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30. Kapitel.
Nanny, die Ziege.

Wir verließen unsere Freunde auf der Insel in dem Augenblicke, als sie grade bei Beginn der Regenzeit von ihrem Hause Besitz genommen hatten.

Der damalige Sturm wüthete den ganzen Sonntag und die darauf folgende Nacht mit einer Gewalt und Heftigkeit fort, wie sie nur den tropischen Gegenden eigenthümlich ist. Am nächsten Morgen aber, als unsere Freunde aufstanden, hatte sich der Himmel schon wieder aufgehellt, und glänzend schien die Sonne vom Himmel nieder.

Hurtig und Juno traten zuerst aus dem Hause. Der alte, wackere Mann trug ein Fernrohr unter dem Arme, und war im Begriff, seine gewöhnliche Morgenrunde zu machen.

»Ist das nicht ein schöner Morgen nach dem furchtbaren Regen, Juno?« fragte er, einen Blick über die ganze Gegend werfend.

»Ja, Massa Hurtig, sehr schöner Morgen sein,« erwiederte Juno. »Aber wie bekommen Feuer zu sieden für Milch? ich nicht wissen; Holz und Blätter sehr naß sein, Alles viel naß!«

»Du wirst noch ein wenig Feuer auf dem Herde finden, Juno,« entgegnete Robinson. »Ehe ich gestern zu Bette ging, bedeckte ich die Gluth mit Asche und Steinen, und warf noch eine Lage Kokosblätter und Zweige darauf; das hat die Kohlen jedenfalls vor dem gänzlichen Verlöschen geschützt. Sieh, Juno, jetzt müssen wir uns eben noch so und so hinhelfen, aber nächstes Jahr soll's besser sein, wenn mich der liebe Gott gesund erhält. Sobald ich dazu kommen kann, will ich einen tüchtigen Haufen Brennholz zurecht machen und ihn unter einem Schuppen aufstapeln, so daß wir für die ganze nächste Regenzeit Vorrath haben. – Warte, Juno, ich helfe dir ein bischen.«

»Danken Euch, Massa Hurtig;« erwiederte Juno. »Viel Regen gefallen sein letzte Nacht!«

»Ja, wenig ist's nicht, und du wirst deßhalb auch wohl schwerlich unsere Quelle besonders hell finden. Ich zweifle sogar, ob sie überhaupt von den übrigen Wasserströmen zu unterscheiden sein wird. Aber nimm, Juno, da ist Holz, das nicht so ganz durchnäßt scheint.«

»Danken Euch, Massa! Ah, und sehn, noch viel Feuer da sein!« erwiederte Juno, welche mittlerweile Blätter und Steine weggeschafft und knieend die halb erloschene Gluth mit dem Hauche ihres Mundes wieder angefacht hatte.

»Nun, das ist schön,« sprach Hurtig; »da brauchst du meine Hilfe nicht mehr, und ich will mich deßhalb sachte auf den Weg machen.«

Er pfiff den Hunden, die alsbald munter herbeigesprungen kamen, und schlenderte gemächlich vorwärts, um nachzusehen, ob noch Alles in Ordnung wäre. Zunächst lenkte er seine Schritte der Quelle zu. Als er aber in die Bergschlucht gelangte, wo sie hervorsprudelte, konnte er auch nicht eine Spur mehr davon entdecken. Die ganze Schlucht war ein einziger reißender Gießbach geworden, der schmutzig und getrübt seine stürzenden Wasser dem Meere zuwälzte und den Brunnen völlig bedeckte und verbarg.

»Das dachte ich mir!« murmelte er vor sich hin, nachdem er gedankenvoll dem Brausen und Schäumen des wilden Gießbaches ein Weilchen zugeschaut hatte. »Aber besser ist's immer, zu viel Wasser haben, als zu wenig.«

Er wandte dem Brunnen den Rücken zu, watete durch das Wasser und begab sich zu dem Schildkrötenteiche, den er zu seiner Freude völlig unversehrt und in Ordnung fand. Immer weiter fortpatschend, gelangte er hierauf zu der Stelle, wo er das Boot vermittelst eines starken Taues mit dem Vorderbug und Spiegel an großen Steinen, die auf dem Strande umherlagen, befestigt hatte. Ehe er aber danach schaute, überblickte er mit seinem Fernrohre den ganzen Horizont, in der schwachen Hoffnung, irgend ein vorübersegelndes Fahrzeug zu entdecken. Er that dieß immer heimlich, und nur dann, wenn er Morgens ganz allein seinen Spaziergang machte; denn er hatte bemerkt, daß Herr Seagrave jedes Mal, wenn er auf diese Weise umherspähte, traurig und aufgeregt ward. Wie gewöhnlich blieb seine Untersuchung auch dießmal ohne Erfolg, und seufzend nahm er sein Fernrohr unter den Arm, um sich nach dem Boote umzusehen.

Da der Sturm vom Lande hergeweht hatte, so war durch seinen Ungestüm der Nachen so weit vom Strande weggerissen worden, daß Robinson ihn nicht mehr mit den Händen erreichen konnte.

»Das ist eine böse Geschichte,« murmelte er vor sich hin und schüttelte ärgerlich seinen grauen Kopf. »Wie dumm von mir, das Boot nicht fester angebunden zu haben. Wie soll ich's nun wieder bekommen? Hinschwimmen kann ich wegen der verwetterten Haifische nicht, und doch muß es gesichert werden!«

Er dachte ein wenig nach, und endlich schien ihm ein guter Einfall zu kommen.

»Halt ein bischen!« rief er vergnügt; »das muß versucht werden!«

Mit diesen Worten suchte er die zum Boote gehörigen Segelleinen zusammen, band eine an die andere, bis er ein Tau von hinreichender Länge gewonnen hatte, suchte sich hierauf ein langes Stück Holz, befestigte dasselbe an dem einen Ende der Leine durch einen Knoten und gab sich nun die äußerste Mühe, das Holz in das Boot hinein zu werfen. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es, und zwar so glücklich, daß sein Holzstück grade unter einen Querbalken des Bootes zu liegen kam und sich daselbst fest klammerte. Nun war es ein leichtes Stück Arbeit, den Nachen an's Ufer zu ziehen. Er sprang hinein, schöpfte das während der Nacht eingedrungene Seewasser aus, befestigte ihn sorgfältiger als vorher, und begab sich jetzt zu dem nahe gelegenen Garten, welchen er zu seiner Freude in bester Ordnung fand.

»Nun muß ich noch nach unsern Schafen und Ziegen ausschauen, und dann ist meine Morgenrunde beendigt,« murmelte er vor sich hin. »Wo aber soll ich sie suchen? Da müssen die Hunde helfen.«

»He, Romulus! Remus!« rief er, »kommt her, Bursche, such verloren!«

Die klugen Thiere schienen ihn zu verstehen, sprangen im Gebüsch umher, schnoberten ringsum Alles durch und hatten gar bald die Schafe und zwei von den Ziegen aufgefunden; die dritte aber war nicht zu entdecken.

»Ih, wo mag die schwarze Nanny stecken?« brummte Robinson in den Bart, indem er ein Weilchen stehen blieb und aufmerksam lauschte. »Sie kann unmöglich weit von hier sein.«

Plötzlich vernahm er ein leises Blöcken aus einem nahen Gebüsche, schritt mit den Hunden eiligst darauf los, und sah die schwarze Nanny, zwei neugeborene Zicklein an ihrer Seite, im Grase unter dem Gesträuche liegen.

»Hab' mir's immer gedacht!« rief er in fröhlicher Ueberraschung aus. »Kommt, ihr kleinen Dingerchen, wir müssen ein gutes Obdach für euch ausfindig machen. Komm, Nanny, folge mir nach, und ihr, Hunde, haltet euch ruhig! Kusch! Romulus! Remus, zurück! Untersteht euch, ihr Burschen, die kleinen Thierchen anzurühren! Legt euch, sage ich!«

Die Hunde hörten jedoch nicht auf den drohenden Ruf des alten Hurtig und stürzten mit wüthendem Gebell auf die kleinen Zicklein los. Die schwarze Nanny aber verstand das unrecht; sie stellte sich den Hunden muthig entgegen und stieß sie dermaßen in die Rippen, daß sich alle Beide im gleichen Augenblicke überkugelten und heulend auf der Erde umherwälzten.

»Da! das geschieht euch recht, ihr naseweisen Geschöpfe!« rief der alte Hurtig mit herzlichem Lachen. »Jetzt habt ihr euer Theil und werdet mir die Zickchen in Ruhe lassen.«

Er bückte sich zu den kleinen Ankömmlingen, nahm unter jeden Arm einen, und ging so beladen dem Hause zu. Die schwarze Nanny lief ihm meckernd nach.

Als er mit seiner Last das Haus betrat, fand er Herrn und Madame Seagrave, sowie alle Kinder bereits angekleidet, und wurde mit einem lauten Jubelrufe empfangen. Karoline und Tommy schrieen laut auf vor Freude, als sie die kleinen Zicklein sahen, und sogar der kleine Albert patschte zappelnd in seine Händchen. Als Hurtig seine Last zu Boden setzte, liefen Karoline und Tommy herzu und nahmen jedes eins von den Zickchen in ihre Arme.

»Ich bringe da einen neuen Zuwachs zu unserer Familie,« sagte Hurtig lächelnd zu Madame Seagrave; »und ich muß Sie bitten, die Thierchen so lange im Hause zu dulden, bis ich eine kleine Hütte für sie gebaut habe. Sie sollen sehen, das da ist nur ein Anfang und wir werden bald für mehr Junge zu sorgen haben.«

Man machte den Kindern begreiflich, daß sie sich nun von den Zicklein wieder trennen müßten, und band Nanny in einer Ecke des Hauses fest, wo sie sich sehr behaglich zu befinden schien. Sie liebkoste ihre Jungen, säugte sie und nahm sie unter ihren mütterlichen Schutz.

Indeß brachten William und Juno das Frühstück herbei, und man setzte sich um den Tisch herum, um es mit gutem Appetite zu verzehren. Sobald es eingenommen war, sagte Herr Seagrave:

»Nun, Robinson, denk' ich, halten wir ein bischen Rath, um einem Jeden von uns seine besonderen Pflichten und Geschäfte während der Regenzeit zu übertragen. Da, wie mich dünkt, eine Fülle von Arbeit vor uns liegt, so darf Niemand, wer es auch sei, müssig gehen.«

»Ein gut Stück Arbeit haben wir, das ist wahr,« erwiederte Hurtig; »und wenn wir mit Allem fertig werden wollen, so heißt's Eintheilen und Ordnung halten. Ich habe aus Erfahrung, während ich auf einem Kriegsschiffe diente, kennen gelernt, was es sagen will, wenn Alles in der gehörigen Ordnung vor sich geht. Wir leisteten dort in der Hälfte der Zeit doppelt so viel, wie die Matrosen auf den Kauffahrteischiffen, und bloß, weil jedes Ding immer auf seinem Platze lag und immer auf seinem Platze gefunden wurde; weil Niemand mit unnöthigem Suchen seine Zeit zu verschleudern brauchte, und weil Jedermann genau wußte, was er eigentlich zu thun hatte.«

»Gewiß, gewiß, ich bin ganz mit Euch einverstanden, Hurtig,« sagte Herr Seagrave. »Ordnung ist in allen Dingen die Hauptsache. Ehe ein nachlässiges Mädchen noch seinen Fingerhut gefunden hat, ist ein ordentliches Kind schon mit seiner Arbeit fertig, und ich verspreche Euch hiemit, Freund, daß, wenn wir nur erst überall Fächer und Nägel am gehörigen Platze angebracht haben, dann auch jedes Ding im Hause seine Stelle finden soll, wo wir es allezeit suchen und finden werden.«

»Schön, Herr Seagrave,« erwiederte Hurtig. »Und da wir über diesen wichtigen Punkt einig sind, so können wir auf unsere Geschäfte übergehen. Zunächst also müssen wir unser Boot auf den Strand ziehen und vor jeder Beschädigung sichern. Da wir es in jetziger Jahreszeit nicht gebrauchen können, weil das Wetter immer stürmisch ist und kaum auf ein Paar Stunden Ruhe hält, so thun wir, denk' ich, am besten, wenn wir es zur Hälfte in den Sand eingraben und auf diese Weise gegen jede Verletzung beschützen.«

»Vollkommen einverstanden!«sagte Herr Seagrave. »Was nun?«

»Die Zelte,« fuhr Hurtig fort, »dürfen wir nicht stehen lassen, sondern müssen sie, falls wir sie später noch gebrauchen wollen, abbrechen, sobald sie trocken geworden sind. Dann müssen wir ein großes Vorraths-Magazin für unsere Lebensmittel und Gerätschaften bauen, dasselbe mit einem dichten Palmendache versehen und die Hausflur vier Fuß über dem Boden anlegen, um unseren kleinen Heerden eine Zuflucht vor dem Ungestüm der Witterung zu verschaffen. Das ganze Gebäude braucht nur ganz leicht aufgeführt zu werden. Wenn wir drei Seiten desselben mit einer schnell geflochtenen Wand aus Kokosbaumzweigen versehen, so ist es für seine Zwecke hinreichend gut genug. – Endlich aber müssen wir noch einen Fischteich anlegen und eine Salzpfanne in den Felsen einhauen. Diese letzteren Geschäfte haben jedoch keine große Eile, und es ist Zeit genug dafür, wenn wir nichts Anderes und Nothwendigeres zu thun finden. – Außerdem aber, fällt mir eben ein, gibt es noch zwei zeitraubende Arbeiten. Erstens müssen wir eine Wanderung durch den Wald machen, um nach unsern Vorräthen auf der andern Seite des Eilandes zu sehen, müssen sie sortiren und für die Ueberfahrt nach der Regenzeit bereit legen, – und zweitens ist es nothwendig, unsere ganze Insel einmal gründlich zu durchforschen, um ihre Erzeugnisse einigermaßen kennen zu lernen. Sie wissen ja, so gut wie ich, Herr Seagrave, daß sie uns noch beinahe gänzlich unbekannt ist. Vielleicht finden wir mancherlei Gegenstände, die uns nützlich werden können; Bäume und Gesträuche gewiß die Hülle und Fülle, und hoffentlich auch Weideplätze für unsere Heerden, die wir nothwendig gebrauchen, wenn sie sich, wie zu erwarten steht, so vermehren, daß sie uns wirklichen Nutzen bringen können. Hier in der Gegend ist zwar vor der Hand Futter genug, aber späterhin wird's mangeln, besonders wenn wir erst gezwungen sind, mehr Land für unsere Sämereien urbar zu machen.«

»Ich bin mit Allem, was Ihr da vorbringt, Hurtig, völlig einverstanden,« sprach Herr Seagrave; »und es fragt sich jetzt nur noch, auf welche Weise wir unsere Kräfte vertheilen müssen?«

»Für den Augenblick gar nicht, wenn es Ihnen recht ist,« erwiederte Robinson. »Sehen Sie, Juno hat im Hause genug zu thun, um Ihrer lieben Frau Beistand zu leisten, und wir drei, Sie, William und ich, wollen zunächst das Boot auf den Strand ziehen und dann Zelte und Segelwerk abtakeln und in Sicherheit bringen. Späterhin wollen wir den Plan zum Magazine entwerfen und sogleich Hand an dessen Ausführung legen. Kann Juno sich Zeit abmüßigen, so wird sie wohl thun, Kokosblätter zu sammeln und als Brennmaterial aufzustapeln, und unser fleißiger Tommy mag ihr dabei behilflich sein und zeigen, wie man die Blätter aufsuchen muß.«

»Ja, gewiß will ich das, und gleich!« rief Tommy, indem er aufsprang und sich gewaltig in die Brust warf.

»Nein, nicht gerade jetzt, mein Bürschchen,« wehrte lächelnd der alte Hurtig; »aber wenn deine Mutter Juno entbehren kann, dann darfst du mit ihr hinaus. Wir aber, Herr Seagrave, wollen ohne Zögern fort und die wenigen Stunden freundlichen Wetters benutzen. Gehen Sie immer voraus an die Bucht; ich will indeß nach den Zelten laufen, um die Schaufeln zu holen, und werde Sie dann unten treffen, damit wir gemeinschaftlich das Boot auf den Strand ziehen. Nehmen Sie aber unsern Karren mit und laden ein paar Stricke und ein tüchtiges Bündel Palmzweige darauf; wir werden Beides gebrauchen.«

»Ja, so wollen wir's machen,« erwiederte Herr Seagrave und stand auf. »Komm, William!«

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