Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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7

Feuer! Feuer!... Im Dorf, zumal bei Nacht, ist es ein Schreckensruf – Birkenrade brennt!...

Bei Birkenrade ist der Horizont rot... Man rannte hin, man fand: – die Einzelheiten wühlten alle Gemüter auf.

Verbrechen über Verbrechen! Brandstiftung, Totschlag, Mord!

Den Kleinen hatte man bei Ausbruch des Feuers in seinem Bett tot aufgefunden. Der Schädel war ihm eingeschlagen. So glimpflich hatte man mit der Mutter nicht verfahren wollen; unter ihrem Bett fand man den Herd des angelegten Brandes. Ein Wunder war es zu nennen, daß sie nicht in Qualm und Rauch erstickt war. Ihr Jammer hatte das Krachen des stürzenden Gebälks, des polternden Mauerwerks übertönt. Da war der entsetzliche Jäger erschienen, schmutzig, trunken, singend.

Er hatte die Gruppe der Leute umkreist und war in die Nacht, die ihn ausgespieen, zurückgetaucht.

Am folgenden Tage waren Polizei und Justiz zur Stelle, der Gensdarm mit großem Schleppsäbel, der Polizeirichter mit seinem Sekretär, der Staatsanwalt, der den goldenen Klemmer nicht von der Hakennase ließ. Es gab aber nichts mehr zu richten; den armen Wahnsinnigen zog man tot aus dem Brückengraben.

Sophie war im Nachbarhause, sie hatte keine Träne, sie konnte nur mit trockenen Augen grübeln und brüten.

›Er hat mein Kind erschlagen, er hatte ein Recht dazu. Es war ein erlogenes Kind, als es auf seinen Namen getauft wurde; er tötete die ihm aufgedrungene Frucht der Sünde. Das ist recht und in Ordnung. Ich habe sein Leben gebrochen, seine Jugend vergiftet, ich habe ihm nicht einmal die Liebe und auch nicht die Treue bewahrt. Dafür tötet er mich. Auch das ist recht!‹

Sie wollte ihrem Leben ein Ende machen. Vor einem Glück an Rudolfs Seite erschrak sie jetzt, jeder Tag wäre Erinnerung an ihre Schuld gewesen.

Ihr Kind war nicht mehr, was hielt sie zurück? ... Eines nur war noch zu überwinden. Es lag ihr die Stimme der Kirche im Ohr: du sollst nicht! Alle Sünden kann man bereuen, diese nicht. Es ist die größte Sünde...

Es flog ihr viel durch den Sinn ... in ihrer Not wurde die Arme zur Sophistin an ihrem Glauben. Sie machte dem lieben Gott vorstellig, es sei doch nur ein Fehler in der Form, und bat ihn, ein Auge zuzudrücken. Konnte sie nicht vor der Tat durch ihr inbrünstiges, vor seinen Thron gebrachtes Gebet die Buße tun? Daran klammerte sich die Hoffnung einer armen Seele, die um ihr Heil bangte und zagte. Sie rang im Gebet mit ihrem ewigen Vater, ja, sie nötigte seinem milden Lächeln (sie sah das Lächeln, das die Gewißheit der ewigen Seligkeit in ihre sterbensfrohe Seele goß), sie nötigte dem heiter und milde lächelnden ewigen Vater im heißen Flehen die Versicherung ab, er wolle dies eine mal zu ihren Gunsten eine Ausnahme machen, freilich unter dem Vorbehalt (dem Himmelspförtner diktierte er die Anweisung in die Feder), daß sich in Zukunft niemand auf diesen Präzedenzfall solle berufen können, er selbst wolle von Fall zu Fall entscheiden.

Nun war sie bereit zu sterben, dahin zu gehen, wo man die Gerechten mit der Krone des ewigen Lebens schmückt, den Traurigen die Tränen trocknet, wo wir die Hände derer drücken, die uns lieb und teuer gewesen sind, wo wir wieder an der Mutterbrust schluchzen, weinen und jauchzen dürfen wie dereinst, als wir noch nicht Böses und Gutes unterschieden.

Sterben? Das Dasein abwerfen, ohne ein Zeichen der Liebe für ihn?

Auf ihrer Stirn lag Verklärung, als sie sich zum Schreiben niederließ. Und Siegesgesang durchbrauste die Abschiedszeilen, die sie für ihren geliebten Freund Rudolf Schmidt, den Schulmeister von Handewitt, hinterließ.


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