Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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9

Als die Köchin den Kaffee in der Wohnstube auftrug, war Hinnerk mitn Fellerbüddel nach der Hinterstube gegangen. Maleen rief ihn, er aber antwortete von innen heraus, sie möge nur trinken, mit ihm dauere es noch.

Man hörte ihn die Rolläden der Fenster herunterlassen und die Tür abschließen. Zweimal kam er nach der Wohnstube zurück, jedesmal die Tür sorgfältig hinter sich abschließend. Das erste mal geschah es, um Papier und Feder und Tinte, das andere mal, eine Schere zu holen. Als er das zweite mal kam, sprach Maleen: »De Kaffee ward jo kold!« Hinnerk antwortete: »Dat mutt sik helpen« und verschwand wieder. Erst nach einer Stunde kam er zurück, die Schere in der Rechten und einen Pack Zinsscheine, die er gleich in die Schatulle legte, in der Linken.

Das Verzeichnis war nicht aufgestellt worden, sein direkt nach der engen Pforte steuernder Wille hatte eine Hemmung erfahren, als er die schmucken Zeichnungen und Arabesken der Staatsobligationen und die prächtige Frakturschrift gesehen hatte und mit den fälligen Zinsscheinen ein kleines Vermögen in seine Hände gefallen war. Er glaubte als ein frommer und getreuer Knecht verpflichtet zu sein, dafür ein neues Papier zu kaufen und zu den alten in den Kasten zu legen. Jedenfalls wollte er erst gründlich überlegen, bevor er den Inhalt des Kastens in das Nachlaßverzeichnis aufnehme. So was, dachte er, macht man nicht ›aufn Stutz‹. Eine Guttat wäre und bliebe es, und zwar Guttat gegen einen, der es nicht um ihn verdient habe. Verpflichtet sei er zu gar nichts, da könne er seinen heiligsten Eid auf leisten. Ihm sei es geschenkt, und ihm gehöre es zu. So sprach das Kind des Lichts zu sich selbst. ›Nein, Hinnerk‹, so redete das Kind des Lichts sich an, ›darüber wollen wir erst mal ruhig zu Bett gehen, das wollen wir beschlafen‹.

»Schall k den Kaffee en betn weller ant Tür setten, Hinnerk?«

»Ja, dat do.«

Hinnerk Schmidt hatte sogar vergessen, daß dasselbe Feuer, an dem er seinen Kaffee wärmte, auch in der Hölle brenne, und als Maleen den Kaffee schließlich auftrug, hatte er sich seine lange Pfeife angezündet, da rauchte er mit so viel Behagen, wie sein Wesen überhaupt aufwies, da trank er die Höllenglut des Kaffees mit Appetit.

Maleen fragte, ob er den Brief vom Erbschaftssteueramt gelesen habe und was er dazu sage. Peters Lotteriegewinn brauche doch nicht mit aufgeschrieben zu werden, der gehöre doch nicht mit dazu. »Dat hett Peter di ja schenkt«, sagte sie und richtete ihre müden braunen Augen auf ihren Mann.

»Nein«, antwortete Hinnerk, »das schreibe ich nicht mit auf.«

»Maleen«, bemerkte er nach einer Weile, »ich will es gleich in Ordnung machen und unterschreiben. Der Sekretär sagt, ich brauche nur eine Abschrift des von ihm aufgenommenen anzulegen und die Richtigkeit zu bescheinigen. Einmal muß es doch sein, dann kann der Briefträger es morgen gleich mitnehmen.«

Er tat, wie er gesagt hatte, tat das an das Erbschaftssteueramt gerichtete Schreiben in einen Umschlag und steckte es in der Stube über der Tür zwischen Türrahmen und Täfelung. Da wurden die für den Briefträger bestimmten Postsachen alle hingetan.

Aber der Brief blieb nicht da. Hinnerk hatte abends schon im Bett gelegen, da stand er wieder auf und schritt auf bloßen Füßen nach der Tür.

»Wat wullt du?« fragte Maleen.

»Ah, nichts«, antwortete er.

Er nahm den über dem Türrahmen steckenden Brief leise weg und schloß ihn in seine Schatulle.


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