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Simoneit sprach jetzt öfters mit Saleck. Er wußte daß Mathilde den Huckigen verlassen. Das hatte auf eine Weise, die gar nichts Äußerliches hatte, beide versöhnt. Beide dachten jetzt gar nicht mehr an ihren Streit. Als wenn es nur Mathilde ihnen angetan, und nun auch, indem Mathilde beiden einfach den Rücken gekehrt, nur sie es wäre, an der man sich rächen könnte. Simoneit war ein junger Schlosser, ein gerader Kerl, und hübsch, nicht eine Spur von des huckigen Saleck engem, niedrigen und gehässigen Wesen, wo in dem die Rache angefacht war. Übrigens muß gesagt werden, daß Saleck, so sehr er jetzt auch Mathilde haßte, seit er klar war, daß sie niemals mehr zu ihm zurückkehren würde, mit einer ganz außerordentlichen Liebe am Kinde hing, und Tag um Tag in seinen Feierstunden sann und sorgte, es aufwachsen und aufblühen zu machen. Nun ja: das Kind war groß und kräftig, ein Stück Mathilde. Wirklich, sie hatte Saleck ein bestes aus sich zurückgelassen, so lag es in seinem Bettchen wohlverwahrt, mit Locken, die golden um den Kopf hingen, und reckte seine weichen Fäustchen aus und riß Saleck am Barte, wenn er es auf seinen Armen hin und her im Zimmer trug – wenn er ihm Märsche pfiff und es schwenkte. Oh, Salecks Lust und Behagen und Versunkenheit dauerte oft stundenlang, wenn er gekommen war und den kleinen Joseph am Abend noch wach gefunden. Kein Wunder: Joseph, der Vater saß noch immer da wie ein kranker Geier, dem die Flügelknochen bis zum Kopfe gingen, das immer bleiche Gesicht saß noch tief in den Schultern und konnte in diesem Leben nicht mehr frei und auf schlankem Körper herauswachsen. So saß er und mußte so bleiben, wenn nicht in der Totenruhe, die eines jeden Leib und Leben eine Ewigkeit einbettet, um sie einmal wieder irgendwo jung erwachen zu machen, ein Rat war. Saleck trug an seiner Verwachsung, als Mathilde ihn verlassen hatte, doppelt empfindlich. Und er herzte, wenn er an sie dachte, das Kind mit um so heißerer Freude und hundertmal nahm er es in seine Arme und schleppte es, daß er fast atemlos wurde, hin und her, so schwer und gesund wie der kleine Joseph schon geworden, und viele Male hob er ihm das lose Hemdchen von seinem frischen, nackten Leibe, daß er heimlich sähe, ob die Schäden seines Leibes mit aufwachsen und sich plötzlich gar unversehens an dem Knaben hervordrängen wollten, und jedesmal ging er heim mit Vergnügen in der Seele, daß er ein so frisches, gesundes und außer Maßen kräftiges Blut und Leben sein nennen und für es sorgen dürfte, außer Maßen glücklich nun mit sich und dem Kinde – da er, wie Mathilde sofort klar empfunden, ein wirklicher Vater war, und einer, dem die Sorge ums Kind tief in Blut und Bein eingeschrieben stand.
Aber Mathilde selber durfte nicht mehr kommen, auch wenn sie gewollt hätte. Er haßte sie, wie er das Kind liebte. Er haßte sie, wie Simoneit. Und beide waren jetzt versöhnt, wenn sie sich trafen. Simoneit war von ihr auch gedemütigt – und Saleck hatte ihn aufgeklärt, worum es sich handelte. Saleck hatte gar nicht hinter dem Berge gehalten, sobald er erfahren, daß ein Bauernsohn aus der Heimat, der bei den Soldaten in der Stadt diente, ihr Geliebter wäre.
Und Mathilde ging aus und ein in der Fabrik vor Simoneits und Salecks Augen und kümmerte sich um niemand. Sie hätten wohl ein jeder gerne etwas gewagt und getan, aber in deren Mienen lag es noch immer, was ihr helles, kaltes Auge sagte, als sie zum ersten Male in die Fabrik zurückgekehrt war nach ihrer Mutterschaft. Niemand wagte sich an sie. Sie war verschlossener und härter als je – und ihre Schritte, wenn sie kam, waren zielsicher und fest und eilig, und wenn sie ging, war sie ebenso schnell den Blicken entschwunden. So kam es, daß man sie ganz in Ruhe ließ, und daß nur in mancher Seele heimliche Wutgedanken stille brannten. Sie sah auch immer anständig aus. Ja, wenn sie zuerst, wie die Leidenschaft aus Hallmanns Sohn in ihr aufgekommen war, sich fast verwahrlost hatte und an nichts, als an ihn denken konnte; wenn sie nun kam – in den Frühlings- und Sommerwochen, sah sie aus wie in der ersten Zeit; ganz ausgesucht sauber, selbst wenn sie heimging im Arbeitskittel, ganz ausgesucht peinlich fegte sie nach der Arbeit jedes Stäubchen mit einer Bürste, die sie bei sich trug, aus ihren Kleidern, daß keiner mehr Staub und Schweiß des Tages an ihr erkennen sollte. Und so ging und kam sie und saß wieder daheim und sorgte, wie in der ersten Zeit, nur einsam im engen, kleinen Stübchen mit einem Fensterschlitz, wie da auch. Man fand sie nirgends. Es war jetzt eine seltsame Ruhe in ihr. Sie saß daheim und nähte und wusch in ihren Feierstunden, und nur dann und wann und selten kam Hallmanns Sohn, oder sie ging mit ihm am Sonntagnachmittag über Land irgendwohin ins Feld, wo sie sich im Korn am Raine niederließen. Aber Mathilde sah bekümmert aus. Nur wenn er bei ihr war, war auch in ihrer Seele flüchtig ein stilles Lachen. Sonst war sie oft von Gedanken gequält, seit sie in dem Heimatdorfe gewesen, und von neuem ihre eigene Aufgangsstätte mit allem Grauen empfunden hatte. Oh – sie schämte sich. Sie mochte gar nicht daran denken. Es schnürte ihr die Seele zusammen. Die Schmach! Und sie sprach nie davon. Und ein Gram hatte sich in sie gesenkt. Ihre Leidenschaft war auf einmal ganz stille geworden. Nicht, daß sie nicht gebrannt hätte, wie heiße Feuer. Wenn sie Hallmanns Sohn bei sich hatte, waren alle Bedenken und Skrupel ausgeblasen. Aber es war in ihr auch klar geworden, daß sie mit eiserner Gewalt sich zur Ordnung zurückbringen und tüchtig und tätig sich nur auf sich stellen müßte, wie es schon einmal gewesen war, um den Eindruck der Schmach auszulöschen. Und, wenn sie bei Hallmann war, traute sie ihm – so sehr sie den Gram empfand, heimlich in den vielen einsamen Stunden, als wenn sie schnurstracks ins Unglück liefe. Und so toll und leidenschaftlich im Anfang, so zurückhaltend und gemessen und fast in Trauer war sie, daß sie Ernst in ganz zartem Wesen erschien – daß er gar nicht wußte, so täppisch und gutmütig er sein konnte, wie er manchmal ihren Kummer aus den hellen, ernsten Augen dämpfen und stillen und das hingebende Licht darin entzünden sollte. »Du werscht mich doch wegschmeißen«, sagte sie traurig – als es der letzte Abend vor dem Ausmarsch ins Manöver war, daß Hallmanns Sohn bei ihr im Stübel saß. »Nee, hahaha, gleeb ock ni so was«, sagte er vergnügt. Aber der Gedanke an daheim war nicht wegzuwischen, und sie begann zu weinen. Und da sie nicht auszusprechen wagte, was sie dachte, so hatte sie das Wort wie eine zu grelle Klarheit einfach ganz plötzlich versengt – und da er ebenso plötzlich und ganz im Vollen der Kraft und der Härte, wie der manchmal sein konnte, wenn die Kinder nicht nach seinem Sinne sich richten wollten, seinen Vater, den alten Riesen vor sich sah, so war eine lange Stille im Stübel umgegangen, die Ernst nur in eine Liebkosung verwandeln konnte, in ein stilles Umfangen mit sinnloser Hast und bäuerlicher Kraft, in ein Sichanschmiegen Mathildes, so ängstlich und mit den tiefen, ernsten Augen flehend um Schutz und Leben, daß Ernst und sie nicht Worte fanden, sich ganz im Gefühle und im Begehren nacheinander verloren – bis sie spät und fast aus Träumen im Dunkel erwachten – sich besannen –, und er dann mit der Frische seiner Stimme den alten Satz aufnahm: »Ach nee, Mathilde, was ich sag, sag ich – du kennst mich.« Ein Stolz war sie ihm dann – sie war auch nicht traurig weiter. Sie dachte, mag's kommen wie es will – »dir gehier ich«, und sie sah aus wie eine, die zum Leben und zum Sterben gleich mutig ist, und die nun alles von neuem hinter sich warf, so stark und blühend, so stolz und in ihren Erwartungen so begehrenswert, daß jeder, der sie sah, ihn begreifen mußte. Daß Ernst sich selbst fühlte, wie einem seltenen Geschicke angetraut, das aus ihr mit allem Lebensdrange emporrang – er, der gutmütige und ein wenig eingeschüchterte Sohn seines Vaters, den es dann erfaßte, als wäre er ganz schon der starke und rücksichtslose Bauersmann neben jener Trotzigen und Bereiten, die vor ihm stand. Und wenn er dann von ihr ging, gingen allerhand Wünsche und Vorsätze mit ihm. Sie war ihm ein Schutz. Sie lag ihm im Sinn. Er sah gar keine Frauenzimmer mehr. Wie er früher war, daß jede Schürze und jedes lange Haar ihn nach sich lockte, das war weggewischt. Er dachte nur an sie – er war dann verliebter als je –, und sie hatte ihm ein Licht angezündet, heller, wenn er sie verließ. Er kam auf der Treppe noch einmal zurück, wie sie ihm oben im Flur leuchtete, und flüsterte ihr, weil es Nacht war, noch einmal, daß sie seinen heißen Atem an Ohr und Hals fühlte, zu: »Du wißt, Mathilde, dich oder keene.« Und er ging und nahm allerhand Dunkles mit – so groß und ringend und traurig, und doch so heiß und begehrenswert stand sie in seinem Sinne. Daß, wie er sich dann beim Eingang in die Kaserne gemeldet und in den langen Fluren, die im Halblicht lagen, die Schatten der Korridorwache wandeln sah, er fast immer dachte, er sähe Mathilde, oder Mathilde böge um die Ecken, und daß er, unter den schnarchenden, in weißen Flanell begrabenen Nasen des Schlafsaals nur langsam sich von seinen Gedanken losriß, um sich auszukleiden – einsam unter Hundert, die um ihn schon in Träumen lagen im Dämmerlicht –; auch wie er dann langgestreckt dalag und zur Decke starrte, Mathilde ihm wie eine scheue Heilige am Deckengrunde zu schweben schien, wie oben in der Dorfkirche – mit weinenden Augen – und so hehr und groß, daß er emporgerissen, wie aus Trunkenheit auffuhr, lange hinsann und auch im Traume ihre Sorgen und Qualen nicht vergaß.