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Unsere Freunde waren kaum eingeschlafen, so erhob sich ein fürchterlicher Gewittersturm. Die Donner wandelten krachend in den Wolken, und die Blitze leuchteten so hell und so glänzend, daß ihr Licht sogar durch die kleinsten Ritzen und Spalten der Thüre und Fenster fiel und in schnell verschwindenden Lichtern auf dem Boden und an den Wänden des Hauses spielte. Alle erwachten sogleich und fuhren aus dem Schlafe auf. Die Kinder schrieen, zitterten und flüchteten zuletzt in die Arme ihrer Mutter und Juno's, um bei ihnen, die selbst des Schutzes bedurften, Schutz und Beruhigung zu finden.
»Dieß ist wirklich ein entsetzliches Unwetter!« sagte Herr Seagrave zu Robinson, als eben ein furchtbarer Windstoß das Haus in allen seinen Fugen erschütterte.
»Gewiß! gewiß!« entgegnete Hurtig. »Ich erinnere mich nicht, jemals einen schrecklicheren Sturm, als diesen, erlebt zu haben. Blitz und Donner scheinen mir heute gleich dem erzürnten Auge und der rollenden Stimme einer beleidigten Gottheit.«
»So ist es, Hurtig,« sprach Herr Seagrave; »durch die Elemente redet der Herr mit uns, und gibt uns ein Zeichen seiner erhabenen Allmacht! – Barmherziger Himmel, was ist das!«
Er rief es und taumelte im nächsten Augenblicke halb betäubt zu Boden. Ein Donnerschlag von unerhörter Gewalt erschütterte das Haus, schwefelige Dämpfe durchzogen das Gebäude, und gleich darauf, als die beiden Männer wieder zu sich kamen, bemerkten sie das ganze Haus in Rauch eingehüllt, und vernahmen das Jammern der Frauen und das Angstgeschrei der Kinder von ihren Schlafstellen her.
»Gott sei uns gnädig!« rief Hurtig aus, indem er sich wieder aufrichtete und sich anschickte, den Schaden zu untersuchen, welchen dieser Unfall verursacht haben mögte. »Der Blitz hat eingeschlagen, und ich fürchte das Haus brennt.«
»Liebe Frau, liebe Kinder,« rief Herr Seagrave, »seid Ihr alle wohl auf?«
»Ja, Gottlob,« erwiederte seine Frau. »Wir sind alle wohl, Tommy ist eben noch zu mir gekommen; aber wo ist Juno? – Juno! Juno!«
Die Negerin antwortete nicht; William sprang sogleich nach der andern Seite des Hauses, um sie zu suchen, und fand das arme Mädchen bewußtlos an der Erde liegen.
»Vater, Juno ist todt!« rief er voller Schrecken.
Hurtig und Seagrave sprangen sogleich hinzu.
»Sie ist wohl nur betäubt,« sagte Robinson. »Fassen Sie an, Herr Seagrave, wir wollen sie in die freie Luft hinaustragen; da wird sie sich am ersten wieder erholen.«
Sie trugen Juno hinaus und legten sie auf die Erde, obwohl der Regen noch immer in Strömen herabfloß. Hurtig lief jedoch ohne Zögern wieder in's Haus zurück, um nachzusehen, ob es irgendwo brenne. Er fand, daß der Blitz allerdings in der vorderen Ecke gezündet habe, daß aber die Flamme gleich darauf wieder vom Regen ausgelöscht worden sei. So begab er sich denn wieder zu Herrn Seagrave und William, die einstweilen bei Juno zurückgeblieben waren, zurück.
»Ich will bei dem armen Mädchen bleiben,« sagte er zu Jenen. »Thun Sie mir nur den Gefallen und gehen in's Haus; denn Madame Seagrave ängstigt sich zu Tode, wenn sie bei solch' schauerlichem Ungewitter allein bleiben soll. Sehen Sie nur her, Juno ist nicht todt; ihre Brust hebt sich wieder, und bald wird ihre Besinnung zurückgekehrt sein. Dem Himmel sei Dank dafür! Wir würden das gute Mädchen recht schmerzlich vermißt haben.«
William ging mit seinem Vater in das Haus zurück, wo sie Madame Seagrave vor Angst und Schrecken wirklich einer Ohnmacht nahe fanden. Die Nachricht von Juno's Wohlbefinden besänftigte jedoch ihre aufgeregten Gefühle, und wirkte sehr wohlthuend auf sie. William beruhigte den kleinen Albert, und Tommy war binnen wenigen Minuten in seines Vaters Armen fest eingeschlafen.«
Jetzt ließ auch der Sturm nach; und als der Tag wieder dämmerte, erschien Hurtig mit Juno, welche sich wenigstens so weit erholt hatte, daß sie, von Hurtig's Arme unterstützt, wieder gehen konnte. Man brachte sie ohne Zögern in's Bett, und die beiden Männer untersuchten hierauf genau, ob nicht sonst noch irgendwo ein Unglück geschehen sei.
Der Blitz hatte in die vordere Ecke des Hauses gerade an der Stelle eingeschlagen, wo der Feuerherd errichtet werden sollte. Ein Theil eines großen eisernen Kessels war von der Gluth geschmolzen, und, was ein noch weit größerer und schmerzhafterer Verlust war, die schwarze Nanny neben ihren Jungen erschlagen worden. Sie lag todt auf der Erde; die Zicklein aber waren ganz unversehrt.
»Des Himmels Gnade hat uns eine Warnung gegeben,« sagte Herr Seagrave bei diesem Anblicke, »und wir wollen sie benutzen. Haben wir nicht unter unseren Vorräthen eine große Rolle Kupferdrath, Hurtig?«
»Ja; ich dachte eben selbst daran,« erwiederte Robinson. »Unser erstes und nächstes Geschäft muß sein, einen Blitzableiter am Hause anzubringen.«
»Nein, Hurtig,« warf Herr Seagrave ein. »Vor allen Dingen müssen wir Gott für unsere wunderbare Erhaltung danken, und nachher erst unsere Vorrichtungen treffen.«
Hurtig machte eine beistimmende Geberde, und begab sich mit Herrn Seagrave zu den Uebrigen zurück. Die Sonne war eben aufgegangen. Madame Seagrave hatte sich bereits angekleidet und zog die Kinder an. Sobald sie fertig waren, las Herr Seagrave einen passenden Psalm vor, und sprach darauf ein Gebet voll heißer Dankbarkeit und christlicher Demuth. Hierauf ging William hinaus, das Frühstück zu bereiten, während Hurtig aus den mitgebrachten Vorräthen, die unter dem Divan aufgeschichtet lagen, die Rolle Kupferdraht hervorsuchte. Er wickelte sie auf, bog sie gerade, und holte hierauf die Leiter herbei, welche bei dem im Bau begriffenen Magazine stand. Gleich nach eingenommenem Frühstück begaben sich die beiden Männer hinaus, um den Blitzableiter zu befestigen, während sich William an Juno's Bett setzte, um bei ihrem Erwachen sogleich hilfreiche Hand leisten zu können.
»Nach meiner Ansicht, Herr Seagrave,« sagte Hurtig, »werden die beiden Bäume hier, die so nahe bei einander stehen, am besten zu unserem Zwecke dienen können. Sie stehen weit genug vom Hause ab, um es vor aller Gefahr zu schützen, und doch auch wieder nahe genug, um den Blitz abzuleiten, wenn der Draht auf einem davon angebracht und befestigt wird.«
»Derselben Meinung bin ich auch, Hurtig,« erwiederte Herr Seagrave; »aber wir dürfen sie nicht Beide stehen lassen.«
»Nein, lieber Herr,« sagte Robinson. »Ehe wir aber einen umhauen, müssen wir erst sehen, an welchem von Beiden sich der Draht am besten anbringen läßt; und das wollen wir sogleich versuchen.«
Er lehnte die Leiter an, nahm einen Hammer und einen Sack voll großer Nägel zur Hand, kletterte hinauf, so weit die Leiter reichte, schlug dann einen Nagel so tief in den Stamm ein, daß er sein Gewicht zu tragen vermogte, stellte sich darauf, schlug noch höher wieder einen Nagel ein, und kletterte auf diese Weise höher und immer höher, bis er dicht unter dem Wipfel des Baumes angekommen war. Nun warf er Hammer und Nägel hinab, kletterte nach, versah sich mit einer Säge und einer kleinen Axt, stieg wieder in die Höhe, und hatte in Zeit von zehn Minuten die Krone der Kokospalme abgesägt, so daß nur ein schlanker, hoher Pfahl, fast wie ein Mastbaum anzusehen, von ihr übrig blieb.
»Seid vorsichtig beim Heruntersteigen, Hurtig!« rief Herr Seagrave, der nicht ohne Besorgniß der gefährlichen Arbeit Robinson's zugeschaut hatte.
Der alte Mann lachte. »Sein Sie nicht bange um mich, lieber Herr,« sagte er. »Bin ich auch nicht mehr jung, so habe ich doch zu oft in meinem Leben die höchsten Masten erstiegen, um so ganz aus der Uebung gekommen zu sein. Es wird mir nichts geschehen.«
Wie ein Eichhörnchen kletterte er auf die Erde, und schnitzelte sich hier in aller Eile einen kleinen Pfahl zurecht, dessen Ende er mit einem zugespitzten, starken Stücke Draht versah. Diesen Pfahl schlug er in das obere Ende des Stammes ein, verband einen dünneren Draht mit der starken kupfernen Spitze, die am Pfahle festsaß, und stieg darauf wieder hinunter. Nun ward der danebenstehende Baum gefällt, das untere Ende des Drahtes aber am Fuße des Stammes, an welchem der Blitzableiter angebracht war, tief in die Erde gegraben.
»Da hätten wir ein gut Stück Arbeit vollbracht,« sagte Robinson, als Alles fertig stand, und wischte sich den Schweiß von der Stirne. »Es ist mir ordentlich warm dabei geworden.«
»Das glaub' ich wohl, alter Freund,« erwiederte Herr Seagrave. »Aber nun müssen wir auch noch bei unserem Magazin einen Ableiter anbringen, wenn wir nicht über kurz oder lang einmal unsere ganzen Vorräthe verlieren wollen.«
»Gewiß, lieber Herr, das ist nothwendig,« bestätigte Hurtig.
»Weißt du aber wohl, warum dieß Alles geschieht, William?« fragte Herr Seagrave seinen Sohn, der mittlerweile zu ihm getreten war.
»O ja, lieber Vater,« erwiederte der Knabe. »Der Blitz wird vom Metalle angezogen, fährt, anstatt das Haus zu treffen, am Drahte nieder, und verschwindet, ohne großen Schaden verursachen zu können, in der Erde. Du hast mir die Sache schon früher einmal erklärt.«
»Und freue mich, daß du die Erklärung so gut behalten hast, mein Junge!« fügte Herr Seagrave mit Wohlgefallen hinzu.
Hurtig schaute sich indeß wieder den Himmel an, und schüttelte bedenklich den Kopf. »Dort kommt's von Neuem schwer und düster heran,« sagte er, »und ich fürchte, daß es mit unserer Arbeit im Freien für heute vorbei sein wird. Ich will nur schnell noch nach unserem Vieh und den Hühnern sehen, und nachschauen, ob noch Alles da ist, und Sie, Herr Seagrave, bitte ich, indeß mit William unsere arme Nanny in die Erde zu vergraben. Sie können damit fertig werden, ehe der Sturm wieder losbläst.«
William und sein Vater zogen alsbald die erschlagene Nanny an den Beinen heraus, und begruben sie unter dem Blitzableiter. Als sie mit diesem Geschäfte fertig waren, kam auch Robinson zurück, und brachte eine andere Ziege mit, die während des Ungewitters ebenfalls Junge bekommen hatte.
»Der Herr gibt und nimmt,« sagte er, als er zu den Uebrigen trat. »Schon fürchtete ich, wir würden den kleinen Zicklein, die so plötzlich ihre Mutter verloren haben, keine Nahrung reichen können, und da schickt uns der liebe Gott gleich eine andere Mutter in's Haus. Es wird der Ziege freilich ein wenig schwer ankommen, vier Zicklein zu säugen anstatt zweier, aber sie muß eben sehen, wie sie damit zurecht kommt. Jedenfalls soll es ihr niemals an reichlichem und gutem Futter fehlen.«
Hurtig führte die Ziege in's Haus, band sie an derselben Stelle fest, wo die schwarze Nanny gelegen hatte, und begab sich darauf mit den Andern zum Mittagsessen. Zu seiner Freude traf er Juno schon wieder auf den Füßen. Sie befand sich ganz wohl, und klagte nur noch ein wenig über Kopfweh.
Wie Robinson vorher gesagt hatte, brach der Sturm gleich nach dem Essen mit erneuerter Heftigkeit los. Der Regen plätscherte, die Blitze zuckten, der Donner krachte, und an Arbeit außer dem Hause war nicht mehr zu denken. Da stellte sich dann sehr bald Langeweile ein, die Robinson aber, auf William's Bitte, durch die fortgesetzte Erzählung seiner Lebensgeschichte auf das Angenehmste zu vertreiben wußte.
»Sobald die Franzosen in der Tafelbay die Anker ausgeworfen hatten,« begann Hurtig, »bekamen wir Befehl, an's Land zu gehen, und wurden in ein Gefängniß gesteckt, das dicht bei den Gärten des Gouvernements gelegen war. Wir wurden hier ziemlich gut behandelt und nicht sehr streng bewacht, indem man die Flucht aus diesem Gefängnisse für unmöglich hielt. Doch hörten wir, man wolle uns mit dem ersten in die Bucht einlaufenden Kriegsschiffe nach Holland schicken; und das war eine Nachricht, die uns nicht im Mindesten gefiel.
Wie ich bereits bemerkte, befanden sich auf unserem Indienfahrer außer mir noch mehr Schiffsjungen, die wir alle treulich zusammenhielten. Wir waren nicht nur so ziemlich von gleichem Alter, sondern hatten uns auch in der langen Dienstzeit sehr an einander gewöhnt. Zwei von diesen guten Burschen, Jack Romer, dessen ich schon Erwähnung that, und Will Hastings waren meine vertrautesten Freunde.
Eines Tages, es war im Winter, und wir wollten uns ein wenig am Sonnenscheine erwärmen, saßen wir zusammen auf dem Walle, und schauten uns neugierig um. Plötzlich sagte Romer: »Wie leicht wäre es für uns zu entspringen, wenn wir irgend wüßten, wohin wir fliehen sollten.« – »Ja,« sagte Hastings darauf, »aber es würde uns nichts übrig bleiben, als zu den Hottentotten und wilden Kaffern zu gehen. Und wenn wir zu ihnen kämen, was dann? Weiter fliehen könnten wir doch nicht.« – »Ei,« sprach ich dazwischen, »ich für mein Theil will doch lieber frei unter den Wilden leben, als hier in einem traurigen Gefängnisse eingeschlossen bleiben.« – Niemand antwortete hierauf. Jeder überließ sich seinen eigenen Gedanken, und damit war die erste Unterredung über diesen Gegenstand abgethan. Später kamen wir jedoch öfters wieder darauf zurück.
Da Einige von den holländischen Soldaten, die bei uns Wache hielten, ein wenig englisch sprachen, und wir selber das Holländische ein bischen radebrechten, so erfuhren wir von Jenen durch mancherlei Erkundigungen und scheinbar absichtslose Fragen Mancherlei von den Gränzen der Kolonie und den Verhältnissen der Holländer, Hottentotten und Kaffern. Wir setzten unsere Erkundigungen bei den Soldaten wochenlang fort, besprachen uns häufig während unserer zweimonatlichen Gefangenschaft, und waren zuletzt völlig entschlossen, auf jeden Fall unsere Flucht zu versuchen.
Es war dieß, wie du einsehen wirst, William, ein sehr thörichtes Unternehmen, und bewies nur zu klar, wie wenig Knaben fähig sind, für ihr wahres Beste zu sorgen. Wir stürzten uns blind in eine schier endlose Reihe von Mühseligkeiten und Gefahren, ohne dabei die geringste Aussicht zu haben, wirklich unsere Befreiung zu erlangen. Auf jeden Fall hätten wir weit besser gethan, wenn wir klug genug gewesen wären, still und geduldig in unserer keineswegs harten Gefangenschaft auszuharren. Alte Köpfe sitzen nun aber einmal nicht auf jungen Schultern.
Wir packten unsere Habseligkeiten zusammen, kauften uns insgeheim von unsern Ersparnissen lange, holländische Messer, und nahmen uns vor, in einer dunkeln Nacht, wenn die übrigen Gefangenen in ihre Zellen eingeschlossen würden, unvermerkt im Hofraume zurückzubleiben.
Es gelang uns, und ein langer Pfahl, den wir im Hofe liegen sahen, half uns dazu, die Zinne der Mauern zu erklettern und auf der andern Seite wieder hinunterzuklimmen. Wir standen im Freien, schauten uns lachend das Gefängniß noch einmal an, und machten uns dann so schnell wie möglich auf die Beine, um noch vor Tagesanbruch an den Tafelberg zu gelangen.«
»Warum gingt Ihr gerade dorthin, Hurtig?« fragte William.
»Weil Hastings, der Aelteste von uns dreien, und ich selbst behaupteten, es würde gut sein, wenn wir uns ein Paar Tage dort verborgen hielten, um mittlerweile auszuklügeln, was späterhin am Besten zu machen sein würde. Wir rechneten ferner darauf, uns vielleicht eine oder zwei Flinten nebst Schießbedarf zu verschaffen. An Geld dazu fehlte es uns nicht, indem unser Kapitän, als der Indienfahrer zum ersten Male genommen ward, ein Fäßchen voll Rupien unter die Mannschaft austheilte. Jeder bekam nach Verdienst und Würden, indem der Kapitän behauptete, es sei besser, die Mannschaft erhielte das Geld, als daß die Franzosen ihre Taschen damit anfüllten. Wir drei hatten unsern Antheil noch beisammen, da wir ihn weder für geistige Getränke ausgegeben hatten, noch auch schon thöricht genug gewesen waren, Taback zu rauchen und zu kauen. Hauptsächlich bestimmte uns aber Folgendes, nach dem Tafelberge zu gehen: Wir wußten, daß man, sobald unsere Flucht bekannt geworden war, Truppen und Streifpiquets aussenden werde, um uns wieder einzufangen. Jedenfalls mußten nun unsere Verfolger glauben, wir hätten uns in das Innere des Landes gewendet, und wir rechneten darauf, daß sie demgemäß ihre Forschungen anstellen würden. Die Soldaten hatten uns von Löwen und Panthern erzählt, und uns eine Schilderung davon gemacht, wie gefährlich es sei, in jenen Gegenden zu reisen. Fand man uns nun nicht, so hofften wir, würde man glauben, wir wären von wilden Thieren zerrissen, und alle ferneren Nachforschungen aufgeben. Uns aber stand sodann der Weg in das Innere des Landes frei und offen, und wir hatten nicht mehr zu befürchten, wieder eingefangen und zurückgebracht zu werden. Die Berechnung war so übel nicht, obgleich nur das Hirn dreier thörichter Knaben sie ausgeheckt hatte.
Einstweilen rannten wir uns fast den Athem aus, bis wir uns eine ziemliche Strecke von der Stadt entfernt hatten, und gingen dann langsamer, aber immer noch schnell genug, vorwärts. Doch steuerten wir nicht gerade auf den Berg los, sondern, um so schnell wie möglich von der Stadt wegzukommen, mehr in südwestlicher Richtung, der falschen Bucht zu, welche ich dir, William, auf der Charte zeigte, als wir am Kap der guten Hoffnung vorübersegelten. Erinnerst du dich ihrer noch?«
»Ja, gewiß, sehr gut,« erwiederte der Knabe.
»Wir waren, fuhr Robinson fort, »ungefähr vier Stunden weit gegangen, als wir uns bei Tagesanbruch sehr ermüdet fühlten, und uns nach einem Platze umschauten, wo wir uns sicher verstecken könnten. Nach einigem Suchen fanden wir eine Höhle mit sehr schmalem Eingange, deren Inneres groß genug war, ein halbes Dutzend so schmächtiger Jungen, wie wir, aufzunehmen. Wir krochen ohne Bedenken hinein, und fanden sie recht hübsch trocken. Da wir uns herzlich müde fühlten, legten wir uns nieder, steckten unsere Bündel unter die Köpfe, und schlossen die Augen, um ein sanftes Schläfchen zu machen.
Kaum aber hatten wir es uns auf diese Weise bequem gemacht, als wir plötzlich ein solches furchtbares Schreien und Gequäk hörten, daß wir augenblicklich wieder in die Höhe sprangen, und uns voller Angst und Schrecken verwundert anstarrten. Wir konnten das entsetzliche Geräusch auf keine Weise erklären, bis endlich Hastings seinen Kopf zur Höhle hinaussteckte, und ihn lachend wieder zurückzog. Jetzt blickten auch Romer und ich hinaus, und wir bemerkten nun sogleich nicht weit von der Höhle entfernt eine Schaar von wohl hundert und fünfzig Pavianen, die mit der größten Lebendigkeit und Munterkeit umhersprangen, und sich so fröhlich geberdeten, wie ich es mein Lebtage noch nicht gesehen hatte. Sie waren dicker und stärker als wir, und auch von größerer Länge, wenn sie sich, wie öfters geschah, auf den Hinterbeinen in die Höhe richteten. Sie schnitten greuliche Gesichter und zeigten oft grinsend ihre weißen Zähne. Wir erkannten einige Weibchen unter ihnen an den Jungen, die sie auf dem Rücken trugen. Trotz dieser Last zeigten sie sich nicht minder behend, als die Männchen, und führten so tolle Possen in ihrer Gesellschaft aus, daß wir endlich alle drei in ein lautes Gelächter ausbrachen.
Plötzlich aber erstarb das Lachen auf unsern Lippen und machte einem nicht geringen Schrecken Platz; denn wie vom Himmel gefallen erblickten wir auf einmal das grinsende Gesicht eines der größten Paviane dicht vor unserer Höhle. Er war von dem Felsen über uns herabgesprungen, fletschte nun wild seine langen Zähne und starrte uns mit grimmigen Blicken an. Wir fuhren erschrocken in die Höhle zurück; der Affe aber stieß einen schrillen, gellenden Schrei aus, aus welchen die ganze Schaar mit der Schnelligkeit des Blitzes sich um ihn her versammelte.
Ich sagte vorhin, unsere Höhle sei groß genug gewesen, um unserer sechs mit Bequemlichkeit fassen zu können, vergaß aber, zu erwähnen, daß sich im Innern derselben noch eine Nebenhöhle befand, in welche wir, da der Eingang ungemein schmal war, noch nicht gekrochen waren. Jetzt gereichte sie zu unserem größesten Glücke. Romer rief uns zu, einer nach dem Andern hinein zu schlüpfen, und zwängte sich selbst zuerst durch den Eingang. Hastings folgte ihm mit seinem Bündel nach, und ich war der Letzte, der den Zufluchtsort betrat. Ich schlüpfte noch gerade zu rechter Zeit hinein; denn die Paviane, die bisher draußen etwa eine halbe Minute lang geplappert hatten, stürzten im nämlichen Augenblicke in die äußere Höhle hinein, während ich in die innere kroch. Fünf bis sechs große, starke Männchen waren es, die mit Ungestüm eindrangen, und zunächst nach Romers Bündel griffen, welches dieser in der Hast mitzunehmen vergessen hatte. Sie öffneten es, verzehrten den Mundvorrath, welchen es enthielt, zum größten Theile, verbargen den Rest in ihren Backentaschen, warfen sodann den, übrigen Inhalt des Bündels heraus, und ruheten nicht eher, als bis sie ihn in tausend Stücke zerrissen hatten. Sobald sie hiemit fertig waren, näherten sich zwei von ihnen unserem Verstecke und erblickten uns. Einer streckte sogleich seine Pfote aus, um uns zu packen; Hastings gab ihm aber mit seinem Messer einen solchen Hieb über die Hand, daß der Affe so schnell wie möglich sie zurückzog, und ein jämmerliches Geschrei ausstieß.
Komisch sah es aus, wie er die verwundete Pfote seinen Kameraden hinhielt, und dann wieder das rinnende Blut mit den Lippen aufsog. Ein solches Geschnatter aber, und Geschrei und Geplapper und Geschwätz, wie die andern Affen anhuben, habe ich in meinem ganzen Leben nicht wieder gehört. Augenscheinlich waren sie ungemein wüthend. Es kamen immer mehr von ihnen in die Höhle, um Hilfe zu leisten, und bald streckte wieder Einer seine Pfote nach uns aus. Er bekam einen Messerhieb, wie der Erste, und zog sich brüllend zurück. Nun näherten sich zwei und drei auf einmal, stürmten mit Wuth auf uns los, suchten uns heraus zu ziehen, mußten aber immer, da wir mit unsern Messern mit aller Kraft auf sie losstachen und hieben und ihnen viele Wunden beibrachten, immer wieder zurückweichen. Etwa eine Stunde dauerte dieser hartnäckige Kampf und setzten die Affen ihre Angriffe fort; endlich aber verließen sie die Höhle, und stellten sich kreischend und heulend vor dem Eingange auf.
Der schreckliche Kampf hatte uns Alle auf's Aeußerste ermüdet, und Romer sprach zuerst den Wunsch aus, daß er unter diesen Umständen doch lieber wieder in seinem Gefängnisse sitzen mögte. Wir Uebrigen stimmten ihm bei, durften aber auf keinen Fall die Höhle verlassen, da uns die Affen unfehlbar in Stücke gerissen haben würden. Wir sahen ein, daß wir nicht gerettet werden konnten, wenn nicht die Paviane, des Wartens müde, sich wieder in den Wäldern zerstreuten. Am schlimmsten, und viel mehr als ich beschreiben kann, peinigte uns der furchtbarste Durst; denn in der Höhle war nicht ein Tropfen Wasser aufzufinden.
Zwei Stunden lang warteten wir noch, unaufhörlich von den Affen bewacht, auf Erlösung aus unserer peinlichen Lage, als plötzlich eines der Thiere einen durchdringenden, gellenden Schrei ausstieß, worauf die Uebrigen brüllend und kreischend sammt und sonders davon sprangen. Eine Weile verhielten wir uns noch ruhig, da wir fürchteten, die schlimmen Feinde mögten zurückkehren; als aber Alles still und ruhig blieb, kroch Hastings zuerst heraus, schaute vorsichtig umher, und rief uns sogleich zu, daß die Affen Alle fortgerannt seien. Darauf traten auch wir in's Freie, und sahen ringsumher kein lebendes Wesen, als einen Hottentotten mit seiner Viehheerde, welche ruhig am Abhange eines Hügels das dürre Gras abweidete.
Wir fühlten uns glücklich über die Erlösung von unseren boshaften Feinden, setzten uns hinter den Felsen, so daß der Hottentotte uns nicht sehen konnte, und hielten Rath mit einander.
Das, William, war unser erstes Abentheuer, dem späterhin noch mehrere folgten. Vor der Hand aber wollen wir uns mit der Erzählung dieses Ersten begnügen, und unsere Betten aufsuchen, da die Schlafenszeit gekommen ist.
Herr Seagrave,« sagte er aufstehend, »ich bin der Meinung, daß wir morgen wieder schönes Wetter bekommen. Es läßt sich freilich nichts mit Gewißheit bestimmen, aber hören Sie nur, der Wind schweigt schon jetzt ziemlich still.«
»Hurtig!« rief William, »ich bin zu begierig, Eure ferneren Abentheuer zu vernehmen. Wenn Ihr doch noch ein wenig erzähltet!«
»Morgen, morgen, mein Junge,« vertröstete ihn Robinson. »Heute aber kannst du mich noch ein wenig an das Ufer begleiten. Die Nacht ist ruhig, und ich mögte sie deßhalb benutzen, noch einige Fische zu fangen. Willst du mit?«
»Gewiß will ich!« rief der Knabe, und sprang auf. »Müde bin ich noch gar nicht.«
»Wohlan, so nimm die Fischleine hier, und komm, mein Junge. Gute Nacht, Herr Seagrave, gute Nacht, Kinder! Schlaft wohl.«
Robinson sprach's, und schritt mit William aus dem Hause in die stille Nacht hinaus.
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