Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Mathilde ist zum zweiten Male Mutter

Man muß denken, was es heißt, wenn der Mensch, der von Maschinen und Lärm und harten, befehlenden Stimmen umgeben, einen Tag um den andern lebt, und der jung und von Blut und Leben und tausend dunklen Drängen und Wünschen erfüllt ist, die aufwachen, wenn die Maschinen und die Stimmen und der Lärm schweigen, was es heißt, wenn dann der Mensch ganz nur für sich allein steht. Wenn er dann einsam ist, sehnt er sich nach einem, der ihm lieb ist, und hat nicht gelernt, groß Worte zu machen, da für ihn die tausend Räder und langen Riemen, die im Raume zittern, genug lärmen Tag um Tag, bis in seine Träume hinein, es ist ihm genug, daß einer kommt und sich anschmiegt und er seinen Atem fühlt, und seinen Arm um sich gespannt, und sie sind in einem wahren Vergnügen, Leib und Seele, wenn sie auch nur spüren, daß Mensch zu Mensch und Seele zu Seele kam, aus keinem Grunde, um zu befehlen und zum Lohn erarbeiten und aufpassen aufeinander, oder um Gewinnst zu machen – nur weil sie sich heimlich froh und still fühlen miteinander. Es ist ein Schicksal. Man muß es verstehen, wenn zweie so sich verschlingen und vor all der rädernden und klappernden Selbstsucht, di eine Fabrik heißt, plötzlich auf Stunden losgebunden, im engen, dunklen Stübel sitzen und sich umschlungen halten, und nun auch Blut und Leben in eins binden, im ziellosen Begehren des Lebens, das von Anbeginn in einen jeden tief eingesenkt ist. Und es ist ein Schicksal, wenn in Verwahrlosung und Moder ein Guter, Tüchtiger aufwächst, wie ein goldenes Saatkorn auf dürrem Lande, oder auf einer Abfallstätte, und eine schlanke Ähre wird, reich in ihrem Blütenschmuck, voll zu reifen und Frucht und Brot zu werden, und alle gehen vorüber, und in keines Menschen Auge darf sie sich rühmen und stolz glänzen und ein echtes Gebilde der guten Saat erscheinen, alle sehen nur den Moderhaufen, wo die Sonnenschlanke aufgewachsen und sehen sie nicht. Und sie sollte nicht Frucht bringen, ihre Blüten verweht der Wind und verwischt ihre Spur. Es ist ein Schicksal.

Der Sommer war vergangen. Herbst spann über Stadt und Land. In der Fabrik gab es viel Arbeit und viele höhnische Gesichter. Saleck war bleich, aber Simoneit lachte mit dem Werkmeister. Es wollte allen so scheinen, als wenn Mathilde schon wieder ein Kind erwartete. Und Simoneit gab sich Mühe, Gemeines zu ersinnen. Wenn man sie nur heimlich gehöhnt hatte, jetzt taten sie offen, was ihnen einfiel. Es kam eine ganze Hatz zustande. Mathilde lief nun mehr als je unter aller Blicken herum. Schon wenn sie in das Fabriktor kam, besah sie mit unverschämter Verachtung gleich der Portier. Und außerdem duldete man solche Verwahrlosung nicht. Jedem der Männer zwar, vom Direktor bis zum Werkmeister und bis zum Huckigen herunter – und sogar zum Laufburschen lag es im Blute, und jeder wünschte wohl, daß ihm die blühende oder freche Jugend, die da aus und ein ging, ein lustiges Stelldichein gewähren möchte. Aber wenn es zu offenkundig erschien, mußte man einschreiten. Es war, als noch einige Wochen hin waren, ein ganzer Skandal, daß Mathilde von neuem in runderer und runderer Mutterfülle kam. Der Werkmeister fragte sie zunächst, indem er sie in die Ecke nahm, was das hieße, und tat sich keinen Zwang an, die Dinge alle ganz frech beim rechten Namen zu nennen und zu lachen und grob und unflätig und verächtlich zu sein. Und dann kam gar der Direktor selber, fing sie ebenfalls an, auszufragen, und aufdringlich, als wenn er über Leib und Leben der Seinen ein wahres Recht und Gebot hätte, ihr von einem gemeinen Lebenswandel zu sprechen, den er nicht dulden könnte, und daß es nicht so fortginge, daß er solche Leute nicht brauchen könnte, obwohl, wie Mathilde wußte, eine der jungen Fabrikarbeiterinnen seine Geliebte gewesen, und ein Kind heimlich und gut versorgt, von ihm geboren hatte. Mathilde stand rund und gut da. Sie war eingeschüchtert und stumm. Sie hatte tränende Augen. Und was sie in ruhiger Besonnenheit gewiß nicht über sich brachte, aber jetzt doch tat, aus einer Angst, in der sie seit lange lebte, wenn Hallmann nicht bei ihr war, sie bat – weil man sie fortschicken wollte. Und schließlich war man milde. Man rechnete ihr an, daß sie lange Jahre immer fleißig gewesen war, und sagte endlich, man wollte noch einmal sich abfinden damit. Es mochte schließlich dem Direktor und dem Werkmeister eingefallen sein, daß in ihren Zügen eine hohe, stille Art, ganz wider ihr sonstiges Hartsein sich plötzlich ausprägte, als wenn man sie unschuldig geißelte. Und es verfolgte auch den Direktor das Bild dieser schwangeren Frau, die trotzig nicht mehr, aber eingehüllt in Schleier von unerwartet aufblitzendem Gram aus hellen, feuchten Augen ihn angesehen, daß er noch einmal zurückkam und dem Werkmeister heimlich etwas zuflüsterte, und der junge Werkmeister, wie innerlich befriedigt, nachdem der Direktor hinaus war, sagte, daß es alle in dem weiten Saale hören mußten: »Der Herr Direktor verbietet, daß man Mathilde deswegen höhnt. Die Sache wäre abgemacht. Der Herr Direktor würde noch einmal darüber hinwegsehen, weil sie sonst eine besonders tüchtige Arbeiterin gewesen wäre.« Und daß er zu Simoneit ausdrücklich hinunterlief und ihm heimlich erzählte, wie vorher der Direktor ihm: »Er sollte sich hüten, der Direktor würde einen Spott und Hohn nicht ertragen.« Ach mein Gott, Mathilde kümmerte sich so herzlich wenig um all' das. Was aus ihren Augen den Direktor angeschaut, war, daß er sie geweckt hatte aus ziellosem Kummer. Hallmanns Sohn war nicht mehr in der Stadt. Es war niemand, der sich kümmerte. Ja, wenn Hallmanns Sohn ein Kind in eine Bauerndirne gelegt und dort das Dorf es drängen und wachsen gesehen, da hätte der Alte wohl schnell die tragende Mutter in seinen Hof und Schutz genommen, und ein derbes Wort des Alten schließlich mit Lachen würde alles zu Ende bringen. Aber wie sollte sie hinein, sie, die zudem noch ein anderes Kind irgendwo hatte, wovon sie Ernst niemals zu reden gewagt. Das alles kam ihr Tag und Nacht nicht aus ihren Gedanken. Sie grämte sich und fing an, nur an ihre rauchigen Gemeindehausleute zu denken, so lag sie danieder. Und fing an, sich den gewalttätigen Bauer vorzustellen, ihn in die Luft hinmalend, und ihm nun schon, manchmal dann in dem ganzen Trotz ihrer eigenen Verachtung innerlich zu sagen, daß es bald keinen Sinn geben würde, als das Kind im Arme in den Fluß zu gehen und das Leben hinzuwerfen. Das war ihr klar.


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