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1. Kapitel.
Robinson Hurtig.

Im Monat October des Jahres 18.. steuerte bei stürmischem Wetter das schöne, englische Kauffahrteischiff, der Pacific, durch den weiten atlantischen Ocean. Es trug nur wenige kleine Segel; denn der Wind wehete heftig, und würde alle Leinwand in Fetzen zerrissen haben, wenn man seinem Wüthen eine größere Fläche zum Spielraum preisgegeben hätte. Trotzdem schoß es durch die Wasser, wie ein gehetzter Hirsch, und die Wogen stürzten hinter ihm her gleich einem Panther, der brüllend und wuthschäumend seine Beute verfolgt, ohne sie erreichen zu können. Die rasenden Windstöße und die tobenden Wellen erschütterten das Fahrzeug in allen seinen Fugen. Es ächzte, stöhnte und zitterte, gleich einem lebendigen Wesen. Dennoch kämpfte es immer wacker vorwärts, obwohl es bald auf der Seite lag und seine Rippen tief in den Höhlungen der Wogen begrub, bald wieder sein Spiegel von einer hochgehenden Welle mit unwiderstehlicher Macht empor geschleudert wurde, während das Vordertheil von den brausenden Wassern überfluthet ward. Immer erhob es sich wieder und beflügelte von Neuem seinen Lauf; denn es war ein wackeres Schiff und sein Kapitän ein tüchtiger Seemann, der, von Sturm und Wettern umbraust, redlich seine Pflicht that und nichts verabsäumte, was irgend zum Heile seines Fahrzeugs und seiner Untergebenen gereichen konnte, im Uebrigen aber unerschütterlich auf den Gott über den Sternen vertraute, dessen väterliches Auge unwandelbar seine guten und frommen Kinder bewahrt und beschirmt.

Er stand neben dem Steuerrade, und hütete mit wachsamen Blicken die Bewegungen der beiden Matrosen, welche den Lauf des Schiffes leiteten; denn er wußte recht gut, daß eine einzige falsche Wendung des Steuerruders den rettungslosen Untergang des Fahrzeugs nach sich ziehen konnte.

Von Zeit zu Zeit warf er einen flüchtigen Blick zum Himmel empor und über die wild aufgeregte, endlose Wasserfläche hinweg; und wenn ihm dann das Herz recht schwer werden wollte, so sang er mit gedämpfter leiser Stimme einige Strophen aus einem alten Schifferliede vor sich hin, die so recht für seine sturmbedrängte Lage gedichtet schienen. Sie lauteten also:

Rings um uns droht der Wasser dumpfes Brausen,
Allüberall der Elemente Wuth!
Das Schiff erdröhnt, die wilden Stürme sausen, –
Doch immer stehen wir in Gottes Huth!

Und hatte er das Liedchen gesungen, so kehrte auch die ruhigste Heiterkeit in seine Seele zurück, und er fürchtete nicht mehr die hilflose Einsamkeit auf dem unendlichen Ocean, nicht mehr die dunkeln Wolken, die schwer und düster vom Himmel herabhingen, nicht mehr den rasenden Sturm, der wie mit verhängten Zügeln grimmig einherjagte und schauerlich durch das klappernde Takelwerk heulte, nicht mehr die berghohen Wogen des Meeres und die weißschimmernden, zischenden Schaumflocken, die unaufhörlich über das Verdeck hinwegspritzten.

Außer dem Kapitän und den beiden Steuerleuten befand sich Niemand mehr auf dem Verdeck, als ein hübsch und muthig aussehender Knabe von etwa zwölf Jahren, und ein wettergebräunter, alter Seemann, dessen graue Locken im Winde flatterten, wenn er über das Hackbord des Schiffes in die rollenden Wogen hinaus schaute. Der Knabe hielt sich immer dicht neben ihm, und klammerte sich fest an seinen Arm, wenn ein so recht heftiger Windstoß herangebraust kam.

»Robinson!« rief er plötzlich, indem er sich dicht an seinen Begleiter anschmiegte, und mit der ausgestreckten Rechten in das Meer hinaus zeigte; »Robinson, schaut die Welle da, wie sie düster hinter uns herrollt! O Gott, sie wird uns überfluthen, und wir müssen alle zu Grunde gehen!«

»Nicht doch, mein Junge,« erwiederte mit tröstlicher Ruhe der alte Bootsmann Robinson Hurtig. »Fürchte dich nicht, William, denn die Welle da thut uns nichts. Sieh' nur, wie stattlich unser gutes Schiff seine Seite gegen sie erhebt, und nun, – da ist sie schon unter uns hinweg! Nein, solch' ein bischen Wasser wird uns nichts anhaben. Aber freilich, wenn so eine recht tüchtige Sturzwelle über uns hinweg schlüge, da würd' es heißen: ›Halt fest, Schelm, wenn du nicht fortgespült werden willst, um nähere Bekanntschaft mit den Seefischen zu machen.‹ Doch dergleichen kommt so häufig nicht vor, wenn der Sturm nicht schlimmer ist, als dieser da.«

Und der alte Mann lächelte, während er sorglos zu den Wolken aufblickte.

»Mag sein, daß es noch schlimmer kommen kann,« entgegnete der Knabe, »aber schon so, wie's jetzt ist, scheint's mir arg genug. Ich habe die See herzlich satt, und mögte, wir wären erst wieder auf dem festen, sicheren Lande. Die Wellen hier ringsum sehen wahrhaftig aus, als ob sie große Lust hätten, unser armes Schiff in tausend Stücke zu zertrümmern.«

»Ei, und Lust genug haben sie auch,« erwiederte der alte Hurtig lächelnd. »Sie brummen und toben vor lauter Aerger, daß sie unser braves Fahrzeug nicht mit Masten und Planken verschlingen können. Aber laß sie brummen, ich fürchte mich nicht davor, denn ich war schon öfter dabei, und bin dran gewöhnt. So lange wir so feste Planken, wie diese da, unter den Füßen haben, und einen tüchtigen Kapitän und gute Mannschaft dazu, ist wenig zu besorgen.«

»Aber doch sind schon viele Schiffe untergegangen, Hurtig,« sagte der Knabe, »und alles, was drauf war, ist von den Wellen verschlungen worden. Es wäre doch schlimm, wenn es uns auch so erginge.«

»Freilich wär's das, mein lieber Junge,« erwiederte Robinson Hurtig; »aber wie gesagt, die Gefahr ist uns noch fern, und im Uebrigen müssen wir uns auf den lieben Gott verlassen. Was er auch thun möge, es ist wohlgethan.«

Diese Worte schienen den Knaben zu trösten, und er blickte mit geringerer Besorgniß in das Meer hinaus. Ein Paar kleine Vögel schossen raschen Fluges dicht über den Wellen entlang, und der Kleine bemerkte sie.

»Was sind das für Vögel, Robinson?« fragte er.

»Das sind Sturmvögel, William,« erwiederte der alte Hurtig. »Sie lassen sich nur blicken, wenn ein Sturm herannaht oder im vollen Gange ist. Wir Seeleute nennen sie Mutter Carey's Küchlein, und mancher Matrose denkt an Klippen und Schiffbruch, wenn er die kleinen Dinger umherflattern sieht.«

»Habt Ihr auch schon einmal Schiffbruch gelitten?« fragte William neugierig. »So an einer unbewohnten Küste, meine ich, wie Robinson Crusoe, Euer Namensvetter.«

»Ja, Schiffbruch gelitten habe ich schon,« entgegnete der alte Bootsmann. »Ob aber grade so, wie dein Freund Robinson Crusoe, das weiß ich nicht, denn ich habe in meinem Leben noch nichts von ihm gehört.«

»Nun, wenn Ihr ihn nicht kennt,« sagte William, »so will ich Euch alles erzählen, was ich in einem wunderhübschen Buche von ihm gelesen habe. In dem Buche steht alles drin, was ihm für wunderbare Schicksale begegnet sind, und Ihr werdet sie gewiß gern hören. Aber vor allen Dingen muß erst der Sturm vorüber sein, und das Schiff wieder sanft auf dem Wasser hingleiten.«

»Gut, mein Junge,« erwiederte der alte Hurtig, dem Knaben freundlich die Wange streichelnd. »Wenn wir den Sturm abgewettert haben, will ich dich an dein Versprechen erinnern, und dir auch Einiges von meinem Schiffbruche berichten; jetzt aber ist's am besten, du geh'st unter Deck, und schau'st dich ein wenig nach deiner Mutter um, die gewiß schon deinetwegen in großer Sorge ist. Komm, ich will dich die Lukentreppe hinab geleiten, damit du nicht etwa durch das Schwanken des Schiffs das Gleichgewicht verlierst und in den Raum hinunterstürzest. Fass' mich an.«

William gehorchte, und als der alte Hurtig ihn sicher bis an die Kajütenthür geleitet hatte, kehrte er geschwind auf's Verdeck zurück, um wieder nach dem Wetter auszuschauen und seinen gewöhnlichen Wachtdienst zu verrichten.

Einen braveren alten Seemann konnte man kaum finden, als unseren Robinson Hurtig. Seit einer Reihe von fünfzig langen Jahren schon hatte er die Meere aller Länder durchfurcht, und bereits im zehnten Jahre seines Alters auf einem englischen Kohlenschiffe Dienste versehen. Sein ehrliches Angesicht war zwar von Wind und Wetter gebräunt, und die Zeit sowohl, wie überstandene Mühseligkeiten hatten seiner Stirne tiefe Furchen eingegraben; dennoch aber war er noch immer ein kräftiger, gesunder und frischer Mann, und Jedermann mogte ihn wegen seiner treuherzigen Gutmüthigkeit gern leiden. Aus seinem vielfach bewegten Leben wußte er eine große Menge sehr seltsamer und abenteuerlicher Geschichtchen zu berichten, die manchmal ganz unglaublich klangen. Keiner seiner Zuhörer zweifelte jedoch jemals an der Wahrheit derselben, da alle Welt wußte, daß der alte Hurtig lieber sterben als eine Lüge sagen würde. Von Gelehrsamkeit und Bücherkram wußte er nicht viel; aber er verstand es prächtig ein Schiff zu steuern, und lesen und schreiben konnte er auch. Den Inhalt seiner Bibel, die ihn auf allen seinen Reisen begleitet hatte, wußte er beinahe auswendig, so oft hatte er ihre schönen Sprüche und Lehren gelesen; und Gott lieb haben, dünkte ihm besser, als alle Weisheit der Menschen. Der Name Hurtig paßte ganz vortrefflich für ihn, und er machte ihm alle mögliche Ehre. Stets war er hurtig bei der Hand, wenn es nothwendige Geschäfte gab; hurtig griff er zu in der Gefahr, und was keiner wagte, das führte Robinson auf das Hurtigste aus. Wo es ein schweres Stück Arbeit gab, da hieß es immer: »wo ist Robinson Hurtig?« und wenn Robinson kam, so ging alles seinen ordnungsmäßigen Gang, besonnen und doch mit der rührigsten Hurtigkeit. Robinson war der Liebling der Matrosen, wie des Kapitäns. Erstere lauschten gern seinen Erzählungen, und lachten über seine gemüthlichen Späße, und der Kapitän hörte in Zeiten der Drangsal und Noth gern auf des alten Bootsmannes gute Meinung, und folgte nicht selten seinen trefflichen Rathschlägen. Lange Erfahrung und unerschütterliche Besonnenheit gaben den Worten Robinson Hurtigs immer ein ganz besonderes Gewicht.

Der Pacific, ein braves Schiff von mehr als vierhundert Tonnen Last, war hinreichend stark erbaut, um es auf offenem Meere auch mit dem heftigsten Sturme aufnehmen zu können. Er segelte mit einer kostbaren Ladung englischer Stahlwaaren und anderer Fabrikate nach Neusüdwales. Den Befehlshaber desselben, Kapitän Osborn, haben wir bereits als einen tüchtigen Seefahrer kennen gelernt, und erwähnen nur noch, daß er, stets heitern und wohlgelaunten Sinnes, jedes Begebniß mit der besten Miene von der Welt aufnahm, und lieber durch Lachen und Scherzen einen Unfall in Vergessenheit brachte, als mürrische Gesichter darüber schnitt, oder wohl gar in gotteslästerliche Flüche und Reden ausbrach.

Sein erster Steuermann hieß Mackintosh, und war von Geburt ein Schotte. Die Mannschaft liebte ihn nicht, und auch der Kapitän, obwohl er ihm viel Vertrauen schenkte und alle mögliche Achtung bewies, empfand keine besondere Zuneigung für ihn. Der Mann erfüllte auf's Genaueste die Pflichten, die ihm oblagen, aber er that es mit finstern, mürrischen Mienen und rauhem, übellaunigem Wesen. Für Niemand hatte er ein freundliches Wort oder einen freundlichen Blick, und da ging es denn ganz natürlich zu, daß auch ihm kein Mensch herzlich und freundlich zugethan war.

Außer der erwähnten Mannschaft befanden sich nur noch dreizehn Matrosen an Bord; in Betracht der Größe des Fahrzeugs, auf dem sie den Dienst versehen mußten, eine sehr geringe Anzahl. Aber der Kapitän war an diesem Umstande unschuldig. Kurz vor der Abreise von der englischen Küste waren ihrer fünf mehr gewesen. Diese hatten jedoch, aus Unzufriedenheit mit der barschen Behandlung des Steuermanns Mackintosh, das Schiff heimlich verlassen, und Kapitän Osborn war durch Umstände gezwungen worden, abzusegeln, ohne daß er vorher den Verlust hatte ersetzen können. Dieser Uebelstand zog, wie wir späterhin sehen werden, recht böse und betrübende Folgen für unsere Freunde nach sich.

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