Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Der alte Hallmann kommt dahinter

Hallmanns Ernst war noch nicht lange daheim, als der Vater richtig dahinter gekommen. Die beiden, der Vater mit seinem schweren Gange und seinem Maße, daß er sich immer in der Türe bücken mußte, und daß er auf alle andern etwas herabsah, grauen Hauptes, und runzelig im Gesicht, und mit einer Zahnlücke in seinen sonst großen glänzenden Zahnreihen, vierschrötig und mächtig, und der Sohn ebenso lang und energisch und noch im Drill, mit entschlossenen Handreichungen und sicherem Ausdruck, als könnte er noch vor jedem General paradieren, und als wenn er sich vor niemandem verstecken brauchte. Wenn sie sich ansahen, lag es in gleicher Höhe, auch die heimlichen Blicke, die der Vater in den Wochen nach ihm ausgesandt, und die der Sohn ohne hinzusehen, ebenso heimlich gefühlt und doch getan hatte, als wüßte er von nichts, und als könne es nie etwas geben. Aber der Vater war schlauer als Ernst. Und Ernst war doch nur des Vaters Sohn, nicht der selber – denn sonst hätte er es in allem wie der Vater gemacht, als der seine erste heiratete, gegen die die ganze Familie sich ohne Erfolg hatte stemmen wollen. Sonst wäre er hereingekommen, schon gleich mit der Soldatenmütze auf dem Kopfe und dem Stöckchen mit der Reserveschleife, und mit dem sicheren Tritte und hätte gerufen: »Ich bring' euch eene mite«, ob es gleich Mathilde gewesen wäre, die Tochter aus der Heintken erstem Leben. Aber Ernst war nur des Vaters Sohn und nicht der Alte. Er war doch im Grunde eingeschüchtert. Er hatte nichts gewagt. Und hatte auch den fragenden Blicken und allem Aushorchen gegenüber nur den Schein von Ruhe gefunden, ohne recht zu wissen, wie sich die Sache endlich aufhellen ließe. Es war unbegreiflich, wie er nicht hatte gleich den Mutigen machen und mit der Tür ins Haus fallen können. Daß er nicht die Wochen heimlichen Spiels erst nötig gehabt. Das war jetzt nicht mehr gutzumachen. Als er eines Wintertages mit dem Fuhrwerk in den Hof einklingelte, merkte er gleich am Rücken des Alten im Stubenfenster, daß der mit ganz anderer Miene saß. Er ließ sich nicht stören, die Pferde auszuschirren und ihnen Futter in die Raufen zu hängen, ehe er hineintrat. Ihm war es unangenehm. Er dachte zunächst daran, daß er nun wie ein armer Sünder dastand. Ein gutmütiges Glück lag in seinen Augen trotzdem. Es mußte sich endlich zeigen, wohin es führte. Und er hatte die Geschirre nur an die mächtigen Querstangen im Stalle aufgehoben, die schweren Kummete zuletzt, und hatte im Dampfe und der Dunkelheit dann ganz vergessen den Hafer zu schütten, daß die Pferde in das Heu der Raufen einschrobten, wie er hinaus in den Flur trat und nachsann. »Ernst –« rief der Alte aus der Stube, ohne sich recht vom Platze zu rühren.

»Vater«, gab Ernst zurück und trat in die Stube, wo die Mutter am Herde hantierte und eine kleine Rothaarige Scheite in das Ofenloch stopfte. Ernst war noch ganz in Ruhe und Hallmann scheinbar auch. Und Ernst blieb eine Weile phlegmatisch, in diesem Augenblick ganz wie der Alte selbst, am Türrahmen stehen, und behielt die Mütze auf dem Kopfe, wie auch der Alte in der Mütze am Tische saß. Der Alte hatte ihn ebenso phlegmatisch eine Weile betrachtet. Und die Mutter sah ihn und den Vater über die Schulter an, als wenn es etwas geben könnte, in das sie sich lieber nicht hineinmischte. Nur die kleine Rothaarige war völlig gleichgültig, auch als sie ein Schaff unter der Ofenbank hervorlangte und Wasser hineinzuschöpfen begann.

»Was ist denn das?« sagte jetzt Hallmann, indem sich ein Hauch von Bleiche in seine Mienen stahl, und er einen Brief aus seiner Tasche zog, den Ernst auch gleich erkannte.

»Wie kimmst du denn zu dam Briefe?« sagte Ernst, scheinbar ohne jede Erregung, und das gutmütige Glück lag in seinen Augen, daß der Vater einen Augenblick schwieg und ihn ansah. »Wie kimmst du denn zu dam Briefe?« wiederholte Ernst ganz gelassen und kindlich. »Dar is doch fir mich.«

»Asu – asu!« sagte nur der Bauer – »der is fir dich. Sag mir ock endlich amol vo wam?«

»Vo d'r Mathilde«, sagte Ernst ganz lässig und hatte noch immer die gutmütigen Züge, die ins Lachen spielten.

»Vo d'r Mathilde?« lamentierte ganz erschrocken und wie aufgestört die weißhaarige, runde Alte und wollte an den Tisch kommen, um es auch genau zu sehen, und die kleine Rothaarige hätte in diesem Augenblick beinah den Schwengel aus der Hand gleiten lassen, mit dem sie eben eilfertig in die Kartoffelschalen stieß.

»Vo d'r Mathilde?« sagte der Alte ganz streng und sah Ernst an, daß das Lachen sofort aus seinen Mienen wich, und er das erstemal streng sagte, wie es auch der Alte sagen konnte:

»Ju ju – nu sicher: Vo d'r Mathilde.«

Und der Alte, wie die Mutter gar auch in den Brief zu sehen wagte, war grob und sagte: »Der Brief giht niemanden was a.«

»Niemanden«, sagte er zur Mutter ausdrücklich, »auch dich ni – ock mich – und Ernsta.«

Ernst war es in diesem Augenblick unangenehm. Deswegen kam sein Lächeln wieder, als wenn er einen Ausweg suchte. Und er ärgerte sich plötzlich, daß er wie ein dummer Junge an der Tür stand, und daß er es nicht gleich klar gemacht.

»Ock mich und dich giht's was a«, sagte er unerwartet ganz wild – »nu ju ju – überhaupt is die Sache schon ganz klar.« –

Aber so schnell ging es bei Hallmann nicht.

»Was is denn das fir an Mathilde?«

»Nu drieben die «sagte Ernst bestimmt und harmlos.

»Ich war d'r amol was sagen«, sagte Hallmann feierlich, hieb aber im nächsten Augenblick auch schon auf den Tisch, daß alle dachten, er zerschlüge ihn – und alles ringsum bleich wurde. Die Sonne fiel einen Blick herein, daß das Zittern der Teller und Schüsseln, die mit Teig und Rosinen dastanden, sichtbar wurde. Ernst sah den Alten. Er konnte nichts weiter machen, wenn der in seinem Aufwallen auch sinnlos geworden wäre. Aber der Alte hielt immer noch an sich. »Ich war d'r amol was sagen«, begann sich der Alte jetzt ruhig zu fassen. »Vo da drieben kimmt kenner ei inse Haus, verstihst de mich!«

»Vo drieben sollte ees ei inse Haus«, sagte entrüstet die Alte, indem sie sich wie ganz im Unbegreiflichen nach Ernst umsah, und die kleine Rothaarige heimliches Lachen nicht unterdrücken konnte.

»Ich gleebe doch«, sagte Ernst, aber das Blut schoß ihm zu Kopfe. Scham kam, wie er dastand. Er ertrug es einen Augenblick, dann wurde er weich und fühlte, daß sich Tränen in seine Stimme mischten:

»Das warn mir erst amol sahn, ob Mathilde nee ei's Haus kimmt. Ich bin au enner!«

»Hahaha«, lachte der Alte, daß ihn die Mutter ganz erstaunt und furchtsam ansah, wie er verstört dreinblickte, und jetzt die kleine Rothaarige froh war, daß sie einen Anlaß fand, hinauszuschlüpfen, um es heimlich denen im Stalle zu erzählen, was es gäbe.

Aber der Alte konnte Ernst nicht sehen, ohne nicht einen Schein von Stolz in sich zu fühlen – auch kam es ihm vor, wie von ehedem, wie dessen gutmütige Augen so feucht geworden, daß er nun dachte, er hätte ein Kind vor sich – und ganz eindringlich und behutsam sagte er, indem er an Ernst heranging und ihn am Handgelenk fassen wollte, wie in früherer Zeit: »Ernst, iberleg' d'r'sch.«

Aber Ernst streifte seine Hand stark von der seinigen ab, daß der Vater die Kraft fühlte.

»Mag's kummen, wie's will, mir soll's egal sein. Daß a Madel ei'm Gemeenhaus geburen werd – kann keene Schande sein, wenn se suste a Mensch wie Mathilde is.« Und Ernst wandte sich, ohne zu gehen.

»Im Himmelswillen«, klagte die Alte, »vo driben?«

Es war stille im Stübel. Der Alte sann. Ernst sah den Alten an und wartete und wollte ihm wieder nahe gehen.

»Hot se nee etwa schun ees vo dir?« sagte der Alte und sah in den Brief.

»Freilich, Vater.«

»Ich sa' nischte weiter –« Der Bauer zitterte mit der Stimme, und es drang auf ihn ein, daß er nur grade vor sich hinsah: »Iberleg' d'r'sch – weiter sag ich nischte – «, sagte er noch einmal, und seine Augen brannten lichterloh in die nun mutigeren, jungen Augen Ernsts, der sie aber gleich wieder niederschlug, und während der Alte hin und her lief, um seine Aufwallung zu dämpfen, langsam Schritt für Schritt zur Türe hinaus in den Stall zögerte – vor sich hin lachend in Ratlosigkeit und nicht wissend, mit dumpfem Gefühl, wohin es führen müßte.


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