Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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27

Auf Westerhusen hatte der Bauer die Milchkühe zum ersten mal ins junge Gras gelassen, da bog Hein Möller mit Mohrs großem Landauer, worin die beiden erwarteten Herren, der Justizrat und der Propst, saßen, in das Hoftor ein. Und alles sah, als sie kamen, friedlich, gewissermaßen feierlich aus. Der weite Platz vor der Tür war, was man früher nicht immer sagen konnte, rein gefegt, die alten Eichenkronen sahen gefälliger herab als sonst. Und wie der ganze Hof, so waren auch Hinnerk und Maleen, obgleich es ein Wochentag war, sonntäglich gekleidet, und sonntäglich gesonnen erwarteten sie vor der grün gestrichenen, mit Säulen geschmückten Haustür ihre Gäste.

Nach einigen Stunden fuhr der Wagen wieder davon, da war es geschehen, da hatte der Notar die vorschriftsmäßig vollzogenen Urkunden in amtlicher Verwahrung. Der von Hinnerk erwogene Plan war in einer milden Stiftung verwirklicht worden, an deren fein abgewogenen Bestimmungen der Justizrat und der Propst in gleicher Weise beteiligt waren. Hinnerk hatte alles, was ihm von dem Lotterieschatz verblieben war, dieser Stiftung überwiesen. Die Verwendung der Einkünfte diente den Armen und Bedürftigen, sie werden ohne Verzug beginnen, Segen auszugießen. Für des alten Hargens Zukunft ist gesorgt.

Gemächlich fuhr der Wagen zur Höhe hinan, hinter den Reisenden ein roter Abendhimmel, vor ihnen der Wald und sein großes Schweigen.

In Westerhusen wuchern die Dornen an Knick und Hecke, die Brut der Sänger zu hegen. Deshalb ist es auch wegen seiner Nachtigallen berühmt; wo ein paar Eichen und Buchen den Hausfrieden bewachen, rollen die Schlager herab.

Vor dem Wald hielt Hein Möller an, die Wagenlaternen anzuzünden, dann zuckelten die Pferde im Zwielicht der Kreuzstrahlen einher. Denn im Wald war es dunkel, nur in dem Streifen, der über dem Weg zwischen den hohen Laubkronen frei blieb, glänzten die Sterne auf.

Die beiden Freunde schnitten die alte Frage an: ›Ist des Menschen Charakter veränderlich?‹ Der Notar neigte dazu, sie zu verneinen, war aber nicht vermessen genug, das Rätsel unsrer Seele auf eine Gedankenspule zu zwängen, die im besten Fall von derselben Seele in Tätigkeit gesetzt wird.

»Ich denke mir, im Bild zu reden, die Sache so. Es könnte sein wie bei dem, was die Erde hervorbringt. Im Waldesschatten kann nur gedeihen, was wenig Licht braucht oder gar nur wenig Licht verträgt. Den Samen streut die Natur ja überall hin. Man haue aber die Stämme ab, lasse Luft und Wärme auf den Boden fallen, sofort schießen die Sonnenkinder der Blumen und Gräser auf. Und der Grund und Boden bleibt dabei der alte. Mit dem Menschen mag es ähnlich sein. Er ist und bleibt der, der er war. Aber man haue die Hölzer weg, die seine Seele trüben, lasse Licht hineinfluten und Liebe, und – siehe! die Sonne zeitigt wärmere, von Licht und Farbe gesättigte Gedanken. Und sind erst die Gedanken da, dann folgen die guten Taten nach. Die Theologie sagt dann: Es kam Gottes Reich. Ist es nicht so?«

»Es ist ein Bild«, erwiderte der Propst.

Der Justizrat wandte sich zum Kutschersitz. »Hein!« rief er. Hein Möller machte langsam halblinks Kehrt.

»Wat meent Se, Hein? Kann man sik betern?«

Eine halbe Minute fuhr Hein Möller weiter, es war zweifelhaft, ob er gehört hatte; dann drehte er sich au seinem Kutschbock herum und antwortete:

»Ich weiß nicht, Herr Rat. As ich beim Kommiß weer, da hatten wir einen in unsrer Kompagnie, der konnte nichts liegen lassen, wenn es nicht gerade ein Mühlstein war. Zu dem hab ich ümmers gesagt: »Fritz, beter di!« Hat das abersten nicht getan, er ist im Zuchthaus gestorben. Und als ich im Hannoverschen diente, da wurde beim Amtsgericht ein Vagabund eingeliefert, hatte nicht viel auf der Liste, einen kleinen Diebstahl, sonst immer nur gebettelt und Land gestrichen. Er hatte ein nettes Wesen an sich und konnte wunderschön schreiben, da nahm ihn der Sekretär, als er seine Strafe abgesessen hatte, als Schreiber an. Und es ging wunderschön, alle Leute sagten: der hat sich gebetert. Und nach Jahren freite er eine junge Witwe, und die hatte auch noch ein Haus. Und war allgemein beliebt, und in den Vereins- und Singstunden, so man Liedertafeln nannte, führte er das große Wort. Der hat sich gebetert, sagte die ganze Stadt und sagte es immer wieder. Aber als zwei Jahre um waren, da hieß es auf einmal: Koslowski (so hieß nämlich der Mann) Koslowski ist weg. Und so war es auch. Es war um die Zeit, wo die Lerchen anfangen zu singen, da war er wieder auf die Landstraße gegangen. Und das nicht allein. Die Koffer seiner Frau hatte er erbrochen und alles Geld mitgenommen und des Gerichtssekretärs Sommerüberzieher, der im Vorzimmer des Bureaus hing, auch. Da stellte sich heraus: es war gar nicht wahr, als wir glaubten, er sei beter geworden, denn im Grunde hatte er sich gar nicht gebetert.«

Eine kleine Weile sagte Hein Möller nichts. Dann fing er noch einmal an:

»Wir haben bei Fuhrhalter Mohr mal einen Wallach gehabt, der war Krippenbeißer, der kriegte eine Krippe aus hartem Zement. Darauf hat er sich einen Zahn ausgebissen. Der hat sich auch nicht gebetert. Aber was der da ist, der Swarte (Hein winkte sachte mit der Peitsche nach dem Handpferd hinüber) der war, als wir ihn kriegten, bang vor der Eisenbahn. Da bin ich eine Woche lang mitn nachn Bahnhof gefahren. Nun macht er sich gar nichts daraus und geht mang die Dampfers, als wären es Heuwagen. Der hat sich gebetert.«


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