Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Wer zur Zeit Konstans' II. Bischof der Stadt war, ist unbekannt. im Jahre 680 wird Johannes von Athen auf dem ökumenischen Konzil in Byzanz bemerkt.Von athenischen Kirchensiegeln, die sich erhalten haben, scheint dasjenige eines Bischofs dieses Namens das älteste zu sein. Es hat die Umschrift ΘΕΟΤΟΚΕ ΒΟΗΘΕΙ ΙΩΑΝΝΗ ΕΠΙΣΚΟΠΩ ΑΘΗΝΩΝ. Mordtmann, Rev. Arch., 1877, II, S.  55; Schlumberger, Sigillographie byzantine, p. 172. Überhaupt entzieht sich die geistliche Wirksamkeit der athenischen Kirche im frühen Mittelalter unserem Urteil. Wie das gesamte Hellas war die Stadt der heidnischen Wissenschaft kein fruchtbarer Boden für die Erzeugung und das Wachstum der dogmatischen Theologie. Die Jungfrau Maria hatte »die Gespinste der Athener« zerstört, und die neue Sophia wob die ihrigen in den Schulen Konstantinopels, Kleinasiens und Alexandrias, den Heimatstätten der alten Sophistik und der neuen Dogmatik, von wo Origenes, Eusebios, die beiden Gregore, Basileios der Große, Chrysostomos, Arius und Athanasios herstammten. Keins der sieben ökumenischen Konzile versammelte sich in einer Stadt Altgriechenlands. Auf diesen Synoden wurden die Grundlehren des Christentums festgestellt und jene Ketten geschmiedet, mit denen die Freiheit des forschenden Gedankens, das höchste Kleinod des Geistes der Hellenen, für alle Zeit gefesselt werden sollte. Auch die Kirche Athens hatte zu jenen Konzilien ihre Bischöfe geschickt, doch keiner von ihnen ist dort als Theologe ersten Ranges namhaft geworden.

Die ganze kirchliche Geschichte der Stadt ist für uns so inhaltsleer und stumm wie ihre bürgerliche. Nur einmal wird erwähnt, daß die Sekte der Tritheiten, eine Ausgeburt der monophysitischen Doktrin im 6. Jahrhundert, zur Zeit des Kaisers Justinus II. (565–578), auch in Athen Eingang fand. Da diese Ketzerei das Dogma der Dreieinigkeit folgerichtig zu einem förmlichen Polytheismus von drei wesenhaften Gottheiten nebeneinander ausgestaltete, so konnte sie vielleicht eben deshalb in Athen Anhänger finden.Es ist der erste syrische Kirchenhistoriker, Johannes von Ephesos, welcher erzählt, daß die Häupter jener Sekte, Konon und Eugenios, Bischöfe weihten, die dann in Rom, Athen und Afrika Gemeinden gründeten. Die Kirchengesch. des Johannes von Ephesos aus dem Syrischen übersetzt von J. M. Schönfelder, München 1862, S. 197.

Keine Schule von Ruf, weder eine geistliche noch weltliche, ist dort für uns während der dunklen Jahrhunderte irgend sichtbar. Nachdem die athenische Universität mit dem Heidentum selbst ihren geräuschlosen Untergang gefunden hatte, dauerte die Erinnerung an die Mutter der Weisheit nur noch als Sage fort, und diese erhielt sich bei den Völkern des Abendlandes das ganze Mittelalter hindurch. Sie begegnet uns zuerst in der Lebensgeschichte des heiligen Gislenus. Die Legende desselben erzählt, daß dieser in Attika geborene Grieche von vornehmer Abkunft, welcher um 640 als Missionar nach dem fernen Hennegau verschlagen wurde und dort ein berühmtes Kloster stiftete, Philosophie in Athen studiert hatte, »der edelsten Stadt Griechenlands, die den Völkern aller Zungen die Blüte der Beredsamkeit dargeboten hat«Gesta Episcop. Cameracens. lib. I, p. 409 (Mon. Germ. VII). Der Heilige selbst schrieb dem Frankenkönige Dagobert: »Ich bin ein Verbannter und Fremdling, und ich kam in dies entlegene Land aus Athen, der edelsten Stadt der Griechen.«Acta SS. Oct. IV, 1030: »Exsul et peregrinus sum et has in partes de terra longinqua veni, h. e. de Athenis, nobilissima Graecorum urbe.«

Wenn man auch glauben darf, daß die wissenschaftliche Natur und Gewohnheit der Athener nicht mit dem Falle der platonischen Akademie erlosch, sondern daß es unter ihnen immer Lehrer der antiken Sprache und Literatur gegeben hat, daß wissensdurstige Laien wie Geistliche mit Aristoteles und Plato, mit Homer und Demosthenes sich zu beschäftigen fortfuhren und Handschriften alter Autoren kopierten, so kann doch aus den fraglichen Studien des Gislenus nicht mit Sicherheit auf die Fortdauer der klassischen Schulen Athens in einer vom Staat anerkannten Form geschlossen werden. Wir haben wenigstens keine tatsächlichen Beweise für sie noch für den Fortbestand öffentlicher Bibliotheken.Hopf, der auf die Legende des Gislenus aufmerksam gemacht hat (I, 113), glaubt an Überreste der alten Schulen und daß Athen selbst zur Zeit des Herakleios gewissermaßen ein Zentralpunkt weltlicher Bildung gewesen sei. Er legt freilich kein Gewicht darauf, daß im 7. Jh. der Arzt Stephanos, ein Athener von Geburt, medizinische Schriften verfaßte, da es nicht gewiß ist, ob er in Athen studiert hatte. Derselbe lebte in Alexandria. Fabricius, Bibl. Graec. XII, p. 693. A. Corlieu, Les médecins grecs depuis la mort de Galien jusqu'à la chute de l'empire d'Orient, Paris 1885, p. 139. Dasselbe Dunkel bedeckt die bürgerliche Verfassung der Athener in jener Zeit. Wir wissen nicht einmal, ob die Stadtgemeinde noch von einem Rat regiert wurde oder ob der alte Senat bereits dem byzantinischen Verwaltungssystem Platz gemacht hatte. Vielleicht war dies im 7. Jahrhundert noch nicht geschehen. Denn obwohl die städtischen Kurien Griechenlands unter dem bürokratischen Despotismus des Kaisertums ihre alte Autonomie und Form verloren hatten, so mußten sich doch noch starke Reste davon erhalten haben. Solche dauerten während aller Jahrhunderte der byzantinischen Regierung fort, selbst nachdem der Kaiser Leon VI. (886–912) die Machtbefugnis der griechischen Gemeinden aufgehoben hatte, kraft deren der Stadtrat aus seiner Mitte angesehene Magistrate ernannte; denn alles sollte fortan von der Einsicht und Bestimmung des Monarchen abhängig sein.ότι... πρὸς μόνην τὴν βασίλειαν πρόνοιάν τε καὶ διοίκησιν ανήρτηται πάντα. Nov. 56. 57 Leonis VI. Zachariä von Lingenthal, Jus Graeco-Roman. III, p. 138ff. Die Schwäche des kaiserlichen Regiments in den vom Mittelpunkt des Reichs entfernten Provinzen mußte es mit sich bringen, daß die Gemeinden nicht alle ihre Rechte verloren.

Im übrigen war die politische Verwaltung Griechenlands schon im 7. Jahrhundert nicht mehr die justinianische. Infolge der durch die Slaven bewirkten Revolutionen in den Balkanländern und der Einrichtung der vielen Militärstationen und Festungslinien, welche Justinian zum Schutze der Provinzen geschaffen hatte, wurde unter seinen Nachfolgern, besonders seit Herakleios, die ehemalige Provinz Achaia in Themen eingeteilt. Der Hellenismus siegte jetzt auch in der Provinzialverwaltung über die Formen des Römertums. An die Stelle des Prokonsuls, des Präfekten und Präses traten die Strategen, welche die höchste Militär- und Zivilgewalt in ihrer Person vereinigten. In Europa gab es zwölf, in Asien siebzehn solcher Themen. Ihre Entstehung war eine allmähliche, und ihre geographische Abgrenzung erlitt mit der Zeit so viele Veränderungen, daß sie nicht festgestellt werden kann.Finlay, Hist. of the byzantine and greek empires I, p. 13ff., setzt die Einrichtung der Themen in die Zeit des Herakleios; Montreuil, Hist. du Droit Byzant. II, p. 16, in die Zeit seiner Nachfolger. Die Schrift des Konstant. Porphyrogennetos, De Thematibus, ist unvollständig, und sie hält sich durchaus an Hierokles, der nur die Eparchien und noch nicht die Themen kannte. Tafel, Const. Porphyr. de Provinciis Regni Byz., 1846. Rambaud, L'Emp. grec au X siècle, p. 164ff.

Altgriechenland selbst zerfiel in zwei Themen, den Peloponnes, das sechste, und Hellas, das siebente des Okzidents. Jenes umfaßte die ganze Halbinsel bis zum Isthmos, und Korinth war seine Hauptstadt. Noch durch Handel lebhaft, verdunkelte diese alle übrigen Städte Griechenlands. Sie führte den Titel Metropolis von ganz Hellas oder Achaia, während andere Städte nur Metropolen von Bezirken waren, wie Athen von Attika, Theben von Böotien, Sparta von Lakonien, Elis von Arkadien, Ägion von Ätolien.

Das Thema Hellas begriff das festländische Griechenland vom Isthmos aufwärts bis zum Penelos in Thessalien, und zu ihm gehörten Attika, Böotien, die Inseln Ägina und Euböa, Phokis, Lokris und Teile Thessaliens, soweit diese Provinz nicht zum Thema Thessalonike geschlagen war.Das Thema Hellas wird von den Byzantinern selten erwähnt. Tafel, De Provinciis, p. XXXIV, hält für wahrscheinlich, daß es in zwei kleinere geteilt war. So gleichgültig blieb für die Byzantiner das Dasein Athens, daß der gelehrte Kaiser Konstantin Porphyrogennetos unter den sieben Städten, welche allein er in seiner bekannten Schrift im Thema Hellas mit Namen nennt, Athen verschwieg und statt ihrer Eleusis bemerkte.Skraphia, Eleusis, Daulion, Chaironea, Naupaktos, Delphi, Amphissa und die übrigen. Dies nach Hierokles. Allein auch Theben nannte er nicht mit Namen, und doch ist es kaum zweifelhaft, daß gerade diese Stadt der Sitz des Strategen von Hellas war.Tafel, De Provin., p. XXXV, und Rambaud, welcher eine Ethnographie der Themen Europas versucht hat, beklagen das Schweigen über die Residenz des Strategen von Hellas, da es ungewiß bleibe, ob die Larissa, Chalkis, Athen, Theben oder Levadia gewesen sei. Sie bot die Vorteile des fruchtbaren Böotien und einer vor den unmittelbaren Streifzügen der Piraten geschützten Lage dar, während das feste Chalkis auf Euböa nicht weit entfernt lag. Außerdem war die Kadmeia nicht minder stark als die Akropolis Athens. Die Stadt des Kadmos begann sogar die des Kekrops zu verdunkeln, und vielleicht gab ihr die Seidenindustrie, welche Justinian in Griechenland eingeführt hatte, bereits einige Bedeutung.

Alle sonstigen bürgerlichen Verhältnisse der hellenischen Länder in der Zeit des Kaisers Konstans sind uns unbekannt. Er blieb bis zum Frühling 663 in Athen. Im Jahre 657 hatte er mit den Slavenstämmen im Donaugebiet erfolgreich Krieg geführt. Würde er nicht einen Zug gegen die Slaven in Altgriechenland unternommen haben, wenn diese dort schon damals tief eingedrungen und zur Macht emporgekommen waren? Weil nichts davon verlautet, muß die Slaveneinwanderung in diesen Provinzen zu seiner Zeit noch keine gefährlichen Verhältnisse angenommen haben.

Daß der Kaiser für seinen bevorstehenden Feldzug gegen die Langobarden in Süditalien Griechenland mit Steuern und Massenaushebungen, namentlich für den Flottendienst, belastete, ist nicht zu bezweifeln. Er segelte endlich aus Piräus nach Tarent, bestürmte fruchtlos die Langobarden in Benevent, ging nach Rom, kehrte nach Syrakus zurück und fand dort einen kläglichen Tod von der Hand eines Sklaven, der ihn im Bade erschlug.


 << zurück weiter >>