Bemerkenswerthes zu entdecken, und Herr Seagrave ließ endlich mit einem leisen Seufzer das Fernrohr sinken, und starrte unthätig und schwermuthsvoll vor sich nieder.

»Lieber Herr Seagrave,« sagte Robinson endlich nach einem langen, drückenden Stillschweigen, »es ist wahrhaftig nicht gut, wenn wir uns noch länger diesem elenden Zustande der Unentschlossenheit und Trägheit hingeben. Sehen Sie, so viel ist einmal gewiß, daß wir, vor der Hand wenigstens, alle Hoffnung auf die Wiederkehr eines befreundeten Fahrzeuges durchaus aufgeben müssen. Andrerseits aber sind wir nicht sicher, von den Wilden überfallen zu werden, und ich gestehe, daß ich nur mit einem Herzen voll Furcht und Sorge einem solchen wahrhaft furchtbaren Ereignisse entgegensehen kann. Denken Sie nur, wenn sie kämen, in der Nacht, Unbemerkt, ungesehen, wenn sie plötzlich mit ihrem Kriegsgeschrei gegen uns vorstürzten, uns überrumpelten, Ihre liebe Frau, Ihre armen Kinderchen in den Betten ermordeten – es wäre doch zu schrecklich, zu entsetzlich, zu traurig für Sie, für mich, für uns Alle, die wir hier auf der Insel sind!«

»Gott möge uns helfen!« rief Herr Seagrave schmerzlich aus, indem er sein Gesicht in den Händen verbarg.

»Gott wird uns auch helfen,« erwiederte Robinson. »Doch können wir nicht verlangen, daß er Wunder an uns thun soll. Unsere Anstrengungen und Mühen wird er segnen; wenn wir jedoch unthätig bleiben, die Hände in den Schooß legen, und alle Schritte verabsäumen, der uns drohenden Gefahr die Spitze zu bieten, so dürfen wir keineswegs erwarten, daß uns des Himmels Beistand verliehen, daß Gott selber uns schützen und erretten werde. Ein schweres Schicksal schwebt über unsern Häuptern, und darum ist es Zeit, daß wir uns ermannen und unsere Kräfte zusammenraffen, um es zu bekämpfen und abzuwenden.«

»Gewiß, gewiß, so ist es!« stimmte William bei. »Ich selbst habe seit mehreren Tagen schon Aehnliches gedacht.«

»Und ich nicht minder,« fügte Herr Seagrave hinzu. »Ganze, Nächte hindurch habe ich schlaflos und ruhelos in meinem Bette gelegen, und über Alles, was in unserer traurigen Lage geschehen könne und müsse, gesonnen und gegrübelt, aber noch hat mir der Himmel keinen Ausweg aus diesem Irrsale gezeigt.«

»Mich hat es nur den Schlaf der letzten Nacht gekostet, Herr Seagrave,« sagte Hurtig, »aber dennoch denke ich Ihnen einen Vorschlag zu machen, der vielleicht Ihren Beifall erhalten wird. Darum meine ich, wir setzen uns hier ein Weilchen nieder, und halten Rath mit einander.«

»Ich bin bereit dazu, wie zu allem Andern,« erwiederte Herr Seagrave, indem er auf einem Felsstücke Platz nahm. »Sprecht, Hurtig! Ihr seid der Aelteste von uns, und Eure Rathschläge haben sich immer als die besten ausgewiesen. Wir werden Euch aufmerksam anhören.«

»Nun, wohlan denn, Herr Seagrave!« sagte Hurtig. »Sehen Sie, zunächst will es mir durchaus nicht zweckmäßig scheinen, wenn wir noch länger in unserem bisherigen Hause wohnen bleiben. Wir sind dort, wie ich schon bemerkte, zu sehr einer Ueberrumpelung ausgesetzt, und besitzen gar keine Mittel, uns gegen den Angriff einer größeren Anzahl von Wilden zweckmäßig und wirksam zu vertheidigen.«

»Das ist wahr; ich fühle es, und habe es längst gefühlt,« stimmte Herr Seagrave bei. »Aber was ist da zu thun? Sollen wir vielleicht zu der Bucht drüben zurückkehren?«

»Nein, das ist meine Ansicht nicht; ich habe etwas Anderes vorzuschlagen,« entgegnete Hurtig. »Sehen Sie, unsere Entdeckung auf der Südseite des Eilandes ist gerade jetzt von der höchsten Wichtigkeit für uns. Nicht etwa wegen der dort gefundenen Bäume und Pflanzen, die uns höchstens ein Paar Leckerbissen mehr zu liefern im Stande sind, sondern vielmehr wegen der trefflichen Weideplätze für unseren Viehstand, und hauptsächlich wegen der Yamsfelder, die uns ein ausgezeichnetes Nahrungsmittel für die Regenzeit liefern werden. Diese müssen durchaus, wie wir bereits früher überlegten, gegen die Verwüstungen der Schweine geschützt werden, und ich mache deßhalb den Vorschlag, daß wir vor der Hand einen Graben darum herziehen, und das ganze Feld mit einer Hecke von Stachelbirnen einfriedigen. Ein Stacket von Kokosholzstäben, womit wir es, wie Sie sich erinnern werden, einfassen wollten, würde uns jetzt zu viel Zeit wegnehmen. Ebenso würde es zu umständlich sein, wenn wir Tag für Tag Morgens an Ort und Stelle hinüberwandern, und Abends wieder nach Hause zurücklaufen müßten; und endlich mögte es gefährlich werden, Ihre liebe Frau und die Kinder so oft allein und ohne allen Schutz hier, gerade auf dem gefährlichsten Punkte der Insel, zurückzulassen. Meiner Ansicht nach thun wir daher am Besten, wenn wir auf der Südseite des Eilandes unsere Zelte aufschlagen, und mit Groß und Klein hinüberziehen. Das Wetter ist gut, und wird Monate lang so bleiben. Wir werden uns also gewiß ganz behaglich drüben finden, und, was eine Hauptsache ist, vor jedem plötzlichen Anfalle der Wilden gänzlich gesichert sein.«

»Bravo, Hurtig!« rief Herr Seagrave aus. »Das ist ein ganz vortrefflicher Vorschlag, und er soll daher auch, wenn es nach mir geht, sofort ausgeführt werden. Ihr meint doch im Ernste, daß wir drüben sicherer als hier wohnen werden?«

»Ohne Zweifel, lieber Herr,« erwiederte Robinson. »Wenn die beiden entflohenen Indianerinnen in ihre Heimath gekommen sind, so läßt sich mit Gewißheit annehmen, daß sie ihre Landsleute zu einem Kriegszuge bereden werden. Wo anders aber sollten dann die Wilden ihre Landung versuchen, als gerade hier in der Nähe unseres Hauses, dessen Lage den Weibern bekannt ist? Darum müssen wir ihnen aus dem Wege gehen, bis wir zweckmäßiger zu ihrem Empfange vorbereitet sind.«

»Aber Hurtig,« fragte William, »Ihr meint doch nicht, daß wir für immer dieses reizende Plätzchen und unsere behaglichen Einrichtungen verlassen sollen?«

»Nein, mein lieber Junge, von solcher Ansicht bin ich weit entfernt,« entgegnete Robinson. »Vielmehr denke ich, daß wir hier sehr viel zu thun bekommen werden, wenn nur drüben erst unsere Geschäfte vollständig beseitigt worden, sind. Ich meine nämlich, wir lassen dann die Frauen und Kinder dort, gehen hierher zurück und richten unser Vorrathsgebäude zu unserem künftigen Wohnsitze ein. Das jetzige Haus müssen wir der Wilden wegen im Stiche lassen, das Magazin aber dermaßen befestigen, daß es uns gegen alle Angriffe der Indianer vollkommen Sicherheit und Schutz gewährt. Unser eigentlicher Wohnsitz muß natürlich jedenfalls, auf dieser Seite der Insel bleiben, da wir der Regenzeit unmöglich in unseren leichten Zelten Trotz bieten können.«

»Wie aber sollen wir das Magazin befestigen?« fragte Herr Seagrave. »Ich habe wenig Erfahrung in solchen Sachen, und fürchte sehr, daß wir da in eine nicht geringe Verlegenheit kommen werden. Sind bloße Pallisaden wohl stark genug, uns zu schützen?«

»Herr Seagrave, verlassen Sie sich auf mich,« entgegnete Hurtig. »So viel kann ich Ihnen sagen, daß ein einziger mit Feuergewehr versehener Mann hinter den Pallisaden mehr werth ist, als zwanzig Wilde, die keine andern Waffen als Speere und Keulen haben, davor. Lassen Sie nur die blutdürstigen Indianer kommen! Mit Gottes Hilfe und den Pallisaden werden wir ihnen Trotz bieten und ihrem Zorne in den Bart lachen können!«

»Nun, das ist schön, Hurtig!« sagte Herr Seagrave. »Laßt uns denn schnell beginnen und das Werk angreifen. Je eher wir anfangen, desto besser ist es.«

»Ohne Zweifel, lieber Herr!« erwiederte Hurtig. »Vor allen Dingen aber muß ich mit William eine Durchfahrt durch die Klippen erspähen, und dann den kleinen Hafen drüben auf der Südseite wieder aufzufinden suchen. Gelingt uns dieß Beides, so kehren wir im Boote zurück, nehmen die Zelte und die übrigen nothwendigen Bedürfnisse ein, schaffen sie hinüber, schlagen die Zelte auf, bringen Alles in Ordnung, und geleiten dann Ihre liebe Frau und die Kinder durch den Wald, damit sie von dem neuen Eigenthume Besitz nehmen und sich behaglich darin einrichten mögen. Uebrigens haben wir gar keine Zeit zu verlieren, da wir erstens nicht vergessen dürfen, daß wir uns vor Beginn unserer Befestigung noch einmal in die jenseitige Bucht begeben müssen, um Nägel und andere Dinge, deren wir bei Errichtung der Pallisaden dringend bedürftig sind, herüberzuschaffen, und zweitens, weil auf keinen Fall die regelmäßige Aufsicht über unsere hier lagernden Vorräthe versäumt werden darf.«

»Nun, dann laßt uns keinen Tag, keine Stunde mehr zögern, Hurtig!« sagte Herr Seagrave. »Wir haben ohnehin schon Zeit genug vergeudet, und der Himmel mag geben, daß wir dafür nicht gezüchtigt werden. Was sollen wir heute noch beginnen?«

»Nun, vor der Hand wollen wir zum Frühstück gehen, und Ihrer lieben Frau unsere Beschlüsse mittheilen,« erwiederte Robinson. »Nachher will ich mit William das Boot besteigen, um eine Durchfahrt zu erforschen, und Sie, Herr Seagrave, mögen indessen die Zelte und übrigen nöthigen Sachen zusammenpacken, damit sie ohne weiteren Aufenthalt in's Boot geschafft werden können. Bis Mittag, denke ich, werden William und ich wieder zurück sein.«

Mit dieser Anordnung zeigten sich Alle einverstanden, erhoben sich, und gingen nach Hause. Ihre Gemüther waren beruhigt, ihre Herzen schlugen leicht, und in ihrem Innersten fühlten sie sich gestärkt und erhoben. Die gefaßten Entschlüsse verliehen ihnen Muth und Stärke, der Zukunft getrost in's Auge zu sehen. In der Ueberzeugung, daß Alles, was menschliche Kräfte und Bestrebungen zu erreichen vermögten, geschehen werde, um der drohenden Gefahr mit Erfolg zu begegnen, fanden sie Trost und Beruhigung. Im Uebrigen aber vertrauten sie allwegs auf die göttliche Vorsehung, die den Frommen behütet, und den Gerechten nicht zu Schanden werden läßt.

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