Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Im 7. Jahrhundert fällt aus zerstreuten Kunden ein Lichtschein auf Athen und zeigt den Fortbestand der erlauchten Stadt und ihres Volks.Die von den Phantasien Fallmerayers erschreckten Retter der Stadt sind mit der Laterne in der Hand umhergegangen, diese zu suchen, und haben denn auch Spuren ihres Lebens aufgefunden; so in einer phrasenhaften Stelle des Theophylaktos Simokattes VIII, 12, wo nach dem Tode des Kaisers Maurikios (602) die Griechen zur Trauer aufgerufen werden: Die Musen mögen jetzt schweigen und Athen das weiße Gewand ablegen, αποκειράσθωσαν τὸν λευκὸν ’Αθη̃ναι τριβώνιον. Sie erfuhr sogar die Ehre, von einem byzantinischen Kaiser besucht zu werden.

Den Enkel des Herakleios, den mit dem Kainsmal des Brudermordes gebrandmarkten Konstans II., welcher an die Araber im Jahre 653 Zypern und Rhodos verlor, bewogen vielleicht weniger der Haß des Volks und eigene Gewissenspein als politische Absichten zu einer Kriegsfahrt nach dem Abendlande. Er schiffte sich mit einer Flotte in Konstantinopel ein, um zunächst nach Sizilien sich zu begeben und dann die Langobarden aus Süditalien zu vertreiben. Er landete im Hafen Piräus im Winter 662, und bis zum Frühjahr blieb er in Athen.Johis. Diacon., Chron. Venet., Mon. Germ. IX, 8. Paul. Diacon., De gestis Langob. V, c. 6. Anastasios, Vitae Pont., p. 141 (Muratori III). Mit Ausnahme des Isauriers Zenon, der im Jahre 486 nach Hellas und dem Peloponnes und daher wohl auch nach Athen gekommen war, hatte kein Kaiser mehr das vernachlässigte Griechenland besucht. Deshalb war die Reise Konstans' II. dorthin ein geschichtliches Ereignis. Die Gründe, die ihn bewogen, gerade in Athen einen längeren Aufenthalt zu nehmen, können wohl nur darin gesucht werden, daß sich ihm dieser Ort als die geeignetste auf seinem Wege gelegene Station darbot, wo er überwintern konnte. Der Piräus aber, welcher seine Flotte aufnahm, muß zu jener Zeit noch als ein sicherer Kriegshafen benutzt worden sein.

Das Erscheinen des Kaisers Konstans in Athen reizt unsere Vorstellung nicht minder als sein späterer Besuch in Rom. Was war damals von den Denkmälern und Kunstwerken übriggeblieben, die Himerios und Synesios zu ihrer Zeit betrachtet hatten? Welche Gestalt hatte die von Justinian neu befestigte Akropolis, als sie der griechische Kaiser mit seinen Höflingen und Trabanten bestieg, um, vom Bischof und der Geistlichkeit Athens mit knechtischen Ehren empfangen, im Parthenon der Panagia Atheniotissa sein Gebet darzubringen? In welchem Palast hat er seine Residenz aufgeschlagen? Geschah dies auf der Akropolis selbst, in der Wohnung des Burgvogts oder derjenigen des Bischofs? Wir wissen es nicht; denn kein Name von Athenern, keine einheimische Behörde und kein Denkmal der Stadt wird bei dieser Gelegenheit von den Geschichtsschreibern erwähnt und kurz nichts von ihnen gemeldet als die nackte Tatsache der Anwesenheit des Kaisers in Athen. Wir wissen mehr Einzelheiten von dem Besuche, welchen derselbe Konstans ein halbes Jahr später in Rom machte, da das Papstbuch und Paul Diaconus davon berichtet haben.

Das damalige Athen mußte im großen und ganzen den antiken Charakter bewahrt haben. Unter allen berühmten Städten des Altertums war vielleicht keine von den Revolutionen der Natur und Geschichte mit mehr Schonung behandelt worden. Die Zeit war an ihr ohne große Wechselfälle des Glückes vorübergegangen, und wenn das Versiegen der Lebensquellen ihr Volk gemindert hatte, so konnten doch ihre starken Bauwerke von Stein die Jahrhunderte überdauern. Tempel, Gymnasien, Säulenhallen standen noch, wenn auch verlassen und hie und da trümmerhaft, aufrecht, und Standbilder wie Inschriften riefen noch dem Athener, wenn er dies unschätzbare Museum seiner Vergangenheit durchwanderte, Namen und Taten der großen Vorfahren zu, die er selbst schon zum Teil vergessen hatte, wie der Römer die seinigen vergaß.

Da Konstans II. später die Reste antiker Kunstwerke von Erz in Rom, selbst die Platten vom Dache des Pantheon, raubte, so darf man glauben, daß er auch in Athen solche Schätze zusammenraffte. Hier fanden sich davon wahrscheinlich noch mehr Reste vor als in der von Barbaren und den Römern selbst fortdauernd ausgeraubten Kaiserstadt des Abendlandes. Die alten Athener hatten ihre Stadt mit Gebilden von Erz überreich ausgestattet, und diese gehörten zu den köstlichsten Werken der Kunst. Aber die Raubgier der Byzantiner, die Feindseligkeit der christlichen Priester und die Not der Bürger mußten in den zwei letzten Jahrhunderten vor Konstans unter diesen Schätzen stark aufgeräumt haben. Es ist daher zu bezweifeln, daß die Agenten des Kaisers noch ansehnliche Gegenstände der Habsucht vorfanden. Wie der Erzkoloß der Pallas von der Burg verschwunden war, so fehlten dort auf ihr viele andere Bronzefiguren; schwerlich waren noch die kunstvollen Dreifüße auf den Monumenten der Tripodenstraße vollständig erhalten, schwerlich dauerten noch der eherne Zeus im Peribolos des Olympieion, die Statuen des Harmodios und Aristogeiton, der Hermes, Solon, Pindar, Ptolemaios, die Tragiker und so viele andere eherne Kunstwerke in der Unterstadt.

Im Jahre 662, mehr als ein Jahrhundert nach Justinian, gab es in Athen keinen offenen Anhänger des Heidentums mehr. Doch dürfen wir dort noch versteckte Nachzügler der neuplatonischen Mystik suchen, die bei den Bücherrollen des Proklos saßen und den alten olympischen Göttern nachblickten. Jener letzte namhafte Philosoph der platonischen Akademie, welcher das Heidentum durch allegorische Deutung der Mythen und eine asketische Tugendlehre der christlichen Religion genähert hatte, blieb unvergessen und der orthodoxen Kirche fortdauernd gefährlich. Die meisten Ketzereien, mit denen diese zu kämpfen hatte, entsprangen überhaupt aus zwei niemals ganz versiegten Quellen, dem Neuplatonismus und dem Manichäismus. Es würde von großem Reize sein, dem geheimen Fortleben des Heidentums in neuplatonischen Doktrinen unter den Athenern während der dunklen Jahrhunderte nachzuspüren. Doch ist dies eine der schwierigsten, kaum lösbaren Aufgaben für den Forscher auf dem Gebiete der Religion und Philosophie.

Die byzantinische Kirche, erst zur Zeit Justinians aus dem heißen Kampfe mit dem Hellenentum als Alleinherrscherin hervorgegangen, hatte trotzdem die tausendjährigen Wurzeln des heidnischen Götterglaubens noch nicht überall auszurotten vermocht, und sie verhielt sich noch entschieden feindlich gegen die alten Dichter und Denker Griechenlands. Sie bezeichnete die Heiden im Reich mit dem Nationalbegriff »Hellenen« und die heidnischen Philosophen im besondern mit dem der »Athener«. Auf dies feindliche Verhältnis wirft der berühmte Mariengesang Licht, welcher ›Hymnos Akatisthos‹ heißt. Der Patriarch Sergios dichtete ihn, nachdem unter der Regierung des Herakleios der furchtbare Sturm der Avaren und Perser im Sommer 626 von den Mauern Konstantinopels siegreich abgeschlagen war. In diesem griechischen Ave Maria wird die christliche Himmelskönigin unter andern auch mit folgenden Versen angerufen:

Sei gegrüßt, die du zeigst, daß die Philosophen unweise sind;
Sei gegrüßt, die du lehrst, daß die Technologen unlogisch sind;
Sei gegrüßt, die du die Gespinste der Athener zertrennst;
Sei gegrüßt, die du die Netze der Fischer voll machst.
χαι̃ρε φιλοσόφους ασόφους δεικνύουσα·
χαι̃ρε τεχνολόγους αλόγους ελέγχουσα·
χαι̃ρε τω̃ν ’Αθηναίων τὰς πλοκὰς διασπω̃σα·

Da dies Marienlied, eins der schönsten in der reichen Hymnendichtung der Byzantiner, in der gesamten griechischen Kirche begeisterte Aufnahme fand, so darf man sich vorstellen, daß schon zur Zeit des Kaisers Konstans auch die Gemeinde der Athener in der Parthenonkirche die Nachfolgerin der Pallas pries, weil sie die göttlichen Werke des Genies ihrer Vorfahren als Gewebe verführerischen Trugs der Dämonen zerrissen hatte.

Es mußten noch Jahrhunderte vergehen, bis die griechische Kirche die großen Philosophen und Dichter des Altertums der Ehre würdigte, im Hofgefolge der Gottesmutter eine dienstbare Stelle einzunehmen. So sieht man sie in der Kuppel des Athosklosters Iviron, wo die thronende Jungfrau, neben Engeln, Propheten und Aposteln, auch von Solon, dem »Athener«, von Chiron, Platon und Aristoteles, von Sophokles, Thukydides und Plutarch umgeben ist.W. Unger, Byzant. Kunst (Allg. Enzyk. von Ersch u. Gruber, Separatausgabe VII, 7). Dies war ein Zugeständnis an den unvergänglichen Wert der hellenischen Wissenschaft und ein großer Schritt zu deren Wiedergeburt im Bildungsprozeß der christlichen Welt.

Das Christentum hatte der antiken Physiognomie Athens einige neue Züge hinzugefügt, indem es Tempel zu Kirchen umgeschaffen und zwischen die Monumente des Heidentums zierliche Basiliken mit byzantinischen Kuppeln gestellt hatte. Allein die christlichen Charaktere der Stadt traten in ihr nicht so bedeutend hervor wie in Rom. Dort waren die Dome St. Peters und St. Pauls, St. Johanns im Lateran, der Jungfrau Maria und andere Kirchen neue und zum Teil großartige Bauwerke der christlichen Kunst, aber die Metropole Athens war der tausend Jahre alte Tempel der heidnischen Stadtgöttin.

Konstans II. fand den Parthenon ohne Zweifel schon als christliche Kirche eingerichtet und der neuen Schutzpatronin des athenischen Volks, der Theotokos, geweiht. Daß die Kathedrale Athens ursprünglich der Hagia Sophia oder gar dem »Unbekannten Gotte« gewidmet gewesen sei, ist unverbürgt. Erst im 16. Jahrhundert glaubte man das letztere, aus Erinnerung an den Altar des unbekannten Gottes, von dem der Apostel Paulus geredet hat.’Επ' ονόματι ’Αγνώστου θεου̃, Wiener Anon., Abdruck bei Wachsmuth, Stadt Athen, S. 739. Ebenso Kabasilas im Brief an Crusius (Turcograecia VII, 18). Man wollte sogar die bezügliche Inschrift auf dem Parthenon selbst gelesen haben, was Spon, Voyage en Grèce VII, p. 151, als irrig erwiesen hat. Siehe Michaelis, Parthenon, S. 56. – Die Ansicht, daß der Parthenon der hl. Sophia geweiht war, hat Juleville in der angeführten Abhandlung wieder aufgenommen, aber nicht begründen können (Arch. d. miss. scient. V, p. 470ff.). Über die Zeit der ersten Einrichtung der Parthenonkirche gibt es nirgends eine beglaubigte Kunde.Die Inschrift, welche das Jahr 630 als Datum des Neubaues angibt und Pittakis vor dem griechischen Befreiungskriege auf der südlichen Tempelmauer des Parthenon wollte gelesen haben, gehört vielleicht zu anderen »somnia fide ulla digna« dieses Atheners. C. I. G. IV, ed. Curtius u. Kirchhoff, n. 8660. Für erdichtet hält sie auch Bursian, N.-Rhein. Mus., 1856, S. 478ff. A. Mommsen, S. 34, hat bemerkt, daß die Griechen des 7. Jh. die Jahre nur nach Erschaffung der Welt zählen konnten.

Die Architekten, welche die christlichen Athener dazu berufen hatten, die Nachfolger des Iktinos zu sein, sind uns unbekannt. irgendeine spätere Sage nennt sie Apollon und Eulogios.περὶ δέ γε του̃ ναου̃ τη̃ς Θεομήτορος ὸν ωκοδόμησαν ’Απολλὼς καὶ ’Ευλέγιος επ' ονόματι ’Αγνώστου θεου̃, Wiener Anon. Sie waren nicht so beneidenswert wie Anthemios von Tralles und Isidoros von Milet, die Erbauer des Sophiendoms. Diese erschufen ein neues Wunderwerk der Kunst, welches den lebendigen Geist und die Größe der griechischen Kirche wie des Reichs der Romäer vollkommen darstellte; jene verunstalteten nur den schönsten Tempel Athens und der Welt. Die Hagia Sophia besiegelte den Gedanken Konstantins: Sie tat dar, daß Konstantinopel die Metropole der neuen christlichen Kultur des Griechentums sei; die Parthenonkirche bewies, daß die Bedeutung, welche das Land der Hellenen oder Helladiken noch besaß, nur in seinem Zusammenhange mit der Tradition des heidnischen Altertums lag.

Die athenischen Baumeister hatten übrigens keine zu schwere Aufgabe gehabt, da es nur darauf ankam, die antike Zelle der Parthenos in ein Gotteshaus der Jungfrau Maria zu verwandeln. Indes zog dies Unternehmen doch einen gewaltsamen Umbau des Innern nach sich. Zunächst wurde die Orientierung des Tempels umgekehrt, indem man den Eingang auf die Westseite verlegte. Der Opisthodomos wurde zum Narthex der Kirche und sein Portal zu deren Eingangstüre. Die Mauer zwischen Opisthodom und Zelle ward durch eine neue große Türe durchbrochen an dem Ort, wo sich die Nische für das goldelfenbeinerne Bildwerk der Göttin befand. Aus der Zelle selbst machte man das Katholikon oder Mittelschiff, so daß auf der Ostseite des Tempels ein erhöhter Chor oder das Hagion Bema mit einer Apsis angelegt wurde. Diese Nische muß schon im 7. Jahrhundert mit dem musivischen Bildnis der Jungfrau oder Panagia Atheniotissa geziert gewesen sein. Den Chor schloß die byzantinische Bilderwand oder Ikonostasis als Allerheiligstes ab, während hinter ihr der Altar unter einem Baldachin stand, welchen vier Porphyrsäulen mit korinthischen Kapitälen von weißem Marmor trugen. Im Halbrund waren marmorne Sitze für die Domherren aufgestellt, und im Mittelschiff befanden sich ein Ambon und der Bischofsstuhl, der ein antiker Marmorsessel vom Dionysostheater gewesen zu sein scheint.Er wurde 1836 von L. Roß aus dem Schutt der Kirche ausgegraben. (Dessen Arch. Aufsätze I, 118.) Ad. Bötticher, Die Akropolis von Athen, Berlin 1888, S. 15. Um der Kirche Licht zu geben, brachte man über der Apsis ein Fenster an, wodurch die Mitte des östlichen Frieses gestört wurde.Die Mittelplatte desselben mit der Figur der Athene fand sich sorgsam hinter der Tür der Kirche verwahrt, wie sie dort Babin sah (Brief an Pecoil). Über die Transformation des Parthenon, Michaelis, a.a.O., S. 46ff. Ussing, über Plan und Einrichtung des Parthenon, in: Griech. Reisen u. Studien, 1857, S. 198. Ad. Bötticher, a.a.O.

Dies sind die Grundzüge der christlichen Umwandlung des Parthenon zur Marienkirche, welche dann im Laufe der Zeiten noch manche Veränderung erfuhr. Ihr Ausbau war ohne Zweifel eine der größten künstlerischen Taten der Athener in dem Zeitalter Justinians. Da ihr großes Bürgertum mit der staatlichen Autonomie untergegangen war, konnte nur noch die Kirche Künstler beschäftigen. In ihrem Dienst mochte eine Schule von Meistern der Malerei und Skulptur und von Mosaizisten tätig sein, in deren Werken noch die Tradition der Alten fortlebte. Der letzte Maler von Ruf in Athen, von dem wir Kenntnis haben, war der Bithynier Hilarios gewesen, welcher bei der Goteninvasion Alarichs seinen Tod fand. Seither nennt keine Kunde irgendeinen Nachfolger des Zeuxis und Polygnot. Von den ältesten Gemälden und Mosaiken athenischer Kirchen ist leider nichts auf die Nachwelt gekommen, und auch von der kirchlichen Skulptur jener Epoche des Überganges des antiken Stils in den Byzantinismus haben wir keine wichtigen athenischen Denkmäler.Fr. Lenormant, La Grande Grèce II, p. 255, u. Ch. Bayet, L'art Byzantin, p. 82, bemerken ein kleines athenisches Basrelief (im Zentral-Museum), die betende Jungfrau darstellend, welches einem sehr frühen Jahrhundert anzugehören scheint.

Da unter allen Kirchen Athens keine andere als die der Jungfrau im Parthenon die Metropole der Stadt sein konnte, so nahmen die Bischöfe ihren Sitz auf der Akropolis. Dort war das Episkopium entweder neu aufgebaut oder in einer der antiken Priesterwohnungen eingerichtet worden. Sogar die Räume des Erechtheion konnten dazu benützt werden, doch wissen wir nichts davon. In ungewisser Zeit wurde auch in diesem herrlichen Tempel eine christliche Kapelle angelegt, zu welchem Zweck man den antiken Boden vertiefte und wie beim Parthenon den Eingang auf der Westseite herstellte.Aus einer Wandinschrift des Erechtheion hat man schließen wollen, daß hier eine Kirche der Theotokos geweiht war. Ephim., n. 3467, p. 1899, und bei P. de Juleville, Rech. sur l'emplacem, a.a.O., p. 469.


 << zurück weiter >>