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Mathilde kannte in der Liebe zu Hallmanns Sohn keine Grenzen. Wer sie sah, wunderte sich. Es war in sie gekommen wie eine höhere Macht, daß sie Tag und Nacht an ihn dachte und jede Gelegenheit wahrnahm und aussann, wo sie ihn auch nur von ferne sehen und ihm zuwinken konnte. Es war schier eine wilde und unzähmbare Fülle von heißen Gefühlen, die aufkochten in ihr, wenn sie sich auch nur sein gutes, frisches Gesicht vorstellte, ganz von der kräftigen Gestalt und dem energischen Schreiten zu schweigen, das ihm nun in der Kaserne noch vollends Schliff und Frische gegeben. Und sie kümmerte sich um nichts, was sich auch ihrem Verlangen nach ihm in den Weg stellte. Es hatte eine Aufregung gegeben zwischen ihr und dem Krummen, daß sie dachte, den Huckigen würde der Schlag treffen, und er war fast ohnmächtig mit einer Art Krampf des Herzens umgeschlagen. Das nützte alles nichts. Sie war wie besessen. Ernst lag ihr im Sinn, und sie hätte sich umbringen, aber nicht abbringen lassen. Das stand fest. Der Huckige, ehe er es gewußt, weil sie aus Mitleid mit ihm noch immer hingezögert hatte, wollte immer wieder auch sich drein geben, ihr nicht den Rückweg zu sich ganz verbauen. Denn wie sie an Hallmann, nicht mit der gesunden Kraft, aber mit einer sinnlos verzehrenden Wut und Rache fast, hing er an ihr. Aber alles war nichts gegen ihr einziges Gefühl, wie es jetzt einmal sich frei gemacht, und aufgeblitzt war an Ernst's Nähe; und sie sann und dachte nichts, als nur ihn, und sein männliches, gütiges und kindliches Wesen voll Gesundheit, und wußte ja auch, daß Ernst nach ihr trachtete, und nichts anderes Tag und Nacht.
Und es hatte von neuem Aufregungen gegeben nach dem Feste und in Wochen nachher immer wieder, bis es nicht Sinn und Art mehr besaß; bis die Wirtsleute sich auf des Huckigen Seite geschlagen und ihm verächtlich und laut geraten hatten – und auch die Leute in der Vorderstube vor ihnen –, sie laufen zu lassen; bis er ihr noch einmal auch das Kindel vorgehalten und sie gar in ihrer inneren Unrast und ihrem sinnbetörten Verlangen hinausgeschrien hatte: »Nimm du's, du hust mir's abgequält – dein's is 's!« Nun war auch der Huckige klar geworden, es gab keinen Weg zueinander mehr, und er hatte sich endlich dreingegeben.
Sie war ausgezogen. Sie kümmerte sich um niemand, nur daß sie wieder in die Arbeit ging, hart und tüchtig schaffte und Tag und Nacht keinen andern Gedanken hatte, als an ihn, der ihr zudem die Heirat versprochen, und der, wie sie in ihrer Verblendung dachte, auch seinen Schwur halten würde.
Mathilde war ganz unsinnig. Auch ums Kind kümmerte sie sich in Wahrheit nicht mehr. Es war plötzlich, als wenn sie wirklich so dächte, wie sie es Saleck ins Gesicht geschrien hatte: »Es ist mir abgequält!« Jetzt, wo sie über die Zwanzig, stark und tüchtig erschien, war sie unbekümmert um alles, als nur um den Mann, der eine Leidenschaft ohne Sinn und Grenzen plötzlich in ihr aufgeweckt hatte. Und sie dachte wieder an daheim. Ernst wollte zu Ostern auf Urlaub, und hatte den Gedanken bei ihren Fragen selbst angeregt, ob sie nicht auch hinkäme – heim in die Berge und ins kleine Dorf, aus dem sie wohl fünf volle Jahre schon geflohen war.
Wenn es ihr nun lockend schien, war sie gar unberaten. Man denke nur, daß sie immer die Tochter der Heintken blieb; die Stieftochter des vertrunkenen Heintke, der herumtorkelte, selbst wenn er einmal nüchtern war, den jeder Anständige einfach mißachtete. Wenn Mathilde das alles jetzt vergessen hatte, war es ganz wunderlich. Aber verständlich war es immer. Wenn sie auch mit keiner Silbe auf die Vorteile sann, die eine Heirat mit Hallmann für sie einschließen mußte. Wenn sie zu deutlichen Erwägungen, wie die, hinüber in eine Bäuerei zu kommen aus dem Gemeindehaus heraus, gar keine Zeit fand, immer nur ihn im Geiste ansehend, ihn und seine Kraft und auch seine gutmütige und gesunde Bauernart – es lag im Grunde ein ganzes Netz von Hoffnungen und Aussichten, in das sich ihr Wesen verstrickte, sie hinaufziehend, sie so sinnlos und taumelig machend, wie sie geworden war, als Hallmann sie mit Liebe angesehen. Und wenn er sie so ansah, verstand man es auch. Sie waren nicht alle so tüchtig und lockend wie Mathilde. Sie hatte eine Anziehungskraft, wie wenn sie einen Harnisch trüge, wie eine Amazone, dabei so kindlich, wenn man erst einmal ihr Vertrauen und ihre Neigung genoß. Gar noch so hingegeben jetzt, wo sie um seinetwillen sich und alles in den Wind schlug.
Und ein Bauer ist ein Bauer. Seine Heimat ist sein Wert, er vergißt sie nicht. Er muß zurück in die Heimat. In der Stadt vergißt man, daß er Kraft hat, die Scholle zu pflügen und die reichen Goldgarben in der Sonne oder unter grollenden Gewitterwolken auf seinen Erntewagen hochzubringen. Er steht auf der Stadtstraße wie ein gutes Schaf, er weiß nicht rechts, nicht links. Als wenn ihn das Getümmel plötzlich blöd gemacht, und er in sich hinein sich unerwartet vor etwas Unheimlichem fürchten müßte. Wenn nun ein solcher ein Gesicht sieht, das ihn anlacht wie aus der Heimat, dann kommt ein Lebensverlangen in ihn. Und so war Ernst zumute gewesen, wie er die verschneite Mathilde gleich an dem Heimatblicke aus aller Vermummung erkannt hatte. Und was sie zudem geworden, konnte er gleich unter der Vermummung erkennen. Was für eine! So groß und lustig und ebenso hingenommen vom heimatlichen Klänge und von allem, was dem Menschen die Augen plötzlich ganz ahnungsvoll weilet.
Nun also, da sagte Ernst, er ginge hinauf auf Osterurlaub. Und er war auch gegangen. In der Bäuerei oben war eine Freude, daß man den ganzen Tag den Alten nur lachen hörte; daß der Alte schier vor Freuden geweint hatte, als der Sohn im Mantel und mit seinem Seitengewehr, sogar im Helm eingetreten war, sich sorglich bückend, und ernst tuend vor den Alten hingetreten, und sich soldatisch zur Stelle gemeldet hatte, als wenn er zu einem Offizier träte. So war er gekommen, und alle hatten vor Staunen nur dabei gestanden, auch die Mutter, die Hände gefaltet, und der Kahlköpfige, heimlich sein Seitengewehr betastend, bis es laut zuging und der Alte gleich zu trinken gebracht und selbst einen Schemel herzugeschoben, daß es dann ganz stille um den Soldaten geworden und er erzählen gemußt.
Und Mathilde hatte sich nicht halten können. Sie machte sich fein und fuhr heimlich nach – und erschien auch im Dorfe. Und der alte Hallmann hatte schon manchmal gestutzt, wenn Ernst auf den Unteroffiziersball zu reden kam und von Mathilde erzählen wollte. Aber er war zu stolz und hatte sich nichts merken lassen. Denn Mathilde war nur in die rauchige, alte Stube eingetreten, wo die Großmutter noch immer heulend und mit fast verklebten Augen auf ihrem Schube hockte, wie vor fünf Jahren, und der Heintke sie anstarrte und verlegen sie immer wieder anglotzte, während die schielige Heintken ihr gleich um den Hals fiel und sie küßte, daß Mathilde ganz demütige Elendigkeit plötzlich fühlte, wie sie jetzt dachte, daß Ernst sie liebte und sie doch hier in der Verkommenheit saß. Und sie wagte die ersten Tage gar nicht mehr hinauszugehen. Bis sie Ernst einmal am Abend das Gemeindehaus umschleichend fand. Da sprang sie hinaus und war nicht zu trösten, so elend und traurig kam sie sich vor, so schienen alle ihre Hoffnungen verronnen, und alle ihre Demütigungen sich über sie auszubreiten, daß sie Ernst fast nicht wieder anzurühren wagte, und er in Unruhe sich aufrichtete und ihr mit allerhand Schwüren schließlich sagte, wie er von ihr nicht lassen würde.
Aber daheim hatte er nicht zu reden gewagt – daheim war er doch im Banne des alten Riesen, der vielleicht beim plötzlichen Gedanken den Tisch in den Boden gestampft oder den Soldaten unversehends erwürgt hätte, so hätte es ihn treffen können. Und man hatte wohl geredet, wie Mathilde einmal an Hallmanns Gut vorbeigegangen war, wie gut und anständig sie ausgesehen. Aber der alte Bauer hatte keinerlei Miene gemacht, und der Sohn sah ihn nur heimlich an und wagte auch dabei kein Wort, und schließlich waren beide für sich abgereist; denn selbst sich zu treffen und miteinander zu fahren, ging nicht, weil der Alte den Sohn selber zur Bahn fuhr und am Ende sichtlich jeden Gedanken vermied, der in ihm mißtrauisch aufstieg, ihn niederkämpfend, vertraulich und stolz noch immer zum Sohne – wahrend Mathilde von der schieligen Heintken, die alle mißachteten, ihren nun auch wieder mit verachteten Weg zu Fuß durchs Dorf ins Tal einschlagen mußte. Es waren harte Tage voll Kampf und Unruhe, daheim und draußen, ein Gefühl, als wenn man sie geschlagen hätte und sie mit blutigen Striemen aus dem Dorf lief, war in ihr. Sie war nie im Leben so innig arm und elend gewesen.