Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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3

Nicht nur Hein Möller glaubte, daß Peter Schmidt viel Geld gewonnen habe. Es war wirklich so, Peter Schmidt war durch einen Glückszufall ein begüterter, nach bäurischer Schätzung ein reicher Mann geworden, und es war in der Gegend bekannt, obgleich et und Hinnerk sich die größte Mühe gegeben hatten, es zu verheimlichen.

Ein hausierender, auf den Namen Nathan nicht getaufter Mann, war der Urheber dieses Glücks. Er hatte das Los angeboten, Peter hatte es erst zurückgewiesen und schließlich widerwillig genommen. Nicht lange darauf war Nathan mit der Nachricht des schier märchenhaften Glücks wiedererschienen. Und als die Glücksmär gekommen, waren die beiden Brüder in aller Stille zur Stadt gefahren, hatten den Schatz gehoben, in preußische Konsols umgesetzt, in ein eisernes, feuerfestes Kistchen hineingetan und das Kistchen nächtlich und heimlich unter Peter Schmidts Bettstelle in einem dazu hergerichteten Hohlraum verborgen. Nur dem Auge eines, der darum weiß, konnte der scharfe Sägeschnitt in den Dielen auffallen.

Was mit dem Schatz geschehen solle, wenn Peter die Augen zumache, darüber waren die Brüder seit Peters Krankheit einig. Hans, der nach Amerika ausgewanderte Bruder, (im übrigen mag er seinen Teil erben) sollte von diesem Glücksfall nichts abhaben. Einem Rechtsgelehrten wäre bei dieser Verabredung aufgefallen, daß durchaus zweifelhaft gelassen wurde, ob eine Verfügung unter Lebenden oder eine solche von Todes wegen beabsichtigt sei. Er hätte auch wohl darauf aufmerksam machen mögen, daß das Gesetz dabei den Formen Wichtigkeit beilege. Aber das wußten weder Hinnerk noch Peter, und daran dachten sie nicht.

»Das Geld ist dein«, so drückte Peter sich aus, wenn darauf die Rede kam, »die Kiste auch. Und wenn ich die Augen zumache, dann trägst du sie gleich nach deinem Hause hinüber. Das braucht keine Obrigkeit und kein Gericht und kein Mensch zu wissen.«

»Ja, Bruder«, hatte Hinnerk geantwortet, »dann trag ich es gleich hinüber.«

»Nicht wahr, Hinnerk, das Loch, wo das hinein soll, hast du fertig?«

»Das ist in der Reihe«, antwortete Hinnerk dann.

So hatten sie es oft besprochen.

Die nicht mehr junge Abel Fehrsen, die dem kranken Peter den Hausstand führte, wird, so lange ihr Herr lebt, bei ihm bleiben. Für sie sind Gelder auf der Sparkasse belegt, das ist in Ordnung.

Es war also, wie beide Brüder die Rechtslage auffaßten eigentlich kein Grund, ein Testament zu machen. Es wäre das sicherlich gar nicht in Frage gekommen, wenn der Justizrat nicht die Erbschichtung in Bültenbrooksdamm zu erledigen gehabt hätte. Vielleicht sei es gar kein glücklicher Einfall gewesen, ihn zu bestellen – dachte Hinnerk Schmidt, als er nach dem Gartenhaus hinüberschritt.

Von dem Lotteriegewinn sollte der Amerikaner nichts haben. Peter und Hinnerk waren rechtliche Leute; jemand um das zu verkürzen, was ihm zukam, das fiel ihnen nicht ein. Auch Hans, so schlecht er und seine Frau auch gehandelt hatten, sollte alles haben, was er als Sohn des Hauses erwarten und beanspruchen konnte, und wenn es auch nur mittelbar vom Hofe kam. Mithin sollte er seinen redlichen Teil von Peters Hausvermögen erben. Aber nicht von dem Lotteriegewinn. Was hatte der Lotteriegewinn mit dem Hof zu tun? Der Lotteriegewinn war Peter aus Himmelshöhen durch Gottes Ratschluß in den Schoß gefallen, das war ein Geschenk Seiner Liebe, und als ein Geschenk der Liebe sollte er weitergegeben werden. Der gebührte nur dem, den der Schenker wirklich mit Liebe umfaßte. Wenn man nun auch seinen leiblichen Bruder nicht gerade hassen konnte und hassen wollte... warme Liebe war doch was anderes als das, was man für Hans fühlte.

Der Gedanke, ein Testament zu machen, war nur nebenbei mitgenommen worden, als man gehört hatte, der Justizrat komme nach Bültenbrooksdamm... war mitgenommen worden, um ganz sicher zu gehen, um etwas zum Aufweisen zu haben, wenn Hans sich melden sollte.

An die Kosten hatte man kaum gedacht, die konnten doch nicht aller Welt sein. Nun aber kam Maleen mit dem Stempel und mit der Steuer, und das fiel Hinnerk schwer aufs Herz, namentlich tat es die Erbschaftssteuer, die er bisher ganz übersehen hatte.

Zwischen dem Bauernhaus und Peters Kate lag der zum Verlehntshaus gehörige Garten, hüben und drüben gingen Pforten von den Hofstellen hinein.

Hinnerk ging durch den Garten und dachte an die Kosten. Und ob es wirklich nötig sei, eine Urkunde zu machen, und ob das alles nicht gespart werden könne. Wenn er den Kasten gleich nach Peters Verscheiden hinübertrage, sei ja alles in Ordnung. Ob Kosten und Steuer nicht wirklich gespart werden könnten? Und es fiel ihm ein, daß die Geschwister nach Prozenten zahlen müßten.

Zu Hause hatte er einen sogenannten Volksanwalt, einen Rechtskalender, der zwar nicht für Hinnerks Provinz, sondern für das Gebiet des preußischen Landrechts abgefaßt war, daher hier nicht galt. Hinnerk wußte das aber nicht und holte sich fleißig Rat aus dem ›preußischen‹ Rechtskalender, wenn er über sein Recht Auskunft haben wollte. Er beschloß, gleich nach seinem Haus zurückzukehren und wegen der Erbschaftssteuer nachzusehen.

Seine Hand lag schon, als er das dachte, auf dem Türdrücker der Kate. Peters Haushälterin saß nahend am Fenster, er klopfte an die Scheiben und teilte ihr mit, der Justizrat komme um acht Uhr, er wolle noch was nachsehen, nachher kehre er gleich ein. Dann ging er, immer in Gedanken, nach seinem Haus zurück. Er glaubte mal gehört zu haben, daß Vollgeschwister zwei Prozent zahlten. Das wäre ja fürchterlich! Nun, Hinnerk hat ja das Buch und wird sehen.

Die Dienstmädchen waren noch beim Melken, das Haus schien menschenleer. Der Bauer ging über Diele und Vordiele in eine nach dem Garten hinaus belegene Hinterstube. Sie war, als Hinnerk noch Junggeselle war, seine Schlafstube gewesen, dort hatte ihn das Schicksal schwach gesehen, jetzt barg sie außer dem neuen Sielengeschirr seine Bibliothek. Selten kam jemand hinein, und noch seltener wurde gelüftet.

Die Bibliothek stand auf einem kleinen, an einer Schnur aufgehängten Bücherbrett: Bibel und Gesangbuch, die holsteinische Wasserlösungsordnung, die er bei einer Vorflutstreitigkeit angeschafft hatte, ein Punktierbuch, ein Vieharzneibuch, ein Hausschatz allgemeinen Wissens, ein Predigtenbuch von dem Generalsuperintendenten Jensen, eine Gesindeordnung und endlich der Rechts- und Kostenkalender.

Über dem Bücherbrett an einem eisernen Wandhaken, der früher das Bort der längst in Scherben gegangenen Suppen- und Punschterrinen seiner Großeltern getragen hatte, hing das gut eingefettete Sonntagsbuggeschirr des Stuhlwagens, doch lagen die Halskoppeln und Zäume auf einem gewölbten, grün lackierten, die Leinenschätze enthaltenden hohen Koffer.

Hinnerk mitn Fellerbüdel nahm den Rechtskalender, suchte lange Zeit, suchte darauf im Register und fand schließlich das, was er suchte. »Vollgeschwister zahlen zwei Prozent«, sagte der Rechtskalender. Und darauf konnte Hinnerk sich verlassen, denn in diesem Punkte gab es ein allgemeines preußisches, alle Provinzen umfassendes Recht.

Zwei vom Hundert! Hinnerk wurde in Gedanken ganz blaß, faßte sich aber, nahm das Buch und stellte es aufs Brett zurück.

Er stand mitten in der Stube und sah, ohne sich bewußt zu werden, was er sah, auf einen alten, schwarz eingerahmten, die Himmelfahrt Christi darstellenden Holzschnitt, der an der Wand hing. Das Bild war alt und vergilbt und stockig, der Rahmen undicht geworden. Staub und Feuchtigkeit waren unter die Glasdecke gedrungen und hatten eine Zeichnung aufgetragen, farbig nicht schön, denn es sah aus, als sei Kaffeesatz darüber hergelaufen, in den Linien aber kühn: eine Gebirgswand mit vielen Schroffen und Zinken.

Hinnerk sah es und dachte an die Tausende, die in Peters Geldkiste schlummerten, an die Gebühren und an die zwei Prozent, und fragte sich, ob es nicht eine Dummheit gewesen sei, den Justizrat zu bitten. Je länger er stand und auf die kühnen Linien der Kaffeesatzzeichnung sah, desto gewisser wurde es für ihn, daß ein Testament nicht allein nicht nötig, sondern sogar schädlich war.

»Ja, das ist so«, sprach Hinnerk Schmidt für sich und wollte eben zu seinem Bruder zurückkehren, als die alte Abel, so eilig wie sie konnte, über die Diele geschräkelt kam und ihm sagte, Peter lasse ihn bitten, gleich zu kommen.

»Ik komm forts«, antwortete er. Er holte Abel noch im Steig des Verlehntsgartens ein.


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