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22. Kapitel.
Uebersiedelung.

Als Hurtig in der Bucht angelangt war, befestigte er das Boot am Strande und ging nach den Zelten hinauf. Er fand alle Mitglieder der Familie versammelt, wie sie aufmerksam auf Williams Erzählung von den beseitigten Arbeiten und den verschiedenen erlebten Abentheuern lauschten. Da Hurtig jedoch zu ihnen trat, berieth man sich sogleich über die Anstalten und Vorkehrungen für den folgenden Tag, und trennte sich dann für diese Nacht, um die nöthige Ruhe in den Betten aufzusuchen. Nur Hurtig und William blieben noch wach, bis es völlig dunkel geworden war, um die Hühner zu fangen und ihnen die Füße zusammen zu binden, damit sie ohne Umstände morgen im Boote untergebracht werden könnten.

Bei Tagesanbruch schlug Hurtig wieder Allarm. Alle wurden aufgeweckt und mußten sich ankleiden, damit Hurtig das Zelt, in welchem Madame Seagrave mit Juno und den Kindern geschlafen hatte, abbrechen und zu seiner ferneren Bestimmung fortschaffen konnte. Für eine kurze Zeit herrschte nun überall Verwirrung. Die Männer und Knaben erhoben sich von ihrem Lager unter den Kokosbäumen, wo sie die Nacht zugebracht hatten, und die Uebrigen krochen noch halb im Schlafe aus dem Zelte heraus. Bald aber hatte Madame Seagrave sich und die Kinder angekleidet, und Alles so weit vorbereitet, daß man das Zelt abnehmen und nebst allen Betten in das Boot bringen konnte. Gleich nach beendigtem Frühstück wurden auch noch Teller, Messer, Gabeln und sonstige derartige Kleinigkeiten hineingeschafft, und die Hühner auf alles Gepäck obenauf gelegt; und nun endlich ging auch Hurtig an Bord, um die ganze Ladung mit günstigem Winde nach dem neuen Wohnorte zu schaffen.

Nach Robinsons Abreise machte sich die übrige Gesellschaft zum Marsche durch den Kokoswald fertig. William mit den drei Hunden, die lustig zu seinen Füßen umhersprangen, machte den Zugführer. Herr Seagrave, den kleinen Albert auf dem Arme, folgte. Juno trug die kleine Karoline, und Madame Seagrave führte den leichtsinnigen Tommy an ihrer Hand, welcher jedoch mit stolzer Würde behauptete, daß er seiner Mutter das Geleit gäbe und nur zu ihrem Schutze an ihrer Seite einherginge.

Nicht ohne eine stille, wehmüthige Empfindung sagten sie ihrem bisherigen Wohnorte, der sie als ein rettender Strand aufgenommen hatte, Lebewohl, und sahen mehr als einmal nach der Bucht zurück, wo noch immer einzelne Trümmer des Wracks von den Wellen hin und her getrieben wurden. Endlich aber betraten sie das Dickicht des Waldes, welches ihnen jede Aussicht versperrte, und schritten nun langsam unter der stillen und majestätischen Säulenhalle der hohen Palmen entlang.

Hurtig steuerte indessen auf den Landungsplatz zu, und befand sich in weniger als zwei Stunden nach seiner Abfahrt am Ufer. Er hielt sich jedoch nicht damit auf, seine Ladung über Bord zu schaffen, sondern begab sich vor allen Dingen zu der am gestrigen Abende gefangenen Schildkröte, tödtete sie und nahm sie an Ort und Stelle gleich aus. Darauf machte er ein tüchtiges Feuer auf dem Herde an, scheuerte eine Bratpfanne sauber, füllte sie mit Wasser, und setzte sie auf den Herd zum Kochen. Nun schnitt er ein tüchtiges Stück von der Schildkröte ab, that es mit einigen Schnitten eingesalzenen Schweinefleisches in die Pfanne, deckte diese zu, und hing sodann den Rest der Schildkröte an einem schattigen, kühlen Orte unter den Bäumen auf.

Jetzt erst, nachdem dieß Alles sorgfältig besorgt war, ging er wieder zu dem Boote, um die Ladung an's Land zu bringen, und befreite vor allen Dingen die gefesselten Hühner von ihren Banden. Die Beine der armen Vögel schienen von dem Schnüren ganz steif geworden zu sein; denn anfänglich taumelten sie wie trunken hin und her, erholten sich aber nach und nach, und suchten nun eifrig nach Futter umher, was sie auch überall in reichlichem Maße fanden.

Hurtig brachte nun ein Stück nach dem andern von seiner übrigen Ladung auf das Ufer. Zuerst schaffte er die Messer, Gabeln und Teller heraus; dann das Zelt; dann verschiedene Sparren und Holzpflöcke; dann endlich die Betten und Matratzen, und schleppte Alles auf den ziemlich entfernten Lagerplatz, ohne der vielen Schweißtropfen zu achten, welche die mühsame Arbeit perlend auf seine Stirne streute. Von Zeit zu Zeit sah er auch nach seiner Pfanne, untersuchte die Schildkrötensuppe und schürte das verlöschende Feuer wieder an. So vergingen ein paar Stunden, und der alte Mann setzte sich endlich nieder, um ein wenig der Ruhe zu Pflegen.

»Nun wäre es nachgerade Zeit,« dachte er, »daß sie kämen. Ueber zwei Stunden müssen sie schon unterwegs sein, und meine Suppe wartet. Freilich aber sind die Kinder dabei, und da gibt's wohl von Zeit zu Zeit ein wenig Aufenthalt. Man muß Geduld haben.«

Er wartete noch eine Viertelstunde, und noch eine, sah wieder nach seiner Suppe und wieder auf den Weg hinüber, den die Freunde kommen mußten, und ward endlich wirklich ein wenig besorgt. Plötzlich aber kamen bellend die drei Hunde angesprungen, und tanzten schmeichelnd um den alten Mann herum.

»Na, wo die Hunde sind,« rief er vergnügt, »da können die Uebrigen auch nicht mehr ferne sein!«

Und richtig langte auch nach einigen Minuten die ganze Gesellschaft, aber sehr erhitzt und ermüdet, an. Sie war durch mancherlei Umstände aufgehalten worden. Die kleine Karoline hatte die ganze Strecke Wegs getragen werden müssen, da sie des Gehens immer sehr bald müde geworden war; Madame Seagrave, noch immer ein wenig matt und kränklich, hatte zuweilen ein wenig ausgeruht, und unser Tommy besonders hatte viel Aufenthalt und Aergerniß verursacht. Bei der Mutter wollte er nicht lange bleiben, sondern lief bald vorwärts, bald rückwärts von Einem zum Andern. Da wurden denn natürlich seine schwachen Kräfte bald erschöpft und er wollte getragen werden. Weil das nicht anging, so schrie und lärmte er so lange, bis man um seinetwillen Halt machen und ausruhen mußte. Beim Weitergehen beklagte er sich wieder über Müdigkeit und that so jämmerlich und erbärmlich, daß ihn endlich William aus Mitleiden auf die Schultern hockte und so fortschleppte. Dabei verfehlte aber der kleine Wegweiser die bezeichneten Bäume, die ganze Gesellschaft lief in der Irre umher, und es gab viel Noth und Angst, bis man den richtigen Pfad wieder aufgefunden hatte. Mittlerweile war der kleine Albert hungrig geworden und schrie; Karoline fürchtete sich vor dem großen, dichten Walde, und weinte; Tommy aber brüllte noch ärger, als alle Beide, weil William ihn nach einiger Zeit nicht mehr zu tragen vermogte. Da gab es denn wieder Aufenthalt. Jeder mußte jedoch aus Williams Wasserflasche einen tüchtigen Zug thun, seine verlorenen Kräfte durch Ruhe wieder ersetzen, und endlich von Neuem vorwärts marschiren. Ein wenig besser, als früher, ging es nun; aber dennoch kamen sie endlich so erhitzt und erschöpft an, daß Madame Seagrave mit den Kindern vor allen Dingen in das Zelt gehen und ein wenig ausruhen mußte, ehe sie im Stande war, ihren künftigen Aufenthaltsort betrachten und bewundern zu können.

»Na, Hurtig,« sagte Herr Seagrave mit einem tiefen Seufzer, als er den kleinen Albert wieder der Obhut Juno's übergeben hatte, »die heutige Reise war ein sonnenklarer Beweis, daß wir ohne Euren Beistand so hilflos, wie Kinder gewesen sein würden.«

»Ich bin froh, daß Sie hier sind, lieber Herr,« erwiederte Hurtig. »Mir ist durch Ihre Ankunft eine wahre Last von der Seele genommen, und nun wird's wohl besser gehen. Ich denke, daß Sie nach einiger Zeit recht bequem hier leben werden, obgleich vor der Hand noch viel zu thun ist. Für heute freilich wollen wir uns begnügen, unser Zelt aufzuschlagen; aber morgen muß wieder scharf gearbeitet werden.«

»Wollt Ihr morgen wieder nach der Bucht drüben?« fragte Herr Seagrave.

»Gewiß,« lautete Robinson's Antwort. »Wir brauchen hier noch einen Theil unserer Vorräthe, und ich will daher Ochsen- und Schweinefleisch, Mehl, Erbsen und eine Menge anderer unentbehrlicher Bedürfnisse, herüber holen. Drei Fahrten, denk' ich, sollen genügen, unser Vorrathslager zu leeren, und das Uebrige, was dem Verderben nicht ausgesetzt ist, schaffen wir späterhin nach Gelegenheit und Belieben herbei.«

Herr Seagrave schaute sich nun nach seiner Frau um und trat in ihr Zelt. Er fand sie ziemlich wieder erholt; die Kinder aber lagen in den Betten, und schliefen fest. Eine halbe Stunde wartete man noch, und ließ sie schlafen; dann aber wurden Tommy und Karoline geweckt, damit sie alle am Mittagsessen Theil nehmen konnten.

»Alle Wetter!« rief William überrascht, als Hurtig den Deckel von seiner Pfanne nahm; »was haben wir da für einen Leckerbissen?«

»I nun,« erwiederte Robinson lächelnd, »es ist ein Gericht, das ich zum allgemeinen Besten bereitet habe. Ich weiß, daß Ihr Alle des ewigen Pökelfleisches müde seid, und so sollt Ihr denn nun einmal tafeln, wie ein Bürgermeister!«

»Aber was ist es, Hurtig?« fragte Madame Seagrave. »Es riecht vortrefflich.«

»Es ist eine Schildkrötensuppe, liebe Madame Seagrave,« erwiederte Robinson; »und ich denke, sie wird Ihnen schmecken. Behagt sie Ihnen, so sollen Sie das Gericht öfter bekommen, nun wir auf dieser Seite der Insel sind.«

»Ei, sie schmeckt herrlich,« sagte Madame Seagrave. »Nur ein wenig Salz fehlt. Hast du nicht etwas Salz, Juno?«

»Nur sehr klein Wenig, ganz klein bischen!« antwortete Juno.

»Oh, das ist schlimm,« seufzte Madame Seagrave. »Was sollen wir da anfangen, wenn all' unser Salz verbraucht ist?«

»Nun, Juno muß mehr holen,« erwiederte Hurtig lachend.

»Ich Salz holen?« fragte Juno, verwundert den alten Robinson anblickend »Wo Salz holen? Juno kein Salz haben.«

»Dort ist genug, altes Mädchen,« erwiederte Hurtig, auf das Meer deutend.

»Ich nicht sehen Salz,« sagte Juno ernsthaft, und schüttelte den Kopf.

»Was meint Ihr eigentlich, Hurtig?« fragte Madame Seagrave.

»I nun, ich meine nur,« sagte Robinson, »daß wir Salz bekommen können, so viel wir wollen, wenn wir Seewasser im Kessel einkochen lassen, oder eine Salzpfanne in den Felsen einhauen, wo die Sonne das Wasser austrocknet und das Salz zurückläßt. Die Sache ist ganz einfach, und ich will in diesen Tagen Alles anordnen, damit Juno Salz holen kann, so oft es in der Küche daran mangelt.

»Nun, das ist schön,« sagte Madame Seagrave. »Ich war schon bange, daß wir künftighin alle unsere Speisen ungesalzen verzehren müßten, und da wäre uns der Mangel dieses notwendigen Gewürzes gewiß recht fühlbar geworden. Uebrigens hat mir lange kein Mittagsessen so vorzüglich gemundet, als das heutige, und ich danke Euch deßhalb herzlich für Eure Fürsorge, guter Robinson.«

Die Suppe ward allgemein für ganz vortrefflich erklärt, und Tommy verlangte so oft davon, daß ihm die Mutter endlich keine mehr geben wollte. Nach beendigter Mahlzeit blieb Madame Seagrave bei den Kindern; Hurtig aber und die Uebrigen schlugen das Zelt auf, und trafen die nöthigen Anstalten zu einem guten und bequemen Nachtlager. Darauf versammelten sie sich wieder kurz vor Anbruch der Nacht, dankten gemeinschaftlich Gott in innigem Gebete für seinen väterlichen Schutz im Laufe des Tages, und streckten dann ihre ermatteten Glieder zu einem behaglichen und ungestörten Schlummer aus.

*


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