Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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Der alte Hallmann war ein Riese

Der alte Hallmann war ein Riese unter Zwergen in seinem Bauernhofe, ein Mann mit starker Stimme, die etwas heiser klang, aber bei aller Geschäftigkeit und der harten Arbeit, die er leisten konnte, hatte er doch immer einen Schalk im Blick und machte unter seinen Leuten alles mit Güte. Klug war er außer Maßen. Man denke, daß er einer der wenigen im einsamen Gebirgsdorf war, der sein weites, steinigtes Gut, das an den Hängen aufwärts seine Felder breitete, noch mit gutem Vorteil zu bewirtschaften verstand. Das war einmal schon, weil er es durch eine zweite Heirat verstanden hatte, ein gut Stück braunen Ackers und grünen Waldstreifens seinem ursprünglichen Besitz zuzufügen, und dann – weil er es liebte, ärmliche, schwachmütige Kerle und Frauenzimmer in seinen Dienst zu nehmen, die nun zum Nutzen der Menschheit wenigstens was tun lernten. Ein wahrhaft drolliges Bild, wenn man in seine niedrige Stube sah, wenn es Essenszeit war, und die kleine, runde und immer gutmütige zweite Frau, die mit dem ganzen Bewußtsein schaltete, des mächtigen Riesen Frau zu sein, eine Schüssel Kartoffeln, so groß wie für den Rindviehstall auf den Tisch schüttete, und er selbst oben, den Rücken gegen das Fenster, daß man sein Schattenbild auch draußen sehen konnte, schwerfällig und behaglich Platz nahm, und dann aus dem Stall und vom Miste allerhand wunderliche Geschöpfe, einer mit einem ganz kahlen Kopfe und einer Stimme wie eine zerbrochene Orgelflöte, jung und wie ein Stier so kräftig, und ein altes Frauenzimmer, die immer zerwühlte Haare hatte und schielte, und wenn sie sprach, stoßweise und grunzend und ewig lachend alles abtat, und ähnliches Gesindel, schmutzig und nach Dünger riechend, nach und nach an den Tisch anschoß. Es war eng in der Stube, wenn sie alle am langen Tisch saßen. Der eine berührte fast die Ofenbank mit seinem Schemel, und es wurde gegessen mit einem Hunger und einer Kraft, als wenn man Heuschrecken in ein Feld einfallen und in einem Nu ganze, weite Ernten knackend verschwinden sieht, so biß und schrobte man hinein, ein jeder für sich, und laut und eindringlich hörbar, und nur der mächtige Hallmann selbst erzählte und lachte dann und wann dazwischen, und die runde, kleine, ganz weiße Frau, die sich noch immer nicht setzte, bis ihr die Schemel vollends den Zugang zum Ofenrohr verbaut hatten, gab Anordnungen und nötigte. Wenn sie so saßen, kam manchmal, besonders im Winter, die Heintken aus dem Gemeindehause, sich ein Körbel Kartoffeln oder sonst etwas Eßbares erbetteln, auch nun, wo er, der Heintke längst wieder aus dem Gefängnis heimgekommen war, und sie ihn ruhig wieder angenommen hatte. »Was soll ma denn machen?« war ihre ewige Rede gewesen, »'n Gescheitern krieg ich ni meh.« Und sie stand an allen möglichen Türen im Dorfe und bettelte, denn der Besenhandel begann erst in guter Jahreszeit Ertrag zu bringen, bis dahin mußte sie sehen, wo er und sie und die Schar Kinder blieben. Und so stand sie auch diesmal im Vorfrühling in der offenen Stubentür bei Hallmanns und sah mit verlänglichem Blicke hinein an den langen Tisch in der niedrigen Stube, wo alles schrobte und aß, und murrte fast unverständlich hinein.

»Was hot's denn schon wieder?« schrie Hallmann, »kommt ock ni immer betteln, wenn's draußen Arbeit gibt.«

»Hinte ga' ich nischt«, setzte die weißhaarige, dicke, kleine Frau gleichgültig hinzu und ließ die Heintken stehen, wo sie stand. »O mein Gott, mein Gott, du, du, wenn mir aber nischte zu essen han«, sagte die Heintken und änderte weder Platz noch Miene. »Ihr kinnt mit Kartuffeln stecka –«, sagte ruhig der Bauer. »Doas wär mir lieb«, gab die Heintken zurück, den Blick gierig auf die kauenden Münder und die großen Butterstücke gerichtet, die vor eines jeden Platz lagen, daß er immer wieder für jeden Bissen abschneiden konnte. »Doas wär mir lieb«, wiederholte sie noch einmal, während der Bauer sann: »Übermorne kinnt Ihr kumma.«

»So so – übermorne – kann's nee morne schon sein?«

»Nee«, sagte Hallmann gelassen. Aber er hatte gesonnen und gedacht, und sah dann auch sein Weib an, die auf seinen Blick paßte, und auf einen unbestimmten Wink auch gleich hinlief und der Heintken ihren Beutel abnahm, den sie leer mit sich trug, um ein Säckel Kartoffeln, die sie reichlich unter der Ofenbank hatte, zu füllen und hinzureichen. Die Heintken zögerte noch, wie sie es in Empfang nahm, aber sie wagte nichts weiter zu sagen und ging Schritt für Schritt im Flure hin und draußen an den Fenstern vorbei, wobei ihr der große Bauer, dem graugelbe Haare um den Nacken hingen, wie einem alten Prälaten, kauend und gleichgültig nachblickte, noch wie sie zögernd in die Dorfstraße einbog und gegen das Gemeindehaus zu verschwand.

Es war um die Ostertage, und dem alten Hallmann kam ein Lachen an. Schon einige Male, ehe er sich zu Tisch gesetzt hatte. Er war lustig mit der Alten gewesen. »A rund Weibel ha ich, a schiener Mann bin ich«, hatte er zur Mutter gepfiffen, und sie hatte ihm einen Klaps auf die große Riesenhand gegeben, als er sie um die Hüfte gefaßt, ehe die Leute kamen, und hatte lachend gesagt: »Gih ock!« als wie eine schmollende und heimlich drollige Verliebte. Nun als die Heintken die Dorfstraße hinunter verschwunden war, saß er wieder da, das Messer in der Hand und in die Höh' gestützt und begann zu lachen. Die Alte achtete es nicht. Die wunderlichen Wesen um ihn sahen ihn an und lachten auch. Er, der alte, mächtige Riese, der ihnen Nahrung und Arbeit gab, war eine Art Götze. Es steigerte sein Behagen, wie die alte Runzelige mit den zerwühlten Haaren plötzlich ausplatzte, und der Kahlköpfige in sich pfiff und meckerte. Übrigens war er an solche Laute gewöhnt und achtete es nicht groß. Und er sah nur wieder die Mutter an, und dann wurde er ernst, und es kam Stille an den Tisch. Nun war alles wieder in der alten Ordnung. Hallmann ging in Gedanken. Die Mutter wußte längst heimlich, um was sich das ganz« Spiel in seinen Mienen gedreht hatte, warum er auch gleich gewinkt hatte, der Heintken ihren Bettelsack mit Kartoffeln zu füllen. Sie wußte es, aber sie sagte nichts und tat, als wenn sie es nicht kümmerte. Und der Bauer nahm nun einen Brief aus der Tasche und las und hielt ihn hin, daß die Frau ihn sehen mußte. Denn es ärgerte ihn fast, daß sie die Gleichgültige spielte. Und wie sie noch immer nichts sagte und auch nicht wissen wollte, warum der Brief geschrieben war, sagte er endlich: »Ernst kimmt.« – »Ich ha mer's schon geducht«, sagte die Alte. Und in die Schar seltsamen, schwachmütigen Gesindes kam neu Lachen – und einer sagte mit grunzendem Lachen und stotternd, ohne daß jemand auf ihn hörte: »A – a – a – Suldate... a Suldate... kimmt!« Und alle um ihn freuten sich, auch der Bauer lachte in sich hinein. Nur der Mutter war die Sache nicht so ganz lächerlich. Ernst war Vaters Stolz und Hoffnung. Die andern Kinder hatten schließlich dem Drucke, der von dem mächtigen Riesen ausging, wohl auch infolge des starken Lebensdranges, der aus ihm in seine Kinder gekommen war, und der sich austollen und austoben gemußt, weichen müssen, und waren im Streite längst hinausgegangen, ohne daß es Hallmann zuließ, daß sie wieder bei ihm einkehrten. Nur Ernst war sein Stolz, der Jüngste der ersten Frau. Und im Streite mit ihm zog auch die zweite Frau immer den Kürzeren. Da war nichts zu machen. Hallmann liebte ihn. Hallmann war vernarrt. Hallmann sah Ernst alles nach. Er setzte sich noch für ihn ein, wenn er gegen den Lehrer, so stark wie er mit dreizehn, vierzehn Jahren war, einmal die Hand erhoben und zu drohen gewagt hatte. Ernst war Vaters Ebenbild. Nur an sich leichter eingeschüchtert und im ganzen unter Vaters Macht geduckter und gutmütiger. Wer es gegen Ernst versah, der kam gegen den Vater, nun gar jetzt, wo der Junge als Soldat, sich bückend fast, schon mehrmals ins enge Stübel eingegangen war. »Ihr macht an Girlande«, sagte nun der Bauer zu seinem Gesinde, das ihn plötzlich verklärt anstaunte und so seltsam und heimlich lächelte, als wenn schon diese Ahnung festlichen Schmuckes in den geistig Armen einen Schein von Licht brächte und Feuer entzündete. »Macht's ock nee zu tolle«, sagte Frau Hallmann, als sie noch ein Brot zum Tische brachte. Aber der alte Riese war ganz nur in übermütigen Gedanken, daß er es kaum hörte, so war er innerlich hingenommen vom heimlichen Bilde des Sohnes, daß er lachend vor sich hinkaute, sich gar nicht umsah, nur dann ganz versonnen hinhörte, wie der kahlköpfige Trottel unten am Tische noch einmal herausplatzte: »A – a – a Suldate – a Sul – Suldate – kimmt – zu – zu – ins« – und alle wieder lachten und pfiffen und meckerten, und schließlich der Bauer auch sagte: »ju, ju – dr Suldate kimmt – Mutter – dr Suldate kimmt. «


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