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Lange noch, nachdem das Boot sich vom Schiffe entfernt hatte, stand der alte Hurtig mit Herrn Seagrave auf dem Vordertheile des Wrackes, und Beide schauten mit düsteren Blicken, die Arme über die Brust gekreuzt, dem gebrechlichen Fahrzeuge nach. Herr Seagrave hatte alle Hoffnung schwinden lassen, und je weiter der Nachen sich entfernte, desto schwerer wurde ihm das beklommene Herz in der Brust. Er sprach kein Wort, alle seine Gedanken weilten bei seiner Frau, seinen hilflosen Kindern, und er seufzte tief, wenn die Befürchtung in seiner Seele aufstieg, daß sie Alle jetzt dem unvermeidlichen Verderben preisgegeben seien. Sein Gesicht wies den trostlosen Ausdruck völliger Verzweiflung.
»Herr Seagrave,« nahm der alte Hurtig nach langem Stillschweigen das Wort, indem er auf das in weiter Ferne verschwindende Boot deutete, »Jene dort glauben sich selber gerettet und uns dem rettungslosen Untergange überliefert; aber sie vergessen, daß droben über den wehenden Wolken und den funkelnden Sternen ein ewiger Gott lebt, in dessen mächtige Hand allein die Entscheidung gelegt ist. Was sind die schwachen menschlichen Anstrengungen im Vergleiche mit Gottes Allmacht?«
»Freilich wohl,« seufzte Herr Seagrave mit gedrückter Stimme. »Doch was können wir hoffen? Hoffen auf einem sinkenden Schiffe, ringsum, so weit das Auge reicht, von brausenden Wassern eingeschlossen? Welcher Glücksfall könnte uns begegnen? Welche Hilfe könnte uns nahen?«
»Die Hilfe Gottes, des ewigen Vaters!« erwiederte sanft Robinson, und schritt sodann auf das Hintertheil des Schiffes zu, um das verlassene, willenlos schwankende Schiff wieder vor den Wind zu bringen. Er gab dem Steuer die zweckmäßigste Richtung und band es mit einem Stricke fest, so daß er es für die Folge sich selbst überlassen konnte.
Wie unser wackere Freund den Matrosen vor ihrer Abfahrt vorausgesagt hatte, war die Gewalt des Sturmes jetzt gänzlich gebrochen und die in rastloser Bewegung steigenden und fallenden Wogen fingen an, sich zu ebnen. Das Schiff rollte langsam aber stet vorwärts, obwohl es noch immer den Widerstand der anschlagenden Wellen bekämpfen mußte.
Als Hurtig sich überzeugt hatte, daß für den Augenblick keine Gefahr zu besorgen war, ging er wieder nach vorn und fand Herrn Seagrave auf einem Haufen Segelwerk liegen, wohin er sich in einem Anfalle der bittersten Verzweiflung, geworfen hatte. Er trat zu ihm und redete ihn an.
»Herr Seagrave,« sagte er, ihn sanft am Aermel zupfend, »wenn Sie beten, wird es mir leid thun, Sie gestört zu haben; wenn Sie aber nur über Ihr trauriges Schicksal nachdenken, so freue ich mich, Ihnen einige Hoffnung einflößen zu können.«
»Ich habe gebetet, wackerer Robinson,« erwiederte Herr Seagrave aufstehend. »In diesem Augenblicke aber suchte ich nur meine Gedanken zu sammeln, die, wie ich gern eingestehe, nicht wenig verwirrt und in Unordnung gerathen waren. Jetzt bin ich ruhiger und fürchte nur noch den Augenblick, wo ich meiner armen kranken Frau die Veränderung unserer Lage mittheilen muß.«
»Fürchten Sie sich nicht zu sehr, Herr Seagrave,« tröstete Robinson gutmüthig. »Wenn ich unsere Lage für hoffnungslos ansehen müßte, würde ich's gewiß gerade heraus sagen. Aber hoffnungslos ist sie nicht, und der alte Gott lebt noch, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt. Hören Sie mich an, Herr Seagrave, ich werde jetzt als Seemann zu Ihnen sprechen
Sehen Sie, unser Schiff ist halb voll Wasser, und das ist allerdings eben nichts Tröstliches. Doch scheint es mir, als ob es kein eigentliches Leck habe, sondern als ob das Wasser nur durch die vom Ankämpfen gegen den Sturm und die Wogenstöße gelockerten Fugen eingedrungen sei. Ich habe den Schaden genau untersucht und gefunden, daß das Wasser während der letzten zwei Stunden nur um wenige Zoll gestiegen ist. Daraus nehme ich ab, daß die Fugen bei dem jetzt eingetretenen guten Wetter sich wieder schließen, die Risse zuquellen werden und wir also, für die nächste Zukunft wenigstens, ein Untergehen des Wrackes nicht im Mindesten zu befürchten haben. Zudem sind wir, wie ich Ihnen auf Seemannswort versichern kann, nicht mehr weit von den Koralleninseln entfernt und treiben geradewegs darauf zu, so daß unsere baldige Rettung nicht nur zu hoffen steht, sondern sogar mit ziemlicher Zuversicht erwartet werden kann. Und endlich, Herr Seagrave, sind wir hinreichend mit Lebensmitteln versorgt und werden auf keinen Fall Hungers sterben, wenn wir auch noch ein paar Tage auf dem Meere umherschiffen müssen.
Sehen Sie, genau so ist unsere Lage beschaffen und Sie brauchen deshalb nicht zu verzweifeln. Ich habe das Alles übrigens schon vorher überlegt und es bestärkte meinen Entschluß, Sie nicht, wie die Uebrigen, im Stich zu lassen. Sie allein würden unfähig gewesen sein, irgend einen günstigen Zufall zu benutzen; ich aber könnte wohl mit Gottes Hülfe das schwache Werkzeug werden, Sie und Ihre Familie in dieser betrübten Lage zu unterstützen. Verlassen Sie sich auf mich, Herr Seagrave, und gehen Sie ruhig zu Ihren Kindern hinab, um ihnen Trost einzusprechen. Was ich alter Mann mit Gottes Hilfe thun kann, Sie zu retten, das soll ganz gewißlich und treulich geschehen. Sagen Sie aber für den Augenblick in der Kajüte kein Wort davon, daß uns die Mannschaft verlassen hat. Es würde Ihre kränkliche Frau nur ohne Noth ängstigen, und die schlimme Botschaft kommt auch späterhin immer noch früh genug. Den William aber können Sie mir herauf schicken; er ist ein anstelliger, kluger Knabe, und ihm, denke ich, können wir unbedingt vertrauen. Wollen Sie es nicht vergessen, lieber Herr?«
Herr Seagrave versprach, sogleich den Knaben auf's Deck zu senden und dankte dem alten Seemann mit der innigsten Rührung für seine Rathschläge und die edle Selbstaufopferung, die er durch sein Zurückbleiben auf dem unsichern Wracke zur Genüge bewiesen hatte. Der alte Hurtig unterbrach ihn aber, indem er sagte:
»Sprechen Sie davon nicht, Herr Seagrave, oder Sie werden mich böse machen. Was ist wohl groß an mir altem verwittertem Manne gelegen? Wenn ich Ihnen nützlich werden kann, bin ich mehr als hinreichend für Alles, was ich thue und gethan habe, belohnt. Verwandte und Freunde, die sich um mein Leben und Sterben kümmern, besitze ich nicht in der Welt und so brauche ich denn auch auf Niemand Rücksicht zu nehmen. Schicken Sie mir unsern William und schweigen Sie vor allen Uebrigen still.«
Mit großer Innigkeit drückte Herr Seagrave dem wackern Freunde die Hand und begab sich, da ihm das Herz zum Zerspringen voll war, ohne ein Wort zu erwiedern, in die Kajüte.
Er fand Frau und Kinder schlafend, nur Juno und William wachten; Letzterer machte seinem Vater ein Zeichen, daß er leise auftreten möge, um die Schlummernden nicht aufzuwecken.
»Seit einer Stunde schon schläft die Mutter,« sagte er leise, »und ich wollte deshalb die Kajüte nicht verlassen, während du oben warst, obgleich der Küchenmeister mich schon seit mindestens zwei Stunden auf das Frühstück warten läßt. Wir Alle haben noch nicht gespeist.«
Herr Seagrave lächelte schmerzlich. »So geh' denn jetzt auf das Verdeck, lieber William,« sagte er. »Hurtig wünscht dich zu sprechen, ich werde indessen hier bleiben.«
Ohne Zögern verließ William die Kajüte, begab sich zu dem Bootsmann, der ihm sogleich offen und getreu die Lage der Dinge auseinander setzte und ihm die Nothwendigkeit darthat, seiner Mutter vor der Hand von der Veränderung ihrer Lage nichts zu entdecken. William begriff Alles mit Leichtigkeit und versprach sogleich, den Anordnungen des alten Hurtig pünktlich Folge zu leisten. Bei alledem aber war er sehr erschreckt und bedurfte einiger Minuten, um sich von seinem Staunen zu erholen.
»Schlimm und traurig ist, was Ihr mir da eben erzählt habt, Robinson,« sagte er endlich, »und ich weiß kaum, wie wir der Mutter das Alles verbergen können. Schon wenn sie aufwacht, wird sie fragen, warum die Kinder kein Frühstück bekommen haben und was sollen wir dann antworten?«
»Ja, das weiß ich nicht,« sagte Robinson ein wenig betroffen. »Aber halt,« fügte er sogleich hinzu, »ich denke, du wirst die Ziegen melken können, mein Junge, wenn ich dir die nöthige Anleitung dazu gebe; ich will indessen alles Uebrige besorgen. Auf diese Weise brauchen wir keinen Küchenmeister und helfen uns selber aus aller Verlegenheit. Komm, komm, William! das Schiff steuert sich wohl selber, so lange wir unten sind, und vom Wetter haben wir nichts mehr zu besorgen. Es ist schön und wird schön bleiben.«
Den vereinten Bemühungen Hurtigs und Williams gelang es bald, ein gutes Frühstück zusammen zu bringen, und Madame Seagrave schlief noch, während es schon in der Kajüte stand.
Die Bewegung des Schiffes hatte sich mittlerweile mehr und mehr gemäßigt. Es rollte nur langsam vorwärts und schwankte unaufhörlich von einer Seite auf die andere, weil es von dem eingedrungenen Seewasser über die Maßen beschwert war. Wind und Wellen hatten sich beruhigt. Glänzend und klar leuchtete die Sonne vom tiefblauen Himmel auf die Seefahrer hernieder und eine entzückend reine und milde Luft wehete gewürzig über die klaren Wogen. Das Boot mit den Matrosen war schon längst unter dem Horizonte verschwunden und das Wrack legte nicht mehr als etwa eine Meile in der Stunde zurück, da es außer dem Bramsegel auf dem Stumpfe des Fockmastes keine Leinwand mehr führte.
Robinson Hurtig, der wieder auf dem Verdecke stand, beobachtete das Alles, und ging nach einigem Nachsinnen in die Kajüte hinab, um mit Herrn Seagrave ein paar Worte zu sprechen.
»Ich habe mir überlegt, Sir,« sagte er, »daß es wohl gut sein möchte, wenn Sie Juno mit sammt den Kindern ein wenig hinauf schickten. Ihre liebe Frau schläft so süß, daß es Sünde wäre, sie aufzuwecken, und ich fürchte, daß die kleinen Panduren da nicht länger Ruhe halten werden, wenn sie die Kajüte nicht verlassen dürfen.«
Herr Seagrave sah sogleich das Zweckmäßige dieses Vorschlags ein und begab sich mit Juno und den Kindern hinauf. Nur der verständige William blieb bei der schlummernden Mutter zurück, um sogleich zur Hand zu sein, wenn sie erwachen würde.
Juno machte große Augen, als sie die Treppe hinaufstieg und den Zustand des Fahrzeugs, so wie die Abwesenheit der Matrosen bemerkte. Ihr Erstaunen entging Herrn Seagrave nicht. Er erzählte ihr, was vorgefallen war und schärfte dem Mädchen ernstlich ein, kein Wort von Allem seiner Frau zu sagen. Juno gab das feste Versprechen, verschwiegen zu sein, obgleich sie recht wohl das Gefährliche ihrer jetzigen Lage begriff und ihr leichter Sinn sofort der ernsthaftesten Sorge Platz machte. Sie drückte den kleinen Albert mit zärtlicher Liebe an ihre Brust und ging dann still auf die Seite, um ihr schweres Herz durch einen reichlichen Thränenstrom zu erleichtern. Doch weinte das gute Mädchen weniger über sich selbst, als vielmehr über die Gefahr, in welcher Albert, ihr kleiner, prächtiger Liebling, zu schweben schien.
Uebrigens war die Zerstörung auf dem Schiffe so auffallend und in die Augen springend, daß selbst Tommy und Karoline nach der Ursache derselben fragten. Man beruhigte sie jedoch mit wenigen Worten, und gleich darauf sprangen sie heiter und vergnügt mit aller kindlichen Sorglosigkeit auf dem Verdecke umher.
Robinson Hurtig blickte über Bord und bemerkte dort einen Gegenstand, der ihn sichtlich zu erfreuen schien.
»Herr Seagrave,« sagte er, »bitte, schauen Sie einmal dort hinüber. Sehen Sie nichts?«
»O ja,« erwiederte Herr Seagrave, »ein Streifen Seetang schwimmt da umher. Hat er etwas zu bedeuten?«
»Gewiß hat er,« rief der alte Hurtig vergnügt, »denn er ist ein ziemlich sicheres Zeichen, daß wir uns in der Nähe des Landes befinden. Doch hat ein alter Seefahrer noch mehr Zeichen, woraus er auf ein nahes Ufer schließen kann. Sehen Sie wohl jene Vögel da über das Meer hinflattern?«
Herr Seagrave suchte und strengte seine Augen an. Bald entdeckte er die kleinen Vögel und sagte es.
»Gut, lieber Herr,« sprach Robinson, sich vergnügt die Hände reibend, »mögen Sie nun auch wissen, daß diese Vögel sich niemals weit vom Lande entfernen; das ist Alles. Jetzt müssen wir brav aufschauen, um den Rettungsstrand zu entdecken, und Alles wird am Ende besser gehen, als wir denken. Verlieren Sie nur den Muth nicht, Herr Seagrave, und machen Sie es lieber wie die kleinen Kinderchen da, die fröhlich und vergnügt zu unsern Füßen spielen und in ihrer Unschuld weder an Noth noch Gefahr denken.«
Herr Seagrave seufzte, ohne eine Antwort zu geben, und Robinson dachte, es möge wohl gut sein, ihn auf einige Minuten seinen eigenen Gedanken zu überlassen. So sagte er denn, er wolle seinen Quadranten herauf holen, um die Breite auszumessen und sie auf der Karte zu verzeichnen, und verschwand sodann, Herrn Seagrave auf dem Verdecke allein lassend.
Bald versank der geängstigte Vater in ein tiefes, trauriges Nachsinnen. »Was wird aus dir, aus deinen Kindern, deiner geliebten Frau werden?« dachte er. »Den morschen Planken eines halb zertrümmerten Fahrzeugs anheim gegeben, allein auf der endlosen Wüste des trügerischen Oceans, Niemanden zum Beistande und zur Stütze, als einen einzigen alten Seemann, wie wird sich da dein und der Deinigen Schicksal lösen?«
Es dauerte geraume Zeit, bis ein tröstender freundlicher Hoffnungsstrahl seine Seele wieder erleuchtete und die nächste Zukunft weniger düster sich seinem sorgenvollen Gemüthe darstellte.
»Wir müssen uns in Alles ergeben, was des Himmels gnädige und unerforschliche Fügung uns zutheilen wird,« seufzte er endlich. »Ist es Gottes Wille, so werden uns die Wellen an ein rettendes Ufer treiben und auch die Mittel, unser Leben zu fristen, finden sich wohl. Freilich wird es nur ein trübes und einförmiges Leben sein, was wir, entfernt vom Allem, was uns lieb und theuer ist, führen müssen; aber Gott vermag uns auch in die Heimath zurück zu führen, und wie er uns bisher gnädig bewahrte und behütete, so wird er auch ferner über uns wachen und bei jedem Unfalle uns nahe sein. Habe darum Dank, allmächtiger Vater des Himmels, für deine väterliche Fürsorge! Verzeihe mir, wenn ich gegen deine Weisheit murrte und deine Güte bezweifelte, schenke mir Muth und Kraft, jede Prüfung, die du mir noch auferlegen mögest, mit Geduld und christlicher Standhaftigkeit zu ertragen!«
Nach diesem kurzen aber inbrünstigen Gebete fühlte Herr Seagrave sein schweres Herz bedeutend erleichtert und wendete sich ziemlich heiter zu Robinson Hurtig, der so eben, Karte und Quadranten in der Hand, wieder auf das Verdeck herauf stieg.
»Sehen Sie her, Herr Seagrave,« sagte der alte Seemann munter, indem er die Karte auf den Planken des Verdeckes ausbreitete, »da habe ich mit dem Bleistift einen Strich durch die Breite gezogen, in der wir uns eben befinden. Sie werden bemerken, daß er mitten durch diesen Haufen von Inseln hindurch geht. Ich, habe mich also nicht geirrt, als ich vorhin behauptete, daß wir uns in der Nähe der Koralleninseln befänden und es gilt nun, fleißig aufzuschauen, damit wir nicht nachlässiger Weise an dem Lande vorbeisegeln. Weil ich jetzt ein bischen Mittagsessen bereiten will, bitte ich Sie, Herr Seagrave, dieß nothwendige Geschäft einstweilen zu übernehmen. Blicken Sie ja recht fleißig umher, und besonders schauen Sie nach vorn zu, über den Bug hinweg.«
Schnell eilte er nach diesen Anweisungen wieder fort und suchte nach Lebensmitteln umher, die zum Mittagsessen allenfalls passend sein mögten. Bald fand er auch ein gutes Stück eingepökeltes Rindfleisch und einige Erdäpfel, that beides in einen Topf voll Wasser, setzte den Topf zum Kochen über ein schnell angezündetes Feuer und kehrte dann wieder zu Herrn Seagrave zurück, den er, fleißig über den Vorderbug auslugend, auf seinem Posten fand.
»Nun, was haben Sie gefunden?« fragte er eifrig. »Nichts in Sicht?«
»Doch, ich erblicke etwas,« entgegnete Herr Seagrave, »aber ich weiß nicht recht, für was ich es halten soll. Es scheint frei in der Luft über dem Horizonte zu schweben und dennoch können es keine Wolken sein. Seht selbst, alter Freund – dort in der Richtung, die ich mit dem Finger bezeichne, müßt Ihr es finden.«
»Ja, ja, ich seh's!« erwiederte Hurtig mit einem freudigen Lächeln. »S'ist Land, Herr, oder vielmehr, es ist das Spiegelbild von Bäumen, deren Kronen und Wipfel von den glitzernden Wellen zurückgestrahlt werden. Darum sieht's aus, als ob sie in der Luft schwebten. Sie können sich auf mein Wort verlassen, daß eine Insel vor uns liegt. Zu größerer Gewißheit will ich jedoch mein Fernglas herauf holen.«
Geschwind sprang er davon, brachte das Glas, hielt es einige Sekunden lang vor sein Auge und rief: »Land, Sir! Es ist Land! Ueberzeugen Sie sich selbst, wenn's gefällig ist. – Schade ist's nur, daß wir es nicht früher entdeckten,« setzte er, plötzlich sehr ernst und nachdenklich werdend, hinzu.
»Warum das, Hurtig?« fragte Herr Seagrave mit neuer Besorgniß.
»I nun, blos deßhalb, weil sich das Wrack so langsam fortbewegt, daß ich fürchten muß, jenes Eiland nicht vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Uebrigens kann ich mich auch irren und es ist nicht unmöglich, daß der Wind, der jetzt sehr schwach weht, gegen Abend mehr auffrischt. Gut wär' es, wenn wir bei Tage hin gelangten, blos damit ich einen recht schönen Landungsplatz für uns auswählen könnte. Vor der Hand will ich aber auf jeden Fall dem Schiffe die gerade Richtung nach der Insel geben, die uns zu so gelegener Zeit aus dem Meere auftauchte. Es war hohe Zeit dazu.«
»Wie so?« fragte Herr Seagrave. »Ihr sagtet doch, Alter, daß wir ...«
»Ja, ja, ich sagte's,« unterbrach ihn Robinson schnell, »aber ich war im Irrthum, als ich es that. Während ich vorhin im Raume unten nach einem hübschen Stück Fleisch zum Mittagessen suchte, bemerkte ich mit Schrecken, daß seit heute Morgen das Wasser höher gestiegen ist, als ich mir irgend träumen lassen konnte, und leider muß ich nun annehmen, daß sich unser Wrack kaum noch vier und zwanzig Stunden über Wasser halten wird. Danken wir daher dem Herrn für seine Barmherzigkeit, der uns das Rettungsufer zeigte, ehe denn es zu spät war.«
»Amen!« fiel Herr Seagrave ein, indem er andächtig die Hände faltete und einen Blick voll heißer Dankbarkeit zum Himmel emporsandte.
Hurtig schritt jetzt nach dem Hintertheile des Schiffes und brachte das Steuer in die nöthige Richtung. Als sich nun das Wrack der Insel mehr näherte, bemerkte er zu seiner freudigen Ueberraschung sehr bald, daß er die Entfernung bis zu derselben bei weitem zu hoch geschätzt hatte, und entnahm daraus die beste Hoffnung. Das Eiland zeigte sich als eine Koralleninsel, deren sehr niedriges Ufer von Kokosbäumen bedeckt war, die früher in der Luft zu schweben schienen, jetzt jedoch sich mehr und mehr mit dem Lande vereinigten.
Zum Glück sprang auch eine frische, günstige Brise auf und trieb das Schiff mit ansehnlich vermehrter Schnelligkeit vor sich her.
»Alles geht gut, Herr Seagrave,« sagte nach einer Weile mit fröhlichem Muthe der alte Hurtig, der häufig das Steuerrad verließ und, nach vorn gehend, achtsam umherschaute. »Das Schiff schwimmt wie eine Ente und wir sind kaum noch zwei oder drei Stunden von der Insel entfernt. Jetzt kann ich schon so ziemlich den Weg, den wir einzuschlagen haben, erkennen und will Ihnen meine Gedanken darüber, so gut es geht, deutlich machen.
Wie Sie sehen, nähern wir uns der Luvseite des Eilandes, woselbst man bei dieser Art Inseln durchgängig tiefes Wasser findet. Auf der Leeseite würden's Sandbänke und Klippen sein. Nothwendiger Weise müssen wir nun zwischen den Korallenklippen einen Kanal aufzufinden suchen, in welchen wir das Schiff hineinbugsiren können, bis es ganz und gar oder doch wenigstens mit dem Vordertheile so eingeklemmt ist, daß es nicht mehr in das tiefe Wasser zurücksinken kann, wenn es einmal auf dem Grunde gestrandet ist. Denn dieß wäre übel, da diese Inseln zuweilen wie eine Mauer senkrecht aus dem Meere aufsteigen und in der Nähe des Ufers sich gewöhnlich eine Wassertiefe von vierzig bis fünfzig Faden findet. Ich bemerke schon einen Punkt, wo wir anlanden können ohne Gefahr zu laufen; nämlich dort bei den drei Kokosbäumen, die, zu einer kleinen Gruppe vereinigt, ganz dicht an dem Strande aufgeschossen sind. Gerade auf diesen Punkt müssen wir zuhalten. Vom Steuer aus kann ich ihn aber leider nicht recht deutlich sehen und bitte Sie deßhalb, sich auf das Vordertheil des Schiffes zu verfügen und mir durch Zeichen anzudeuten, wie ich zu steuern habe. Steure ich zu weit rechts, so heben Sie den rechten, zu weit links, den linken Arm in die Höhe. Ist der Schiffsschnabel aber in guter Richtung, so lassen Sie beide Arme in natürlicher Lage herabhängen. Haben Sie mich verstanden, lieber Herr Seagrave?«
»Vollkommen, Hurtig,« erwiederte dieser und ging sogleich vorwärts, um dem wackeren Seemanne für eine kurze Zeit als Wegweiser zu dienen.
Sie näherten sich nun der Insel mit jedem Augenblicke mehr. Als sie noch etwa eine Viertelstunde vom Ufer entfernt waren, entdeckte Hurtig, daß sich die Farbe des Meerwassers veränderte, und freute sich sehr darüber, indem er aus diesem untrüglichen Zeichen mit Sicherheit schließen konnte, daß die Windseite dieses Eilandes nicht so steil abfiel, als es sich bei andern Inseln von ähnlicher Bildung vorfand. Gleichwohl aber war es ein athemloser und tief erschütternder Moment, als sie nun gerades Weges auf die Bucht zuliefen und die Entscheidung über ihr künftiges Loos an einem Haare zu schweben schien.
Bis auf Kabellänge waren sie herangekommen und noch schwamm das Schiff ungehindert auf dem Wasser entlang. Hurtig ward sichtbar ängstlich und befangen. Jetzt aber, noch ein Paar Faden weiter, knirschte und krachte es in der Tiefe unter dem Kiele – die Spitzen der Korallenbäume, welche gleich dichten Wäldern in tausend Verzweigungen unter dem Wasser wachsen, brachen zusammen; – das Schiff schwankte einen Augenblick, blieb zitternd stehen, schoß wieder vorwärts – und abermals klang das Knirschen und Brechen aus der Tiefe des Meeres herauf. Noch ein Stoß folgte, wieder einer; und jetzt endlich, als die Brandung das Wrack sicher dem Ufer zu hinauf schleuderte, vernahm man ein gedämpftes heftiges Geprassel, ein kurzes Krachen des Schiffes, und dann lag dieses still und unbeweglich fest auf dem Meeresgrunde, ein mastenloses, gestrandetes, verlorenes Wrack.
Robinson Hurtig verließ das Steuer, blickte über den Stern und die Seitenwände des Fahrzeugs in das Wasser, und erkundete sogleich, daß sie vorn und hinten fest auf einer Korallenbank aufsaßen.