Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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11

Es war Winter, und Peter stand vor den Schranken des Gerichts, das Endurteil anzuhören, hinter ihm Georg Heinrich Joens. Der beugte sich zu Peter hinüber: »Wenn wir verlieren, appellieren wir.« Peter nickte – verlieren, das war unmöglich.

Aber, er verlor. Peter erhielt in einigen Nebenpunkten recht, in allen Hauptpunkten unrecht, und sollte den größten Teil der Kosten tragen. Das Recht auf Wegschoß wurde ihm abgesprochen.

Peter hörte es, begriff aber nicht; ihm war, als ob er mit dem Peter Holling, von dem die Rede war, nichts zu tun habe.

Hinter ihm quoll ein Stoßseufzer auf: »Nein, so was!«

Es waren Leute, die wegen des Wochenmarkts zur Stadt gekommen, im Gericht zuzuhören. Denn es handelte sich um einen in der Gegend berühmt gewordenen Prozeß. Wenn des Zollwirts gelber Kastenwagen von Schönmoor und Knewelshorst durch die Dörfer gefahren war, hatten viele Augen darauf geruht. Die hatten es jetzt eilig, zum Tor hinauszukommen; man sah den im Wagenstuhl geschüttelten Bauern ordentlich von hinten an, was für eine Neuigkeit sie zu Hause auszukramen hatten. Hans Rohwer war zu Hause geblieben, Peter kannte den Vorwand, der Dachdecker Broder hatte es ihm gestern abend erzählt, und das war der Gipfel der Heuchelei.

»Daß ich gewinne«, hatte Hans gesagt, weiß ich, ich darf es jedenfalls annehmen. Ob ich nun die Gewißheit ein paar Stunden früher erhalte, macht nichts aus. Peter ärgert sich, wenn er mich stehen sieht. Warum soll ich ihm das antun? Der arme Mann hat Kummer genug. Und bei Koopmanns Timm feiert man ›Swinsköst‹. Ich geh zu Koopmanns Timm auf Swinsköst.«

Es dämmerte stark, als Peter Holling seinen Berater in Schönmoor absetzte. Natürlich sollte appelliert werden, das hatten sie genau besprochen.

Die Dunkelheit nahm rasch zu, zwischen den hohen Knicken nach dem Moor hinunter sah Peter kaum die Hand vor Augen.

Es war in den kurzen Tagen, es hatte längere Zeit gefroren, nun aber zehrte Tauwetter schon tagelang an Eis und Schnee. Die Wege wurden weich, Schneestreifen blinkten nur noch an Knick und Grabenrand.

Das kluge Pferd trat vorsichtig auf, es ging durch Wasser und Schmutz, die Schlacken fielen; zuweilen war es, als fahre der Wagen in der Schwemme. »Wenn ich nur erst bei Krischan Lembke bin,« dachte Peter, »bei Krischan Lembke kehre ich ein, da warte ich, bis der Mond aufgegangen ist.«

Bei Krischan Lembke stand der Roßtäuscher und Viehhändler Heinrich Graf, wegen seines lauten Wesens Heinrich Gröhl genannt, in der hell erleuchteten Durchfahrt. Heinrich Gröhl war immer guter Laune, wie die Stalleuchte Peters Gesicht streifte, heulte er – ja, heulte förmlich vor Freundschaft: »Herr du meine Güte! Wer kommt da? Wenn das nicht Peter Zoll ist, will ich Hans heißen!«

Eine Meerschaumpfeife im Mund, den Krummstock über den linken Arm gehängt, langte er mit der Rechten zum Wagen hinauf. Wer ihn so sah und hörte, konnte gar nicht darüber im Zweifel sein, daß es für Heinrich keine reinere Freude gebe, als den Zollwirt zu sehen.

Nun kam auch der Wirt, der Hausknecht Jörn sprang herzu und schirrte ab, gab dem Fuchs Wasser und gab ihm Heu. Peter Zollhaus war gut aufgehoben.

Heinrich Gröhl klopfte und klappte beim Abspannen dem Tier Hüfte und Hals, lobte sein Beinwerk, seinen Rücken, lobte Bug und Hals, tadelte den Kopf und war mit Peter halb in Spaß, halb in Ernst schon im Handeln und Feilschen, bevor noch das erste Glas Grog vor ihnen stand.

Heinrich Gröhl war ein Mann in den besten Jahren, breit und kräftig, einer, der sich in den Räumen schenkender Wirte zu bewegen wußte, wie Hofleute auf dem Parkett. Das Gesicht voll und rot, die Augen schlau und gutmütig, Lippen und Mund fleischig, weich, das Kinn entschlossen, eine Hakennase, die auf das alles voll Wagemut hinabsah. Eine kräftig angerauchte Meerschaumpfeife hing ihm an Lippen und Zähnen, wenn sie ihrem Herrn nicht dazu diente, seine Gesten zu unterstützen. Denn Heinrich hatte immer was zu reden, auszuführen, zu beteuern und mit den heiligsten Versicherungen zu bekräftigen, wenn man will: zu beschwören. Heinrich Gröhl war ein Allerweltsmensch, er kannte jeden und war von jedem gekannt, Heinrich Gröhl steckte in einem weichen kuhhaarigen Überrock, von dem für und für ein starker Erdgeruch ausging.

Der Zollhauswirt war nicht mehr nüchtern, mehr und mehr erstarkte in ihm der Mut. Die Frische des Roßtäuschers tat ihm wohl, und nun fing auch er an, laut zu werden und seinen Fuchs zu loben. Das paßte aber Heinrich Gröhl nicht, übertrumpfen mochte er sich nicht lassen. Es mußte sein Brauner heran, mit dem konnte der Fuchs gar nicht an einem Tag genannt werden, der Braune war ein Pferd, dem glich auf Gottes Erdboden kein anderes. Peter äußerte Zweifel, und Heinrich Gröhl forderte lärmend die Probe. Jörn, der Knecht, wurde gerufen, es erging an ihn der Befehl, Fuchs und Braunen im Hof vorzuführen. Eigentlich wäre Peter gern bei seinem Grog geblieben, aber es half nichts, er mußte hinaus und eine halbe Stunde lang in dunkler Nacht bei der Stalleuchte zusehen, wie Jörn bald mit dem Fuchs, bald mit dem Braunen über das Pflaster trabte, oder vielmehr Schatten sehen, die man für Pferde halten konnte. Krischan Lembke hielt die Stallaterne, durch den Dunstkreis trabte bald ein Tier, worin Peter seinen Fuchs erkannte, bald ein anderes, das dem Braunen ähnlich sah.

Und als sie wieder am Grogtisch saßen, war jeder von ihnen, waren beide überzeugt, das beste Pferd zu haben. Peter Holling merkte, daß der Roßtäuscher mit ihm handeln wolle, war aber so viel bei Sinnen, das grundsätzlich abzulehnen. Sein Fuchs war zu klug, den wollte er behalten. Und in seinem Rausch wurde er groß und großsprecherisch, schlug erst auf den Tisch, reckte dann die Hand gegen Heinrich Gröhl aus und rief: »Hundert Mark wette ich, her mit der Hand, wenn du nicht bange bist! Wir wollen den Fuchs – aber der Mond soll erst aufgegangen sein – dann wollen wir den Fuchs in der Durchfahrt anspannen, die Peitsche ins Futteral stecken, die Leine wird in den Stuhlkasten gelegt. Und, wenn der Fuchs angespannt ist, dann will ich ihm einen Klaps geben und sagen: ›Hü! So, Fuchs, nun zu, nun geh nach Haus! Geh Schritt, wo es tief ist, und zuckele, wo es fest ist!‹ Der Fuchs wird tun, was ich sage, er wird den Wagen ordentlich nach Hause bringen. Und nachdem mein Fuchs abgegangen ist, will ich eine halbe Stunde warten und dann langsam zu Fuß nachgehen. Willst du? Her mit der Hand, wenn du kein Bangbüx bist!«

»Topp!« erwiderte Heinrich. Er erwiderte es nicht, er schrie es, jauchzte es. Und umklammerte die magere, dünne Zollwirtshand mit seiner großen, fetten, heißen Faust, wie zum Rütlischwur.

»Schlag durch, Krischan! Und ein Rundgang für alle, die im Hause sind. Den Rundgang zahle ich.«

Es war zwar ein heiterer und viel belachter, in gewisser Beziehung aber doch ein feierlicher Augenblick. Wetten haben wegen des Wagemuts immer was Feierliches, namentlich Wetten von der Sorte, wie sie eben abgeschlossen worden war. Krischan Lembke und Frau und Matthies Gließmann aus Schönmoor (dieser hatte still und unbeachtet sein Glas in der Ecke getrunken) und Jörn, der hereingerufen war, und noch ein Knecht, ferner zwei Mädchen, die standen alle umher und lachten oder grienten und tranken so viel, wie sich für ihre Stellung schickte, und sahen dem Händedruck, der in ihr Zeugnis gestellt worden war, mit großer Seelenruhe zu. Krischan Lembke schlug die Wette durch.

Als der Grog getrunken war und die Knechte und Mädchen das Zimmer verlassen hatten, ging der Roßtäuscher, sich eine Pfeife zu stopfen, nach der Fensterbank, wo der Tabakskasten stand. Er hob die Rolläden erst ein wenig, zog sie dann ganz auf und schrie »Hurra!« Das Haus warf Schatten, weißes Mondlicht lag auf dem Hofplatz.

»Hurra!« schrie Heinrich noch einmal, »der Mond ist aufgegangen. Nun wollen wir den Fuchs anschirren.«

Es wurde getan, wie in der Wette abgemacht war. Der Fuchs erhielt seine Klapse und seine Weisung. Als sie anfingen anzuschirren, hat der Wirt gesagt: »Der Fuchs muß aber einen Brief am Bug haben, wo drinsteht, daß Peter nachkommt.« – »Das versteht sich, das muß sein«, haben die andern erwidert. Dann gröhlte Heinrich einen langen Strahl und erzählte von einer Wette, die er vor einem Jahr gewonnen habe. Als der Fuchs schließlich zum Tor hinausging, hatte er keinen Zettel und keinen Brief.

Nachdem der Fuchs hinaus war, gingen Heinrich Gröhl und Peter Holling wieder in die Wirtsstube und tranken Grog. »Es wird windig«, sagte Krischan Lembke nach einer Weile, »zu lange darfst du nicht mehr sitzen, Peter, wenn du noch nach Haus willst.« Der Wind war wirklich aufgekommen und pfiff und heulte um die Ecken.

»Will ich auch nicht«, erwiderte Peter, »will gleich weg.«

Ein Glas trank er noch, dann ging er.

Es schwammen allerlei Wolken am Himmel, es war recht dunkel.

Das Moor ist kalt und öde – öde und tot zumal im Winter bei weichendem Schnee, bei Regen und Wind. Am Tage sah man wenigstens in der letzten Zeit ein Krähenehepaar nach Harm Hamkens Moorknüll, wo sie vermutlich eine Fischniederlage hatten, fliegen. Aber bei Nacht, bei dunkler Nacht, bei weichendem Schnee, bei Sturm und Regen sieht man nichts Lebendes und jeder Baum wird zum Gespenst.

Als Peter aus Krischan Lembkes Wirtshaus ging, riß ihn der Grog auf die linke Seite. Wir können auch sagen: er strauchelte ein wenig. Aber er fand sich rasch, und nach wenigen Schritten war er fest.

»Fall man nicht!« warnte der Wirt. Sein Handstock stand in der Flurecke, er nahm ihn und lief Peter nach. »Den kannst du brauchen«, sagte er, »da hast du was zum Vorfühlen«.

»Ja«, gröhlte der Viehtauscher vom Türbogen her, »du könntest sonst bei deinem Fuchs in den Graben zu liegen kommen. Der Fuchs ist schon drin, du findest ihn vor Harm Hamkens Weg.« Schmauchend in kuhbraunem Rock stand er in hellem Türloch. »Wenn du heute heil nach Hause kommst«, rief er weiter, leih ich morgen dein junges Beinwerk.«

»Red' du und der Teufel«, dachte Peter, »hier ist trockener Sand«. Dabei trat er fest auf eine helle Stelle, es spritzte Wasser auf – die trockene Stelle war eine ganz gewöhnliche Wasserlache. Sein rechter Fuß war naß. »Der andere wirds auch werden, das muß sich helfen.«

Die Stalleuchte, die Krischan Lembke in der Hand trug, hatte hell über den Weg geleuchtet. Daß der Mond hinter Wolken war, bemerkte Peter erst, als Krischan und die Leuchte und Heinrich Gröhl verschwanden. In der Wetterecke war es schwarz und der Wind wehte ihm scharf auf die rechte Backe.

»Es wird ein schwerer Weg«, murmelte Peter Zollwirt, »und jung bin ich auch nicht mehr. Aber, was ist zu machen? Ich habe A gesagt, da muß B folgen.«


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