Carl Hauptmann
Mathilde
Carl Hauptmann

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27

Mathilde trifft Ernst heimlich

Hallmann war in die Stadt gefahren, und die Alte war die Stiefmutter. Mathilde brauchte also keine Rücksicht zu nehmen. Ernst stand mit dem Kahlköpfigen und drosch. Es war ebenfalls ein kalter Tag. Da hatte Ernst gleich Mathilde erkannt. Es war ihm klar, daß sie es sein mußte, ganz besonders, weil ihr Gang im Zögern aussprach, daß sie etwas suchte, was nicht mit kaufen, was nur in Hallmanns Gute zu gewinnen war. Ernst hatte die Drescherei dem Kahlköpfigen allein überlassen und war in den Stall gerannt. Das konnte er. Der Kahlköpfige und auch die anderen Trottel waren gewöhnt, daß er sich wie der Herr benahm, noch dazu, wenn der wahre Herr nicht daheim war. Und er gab ihr auch gleich aus dem Stalle ein Zeichen. Mathilde hatte etwas Verwegenes. Man sah es ihr gleich an. Sie war jetzt tagelang in dem Schmutze unten gewesen, hatte sich niemandem gezeigt, nun gar ihren Leuten nicht, um nicht alles gleich zu Anfang zu verderben, hatte nur alles darauf angelegt, Ernst zu sprechen, vor allem Ernst allein zu sprechen; um zu erfahren, was das eigentlich wäre? Und wie sie ihn sah, – und er sie, war in ihr alle Leidenschaft von neuem wieder aufgewacht. Sie hätte fast vergessen, an sich zu halten, und wäre, daß es alle gleich gesehen hätten, in seine Arme gelaufen, wie sie es getan, wenn er in ihr Stübel trat. Nun aber sah sie, wie heimlich und ängstlich er tat, daß es niemand sehen dürfte. Er winkte ihr aus dem Kuhstallfenster heraus und gab ihr Zeichen. Ihr ganzes Gesicht lachte, so lief sie, als wenn sie gleich ein ganz anderes Ziel hätte. Und sie kam jetzt auf weitem Umwege heran – sie hatte seine Zeichen aufs genaueste zu deuten gewußt – in einen Anbau, wo die großen Ochsen ihren Stall hatten. Dort in der Hintertür merkte sie niemand. Mathilde sah wohl, daß Ernst kein Soldat mehr war. Daß er jetzt in der kurzen Jacke war wie ein richtiger Bauer, schwerfällig und unbeweglich, auch nicht die Laune und Lust in den Augen, wie wenn er auf der Landstraße, unter leuchtenden Ebereschkronen, Trommler voran, hinmarschierte. Er sah sogar nüchtern aus. Aber sie brauchte ihn nicht lange anzusehen. Er umarmte sie so herzhaft, nachdem er noch einmal beobachtend um das Gebäude herumgegangen, dessen Hinterseite nach den Feldern lag; und dann zog er sie schnell in den Stall hinein:

»Nee, Mathilde«, sagte er nur, so erstaunt war er und gutmütig –.

»Ach Jeses nee«, sagte sie nur in halber Seligkeit und Glut.

»Ich kunnt d'r nee schreiben«, sagte er. »Der Vater...«

»Du wißt gar nee, was ich gelitten ha', ich ha' doch a Jungel.«

»O jemersch – nu da –« sagte Ernst, als wenn er eingeschüchtert und dumm wäre.

»Warum huste denn gar ni geschrieben, außer das letzte –«

»Nu – juju – « sann er verlegen, als sie im Stroh standen und flüsterten.

»Huste mich ni meh gerne«, sagte sie, ihn mit ihrer ganzen Inbrunst anblickend.

Und er sah sie wieder an, wie nur ein Strahl Sonne durch die Ritzen schoß, daß ihr blonder Kopf im dunklen Raum in strahlender Luft, lichtumsäumt zu schweben schien. Es war ihm plötzlich ganz unbegreiflich, daß die es wäre – die er nahe daran war, in der Alltäglichkeit und Ferne aufzugeben – in den ruhigen Kreis des bäuerlichen Tuns einlenkend. Er sah sie an und begann sie gierig zu lieben, daß es ihm schien, als ob er es in unbegreiflicher Verschlafenheit nur vergessen hätte – ganz glückselig wieder.

»Nee, Mathilde, daß du aber kimmst!« Mathilde merkte gleich die Wandlung, wie seine Augen auf ihr ruhten. Vom ersten Phlegma war nichts mehr übrig.

»Willst du mich ni han«, sagte sie.

»Nee – ach – keene Ahnung –« sagte er dawider und ließ sie los, als wenn er etwas ganz Törichtes verscheuchen wollte, so wandte er sich und schlug in die Luft.

»Ach nee – warum ni gar – keene Ahnung.« Als wenn er sie nicht schon hätte Wochen und Monate warten lassen.

»Warum schriebst du denn nee?« fragt sie ängstlich.

»Ha ich ni geschrieben?«

»Außer dem letzten, Wuchen und Monde ni.«

»Der Vater is das«, sagte er zornig.

Und sie vergaß ganz, daß sie etwas wollte, wie sie jetzt bei ihm war, sie schmiegte sich an ihn, daß er sie in seinen Händen fühlte, die volle, stolze Mathilde, die so zärtlich und so demütig war, hier wie nie im Leben, hier, wenn sie nur in seiner Nähe sein und in seine großen, gutmütigen Augen sehen konnte. Seine kräftigen, großen Hände hielten sie um den Rücken, und sie wäre beinahe ins Stroh gesunken, so küßte er sie nun und drückte sie ihn in sinnloser Inbrunst.

»Willst du mich nee han?« sagte sie nur wieder.

»Nee nee« – sagte er nun, als er sie losgelassen aus freien Stücken. »Die Sache ist die, der Vater is dahinter gekummen und hot deinen Brief ufgefangen. Ich hab's 'm aber au' gesagt, das ließ ich mir ni und nimmer gefallen – verstihst de«, sagte er jetzt aufgeblasen, als wenn er entschlossen wäre, und nahm einen hohen Ton an.

Er konnte reden, was er wollte. Mathilde war glücklich. Sie hing nur an ihm.

»A suwas kann sich niemand gefallen lassen«, sagte er wieder. »Der Vater hat a paar Briefe ufgeha'len.«

Mathilde konnte gar kein Wort hervorbringen. Sie war wie zugeschnürt in der Kehle, so waren Herz und Augen voll im Anschauen des Bauernsohnes; daß Ernst von neuem reden mußte. »Was kunnt ich denn au machen? Mit'n Vater is nee gut verhandeln«, sagte er. Und sie wollte ihm nun alles gern erzählen, daß ihr Junge aussähe, wie er – und sie begann fast kindlich zu lachen. »Wenn ich d'r'n erscht amol herbringe – ich hätt'n doch beinah mitegebrucht«, sagte sie im Vertrauen. »O Jeses – lieber nee« sagte Ernst. Daß Mathilde plötzlich traurig aussah und ihn fragend betrachtete und niederblickte. Aber es war ein solch hastiges Hin und Her in ihr in der Stunde, die flüchtig und unversehens gekommen war, daß sie keine Worte für ihre Gefühle ausfand, daß sich ihre Trauer von neuem in ein Strahlen im Auge wandelte, daß sie ihn küßte, auch auf seine derben Arbeitshände, daß sie ihn ohne Begehren nur zärtlich fragte, immer von neuem: »Willste mich nee han?« Daß sie nun wieder in seinen Armen bebte und stumm war in seiner hitzigen Umarmung und seinen stammelnden Worten zuhörte, die flüsternd kamen, bis er ihr alles gesagt hatte, daß wenn auch der Vater hart wäre wie ein Steinklotz, und durchaus nichts wissen wollte – von nichts – man doch die Hoffnung nicht verlieren dürfte –; und bis die Worte verstummten und sie nichts sah, nur in Gedanken durch alle Seligkeiten ohne Sinn und Grenzen eilte und glaubte – wie sie dann ins Dorf hinunterschritt –, daß sie siegen würde, und daß Ernst sie gewiß nicht lassen könnte.


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