Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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3.

Nach seiner Befreiung suchte Nerio Acciajoli mit diplomatischer Kunst, sich einen Weg durch das Labyrinth der Zeitverhältnisse zu bahnen. Venedig begünstigte damals die Ansprüche des Grafen Amadeus VII. von Savoyen auf Achaia und schloß mit ihm sogar ein förmliches Bündnis.Am 24. Sept. 1390 wurden Leonardo Dandolo, Pietro Mocenigo, Pietro Cornaro und Benedetto Superanzo beauftragt, »ad tractandam legam cum magn. D. Amadeo de Sabaudia principe Achaje« (Sindicati I, 401). Dieser Fürst hatte nämlich den Plan gefaßt, sich in Besitz Moreas zu setzen, welches ihm die navarresische Kompanie zu verkaufen gesonnen war. Dafür sollte er Argos dem Despoten Theodor entreißen und den Venezianern übergeben.Reg. Commem. III, lib. VIII, n. 352; Traktat vom 26. Sept. 1390, Venedig. Die moreotischen Barone und die Häupter jener Kompanie trugen dem savoyischen Grafen im Jahre 1391 das Fürstentum wirklich an, wobei sie Nerio den Besitz Korinths gewährleisteten, ohne Athens zu gedenken, welches fortdauernd als eine Baronie Achaias angesehen wurde. In dieser Eigenschaft findet sich Athen in einer für Amadeus im Jahre 1391 entworfenen Liste der Lehen Moreas verzeichnet. Als lehnspflichtige weltliche Herren sind darin aufgeführt: die Herzöge von Athen, vom Archipelagos, von Leukadia, der Markgraf von Bodonitsa, der Graf von Kephallenia, die Gräfin von Sola, der Herr von Arkadia, der Baron von Patras. Als geistliche Herren: die Bischöfe von Modon, Koron und Olenos; als Ritterorden die Deutschen und die Rhodiser.Guichenon, Hist. de Savoie I, preuv. p. 127ff. Hopf, Chron. Gréco-Rom., p. 229. Ebendaselbst, p. 227, die moreotische Lehnliste von 1364, redigiert für die Kaiserin Maria von Bourbon, Witwe Roberts von Anjou. – Man vergleiche damit die wenig abweichende Liste in der venezian. Redaktion des ›Liber consuetud. Imperii Romaniae‹, n. 43, p. 507. Es fehlt darin Salona, welches die Türken besetzt hielten.

Obwohl Amadeo in solche Verbindungen mit den Navarresen getreten war, ließ er sich doch auch mit Nerio, ihrem erbitterten Feinde, in Unterhandlungen ein, deren Zweck gegen jene gerichtet war. An den Angelegenheiten Achaias war der Acciajoli rechtmäßig beteiligt, nicht nur als Herr Korinths und Athens, sondern weil er von Ladislaus, dem Könige Neapels und Vertreter der Ansprüche des Hauses Anjou, am 21. Mai 1391 zu seinem Bail in Morea ernannt worden war.Hopf II, S. 52. Um nun den Kapitänen Navarras einen Strich durch ihre Rechnung zu machen, bot er selbst dem Grafen von Savoyen ein Bündnis an. Die Boten Amadeos, Albertino Provana und Umberto Fabri, kamen nach Athen und schlossen hier am 29. Dezember 1391 mit Nerio ein Übereinkommen folgenden Inhalts: Dieser anerkannte den Grafen von Savoyen als Fürsten Achaias und deshalb als Oberlehnsherrn Athens; er gelobte ihm, zur Besitznahme Moreas und zur Vertreibung der Navarresen von dort in jeder Weise beizustehen, von diesen aber und anderen Gegnern Amadeos niemand in seinen Staaten aufzunehmen. Er versprach, seinen Schwiegersohn Theodor zur Teilnahme an dem Bündnisse zu bewegen, nur sollte dadurch der Vertrag mit Venedig nicht beschädigt werden, wonach sich Nerio verpflichtet hatte, die Herausgabe von Argos selbst mit den Waffen durchzusetzen. Dagegen gelobte Amadeo, wenn er Herr Achaias geworden sei, die von der navarresischen Soldbande besetzten Güter des Großseneschalls und auch Vostitsa dem Acciajoli zurückzugeben. Der Vertrag wurde in der Kapelle des herzoglichen Palasts vollzogen, ohne Zweifel in jener, die zur Zeit der Katalanen als dem hl. Bartholomäus geweiht namhaft geworden war. Nerio nannte sich in der lateinisch geschriebenen Urkunde Herr von Korinth, des Herzogtums Athen und Neopaträs.»Pacta... inter nos Nerium Deyaczolli de Florentia militem, dom. Corinti duchatus Athenarum et Neo Patrie ex parte una, et Abertinum Provane condominum Vilarii Almesii et Humbertum Fabri de Chanciaco procuratores... D. Amedei de Sabaudia princ. Achaye etc. ex altera. – Dat. in civitate Athenarum in capella palatii ipsius civitatis presentib. testib. ... Dimitrio Rendy, Nicolao Macri, ambobus notariis et civib. Athenarum, Leonardo de sancto Petro de Bononya, nobilib. Antonio de Provana de Carniniano et Micaele Belimoti de Pinarolis, sub sigillo mey Nerii supradicti – Dat. ut supra. Ita est. Nicholaus Macri.« Am Pergament das Siegel Nerios mit dem Wappen Acciajoli. Archiv Turin, Principato d'Acaia, mazzo 3, n. 8. Die Kopie verdanke ich dem Präfekten des Archivs, Herrn. Bollati de St. Pierre. Allein dies Übereinkommen blieb auf dem Papier, und auch die Verbindung Amadeos mit Venedig löste sich auf; der Graf von Savoyen stand endlich von seinem aussichtslosen Unternehmen ab.Er starb 1402. Mit seinem Bruder Louis († 1418) erlosch der Stamm der savoyischen Fürsten Achaias. Mas Latrie, Princes de Morée, p. 13. Saracino, Regesto dei Principi di casa d'Acaja, Turin 1881, p. 177.

Dagegen riefen die Navarresen die Türken nach Griechenland. Der Sultan Bajasid, welcher nach der Unterwerfung Serbiens den Kaiser Manuel erst hart bedrängt und dann mit ihm Frieden geschlossen hatte, schickte am Ende 1392 seinen General Evrenosbeg mit einem Heer aus Thessalien nach dem Süden, während er selbst in Bulgarien beschäftigt war. Der türkische Pascha verwüstete auf einem Streifzuge Böotien und Attika, ohne ernstlich Athen zu bedrohen, sodann drang er weiter über den Isthmos in Achaia ein. Nerio forderte die Venezianer fruchtlos zu seiner Hilfe auf und rettete sich alsbald dadurch, daß er sich zu Tribut und Vasallendienst verpflichtete. Seit diesem Augenblick war das Verhängnis Athens nur eine Frage der Zeit.

Hier beschuldigte man den griechischen Erzbischof Demetrios, daß er die Türken aus Nationalhaß gegen die Lateiner herbeigerufen und so die Wohltat, die der neue Gebieter Athens der orthodoxen Kirche erwiesen hatte, mit Verrat belohnt habe. Der Metropolit flüchtete nach Konstantinopel, wo er sich der heiligen Synode stellte und deren Schutz anrief. Nerio aber verlangte vom byzantinischen Patriarchen die Entsetzung des Verräters und Ketzers von seinem Sitze in Athen. Die Synode sprach Demetrios zwar von den ihm gemachten Beschuldigungen frei, allein sie gab so weit nach, daß sie an seiner Stelle Makarios zum athenischen Metropoliten ernannte.Synodalakt vom März 1393, bei Miklosich u. Müller II, n. 435, p. 165. Der Titel des Metropoliten Athens ist: έξαρχος πάσης ‛Ελλάδος καὶ πρόεδρος Θηβω̃ν καὶ Νεω̃ν Πατρω̃ν.

Trotz der schwierigen Verhältnisse, in denen er sich befand, gelang es Nerio Acciajoli, sich nicht nur im Besitze seiner Länder zu behaupten, sondern sogar von dem Lehnsverbande mit Achaia frei zu machen. Er warf sich in die Arme seines Gönners Ladislaus von Neapel. Bei diesem kriegerischen Könige, von dessen Ruf Italien erfüllt war, hoffte er Schutz gegen die Navarresen und die Türken zu finden, zumal Ladislaus der großen Kreuzzugsliga Frankreichs, Venedigs, Genuas und des Papsts beigetreten war. Er erlangte vom Könige die Investitur mit dem athenischen Herzogtum. Sein Gesandter, der lateinische Erzbischof Athens, Ludovico Alliotto, der von ihm eingesetzte Nachfolger des letzten spanischen Metropoliten Pujadell, entledigte sich mit Erfolg seines Auftrages in Neapel, denn am 11. Januar 1394 ernannte Ladislaus Nerio zum erblichen Herzoge Athens, und zwar wegen seiner Verdienste um seinen Vater Karl III. durch die Befreiung Athens von den Katalanen. Fortan sollte der neue Herzog keinen andern Oberherrn über sich haben als den König Neapels. Nicht persönlich, sondern durch seinen Bevollmächtigten leistete er zunächst seinem Lehnsherrn den Treueid als Vasall.

Da Nerio keine legitimen Söhne hatte, übertrug Ladislaus das Recht der Erbfolge in Athen auf dessen Bruder Donato und seine männlichen Nachkommen. Der andere Bruder desselben, der Erzbischof von Florenz und Kardinallegat Angelo Acciajoli, wurde Metropolit von Patras; der König ernannte ihn zum Bail in Achaia und trug ihm auf, Nerio durch einen goldenen Ring zu investieren.Buchon, N. R. II, p. 223. Das Investiturdiplom (Nr. XLI) datiert Gaeta 11. Januar 1394. Dem Nerio und seinen Erben wird erteilt »in perpetuum civitas et ducatus Athenarum«, und er wird ernannt »in ducem Athenarum«. Vom 12. Jan. 1394 das Diplom für Donato.

Ein florentinisches Bankhaus besetzte demnach mit einem seiner Mitglieder rechtskräftig den Herzogsthron Athens in derselben Zeit als ein zweites Bankhaus, das der Medici, die Grundlagen zu seiner späteren Herrschaft in Florenz legte, denn Giovanni Medici war im Jahre 1394 schon ein angesehener Mann, und von seinen nachher berühmten Söhnen war Cosimo 1383, Lorenzo 1394 geboren.

Die fürstlichen Ehren, die sich Nerio erteilen ließ, waren indes nur ein glänzender Schein, welcher auf die Türken keinen Eindruck machte. Die Mahnung des Papsts zum Kreuzzuge blieb ohne die gehoffte Wirkung, vielmehr rief Superan die Osmanen gegen Theodor und Nerio zur Hilfe auf. Dies aber hatte zur Folge, daß der Herzog von Athen sich ernstlich bemühte, sein und seines Schwiegersohnes Zerwürfnis mit der Republik Venedig endlich beizulegen. Er bewog den Despoten Theodor, Argos den Venezianern auszuliefern, und empfing selbst von ihnen Megara zurück. Am 2. Juli 1394 übergab der venezianische Kapitän Grisoni dies Kastell dem Bischof Jakob von Argos, dem Bevollmächtigten Nerios.»Instrum. pacis et concordie cellebrate per castellanos Coroni et Mothoni cum ambaxiatorib. et sindicis ill. domini Dispoti pro civit. Argoliensi« – Mothoni a. 1394, Ind. II, 27. Maji. Commem. VIII, p. 180ff. – »Quietatio facto per D. Nerium d Azaiolis pro pecunia sua danda dispoto... a. 1394, 2. Junii in Corimpto in camera .. dni Nerii de Az. domini Coriptii« (fol. 181). – »Quietatio facta per Rev. patrem D. frem. Jacobum procurator. magn. dni Nerii ac episc. Argolicensem de castro Megare sibi assignato et restituito per capitan. dicti loci nomine ducal. Dominii Venetiarum a. 1394, 2. Julii... in castro Megare in domo habitatoris infrascr. ser Grisoni Grisono« (fol. 186). Nerio wird in diesen Akten nicht Herr von Athen, stets von Korinth genannt.

Bald darauf, im September 1394, starb Nerio, der erste Herzog Athens aus dem Hause der Acciajoli, ein feiner Florentiner, so glücklich wie klug, in allen Künsten des Staatsmannes Meister, der unter den schwierigsten Umständen aus abenteuerlichen Anfängen emporgestiegen und zu einem hohen Ziele gelangt war. Wenn Machiavelli seine Lebensgeschichte gekannt hätte, so würde sie ihm ein lesenswertes Kapitel zu seinem ›Fürsten‹ geliefert haben.Das Bildnis Nerios und die Porträts seiner Nachfolger in Athen in Francesco Fanellis ›Athene Attica‹ (Venedig 1707) sind mehr als fraglich. Dieser venezianische Jurist widmete sein Buch, den ersten Versuch einer Geschichte der Stadt Athen bis 1687, dem Kardinal Nicola Acciajoli.


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