Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Simoneit ist einer der Haupträdelsführer

Und dann war wieder ein Frühling geworden. Wieder hingen die stäubenden Kätzchen aus den Weidensträuchern am Flusse, und Finken und Schwarzblättchen und Stare machten Lärm in den Lüften, Baumläufer huschten an den Stämmen, die jung grün umschleiert waren – auf den Straßen in der Stadt und auf den Promenadenwegen sproßten junge Bäume, Marienkäfer kamen einem unversehens durch die Luft auf die Hand, und ein vereinzelter Schmetterling hatte seine Raupenhülle verworfen, und sog und flog zärtlich in feuchtwarmer Ätherluft taumelnd, und alles war zum Leben neu fertig. Jahre waren hingegangen – wie Jahre gehen. Um manchen Baum hatten die Jahre eine dichtere und dichtere Rinde gewoben – und das Weiche, Lebendige war dem Auge verborgener geworden. In manches Gesicht war eine Stirnfalte gegraben vom Sinnen nach guten Dingen, die nicht kommen wollten, oder die nur kamen und gingen, ohne zu fragen. In manchen Augen war schon längst Frohes und Gläubiges ausgelöscht, so tief im Grunde es auch an sich geblinkt, und sich nur selten aus den stummen Tiefen hervorgewagt, nun war es ganz darin ausgelöscht. Nun waren die Augen unter einer ernsten, faltigen Stirn, um die helle Strähne flatterten, längst gewiß geworden, nur erfüllt vom sorglichen Wunsche auf die enge Notdurft, nur manchmal in Sinnen mit einem verlorenen Lachen, das aus ihrem kühlen Grunde brach, selten, flüchtig – nur ins Ferne gehend – nur aus der Ferne kommend, flüchtig und nicht Gegenwart, wie wenn eine groß Leiden trägt, und selbst nicht weiß – weil doch rings im Lande Frühling ist. –

In der Fabrik waren Unruhen. Simoneit war ein Haupträdelsführer. Der dunkle, kühne, leidenschaftliche, wortkarge Mensch hielt jetzt stammelnde Reden im Kreise seiner Kameraden, die in Feierabendstunden im kleinen Stübel oder in der Schenke um ihn saßen – und lebte sonst allein. Er war einer, der nichts zu verlieren hatte. Er hatte nicht geheiratet. Es hatte ihm nie gepaßt. Die Frechen waren ihm zum Vergnügen gut, »aber um's Himmelswillen keine, wenn man daheim von der Arbeit müde am Suppenteller sitzt. Um alles in der Welt nicht«, so sagte er. Unter seinen Kameraden war er angesehen, und wenn sie in Laune um ihn waren, sprach er laut und hart und sparte nicht mit dem Hohne. Er hatte manches gelesen. Und las gern, auch Zeitungen. Es waren ihm längst Wünsche gekommen, daß er etwas anderes noch täte, als nur Schloß und Schlüssel zu machen und Maschinen zu ölen, und auf den glatten Gang der Räder und Riemen aufzupassen.

»Man ist ja doch ein Mensch, nicht nur Vieh, das immer im Geschirre geht und dann an die Krippe. Nun friß!« sagte er lachend. »Oder gar nur ein Ding wie aus Eisen, das nach nichts frägt, sich ewig um sich selbst dreht, wenn man es nur schmiert.« Das hatten die andern auch dunkel gefühlt und begriffen. Nun waren Unruhen um höheren Lohn und weniger Arbeit. Und Simoneit war die Seele. In den Fabrikhöfen hatten die Werkmeister schon längere Zeit Achtung auf ihn. Auch der Portier duldete nicht, wenn Männer in Gruppen stehen wollten und gar noch die frechen Mädels sich dazu stellten und Witze und Zoten machten.

»Es ist hier kein Platz zum Stehen, meine Herren,« sagte er mit einer gewissen Würde, »die Passage muß frei sein« – daß dann die Arbeitsmänner mit wortloser Ruhe, die etwas Dumpfes hatte, bedächtig und ja nicht eilig, weitergingen und dann vor dem Tore und am Parkzaune wieder standen, und einer der ausgelassenen, blaukitteligen Weibsbilder dem unbeirrten Torwart zurief: »Sein Se ock vorsichtig, Herr Portier, daß ni de Mannsen amol schlecht werden!«

So war es gekommen. Nur allmählich. Aber einige Tage nachher im Mai wußten alle, die sonst ins Tor gingen, daß niemand arbeiten würde. Niemand kam. Nur spät am Abend sammelten sich Gruppen, Männer hauptsächlich, auch einige Frauenzimmer, die eifrig beratschlagten, und die sich einstweilen um den Portier nicht kümmerten. Bis Gendarmen kamen, die eine zu große Ansammlung verboten.

Nun waren auch Verhandlungen aller Art, die Simoneit hauptsächlich führte. Er verstand nicht gut zu reden, aber er hatte keine Furcht. Er hatte etwas Tatsicheres und Kühnes. Auch der Direktor – wenn er neben dem großen Geldschrank stand, der Simoneit, und suchend und hastend sprach – mußte sich inwendig gestehen, daß es ein Mann wäre, wie jeder, der seine Pflicht wirklich tat, und für's ewige Ölen der Maschinen ein recht besonders gefügtes und gutes Werkzeug. Zu gut vielleicht. Zu wenig beschäftigt dabei, so daß er noch auf Gedanken kam, was durchaus unnütz und unbequem werden konnte, und weswegen man die Sache wohl überlegen müßte, wenn erst Ruhe wiederkehrte.

Aber die Sache hatte sich in die Länge gezogen. Die Forderungen waren hoch, die die Arbeitsmänner stellten, und man stand noch im Ungewissen. Der Direktor konnte auch nicht, wie er wollte, wenn er an die anderen dachte, die er nicht vergessen durfte. So war also die Sache noch immer in der Schwebe. Es waren auch in einem weiten Tanzsaal draußen große Versammlungen, worin die Streikenden für und wider redeten, und einstweilen Simoneit und sein Anhang immer noch Sieger blieb.

Und Simoneit war entsetzlich überspannt in der Zeit. Nicht etwa redselig und übertrieben in seinen Äußerungen und Worten. Gott bewahre. Die Worte waren kraftvoll und hart und grob und unbehauen, wie gebrochene Steine, die er sich mühsam abrang, wenn er oben stand – und wenn er mit auf dem Podium saß, sah er dumpf und düster aus, blickte vor sich nieder, und die Leute, die plapperten und plärrten, hörte er nicht. Ihm kam es gar nicht auf's Reden an. Das langweilte ihn im Grunde. Außerdem hörte er sich zu aufdringlich. Seine eigenen Worte waren ihm schließlich unangenehm im Ohre. Auch haßte er im Grunde das massenmäßige Getümmel, wo einer das und ein anderer das begehrte – und jeder am liebsten doch jedem gesagt hätte: »Schert euch zum Teufel!« Nicht in dem Sinne also, daß er etwas Unsinniges zur Schau trug, der Simoneit. Aber die Tage der Aufregung hatten ihn schließlich ganz erschüttert, daß er hastig lief und bleich aussah und nicht recht sah, was um ihn vorging, wenn er die Straße ging – daß er plötzlich auch sich in seinem einsamen Stübel fand und nicht wußte, wie er hineingekommen, und was er gewollt hatte, dann still auf dem Bettrand saß und entdeckte, wie er gar nicht an die Menge und an den Lohn und an den Direktor dachte nur an Mathilde. Da saß er und sah elend und blaß aus und wußte nicht sich aufzuraffen. Eine Abneigung gegen den Aufruhr und den Eitelkeitsmarkt, gegen Kampf und Gewinn – daß er bis in die Nacht dann wegblieb, und die in der Schenke vergeblich auf sein Kommen harrten, und seine Anordnungen hören wollten. Dann kam er und sah verstört und wie geblendet aus. Ein Hohn lag in seinen Mienen. Er sah sich um und musterte die Leute wie ein Führer, war unzufrieden, trank und gab seine Meinung kurz hin, daß man eben ausharren müßte – nun gut. Dann war ein Lärmen und Reden – dann dampfte und qualmte die Schenkstube, und der dicke Wirt stand im Rauche und Schweiße, und die Augen aller waren belebt und neugierig und zornig – und alle sahen immer einmal nach den Feuerblicken, mit denen Simoneit über alle Köpfe grob und sicher hinwegsah und mühsam seine dumpfen, sicheren Haßworte hervorholte, die dann in den Augen und in Fleisch und Blut der Masse weiter wanderten und sie zusammenbanden, eines jeden Selbstsucht an jeden, daß er geblendet schien über sich und die anderen und dachte, sie wären Brüder. Und jeder sah immer wieder hin, wo im Grunde der Augensterne das Feuer glomm in Simoneit, das, wer weiß was, das Sehnsucht war – die sich verkappt hatte in die kleine Forderung um Arbeitszeit und Pfennig – und die als Verachtung alles Getümmels und alles Unwertes – als Verachtung von Schranke und Fessel, als Sinnen und Härmen nach Erlösung vom Übel – hervorquoll aus Simoneit – und vielleicht gar als ein vergeblicher Wunsch nach einem höheren Einklang. Denn, wer Simoneit sitzen sah, unter seinesgleichen, mußte fühlen, daß ihn ein Schicksal zwang, mit dem er kämpfte, und das aus Auge und Wesen deutlicher sprach, als alle Worte.


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