Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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Lieber Rudolf!

Trifft es nicht zu, was ich Dir sagte? In Handewitt kommt entweder Deine Phantasie oder Dein Verstand in Unordnung: Wahnsinn oder trostlose Verbauerung. Vor dem Verbauern, glaube ich, bist Du freilich durch Deine eigentümliche närrisch philosophische Lebensauffassung vor der Hand geschützt, aber die Verrücktheit tippt bereits mit unheimlichem Finger an Deine Stirn. Sag selbst, Dein Dünenkobold, der neben Euren Leiterwagen einhertrottet, Deine beiden Seelen, namentlich die Seele in Schlafstelle, eine Birke, die sich kämmt – das sind doch starke Sachen. Übrigens eine ansprechende Narrheit, wie ich sie bei meinem Freund Rudolf nicht anders erwartet habe, aber lieber hätte ich Dich doch aus dem Nest mit einem halbwegs hellen Verstand heraus.

Als das größere Unglück würde ich es freilich, nach wie vor, betrachten, wenn aus Deiner Schwärmerei für eine Gewisse eine ernsthafte Neigung oder gar was Schlimmeres wie Ehe und dergleichen entstünde. Da habe ich denn beim Durchlesen Deines Tagebuchs den lieben Himmel feierlichst – hörst Du? – ganz ernsthaft und feierlich gedankt, daß Deine Gräfin schon verheiratet ist. Denn bei Licht besehen, lieber Rudolf, bist Du schon verliebt, und ich sage Dir auf den Kopf: Du würdest auf sie reinfallen, wenn der fürtreffliche Gemahl jenes reizenden Wesens in Kürze sein feuchtes Leben in Euren Pfützen und Gräben beschließen möchte. Deshalb habe ich auch den lieben Gott ersucht, ihn vor Ungemach zu bewahren, ihm als Begleiter bei seinen nächtlichen Bierreisen – trifft die Sache wohl nicht genau, sagen wir lieber: bei seinen Kümmelreisen – einen Engel mitzugeben, der ihn mit kräftigem Glorienscheine an allen abschüssigen Sand- und Mergelgruben vorüber nach Birkenrade leuchte. Der gute Gott möge, so habe ich ferner gebeten, ihm auch den abscheulichsten Fusel zur heilsamen Medizin werden lassen und seinen sterblichen Teil gegen eine Sintflut von Alkohol festigen. Ist aber erst Deine liebe Gräfin alt und welk, so habe ich nichts dagegen, daß er sachte hinüber deliriert; denn Runzeln schützen vor Liebe, und aus Runzeln heraus stellt kein Frauengesicht verfängliche Fragen an das Schicksal.

Nicht wahr, Lieber? Kapitale Narrheiten, wie die angedeuteten, wirst Du mir keinenfalls antun. Deine Gräfin ist gewiß eine ausgezeichnete Frau, aber sie hat etwas auf dem Kerbholz, um deswillen unsere Gesellschaft sie auf offenem Markte steinigt. Und mit Recht! sage ich. Du magst unsere Welt betrachten, wie Du willst, überall hat die Form mehr Bedeutung als die Sache. So ist es bei den Zahmen und so bei den Wilden. Und wiederum sage ich: anders geht es auch nicht. Ein staatlich abgestempeltes Diplom über den Wert seiner Person kann nicht jeder vorzeigen; erkennen läßt er sich auch sonst nicht gleich. Da muß schon die ›gute Gesellschaft‹ die Richtlinien aufstellen, die ihren Kodex füllen.

Wehe also dem, der die Form für ein Ding hält, das eine nebensächliche Behandlung verträgt. Bei Euch in Handewitt ists ja auch nicht anders. Endlich solltest Du Deine wahnsinnigen Vorstellungen von einem in Nirgendwo heimischen reinen Menschentum aufgeben. Und, hast Du das vermocht, dann ist die Stunde gekommen, wo Rudolf Schmidt in die Welt zurückkehrt. Und daß diese Welt einem so ausgezeichneten Mitglied auch den Teller am großen Eß- und einen Platz am Arbeitstisch nicht versagen wird, das bezweifle ich keinen Augenblick. Darüber habe ich schon Gedanken, wovon ich so lange schweige, bis ich sie Dir in der Fassung bestimmter Vorschläge vorlegen kann. Vor einigen Tagen dachte ich noch stark an die Zwangsjacke, heute aber sehe ich mildere Zukunftsbilder. Ich glaube, Dein Horoskop steht günstig, die Sterne sagen mir, daß es nur auf Dich allein ankommt, und daß bei Dir die Rechnung nicht versagen wird. Deshalb: ob kurz, ob lang, ich weiß, Du wirst nicht bleiben, was zu sein Dir jetzt gefällt. Wir werden uns auf einem Gebiete, das uns beiden gemeinsam ist, wieder begegnen. In dieser Zuversicht begrüße ich Dich.

Dein alter Freund
Friedrich

 

Nach Empfang dieses Briefes ging Rudolf in seiner Stube auf und ab. Helm hatte eine Stelle berührt, die empfindlich, daher vielleicht nicht ganz in Ordnung war.

»Mein lieber Friedrich«, strafpredigte er den abwesenden Freund an, »alle Rechte eines Freundes und Gönners in Ehren. Aber diese Warnerrolle, das geht denn doch zu weit! Wer sagt dir denn, daß ich verliebt bin? Stand ein Wort davon in meinen Blättern? Und wie willst du in deiner akademischen Allwissenheit beurteilen, ob ich hier in Handewitt liebe oder nicht? Und dann ... erlaube ... dieser Ton, worin du von meiner Freundin sprichst, diese Herzlosigkeit ... ich muß dir einmal deinen Standpunkt klar machen.«

Und er setzte sich an den bekannten Schreibtisch, er nahm einen Bogen, an Friedrich Helm zu schreiben, auf dessen Haupt seinen Zorn und seinen Groll zu entladen, ihn gehörig – in aller Freundschaft, das versteht sich – zurechtzusetzen, zu sagen, daß es ihm gar nicht einfalle, verliebt zu sein, daß er die Gräfin nur bemitleide, wenn er auch nicht bestreiten wolle, von ihrer Art angezogen zu werden. Auch wahre er sich der Gesellschaft gegenüber das Recht, ihr vor allen seine Achtung zu schenken ... Aber lieben? ... »Ich habe in meiner Jugend geliebt, ein Jahrzehnt hindurch, lieber Friedrich. Das war eine Liebe, der gegenüber eine ganze Welt – ich wiederhole: die ganze Welt – federleicht wog, derentwegen ich ein Verbrechen hätte begehen können. Ja, wegen ihrer schönen Augen hätte ich gestohlen und gemordet. Das ist, das war Liebe, aber Frau Sophie von Birkenrade? Lieber Freund, da schoß deine Weisheit doch sehr daneben.«

So, in diesem Sinn, wenn möglich mit diesen Worten, wollte er schreiben.

Er begann auch, schrieb einige Zeilen, dann stockte er.

Es wurde ihm zweifelhaft, ob er berechtigt sei, einen so hohen Ton anzuschlagen.


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