Timm Kröger
Des Lebens Wegzölle
Timm Kröger

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11

Hinnerk Schmidt kannte die Stimme und den Sprecher (so sprach niemand im Dorf); es war ein volles, gesättigtes, dunkles Organ – Karl Ohm Schnoor aus Bargenhusen, derselbe, der einst die Verlosung geleitet hatte. Und Hinnerk Schmidt dachte, als er die Stimme hörte, an seine Sorgen und dachte weiter: der kommt zur rechten Zeit. Wenn einer, dann kann der helfen, dann kann der Licht geben. Ich will Karl Ohm fragen, einen Klügeren gibt es nicht, der nimmt es mit jedem Advokaten auf.

Er kehrte um und bewillkommte Karl Schnoor.

Karl Ohm gab vor, in eigenen Geschäften zu reisen. Er habe nur nicht vorbeigehen wollen – in Wahrheit kam er nach Westerhusen, um in Anlaß des Erbfalles eine kleine Abgabe zu heben.

Leider war er auf solche gelegentliche kleine Tribute angewiesen. Karl Schnoor, jetzt an der Grenze der Sechziger stehend, war in jungen Jahren ein schöner Mann gewesen und auch jetzt noch ein gut aussehender. Er hatte ein regelmäßiges, sogar edelgeformtes Bronzegesicht antiken Schnitts. Wenn er lachte, mochte dem Zauber seiner Liebenswürdigkeit widerstehen, wer konnte. Seine Hautfarbe war von angenehmem Ton, das volle Haar (die weich hingeworfenen Wellen glänzten wie geglättet von zarter Liebe Hand) konnte noch immer für dunkelbraun gelten. Er war der kluge Mann der Gegend, in allen knifflichen Fällen ihr Berater, aber man hätte unrecht getan, ihn Winkeladvokat zu nennen. Nein, das war er nicht, dazu war er zu vornehm. Er hatte nicht gerne, daß man ihn aufsuchte und um Rat fragte, er besuchte lieber seine Freunde, und dabei fielen seine Ratschläge im angenehmen Plauderton des Besuchers. Ihm für seine Ratschläge Geld anbieten – das hätte man keinem raten mögen. Nein, so war Karl Schnoor nicht, seinen Rat gab er umsonst, was er erwartete, war nicht der Rede wert, nichts als freundwillige Gefälligkeit in Verlegenheitsfallen durch Hingabe kleiner Darlehen.

In seiner Jugend hatte er, was damals noch selten war, eine Fortbildungsanstalt besucht, die sich ›Ackerbauschule‹ nannte, er hatte von seinem Vater einen großen Hof geerbt, hatte den Hof verkauft, war das Geld, das er herausbekommen hatte, losgeworden – nun wohnte er in Bargenhusen zur Miete, und kein Mensch wußte so recht, wovon er lebe.

Wovon bezahlte Karl Schnoor seine Miete, sein Essen, sein Reisegeld, und das, was er am Leibe trug? Und dabei immer nobel und anständig, in seiner Kleidung immer eine Art städtischen Schnitts, gute steifleinene Wäsche im Brustlatz, weiße, das Ohr sägende Vatermörder – das wollte doch bezahlt sein! ... Nun, man kannte das Geheimnis und, man raunte es einander kaum noch als solches in die Ohren, sondern sprach es geradehin aus: Karl Ohm war auf Anleihen angewiesen bei Leuten, die nicht klagten. Und, weil Karl Schnoor dafür allgemein eingeschätzt wurde, deshalb fühlte jeder, den Karl Schnoor begrüßte, eine Art Ameisenlaufen den Rücken hinunter nach den Schenkeln zu, nach der Gegend hin, wo die Geldknippe sitzt.

Von Hinnerk Schmidt ließ er sich, wenngleich die Verwandtschaft unheimlich weitläufig war, Ohm nennen. Um so mehr bekam Hinnerk das Frösteln, wenn er Karl Ohm sah. Er fühlte es zwar auch jetzt, es war aber durch den Gedanken gemildert, daß Ohm ihm mit seiner Weltklugheit nützen könne.

Hinnerk Schmidt war so freundlich, wie er seinem Wesen nach sein konnte. Karl Schnoor war gewohnt, süßsauer empfangen zu werden, er war es auch in Westerhusen gewohnt und darauf vorbereitet, er verstand dann aber gut, das Saure durch Witze und durch Geschichten hinwegzuspaßen. Auf Westerhusen empfangen zu werden, wie er jetzt aufgenommen wurde, darüber war er ganz erstaunt.

Und es kamen ihm Ahnungen, die die richtige Bahn streiften, er sprach auch gleich von dem Trauerfall: »Hinnerk, wer hätte das gedacht? Nun deckt den guten Peter die Kirchhofserde.«

Hinnerk Schmidt war die Einleitung willkommen, da ließ sich das brenzliche Stück gleich anschneiden. Er benutzte auch die erste Gelegenheit, wie Maleen nach der Küche ging, ein Frühstück aufzutragen, dazu, sein Herz aufzuknöpfen, und erzählte, was zu erzählen war. Nur die Höhe des Gewinnes verschwieg er: »Es ist nicht ganz wenig.« Weiter sagte er nichts, es kam auch ja nicht darauf an. Weshalb sollte er Ohms Anleihe unnötig in die Höhe schnellen?

Hinnerk hatte kaum begonnen vorzutragen, als Ohm anfing mit Mund und Lippen und Augen zu strahlen. Und als Hinnerk weiter erzählte, rieb er sich die Hände und ging in der Stube auf und ab. Und nach Beendigung des Berichts nahm er beide Hände seines Neffen, bewegte sie hin und her, breitete seine und des Neffen Hände und Arme auseinander und führte sie wieder zusammen und ließ sie los, räusperte sich laut und lachte.

»Hinnerk«, rief er, »bester Hinnerk, da wolltest du was von abgeben? Hinnerk, guter Hinnerk, du bist ja wohl rein nicht recht klug! Deine ›Deklarasiong‹« (er sprach das Wort mit dem feinsten französischen Nasenrohrklang) »die ist ganz in Ordnung, da hast du kein Titelchen hinzuzusetzen oder davon abzunehmen. Nein, Hinnerk, das wolltest du mit dem Amerikaner aufteilen, mit dem Luftikus, mit dem, der so an dir gehandelt hat, dich auf den Tod beleidigt hat? Junge, Junge, du mußt aber ein Herz haben! Junge, Junge, du mußt abern Berg Geld haben!«

»Es ist nicht aller Welt«, erwiderte Hinnerk.

»Einerlei.« Ohm zündete die ihm dargebotene Meerschaumpfeife an (sie stammte von Hinnerks Vater her) und stieß die ersten Züge heftig heraus: Ja, eine edle Entrüstung drängte ihn, auf den Tisch zu schlagen.

»Dem Bengel was abgeben? Wenn es noch ein andrer wäre! Aber ihm? Dir gehört es zu, dir ist es mit warmer Hand geschenkt; nein, das kann dir kein Mensch wegnehmen.«

»Ohm«, antwortete Hinnerk, »da fällt mir ein Stein von der Brust.«

»Laß ihn fallen, Hinnerk! Es taugt nicht, Steine auf der Brust zu tragen.« Ohm lachte über das barocke Wort.

Der Bauer von Westerhusen fühlte sich entlastet, so frei wie lange nicht, und das Gefühl der Freiheit und Dankbarkeit schäumte über. »Karl Ohm«, rief er, »du bist n gräsig kloken Kerl!«

Der von Bargenhusen rauchte und schmunzelte: »Klok hin, klok her, bleib nur fest, verplapper dich nur nicht! Dann kann dir keiner was tun!«

»Aber wenn Hans kommt oder das Gericht – was kann daraus werden?«

»Nichts kann daraus werden. Das heißt«, setzte und rauchte Ohm bedächtig hinzu, »höchstens ein Schwur.«

»Ein Schwur!« Hinnerk Schmidt schrak auf und sah seinen Berater trostlos an. »Wenn ich es beschwören soll, das kann ich nicht, ich habe die Kiste ja gleich herübergetragen.«

Karl Ohm Schnoor sah ihn an, lächelte sieghaft und ein bißchen mitleidig. »Junge!« sagte er und rauchte. Und nach einer Pause ernst: »Das verstehst du nicht, Hinnerk. Du sollst nicht beschwören, daß du die Kiste nicht weggetragen hast, du sollst nur beschwören, daß du alles, was zum Nachlaß gehört, aufgeschrieben hast. Du hast nicht nötig, anzugeben, was du weggetragen hast, wieviel es gewesen ist. Denn das, was in der Kiste war, was du wegbrachtest, gehörte nicht zum Nachlaß, das war dir geschenkt, gehörte dir zu. Und, wenn du gefragt wirst, gib nichts an. Das sind nichts als Fallen. Sag einfach: das, was aufgeschrieben ist, das ist der Nachlaß, auf weiteres Fragen würdest du nicht antworten.«

Hinnerk Schmidt wurde lebendig, das verstand er, das faßte er. »Du hast recht, so kann ich es beschwören.«

Seine Gemütsrechtfertigung hatte auf schwankendem Grunde geruht, war verblaßt und zeitweilig abhanden gekommen, nun kam Karl Schnoor von Bargenhusen und gab sie ihm zurück, gab das in knapper, greifbarer Form, was dunkel in seinem Gefühl gelegen hatte. Nun wußte er sich sicher, nun vergaß er des Pröpsten und seiner Predigt, nun sprangen die Blütenknospen reinen Glücks. Es drängte ihn ins Freie, er mußte sein Glück äußern, er hätte dem Ohm auch gar zu gern, auf die Gefahr hin, bei der Darlehnsbitte höher eingeschätzt zu werden, die Größe und den Reichtum und die Pracht seiner Felder und seiner Ernte gezeigt.

»Willst meinen Buchweizen mal sehen?« fragte er. »Da steht auch noch etwas Hafer, willst das mal sehen?«

»Jawohl«, erwiderte Ohm.

So gingen sie ins Feld.


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