Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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22

Am Glockengehäuse erhob sich ein Mensch.

»Godn Abend«, sagte Hinnerk, aber der Fremde antwortete nicht.

Da zog Hinnerk Schmidt aus der an der Wand hängenden Büchse ein Streichhölzchen. »Godn Abend, segg ik«, wiederholte er dabei.

»Brauchst kein Licht anzuzünden«, entgegnete der Unbekannte. Die Stimme war Hinnerk bekannt, klang aber tiefer als sonst.

»Brauchst kein Licht zu machen.« Aber da zuckte schon das Flämmchen auf. Und es standen sich zwei Brüder gegenüber, der Bauer von Westerhusen und Hans Schmidt aus Amerika.

»Bist noch hier, Hans?«

»Ja, ich wollte dich schwören sehen.«

Hinnerk Schmidt schwieg. Nach einer Weile sprach er: »Nun ist ja alles klar, Hans.«

Nach dem, was in des Bauern Seele vorging, klang es wie eine Unwahrheit, war es aber nicht. Er wollte sagen: »Nun ist mir klar, daß ich im Irrtum gewesen bin. Sei mein guter Bruder, wir wollen redlich teilen.«

So sagte und wollte der Hinnerk Schmidt, der auf dem untersten Boden seiner Seele das Wort führte. Aber es lag eine dicke Schicht darüber, die das warme Wort nicht durchbrechen konnte, und scheinbar sprach ein anderer Hinnerk. Wie in Storms Märchen flog ein Rabe zu seinen Häupten, trug ihm die Verdunkelungsbrille nach und ließ sie immer dann auf seine Nase fallen, wenn es galt, klar zu sehen. Hinnerk war der vom Schicksal Gehänselte, die besten Worte, die ihm auf der Zunge lagen, brachte er nicht über seine Lippen, während der Amerikaner das »nun ist alles klar« so verstand, wie er es verstehen mußte.

»Hast recht, Hinnerk, nun ist klar, was mein Bruder für einer ist.« Und dann schwiegen beide.

»Sett di dal, Hans!« brachte Hinnerk endlich heraus.

Und wieder Schweigen, Hans setzte sich nicht, ging vielmehr in der Stube auf und ab. Es war schwüle Stimmung, das Wetter kam auf.

»Heut nacht bleibst du doch?«

Da leuchtete ein greller Blitz durch die Stube und die Hammerschläge des Gottes Thor rüttelten an den Vesten des Hauses.

»Du bleibst doch bei uns?« wiederholte Hinnerk.

Die ersten Regentropfen schlugen an die Scheiben.

Hans lachte höhnisch auf.

»Es wird ein starkes Wetter«, fuhr Hinnerk fort, »vom Westen zieht es herauf und auch vom Norden.«

Und wieder lachte sein Bruder. »Und laß es vom Westen kommen und vom Norden, es wird überall sicherer sein als bei dir. Gott, hab ich gehört, sieht seine Leute an, wenn es blitzt und donnert.«

Und er griff nach seinem Hut und ging noch einmal in der Stube auf und ab. Und blieb vor seinem Bruder stehen und sah ihn an und zischte: »Meineidiger!« Und ging auf und ab und blieb wieder stehen und flüsterte und zischte wieder: »Meineidiger! Ich brauch es nicht laut zu sagen. Der Teufel ist dir auf den Hacken, und er hat große Ohren. Laut will ichs nicht sagen, aber ins Gesicht sollst dus haben. Meineidiger, der du bist! Und deshalb stehe ich hier!«

Und als er dies gesagt hatte, ging er.

Im Türrahmen kehrte er sich noch einmal um. »An diesen Tag wirst du denken, Bruder, wenn du in der Hölle sitzst und bratest. Es kann einem leid tun, aber du hast es selbst gewollt. Und du bist mündig und mußt selbst wissen, was für eine Behausung du für deine unsterbliche Seele bestellst. Schlaf gut, mein Bruder, wenn du nach der Tat noch schlafen kannst.«

Hinnerk Schmidt antwortete kein Wort, in seinem Innern aber schrie es laut: ›Er hat recht, du bist ein Meineidiger, ein ewig Verdammter!‹ Überall im Hause hörte er schon das Singen und Wehen der höllischen Flammen, Ein tobendes Wetter ging über Westerhusen hin, und alle Wetterzeichen waren ihm nichts als Drohgeberden des zürnenden Gottes, die Feuerspieße und Hammerschläge des großen Thor so gut wie das Rauschen des aus geborstenem Himmel herabstürzenden Regens.


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