Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Mathilde ist Simoneits Frau

Es war in einer Bergstadt, wo sie hinzogen. Dort hatten sie sich beim Standesamt einschreiben lassen, nur zwei Zeugen, Freunde Simoneits, die früher dorthin übergesiedelt, waren dabei gewesen. Nun lebten sie oben am Hügel in einem der kleinen Arbeiterhäuser. Ein enger Flur führte hinein, rechts zwei Stuben und links zwei Stuben, in denen einige Reklamebildchen an die Wände genagelt waren und in einem jeden Teil eng zwei Betten und ein Tisch, und daneben in dem Küchenloch ein winziger Herd mit Ofenbank und Schrank und Wasserständer Platz hatten. Mathilde war eine Arbeiterfrau – sie war schwanger – und sah ärmlich aus, auch ein wenig hohläugig. Sie grub im Felde hinterm Häuschen Kartoffeln aus – auf einem kleinen Ackerlande, das eine jede der Parten zu ihren zwei Stübeln zubekam. In die Fabrik ging sie nicht. Nur Simoneit verdiente. Und sie diente ihm. Ehe er heimkehrte, war sie geschäftig im Hause. Sie hatte die Hacke nun in den Erdboden gestoßen und lauschte in der Nebelluft, um genau die Stadtuhrschläge zu zählen, die der Herbstwind zu verwehen schien. Dann nahm sie das volle Kartoffelkörbchen und schleppte es, mühsam vor sich herstoßend, in ihrer unbeholfenen Leiblichkeit in die Küche. Simoneit war als Schlosser im Bergwerk angestellt und kam heim, schweißig und von Kohlenruß schwarz gefärbt, zu seinen schwarzen Augen und schwarzen Haaren noch finsterer gemacht und nicht freundlich, immer kurz und hart. Sie waren schon ein Jahr hier. Simoneit sah Mathilde gar nicht, so gleichgültig und kurz war seine Art. Und im Grunde war er auch nur mit sich beschäftigt. Er saß am Tische und halte, kaum grüßend, gleich die Zeitung herausgeholt, die er vor sich hinhielt. Mathilde war sorglich um ihn und war außer Maßen bedacht, daß er nichts zu tadeln fände.

»Sein die paar Kartuffeln endlich ins Haus?« sagte er kurz mitten im Lesen.

»'s sein nee ock a paar«, sagte sie freundlich. »Du sollst amol sahn, wie viele 's sein«, und lachte beinahe, um seinen Ton milder zu stimmen. Und sie ging sorglich um ihn, trug gleich Teller und Schüsseln mit dampfender Suppe auf, und Simoneit las und aß und kümmerte sich nicht und würdigte sie nicht eines Wortes. Sie setzte sich nieder, aber sie aß nicht – sie seufzte nur einmal leise.

»Je dir was?« sagte er gleichgültig. »Warum ißt de denn nee?«

»Oh, nee, nee – nischt is mir.«

»Nu, warum seufzst de denn da?« sagte er grob.

»'S is mer a wing schwer geworden, das ewige Krummstihn a ganzen Tag«, sagte sie.

»Ich wünschte au', daß die Zucht erscht a Ende hätte«, sagte er nur.

Mathilde starrte vor sich nieder. Sie hatte weite Augen. Sie sah, daß sie einem harten, leidenschaftlichen Manne zu dienen hatte, und sie sah ihn an, wie er mit sicherer Miene in das Blatt blickte, und wagte nicht mehr zu seufzen, nahm nur ein wenig Brot vom Tische, das sie sich mit Fett schmal bestrich, und zog dann das Restchen Suppe, das er beiseite geschoben hatte, zu sich und löffelte es aus. Simoneit war ein Mann, wie ein Grab so stumm, und ohne daß er noch einmal ihr ins Goldhaar fuhr, wenn sie heimlich trauerte, oder wenn sie entsagungsvoll und einsam auf ihrem kleinen Acker grub, unterdessen die andern Weiber, alt und ausgelebt und zahnlos, tolle Reden machten auf den Ackerstücken daneben, feil und zotig waren und sich vor Lachen in die Seiten stemmten. Simoneit war ein dumpfer Sinnierer und kam nie auf eine Freude. Er war keiner, der in ein Menschenauge sehen und darin finden konnte, was wie ein Strahl erwärmt: jene stille heimliche Muttererwartung in Mathilde, wenn die Tage sonst trüb und rauh vorübergingen. Er war hart und gefühllos und ließ gleichgültig Mathilde dienen mit stiller, ängstlicher Hingabe, die manchmal aus dem mütterlichen Gemeinschaftsleben mit der verborgenen Frucht heraus zu dem Vater, der sorgte und tüchtig arbeitete, fast demütig aufsah. Simoneit war leidenschaftlich. Seine schroffe Art zu reden, hatte sie längst vergessen machen, daß sie etwas anderes noch als ein dienendes Weib war in dem kurzen Jahre. Alles lag vergessen. Und außerdem saß jetzt Simoneit längst und konnte weder daheim noch sonst recht finden, womit er sein Sinnen stillte. Man hatte ihn in B. aus der Arbeit entlassen. Nun saß er in der Bergwerksgegend. Nun saß er auch nach der Arbeit nur einen Augenblick daheim, und alles drehte sich um ihn. Und wenn er Teller und Fettnapf und Brot, das ihm die schwangere Mathilde trotz Leibesumfang schnitt, beiseiteschob und sie ihm Wasser herzuschleppte, sich reinlich und in Ordnung zu bringen, sah sie sorglich und ängstlich drein, immer auf seine Augenwünsche passend, und fast eifrig herzuspringend, daß er nicht ungeduldig wäre, und wagte nicht viel zu sagen, ob sie längst auch schon heimlichen Kummer empfand, daß es ihm daheim nicht lange Ruhe ließ, er zu einigen Kameraden in die Schenke laufen und dort leben und rumoren mußte.

»Kumm nee wieder spät«, sagte sie ganz zärtlich – und ließ ihn an sich vorüber, ohne eine Hand zu rühren.

»Was soll denn das heeßen?« sagte er schroff – »soll ich nich amol abends an Feierstunde haben, wenn ma ganzen Tag arbeit'?« setzte er noch hinzu.

»Nee, nee,« sagte sie gleich willfährig – »das sag ich nee – a Mannsbild muß amol was anders ha'n.«

Und Simoneit sann und steckte dann sein Blatt in die Rocktasche und sah sie an und sagte ganz freundlich:

»Heute kumm ich gewiß nee spät« – er lachte sie an, daß Mathilde sofort fröhlich war und sicher war, daß er sie liebte, trotz seinem ewigen Unmut und trotz seiner Unruhe überall, wo er war – daß sie dann das Stübel in Ordnung brachte, die Kartoffeln im Keller barg, das Feuer anlegte, auch Teller und Schüsseln im kleinen Schäffchen auf der Ofenbank wusch, und endlich die sauberen Betten aufdeckte, und wartete vor der kleinen Lampe, ein Strickstrümpfchen für Kinderfüße in Händen und hin und her wispernd, mit Träumen und Bildern im Auge, bis seine Tritte im Dunkel der Nacht auf den Steinfließen klangen und sie in den Flur freundlich leuchtete.


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