Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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20

Und alles trug dazu bei, daß Hinnerk fester als je entschlossen war, auf seiner Bahn bis ans Ende gradeaus zu fahren und alles von den Schienen zu werfen, was sich ihm entgegenstelle.

Es dauerte nicht lange, da wurde Hinnerk zur Ableistung des Offenbarungseides vor das Amtsgericht geladen. Das war ihm ganz recht. Je eher, je lieber! Er fühlte sich ganz fest, als rechtlicher Mann konnte er gar nicht anders. Seine Frau befestigte ihn in der Überzeugung, wenn sie der Schwägerin nachmachte – »Adjüs gewn, dor bin ik jo al mit klar – dat kunn se mal stolt rutbringen und denn frie ut de Dör gahn.«

Einmal, zweimal, mehrere Male stieg es in Hinnerk Schmidts Seele auf: Frag den Justizrat! Aber solche Gedanken dachte er wieder hinweg, er wollte keine Hemmungen. Eine Lokomotive kann freilich viel beiseite werfen, ist aber die Masse zu schwer, dann wird sie aus der Bahn geworfen. Hinnerk Schmidt wollte sich aber nicht aus der Bahn werfen lassen.

Bei seiner Terminsfahrt zur Stadt traf er in der Ausspannwirtschaft Ferdinand Lucht. Der erzählte ihm, beim Appellgericht habe er nun doch noch um 1333[1/3] Mark und ein Viertel der Kosten verspielt. Alles, was über 4666[2/3] Mark hinausgehe, sei nicht gültig geschenkt gewesen, da dafür die Protokollierung bei Gericht nötig.

Hinnerk Schmidt hörte es an, aber sein auf Schienen daherrollender Entschluß warf es auf die Seite.

Bevor er den Eid leistete, stellte Rechtsanwalt Rau einige Fragen. Die zerbrachen wie Glas. Rau hatte rote Haare, der Umstand bestärkte Hinnerk Schmidt merkwürdigerweise in der Überzeugung, daß er selbst im Recht sei, und erinnerte ihn an den Prozeß, den Peter Hoops mit dem Juden Elias wegen eines kupfernen Kessels geführt hatte. Dessen Sieg war von einem Eid, den er, Peter Hoops, schwören sollte, abhängig gemacht. Als Peter die Wahrheit bei Gott, dem Allwissenden und Allmächtigen, beteuert hatte, sprang Elias vor und rief: »So, Peter, nu bist du deine Seele los« – worauf Peter griente und trocken antwortete: »Und du din Ketel.«

Hinnerk Schmidt wußte, es sei noch nie ein Eid mit besserem Gewissen geschworen worden als der, den er jetzt auf die Finger nahm. Wie oft hatte er innerlich vor diesem Augenblick gebangt! Er war ja ein gewissenhafter Mann, nun aber war er überzeugt, die Lage der Tatsachen und ihre rechtliche Bedeutung so genau wie einer zu übersehen ... Vor Gott hintreten, sein ewiges Heil einsetzen! ... Die Schauer des zürnenden Gottes waren über ihn gekommen, und nun, wo er die Finger, seine Hand zu dem Rächer aller Freveltaten emporhob – nun war ihm so leicht und frei. Nun dachte er an Peter Hoops und dessen Kessel und lachte innerlich über den Juden Elias und sah triumphierend und stolz auf den rothaarigen am Pult stehenden Advokaten.

Hinnerk Schmidt war ein altmodischer Mann. Nach seiner Ansicht gehörten die brennenden Lichter, die das Feuer der Hölle darstellen, zum richtigen Schwur, ferner Bibel und Kruzifix und dann das dunkle, der Herrlichkeit der Welt abgekehrte Gewand des Priesters. Die neue Zeit hatte das bei dem Großbetrieb ihrer Verhandlungen beseitigt. Hinnerk wußte es, hatte aber doch vor dem Schwur die Frage gewagt, ob nicht Lichter angesteckt werden könnten, Kruzifix und Bibel herbeigeschafft und ein Priester ihn verwarnen könne. Bibel und Kruzifix holte man darauf herbei, im übrigen konnte der Bitte nicht entsprochen werden, sie machte aber einen guten Eindruck.

Der Richter hielt selbst die Vermahnungsrede, er sprach gut und scharf, aber Hinnerk mit dem Fellerbüdel hielt stand und über die Auseinandersetzungen donnerte der Dampfwagen hinweg.

Hinnerk schwor.

Und als das Protokoll in Ordnung gebracht war, wurde Hinnerk entlassen, mit reiner Seele wandte er sich zum Gehen.

Und in dem Augenblick wie er sich umdrehte, sah er einen aus der Tür des Zuhörerraumes gehenden Mann. Er gewahrte nicht das Gesicht, sah eigentlich nur den Rücken, und doch kamen ihm Formen und Gang bekannt vor. Aber wer es auch war und gewesen sein mochte, er dachte nicht mehr daran.

Hinnerk fühlte sich froh und frei, und weil er froh und frei empfand, ging er gegen seine Gewohnheit in der Stadt von Haus zu Haus überallhin, wo er nur einigermaßen bekannt war. Als wenn ihm zum zweiten male ein Vermögen geschenkt worden wäre, so war ihm zumute, und dabei tat er Dinge, die ihm sonst fremd waren. Vom Kaufmann Jaaks kaufte er eine alte Kutsche (man denke, Hinnerk Schmidt von Westerhusen eine Kutsche!), im Weißen Roß würfelte er sogar mit dem Schlachter Elend um zwei Glas Bier.

Aber noch in der Stadt stockte das Glücksgefühl und die Gegenströmung trat ein. Ziemlich unvermittelt brachen die so lange unterdrückten Gedanken hervor. An die Stelle der ersten Erregung trat das Grübeln darüber, was geschehen war. Zum ersten mal hatte er einen Eid geschworen, und was für einen! Und alles, was beiseite geworfen war, lag wieder auf seiner Bahn. Was er früher gedacht hatte, wie er vor dem Allmächtigen gezittert hatte, was Ferdinand Lucht gesagt hatte und was der Richter gewarnt hatte. Alles bohrte sich in seine Seele ein und warf quälende Betrachtungen auf.

Wenn er Falsches beschworen hätte, wenn er, Hinnerk Schmidt von Westerhusen, seine Seele dem höllischen Feuer überantwortet hätte! Und die Schauer des zürnenden Gottes rieselten ihm über den Leib.

An der Mauer der Straßenzeile leuchtete ein weißes Schild: »Justizrat Ernst Bauer, Rechtsanwalt und Notar«, und nun fiel ihm ein, wie er daran gedacht hatte, diesen Mann, der ihn aus dem Meer der Zweifel retten konnte, wenn er nicht vollends untertauchte ... diesen Mann zu befragen.

Und Hinnerk stolperte die Treppe hinauf.

Nach einer halben Stunde kehrte er zurück. Äußerlich ruhig. In der Ausspannherberge bezahlte er seine Schuldigkeit; der Hausknecht war gerade nicht zur Stelle, Hinnerk Schmidt spannte selbst die Pferde vor.


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