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Sein Wagen lenkte auf Krischan Lembkes Diele, um nach einer Stunde zum andern Tor wieder hinauszufahren. Drei Glas hatte Peter erhalten, er fühlte eine angenehme Wärme – sie hob über manches hinweg.
Es war ein sternheller Abend; über dem freien Moor wölbte sich der Halbkugel flimmernde Pracht. Peter sah die Lichter grogselig an. Erden und Sonnen solltens sein. Dabei konnte er sich nichts denken, aber schön schauten sie aus. Er wollte sie noch ein bißchen ansehen, konnte aber nicht. Der Kopf fiel ihm nach vorn, der Hals knickte ein, er war daran einzuschlafen und wußte es. Den Fuchs konnte er zwar gewähren lassen, der kannte den Weg. Aber ... schlafen ... schlafen wollte Peter nicht. Er richtete sich auf und straffte die Zügel.
Nun war auch der Mond aufgegangen, es war ganz hell. Die Weiden hatten breite Kappen, das Mondlicht rieselte daran weiß herab. Der Fuchs lief im Trab, sein Hinterteil war in wiegender Bewegung, der im kurzen Knoten gebundene Schwanz pendelte im Takt der Schritte. Von den Flanken des Tieres stieg Dampf auf, die Ohren spielten und schüttelten.
Es fiel eine Sternschnuppe. Da dachte Peter an den Blitzschlag, der vor Jahren Hinrich Pahls Scheune anzündete und die ganze Heuernte verbrannte. Dann war er auf seiner Hollerwiese, zu mähen. Aber es ging nicht, seine Sense arbeitete wie gegen Weidenstrünke.
Er hatte wieder mit dem Schlaf zu tun und riß die Lider gewaltsam auf.
Geräuschlos lief der Wagen über den Weggrund. Und wenn er vorüberrollte, verneigten sich die rauhen Weiden.
Vor seinen Ohren klang Gesang, es war ihm wenigstens so, als ob jemand singe. Er erkannte das Triumph- und Trotzlied, das Nationallied seines Dorfes – und dachte an seine Jugend.
Als er noch jung war, da war er einer. Da war er stolz darauf, Warler zu sein. Warl war aus einem landesherrherrlichen Vorwerk entstanden. Als es niedergelegt worden war, hatten die Käufer einen ganzen Sack voll Rechte erhalten. Wenn nun die Warler sich dieser Rechte erinnerten, wenn sie sich ihrer einsamen Lage, ihrer Eigenart, ihrer Kraft, ihres Eigensinnes, ihrer Treue und ihrer Grobheit – kurz: ihrer Tugenden bewußt wurden, dann brach es aus stolzen Herzen brausend hervor: ›Lustig sind die Warler.‹
Die andern Dörfer versuchten nachzumachen, konnten es aber nicht. Die Gewalt jenes Gesanges beruhte auf dem wuchtigen Trochäus ›Warler‹. Der Sänger wiegt sich schlank und biegsam auf der langen Silbe wie ein Seiltänzer auf dem Tau. Wenn die Sievershüttener, die Oldenborsteler, die Stafstedter mit ihren vielsilbigen unruhigen Namen sangen, so behaupteten Hampelmänner lustig zu sein.
An dem Dorfslied richteten sich die Warler auch in der Fremde auf. Die Jahrmärkte wissen davon und von dem ehrfürchtigen Staunen der Umstehenden zu erzählen, wenn die Warler die Runde schlössen und ihre Hymne an die Freude anstimmten.
Der Nachtwind rauschte im Schilf, Peter Holling hörte vor seinen Ohren fernher, aber ganz deutlich: ›Lustig sind die Warler‹.
Er dachte an Hinrich Beckmann. Der war schon lange tot. Hinrich und er waren beide jung, als er starb. Einen Freund, wie Hinrich Beckmann einer war, hat er niemals wieder besessen. Hinrich Beckmann verstand es, das Trutzlied zu singen. Er hatte wasserblaue Augen und gelbweiße Haare und war der ruhigste Mensch von der Welt – aber wenn das Trutzlied angestimmt wurde, dann warf er alles: Mütze und Jacke und Weste von sich, um ganz frei und ohne Rückhalt sein Bekenntnis für Warl abzulegen.
›Lustig sind die Warler.‹ Daß er den Gesang gar nicht los werden konnte, und er war doch im Warler Moor, – bei Nacht allein im wilden, weiten Warler Moor!
Wenn Hinrich Beckmann Sonntags nach Hause ging, so trug er Strümpfe und Zeug, das ihm die Mutter stopfte und flickte, in einem roten Tuch eingeknotet unterm Arm.
Und der Wagen lief geräuschlos über das Moor.
Plötzlich – ein Ruck! Der Fuchs stand.
Und sieh! Vor ihm, an der Grabenkante, geht ein Mann, ein Mann geht ruhig seines Wegs. Es ist doch einer? Im Mondlicht siehts wie der Schatten eines Mannes.
»Hü, Fuchs! Willst du mal!«
Der Fuchs wollte aber nicht, er schnob und zitterte und – stand.
Der Mann hat was unterm Arm ... das ist ein Tuch. Er trägt eine Mütze, die Haare stehen steif vom Kopf.
Wer ist das? Um Gotteswillen ... wer?
Es ist Hinrich Beckmann – der tote Hinrich.
Peter sieht hin, er sieht genauer hin.
Der Mann geht ruhig und kümmert sich um nichts.
Das ist ja gar nicht wahr! Der Mann, der Schatten, der trägt keine Mütze, er trägt einen Hut. Die Haare stehen auch nicht steif vom Kopf. Und ein Tuch hat er auch nicht unterm Arm ... Der Mann, das ist gar nicht Hinrich Beckmann, Der Mann ist breit und hat einen Handstock, und den setzt er weit vom Leib. Und gebt behäbig.
Den ... den, den kannte Peter Holling. Das war der Heuchlerschritt des ruhigen Gewissens. Das war ... Hans Rohwer.
Hans Rohwer und er allein auf wildem Moor, und weit und breit die schweigsame Nacht.
Die Gräben sind tief und ruhig und geheimnisvoll. Da bettet man ein Opfer weich und still. Ein Klatschen, wie wenn eine Ente ins Wasser taucht. Und dann ein Gurgeln, nicht laut ... lind und leise ... Blasen steigen auf, es rieselt, nicht lange ... dann ist es still.
Peter stand wieder dabei, wie Krischan Göttsch und Mars Stammerjohann den toten Dierk Trede aus der Grube zogen. Erst kam ein Bein mit dem neuen Schaftstiefel, und dann der von Moorwasser gedunsene Dierk.
Hans Rohwer hatte heute auch in so schönen blanken Schaftstiefeln vor Gericht gestanden.
Peter gab dem Fuchs die Peitsche ... der Fuchs warf Schlacken gegen die Wagentrommel... Ihm nach!
Wo ist der Mann, wo ist der Schatten?
Der Zollwirt sieht nicht Mann noch Schatten.
»Brr!« Der Wagen stand, die Weiden standen auch. Neben Peter Holling tuschelte Schilf, Torfmoose quirlten und atmeten.
Und voll und prall stand der Mond am Himmel.
Peter sah weit, ihn dünkte, wunderbar weit ... wie in eine andere Welt.
Und sieh! Weit ab vom Weg über Sümpfe und Moor, da geht was. Ein Schatten wie ein Mann. Mit einem Handstock geht es, breit und gemächlich. Es steigt, es wächst, es ist riesengroß – den Wegstab breit und weit vom Leibe. So geht es ... bis zum Himmel hoch.