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Dominick lag elend daheim in seinem Stübel. Er war zerrüttet. Seine Bücher, die er hatte, ein paar, die er aus dem ersparten Stundengelde sich erworben und mit ganzem Vergnügen, standen nicht mehr an ihrem Orte. Er hatte sie längst billig an einen Antiquar verschleudert, um nur Geld zu haben. Ein paar geschriebene Hefte lagen nachlässig auf dem Tische. Am Erdboden in der kalten Stube – es war am Pfingsttage am späten Morgen – lagen seine Kleider in Verstörung und schmutzige Stiefeln. Dominicks braune Haarsträhne stachen wunderlich ab gegen die bleichen Mienen, mit denen er auffuhr. Er wollte nach seiner Uhr greifen in halber Schlafverwirrung noch, aber wie er suchte, fand er keine, und er sprang jetzt ganz heraus, um den dunklen Vorhang zu lüften. Sonne fiel herein ins Zimmer. Er sah, daß draußen Leute in sonntäglichem Gange langsam die Straßen erfüllten und keine Lastwagen, nur einige Droschken vorüberfuhren. Er war wie ausgehöhlt, daß er sich gar nicht an sich selber erinnern wollte. »Pfui Teufel«, sagte er vor sich hin, wie oft, stand im Hemde vor seinem Bette und versann sich. Die Hausruhe kam ihm peinlich vor. Auch die Mühle schwieg mit Rumpeln und Getöse, und Leute im Flur mochten aus der Kirche heimkommen, alles in stillem, gemessenem Sonntagsfrieden. »Pfui Teufel«, sagte er und sann in sich und überlegte, wie alles gewesen. Drüben in der kleinen Weiberschenke die halbe Nacht – er blickte vor sich, als ob er noch in dicken Rauchwolken säße, und kniff die Augen von dem Schmerze, den er viele Male empfunden hatte, ohne daß er es groß achtete. Und er sah hinein, bleich und saumselig, wie er jetzt dastand und wachend träumte. Und er sah die kleine, helle Person, die spät um Mitternacht in Männergesellschaft eingetreten und gleich zu ihm gekommen war und ihn dann an den Tisch der Arbeitsleute, die wohl Schlosser und Handwerker gewesen, herangeladen, wo er sich auch so unglaublich töricht benommen hatte.
»Narr!« – Er hatte sich einfach groß getan. Wie er nur in die Kneipe noch gehen konnte, wie er nur das alles bezahlen sollte! Er hatte schließlich groß getan und den Wirt gefragt, ob er ihm leihen würde, und hatte eins nach dem andern großartig auffahren lassen. Ja – einfach Bauernfänger. Er hatte den Namen einmal gehört. »Ich Ochse,« sagte er, »ich hätte es doch gleich merken müssen. Und daß dieser Wirt mir auch lieh! Wie ein abgekartetes Spiel«, murmelte er für sich und kroch ins Bett. Aber er stand sofort wieder auf, um sich umzusehen. Er prüfte, was er noch verkaufen könnte. Die elenden Möbel gehörten ihm nicht. Und es war ihm auch nichts klar. Er hob die Bettlaken auf und fühlte ins Bett hinein. Nur ein Strohsack lag darin, der ihm gehörte und ein Bett auf den Füßen, das von seiner Mutter stammte. Es war ihm entsetzlich zu Mute. Er hatte nicht viel getrunken – gar nicht – auch geraucht nicht viel.
Nur die andern. Er brannte ganz in Aufregung. Er sann wieder und sann und sah dann einen Augenblick in eins der Hefte, wo er einen wunderlichen Aufsatz verbarg und einige Verse. Er sah hinein und las: »Die Auswanderung der Plebejer auf den heiligen Berg.« Darüber hatte er einmal seinem Herzen Luft gemacht. Es gingen Tritte draußen, und er sah noch einmal auf die Straße.
»Nun los«, sagte er und raffte sich auf und fuhr in seine Hosen, nahm den Krug mit Wasser aus seinem engen Waschtisch und goß ihn sich umständlich über den Kopf – eine lange Weile – wobei er laut und fast ausgelassen prustete. Und plötzlich fiel ihm etwas ein, er durchsuchte, naß und triefend, wie er war, alle Taschen. Er hatte keinen Pfennig Geld mehr.
»Alles futsch, hahaha.« »Bübchen«, hörte er die Stimme der Hellen, die ihn dann heimgeschleppt hatte. Und er ging ans Fenster, sah lange hinaus und sagte nur: »Verflucht alles.«
Aber er brachte sich vollends in Ordnung, daß er bald auch in Stiefeln stand, die er selber putzen gemußt, und den Wochenkittel besonders sonntäglich auszusäubern anfing. Dann wollte er sich niedersetzen und arbeiten. Da hörte er Mathilde den Gang kommen, die kindlich und freundlich in ganzer, ärmlicher Sonntagsordnung eintrat und etwas brachte.
»Ein Brief, Herr Dominick«, sagte sie.
»An mich?«
»Er steckte im Türspalt«, sagt« sie und sah erschrocken aus, als sie sein graues Gesicht näher anschaute. Dominick dankte hastig. Dann las er.
»Ich soll für meinen Vater einen Schreibtisch kaufen, und das Geld habe ich vertan«, sagte er vor sich hin und sah in den Brief: »Er schreibt danach.« Mathilde sah ihn an und sagte nichts.
»Nichts schickt er und kaufen tut er für sich immerfort, der Alte – gemein!«
»Kann ich Ihnen helfen«, sagte sie scheu.
»Nein,« sagte er, »das können Sie nicht.« Er dachte wieder an die Kneiperei gestern, die er veranstaltet hatte, und wo er wie ein Prahler, singend und Verse lesend und schwatzend, daß er es noch im Ohre hörte, die gemeinen Kerle unterhalten und schließlich mit Bier und Schnaps bewirtet hatte. Er schämte sich, daß er Mathilde gar nicht recht ansah, und griff gefühlsmäßig noch einmal in die Weste hinein und dachte, daß er das letzte gar vergeudet und dem blonden Tier hingeworfen. »Ach, Mathilde, es ist ein elendes Leben. Wenn es einen faßt, zieht es einen tiefer«, sagte er traurig.
»Kann ich Ihnen nich' aushelfen, wenn es für Ihren Vater sein muß?«
Dominick nahm einiges Geld, das sie ihm hinhielt.
»Langt es?« fragte sie. Er hörte nicht und starrte nur das Geld an.
Sie hatte an ihrer Bluse freimütig die oberen Knöpfe gelöst und einen kleinen Lederbeutel herausgezogen, den sie auf der Brust trug, und hatte gleich ein weiteres zugelegt.
Dominick hielt es in der Hand und sah ganz bekümmert aus, und sah es wieder an, zögerte und schüttelte den Kopf, ehe er es endlich hinlegte.
»Es ist ein infames Gefühl«, sagte er.
»Wie Sie aber sind«, sagte Mathilde.
»I, wenn Sie es mir geben – gut«, sagte er resolut und sah wieder in den Brief. »Es ist ein infames Gefühl, wenn man sich verachtet«, sagte er eifrig und geschäftsmäßig. »Aber wenn Sie es mir geben, gut, da kann ich das mit dem Vater glatt machen.« Und er starrte das Geld an und schüttelte noch einmal den Kopf, wie ablehnend. »Es ist gut, daß Sie zu mir kamen, ich bin elend«, sagte er verdrießlich und sah sie kaum an.
»Nicht deswegen«, setzte er hastig hinzu, weil es ihm peinlich war, Mathilde könnte an das Geld denken, das immer noch unberührt auf seinem Tische lag.
»Kommen Sie mit hinaus – ins Freie, es ist Pfingsten heute«, sagte sie ganz kindlich und versuchte, zu lachen.
»So – Pfingsten? – So so –«
»Kommen Sie doch mit, Max«, sagte Mathilde. »Man wird Blüten sehen und leuchtende Wiesen und Knospen an den Bäumen«, so klang es nach in ihr.
»I nein«, sagte er. »Ich nicht!«
»Aber was is Ihnen denn?« sagte nun Mathilde ganz erstaunt und traurig.
»Elend bin ich, ich passe nicht hinaus,« sagte er ganz mürrisch, »und weiß mit niemand heut was anzufangen,« indem er sich nun in das zerrissene Sofa setzte – »auch mit Ihnen nichts.« Aber Mathilde war wie eine Trösterin. Sie ließ ihn nicht versinken. Sie ließ nicht locker, bis er mit ihr an den Fluß ging, wo sie den Nachmittag einsam unter Weidenblüten und in Frühlingslüften zubrachten, und wie sie heimkamen, erst zu Abend, seine Seele in einen ruhigen, stärkenden Schlaf sank.