Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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26

Mathilde fährt heim

Und nun war der Brief endlich gekommen, der in zögernden Worten hilflos und ohnmächtig über den ganzen Vorgang daheim erzählte. Wie es so bei einem ganz Ungeübten ist, der nur alle Jahre einmal die verpichte Tintenflasche mit warmem Wasser wieder lebendig gemacht. Ernst sagte ihr mit groben, vergilbten Schriftzügen, was es im Bauernhofe für einen Streit gegeben, und was für harte Köpfe und Worte da schalteten und walteten. – Der Brief hatte nichts in ihr geweckt, als eine ganz sinnlose Angst und Unruhe zuerst, daß Mathilde jedes Wort schon wie eine gleichgültige Absage, eine elende Furcht, eine trübe Untreue empfand – daß sie gar nichts im Blute fühlte, wie eine Empörung, der sie aber vor der Wirtin völlig Herr wurde; daß sie gleich nur Anordnungen gab, die Wirtin solle das Kind einstweilen zu sich nehmen, wenn sie selbst hinausführe, um zum Rechten zu sehen. Denn mit dem Kinde zu kommen, daran dachte sie nicht, weil sie aller künstlichen und ausgesonnenen Mittel Feind war und nur ganz aus natürlichen Wünschen lebte und fühlte. Auch dachte, daß es sich erkälten müßte, jetzt im Winter – auch flüchtig an die Scham dachte, daß man im Orte zunächst nicht sehen brauchte, ob sie ein Kind hätte oder nicht. Aber wie sie so in Vorbereitungen hantierte, wurde ihr leicht. Sie war Ernsts zu sicher. Sie wußte, ich bin stark, nun gar, wenn ich ihm Auge in Auge erzählen kann. Sie sagte der Wirtin fast nichts. Sie ärgerte sich sogar, wie die zu direkt fragte. Sie dachte: Was geht's dich an und fürchtete, jedes Wort könnte ihre neu wachsende Hoffnung trüben. Denn nun grade würd' sie immer mehr belebt. Wie es kräftigen Menschen immer geht, die nicht in Untat sitzen und nur warten können, da bricht ihnen aller Mut, und alle Kraft liegt im Graben, wie ein zerbrochener Wagen. Wenn aber wieder zu schaffen und zu wirken ist – heidi –, wenn man erst an Ernst heran kann, dachte sie. Ich will ihm schon zeigen, daß ich dieselbe bin. Und ihn umarmen, als zerbräche er. Sie dachte plötzlich auch an gar keine Vorwürfe mehr. Sie dachte nur an ihn, und fühlte ihre Inbrunst. Sie verlangte nach seinem Wesen wie nach Luft. Oh – ganz ausgelassen wurde sie, nun sie ihre besten Kleider suchte, um sich fein säuberlich herzurichten – da stand sie –, das schlafende Kind noch einmal bestaunend, und wie sie darauf niedersah, hatte sie es auch gleich aus seiner Ruh gerissen, so schien Ernst daraus hervorzusehen, um es ganz sinnlos zu drücken und zu küssen, daß es schrie, so aufgeregt machte sie plötzlich der Gedanke, da oben zu sein und wieder mit ihm zusammen. Und sie wusch sich strahlend und klebte das Blondhaar mit Wasser fest an den Kopf. Es stand ihr abscheulich. Sie wußte nicht, daß das am Wasser läge und daß die hudeligen Strähne wie lichte Strahlen ein Gesicht umrahmen, und wenn man sie anklebt, es aussieht, wie eine Papiersonne, die nicht glänzen und zücken kann. Aber sie wollte im Bauernhof reinlich erscheinen. Sie dachte schon nicht anders, als zum alten Hallmann selbst zu gehen, wenn sonst kein klarer Ausweg sich finden würde. Frisch stand sie da, ihre Unmut war fortgescheucht. Man sah eine, die man kannte aus der Jugend, wer einmal den Blick hat, was ein Mensch aus Blut und Leben ist – aus sonst nichts weiter –, einer, der wie eine Blume, Fels oder Moder aufhebt, um zum Lichte zu kommen auf jeden Fall. Sie lachte mit dem Kinde wieder und wieder, wie sie allein war, daß die Wirtin draußen, die gar nichts Rechtes aus Mathilde herausbekommen, nun denken mußte, es wäre etwas ganz Freudiges mit dem Briefe ins Haus gekommen. Nein, nein, gar nichts Freudiges, was ganz Abscheuliches. Ernst hatte wirklich wie ein Feigling geschrieben. Ernst war in Vaters Nähe und schrieb lässig, außerdem wußte er überhaupt nicht recht zu schreiben. Mathilde las noch einmal den Brief, den sie sich in einen Schub eingeschlossen und niemand gezeigt hatte. Sie hatte noch das Handtuch um die nackten Schultern geschlungen und stand da wie eine schöne, rosige Frau mit leuchtendem, weißen Halse und dem Kopfe, der sich lachend hob, die blonden Haare festgeklebt und lachte in den Brief immer von neuem, als wenn sie sagen wollte: »Du Dummkopf, ich werd' dich schon stark machen, wenn ich bei dir bin!« – Ein Gedanke trieb sie zum Spiegel – fast kindlich stand sie davor –, und band dann auf der Schulter das weiße, neue Hemd, in das sie Spitzen hineingenäht – und wurde auch flüchtig traurig, als wenn alles an Hoffnungen erinnerte, die zerflossen waren. – So ging es auf und nieder. Sie war nicht stillzumachen. Sie begann einige rauhe Töne zu singen, und ging endlich, außer Maßen geordnet, daß die Wirtin erstaunt in ihrem Flure stand, sie von allen Seiten besah und ein zufriedenes Gesicht machte – auch bei sich erwog, die könnte nun vor jedermann, auch vor einem Bauernsohne sich mit allem Anstand sehen lassen. Zudem ermaß die Wirtin, daß Mathilde eine Goldbrosche angesteckt auf rotem Wollgrunde, daß ihr frisches Gesicht eine wattierte Kapotte umrahmte, die ganz neu aussah, und daß kein Mensch sie wie eine aus der Fabrik empfinden würde, so respektabel schien sie ihr, so erfüllt war Mathilde auch von sicheren Gefühlen und von der Kraft, die ihr im Blute lebte, jedesmal, daß sie etwas tun konnte und nicht müßig warten.

Aber wie die Junge nun in die Nähe der Heimat kam und die Berge sah, in denen sie in Verachtung aufgewachsen, war aller Glaube hin. Sie hatte sich in alle möglichen Pläne hineingeredet. Nun sie die Berge sah, war nur noch Trotz und Stolz übrig, mit denen sie an Ernst und vor allem an das ganze Dorf dachte. Und wie sie die letzte Schlucht aus dem Flußtal aufwärts ins Dorf einging, wo sie in Elend und Ärmlichkeit tausendmal früher vorübergehuscht, da ging sie Schritt um Schritt, streng, mit heimlichen Blicken voll innerer Spannung, wie auf der Lauer – und ließ viele Male die kleinen Kinderschlitten an sich vorübersausen, den eisigen Weg nieder und sah sich um, atemschöpfend und erregt und zögernd, wohin sie sich jetzt wenden sollte.

Alles brach über sie ein. Der Gedanke an ihr Kind hatte ihr noch gefallen. Nun peinigte sie, daß niemand ahnte, daß sie auch Saleck ein Kind geboren. Und sie trotzte. Ein Mißtrauen ohnegleichen erkältete ihren Blick, wie sie jetzt oben hinaufkam, wo das Tal sich rundum weitet, wo Bauernhäuser an der Straße und drüben am Wasser lagen, wo sie alles wiedererkannte, was sie demütigen mußte: Das Gemeindehaus über der Kirche an der Berglehne beim Walde und das große Gutshaus Hallmanns, das mit seinem grünen Balkenwerk im silbrigen Rauhfrost besonders weithin leuchtete. Das Dorf lag in tiefer Ruhe. Die Kirchenglocken läuteten. Mathilde war so benommen, daß es ihr buchstäblich den Atem verhielt. Es war um die Dämmerzeit. Der Abendstern funkelte diamanten am weißen Himmel. So rein war die Luft. Sie stand da am Wege – und wußte nicht wohin. Sie wollte weitergehen. Sie meinte weiter hinein in die Berge und nicht unter die, die jetzt den Bannkreis wieder schließen müßten. Sie zitterte fast, so ergriff sie die ganze Unsicherheit ihrer Lage. Und mein Gott: wenn nun gar der Bauer erfahren, daß sie auch Saleck ein Kind gegeben, kam es in ihr auf. Sie lief unerkannt, weil eisige Kälte herrschte, und nur Kinder und achtlose Arbeiter ihr begegneten, weiter hinauf an Hallmanns Gut vorbei, bis man vor der Höhe tief die Täler mit Dörfern und Städten sich in Dämmer hüllen sah – und sie auch Hallmanns Gut ganz dicht unter sich mit dem Hofe überblicken konnte. Das Blut stockte ihr. Hallmann trat aus der Tür in den Hof. Ernst dahinter. Alles ging hier seinen Gang. Ernst führte eine Kuh heraus, die der Alte behaglich musterte. Dann zog sie Ernst gleichgültig wieder hinein. Alles lag im Frieden und im Silberfrost, der unter den Füßen knarrte. Mathilde hätte vor Rache plötzlich aufschreien wollen. Und sie stand, ihre Finger fast erstarrt und ihre Füße, und lief weiter, als jemand aus dem Hofe heraus auf die Straße kam und gar gleich denselben Weg schritt, den sie gekommen war. Sie begann, eiliger emporzusteigen, als die schielige Dumme, die sie wohl von früher kennen mußte, auch gleich ein grunzendes Geschrei machend, ihr folgte. Aber es galt nicht ihr. Die Frauensperson lief nur in den Kaufladen oben am Wege. So konnte Mathilde von ferne stehen und von neuem hin und her gehen, als es dunkel wurde. Das Licht glänzte bald aus der Bauernstube. Mathilde ging näher. Sie sah den breiten Schatten des Bauern am Fenster sitzen und wußte, daß sie drin beim Essen waren. Solange hatte sie ziellos und sinnlos gestanden, fast eine Stunde und mehr. Sie wußte nicht. Sie ging näher, noch näher und hörte das ganze, behagliche Reden des Bauern, wie er Ernst rief und Ernsts Worte klangen ihr ins Ohr, so ruhig, als wenn sie gar nicht in der Welt wäre. Gar kein Nagen und Grämen, daß sie auch hier viele Male daran war, hineinzurennen mit aller Wut und zu rufen, daß sie es alle hören sollten, wie die Sache stünde – und was sie derweilen zu leiden hätte. Aber – sie hielt sich zurück. Sie ging sogar um das Haus auf einem dunklen Feldweg, der schroff gegen den Wald anstieg, der tief verschneit lag und im Sternenlicht Diamantenglanz funkeln ließ. Es war einsam. Hier sah sie niemand. Aber wie sie in den Obstgarten kam, um ins Fenster zu sehen, ein Wagnis ohnegleichen, da schlug der Hund an, und im Stalle fing es an unruhig zu werden. Die Kühe rumorten mit Ketten. Sie sprang hastig hinaus ins Feld und suchte wie eine ganz Unbefangene wieder in die Dorfstraße einzubiegen – trat dann, als wenn sie einen Entschluß gefaßt, von der Straße in den Gutsweg, bestimmt und anständig und unbewegt, als wollte sie einfach hineintreten. Aber am Zaune blieb sie unversehens haften, als Ernsts Lachen ganz herzhaft und unbesonnen herausklang. Sie kehrte um und schritt das Dorf zurück, hinunter, wo sie dachte, daß eine Freundin wohnte – die Friede-Emma, die mit ihr zusammen die ersten Jahre Fabrikarbeit getan – um bei ihr zu wohnen. Es war unten am Dorfeingang ein armseliges Häuschen, das immer blauen Rauch aus der Esse in die Schlucht spann. Darein trat sie nun scheinbar arglos und mit vom Froste feuerndem Gesicht ein.


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