Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Zweites Kapitel

Rückblick auf die Verhältnisse und die Verfassung des französischen Herzogtums Athen. Feudale und städtische Zustände. Die lateinische und die griechische Kirche. Wissenschaft und Literatur. Scheidung der Griechen und Franken. Rechtliche Verhältnisse. Theben und Athen. Bauten. Das Schloß St. Omer auf der Kadmeia. Bauwerke in Athen. Die Abtei Daphni.

1.

Wir haben keinen Grund, das Urteil des florentinischen Chronisten für übertrieben zu halten, da es vom Katalanen Ramon Muntaner durchaus bestätigt wird. Von allen fränkischen Feudalstaaten Griechenlands war das Herzogtum Athen in so günstiger Lage gewesen, daß es unter ihnen ein hohes Ansehen genoß.Finlay konnte zu seiner Zeit mit vollem Recht urteilen, daß es einen höheren Rang in Europa einnahm als das von den Mächten wiederhergestellte Königreich Griechenland (Hist. of Greece IV, p. 143, Oxforder Edition 1877). Das Haus seiner burgundischen Herrscher erhielt sich ein volles Jahrhundert lang im Besitze des schönen Landes, und alle Fürsten desselben erscheinen, im Gegensatz zu den gewalttätigen Villehardouin, als milde und friedliche Regenten, die sich nicht durch Ehrgeiz zu abenteuerlichen Entwürfen der Vergrößerung ihrer Macht verleiten ließen. Erst als der letzte ihres Stammes in die dynastischen Angelegenheiten Thessaliens verflochten war, wurde diese Verbindung unter dem unbesonnenen Brienne die Ursache des Unterganges.

Der athenische Frankenstaat besaß mehr innere Einheit als das Königreich Thessalonike, als die Insel Euböa, selbst als das Fürstentum Achaia. Seine Begründer hatten dort weder große Archontengeschlechter vorgefunden, noch bildete sich in der folgenden Zeit in Attika, Böotien und Megara ein mächtiger französischer Lehnsadel aus. Die einzige geschichtlich hervorragende Familie neben den La Roche war jene der Barone von St. Omer, ihrer Vettern und aufrichtigen Freunde, gleich den Lehnsherren von Salona und von Bodonitsa, die in den Feudalverband zu Athen gekommen waren. In der letzten Zeit wurde nur noch das sonst unbekannte Haus der Flamenc in Karditsa angesehen. Die wichtigsten Städte, Athen und Theben, dessen Hälfte freilich an die St. Omer verliehen war, blieben Domänen des Landesherrn, gleich Argos und Nauplia, wo Mitglieder des herzoglichen Hauses als Vögte saßen, und auch Damala, das alte Troizen, war im Besitz eines Zweiges desselben. Wenn demnach irgendwo in Griechenland der fränkische Lehnsstaat fast die Züge einer monarchischen Verfassung annahm, so war das im Staate der Familie La Roche der Fall.

Ein dauernder oder doch selten gestörter Friede mußte dessen natürliche Hilfsquellen vermehren. Weder Revolutionen im Innern noch auswärtige Unternehmungen belasteten das Land mit drückenden Steuern.

Die friedfertigen Herzöge Athens machten nicht einmal den Versuch, eine Seemacht aufzustellen; sie besaßen keine Kriegsschiffe weder im Piräus noch in Nauplia und Livadostro, aus welchen Häfen sie nur Korsaren auf Seeraub auslaufen ließen. Schon die Eifersucht der Venezianer würde die Erschaffung einer athenischen Marine so wenig geduldet haben, wie sie eine solche der Fürsten Achaias erlaubte. Im allgemeinen blieben die Franken selbst im Peloponnes, trotz so vieler Küsten und Häfen, als echte Landbarone an ihre Güter und Schlösser gebannt und dem Seewesen abgeneigt. Der Grund der Tatsache, daß die Franzosen während des Mittelalters, selbst nicht einmal Marseille in der Provence ausgenommen, nicht mit den Spaniern und Portugiesen, mit den Normannen und Italienern in nautischen Unternehmungen gewetteifert haben, darf in den geographischen Verhältnissen und auch im Feudalsystem Frankreichs gesucht werden.

Man kann den La Roche freilich den Vorwurf machen, daß sie die Küstenlage ihres Staates nicht zu einem einträglichen Seehandel benutzten; wenigstens sind uns keine Kunden davon übermittelt, und nirgends haben wir athenische Kaufleute und Faktoreien in den Häfen der Levante entdeckt. Den Piräus scheinen die La Roche für Handelsfahrzeuge ausgebessert zu haben. Im 14. Jahrhundert hieß derselbe Porto Leone von dem dort am innern Ufer stehenden antiken Marmorlöwen in dreimaliger Lebensgröße. Weil der Hafen Athens schon auf der im Jahre 1318 zu Venedig gefertigten Seekarte des Genuesen Pietro Visconte so genannt wird, hat man geglaubt, daß der Marmorlöwe vom Herzog Guido II. dort aufgestellt worden sei.Hopf I, S. 368. Allein es ist mehr als wahrscheinlich, daß dieser Koloß schon im Altertum errichtet worden war und immer auf seinem Platze stehen geblieben ist.Bursian, Geogr. Griech. I, S. 265. Die Stelle des Löwen gibt Babin an (Brief an Pécoil): »à l'extrémité du cote de la ville«. Ebenso Spon, Voyage II, p. 231: »sur le rivage au font du Port«. Auf einer Karte des Piräus (Port Lion), welche französische Ingenieure 1685 gemacht hatten, ist die Löwenfigur eingezeichnet: Laborde, Athènes, p. 61. Morosini entführte bekanntlich 1688 nach Venedig den Piräuslöwen, eine Löwin und ein drittes athenisches Löwenbild, das auf dem Wege unweit des Theseion aufgestellt war, wo es Spon gesehen hatte. Antonio Arrighi, De vita et reb. gest. F. Mauroceni, Patavii 1749. Im übrigen habe ich in venezian. Akten und Autoren des 14. und 15. Jh. den Namen Porto Leone nicht gefunden; im 17. Jh. kennt ihn Meletius (Geogr. antiqua et moderna, II, p. 354) nebst dem zweiten Namen Porto Draco. So auch Coronelli, Mem. istoriograf. de' regni della Morea, p. 195.

Friedlich hatten sich die kirchlichen Verhältnisse im Herzogtum gestaltet, nachdem die Grenzmarken zwischen den geistlichen und weltlichen Besitzungen gezogen waren. Die lateinische Kirche blieb überall in Griechenland schwach und auf diesem fremden, ihr widerstrebenden Boden wie im Exil. Sie fand sich der großen, festgeordneten griechischen Kirche mit ihrer reichen Literatur, ihren uralten Traditionen und Heiligtümern gegenüber, und die Versuche der Propaganda, welche sie machte, blieben daher ohne Erfolg. Hellas war kein Land für das Gedeihen der Mönchsorden des Okzidents, aus welchem Schwärme armer und unwissender Geistlicher als Glücksjäger eingewandert waren, und diese gehörten nur in den wenigsten Fällen dem Adel Frankreichs an. Kein religiöser Enthusiasmus lebte unter den Franken Griechenlands; nie hat ein dortiger Fürst oder Baron aus Bußfertigkeit und mystischer Neigung die Kutte angelegt. Der weltliche und militärische Geist der Eroberung beherrschte die fränkische Gesellschaft ausschließlich. Im Herzogtum Athen wird nichts von einem Einfluß des Klerus auf den Staat gehört. Die Erzbischöfe von Theben und Athen haben dort niemals Baronalrechte gehabt. In keinem Feldzuge der Franken in Griechenland überhaupt ist, wie in Syrien und in Europa, ein Bischof oder Abt in Waffenrüstung an der Spitze seiner Mannen gesehen worden.

Die griechische Kirche ihrerseits hatte sich in ihre Verluste fügen, ihre alten Diözesen an die Lateiner abtreten müssen. Gleichwohl bewahrte sie ihren Kultus, ihre Verwaltung und einen starken Rest ihres Gutes. Nach der endgültigen Einrichtung des athenischen Staats wurden dort schwerlich noch ansehnliche griechische Kirchen gewaltsam geschlossen wie in Konstantinopel unter dem fanatischen Kardinal Pelagios. Selbst die Päpste schützten bisweilen die Rechte oder die Güter der griechischen Geistlichkeit und ermahnten die nach ihnen begierigen Barone zur Mäßigung. In Attika bestanden alte Klöster der Basilianer ungeschmälert fort. Eine griechische Inschrift aus dem Jahre 1238 bekundet, daß ein Mönch Neophytos eine Straße nach dem Hymettos angelegt hat.Νεόφυτος τούνομα λάτρης κυρίου..., auf einer Stele in der Nähe des Hymettos gefunden. C. I. Gr. IV, n. 8752. Diese führte wahrscheinlich durch das öde Gelände der Mesogäa zu den Abhängen jenes Gebirges, und sie stand wohl mit dem Hymettoskloster Kaisariani in Verbindung, wo die griechischen Mönche fortdauernd die klassische Bienenzucht betrieben.Noch unter der Herrschaft der Osmanen wurde der Harem des Sultans von dort und aus dem Kloster Penteli mit Honig versorgt. Dieses hatte bis 5000 Bienenkörbe und schickte jährlich als Karasch 6000 Pf. Honig an die Sultanin. Spon II, p. 223, 310. Babin (Brief an Pecoil) sagt 1674 von den Kräutern des Berges: »D'où vient que le miel du mont Hymette passe encore pour le plus excellent qui soit au monde.« Da solche Basilianer die Anlage einer Landstraße ausführen konnten, mußten ihre Klöster immerhin noch wohlhabend gewesen sein.

In den griechischen Abteien konnte sich trotz des Drucks der Fremdherrschaft, welcher den Nationalgeist lähmte, noch ein schwacher Rest hellenischer Wissenschaft erhalten haben. Allein wir wissen nichts, weder von griechischen noch von lateinischen Gelehrtenschulen in Theben und Athen. Der Doge Pietro Gradenigo ersuchte im Jahre 1309 den thebanischen Erzbischof Ysnard, den Venezianer Petrus, welcher in Theben eine Domherrnstelle erhalten hatte, diese genießen zu lassen, während er seine Studien (in Venedig) vollendete. Theben also bot ihm keine Gelegenheit dar, sie fortzusetzen.»Rogamus, quatenus... intuitu... spei fructus de sua scientia secuturi eidem licentiam contribuere dignemini, quod in dicto studio valeat permanere.« Arch. Ven., Lettere di Collegio, fol. 26 . Die Erinnerung an den wissenschaftlichen Ruhm der Stadt der Weisen und an die Zeiten der platonischen Akademie hat keinen der Herzöge Athens auf den Gedanken gebracht, dort eine Hochschule zu gründen und dadurch seinem Lande neuen Glanz zu verleihen. Selbst wenn der aufgeklärteste unter ihnen einer so frühreifen Idee fähig gewesen wäre, so hätte doch ihre Ausführung unmöglich sein müssen. Für eine Hochschule in Athen im 13. Jahrhundert würden sowohl die Lehrer als die Schüler gefehlt haben. Außerdem hätte sie nur eine griechische Anstalt sein können und als solche eine gefährliche Waffe in der Hand der unterdrückten hellenischen Nation und Kirche werden müssen.

Die lateinische Geistlichkeit in Griechenland machte ihrerseits schwerlich ihrem Stande durch Bildung Ehre; sie fand sich dort außer dem Zusammenhange mit den Universitäten und Klosterschulen des Abendlandes, wenn auch immer in der Lage, etwas vom Sprachschatze der griechischen Literatur aus den Quellen zu schöpfen.

Das Studium derselben hatte im Westen während des 13. Jahrhunderts nicht aufgehört. Unter den Franziskanern und Dominikanern, die, wie wir bemerkt haben, auch in Griechenland eigene Klöster besaßen, gab es einige eifrige Hellenisten. Bonaccursio glänzte als solcher in Bologna, Roger Bacon in England, Michael Scotus am Hofe Friedrichs II., und Jean von Jandun kommentierte später den Aristoteles. Das Kapitel der Dominikaner schickte öfters Zöglinge nach Griechenland, um sie in der Sprache der Hellenen auszubilden.Hist. Littér. de la France, T. XXI, p. 144. – Schon der heil. Dominicus hatte seine Mönche ausgeschickt, um Arab., Griechisch und Hebräisch zu lernen: Litera magistri ordinis frat. Humberti, Mediol. in capitulo a. 1255 (Martene, Thes. N. A. IV, 1708). Solche Scholasten konnten immerhin selbst nach Theben und Athen wandern, wenn ihnen auch Thessalonike, der Athos, Patras und Korinth mehr Hilfsmittel darboten. In Korinth war der gelehrte Dominikaner Wilhelm von Meerbeke in den Jahren 1280 und 1281 und wohl noch länger Erzbischof; hier vervollkommnete er sich im Griechischen; er übersetzte Schriften des Hippokrates und Galenos, des Aristoteles und Proklos ins Lateinische.Freilich hat Roger Bacon diese Übersetzungen als fehlerhaft getadelt. Ch. Gidel, Nouvelles Études sur la littér. grecque moderne, Paris 1878, p. 265.

Für Athen lag die Zeit noch sehr ferne, wo französische Kapuziner am Denkmal des Lysikrates den Grund zur topographischen Wissenschaft dieser Stadt legten. Nur dies darf man behaupten, daß auch dort mit der griechischen Sprache die Elemente antiker Bildung fortgedauert haben.

Man kann sich sehr gut denken, daß irgendeiner der athenischen, im Lande selbst erzogenen Herzöge griechische Bücher neben französischen in seiner Bibliothek gehabt hat. Die von uns bemerkte Phrase aus dem Herodot im Munde Guidos II. wirft immerhin ein Streiflicht auf die dunklen Studien dieses Herzogs in der klassischen Literatur. Freilich wird auch der leselustigste La Roche seine geistige Nahrung vorzugsweise aus den Romans und Contes und den Chansons de geste gezogen haben.

Die fränkischen Eroberer brachten ihre heimische Liederkunst mit sich nach Hellas. Von manchen dieser ritterlichen Helden, wie von Gottfried Villehardouin, Conon von Bethune, Robert von Blois, Hugo von St. Quentin sind Chansons erhalten.Abgedr. von Buchon, Éclaircissem., p. 419ff. Schon der Markgraf von Montferrat war von einem namhaften Troubadour begleitet worden, und Minstrels fanden sich an allen Höfen und Edelsitzen der Franken. An dem Hof des Herzogs Guido II. von Athen sind sie bei Gelegenheit seiner Unterhandlungen mit Theobald de Cepoy bemerkt worden. Die Literatur der Troubadours, die Ritterepen des Robert Wace, des Chretiens von Troyes, das trojanische Epos des Benoit de St. More, die Sagenstoffe der Alexandreis, Theseis und Thebais waren auch in Griechenland die Unterhaltung der fränkischen Ritter. Nur fehlt jedes Zeugnis dafür, daß diese französische Dichtkunst im Lande der Hellenen eine neue Stätte ihrer Fortentwicklung gefunden hat wie in dem von den Normannen eroberten sächsischen England, welches für lange Zeit geradezu der Sitz und schöpferische Herd der altfranzösischen Dichtung geworden war. Zu Griechenland mangelten alle Bedingungen dafür. Die Höfe der Fürsten und Ritter waren klein, in einem fremden Volk isoliert, ohne große Verbindungen mit dem Auslande, ohne gewaltige Ereignisse und weltbewegende Ideen und ohne den Glanz hervorragender Frauengestalten.

Die geringe Kenntnis der hellenischen Sprache hinderte ihrerseits die fränkischen Eroberer daran, die einheimischen Dichtungen der Griechen kennenzulernen. Der schwache Strom der byzantinischen Literatur mußte freilich unter dem Druck der Fremdherrschaft immer mehr versiegen; ein Epos, gleich dem Digenis Akritas, dessen Stoff noch dem 10. Jahrhundert angehört und welches in unserer Zeit ans Licht gekommen ist, ist wohl kaum im 13. Jahrhundert entstanden.Les exploits de Digénis Akritas, épopée byzantine du X. siècle, Paris 1875, ediert von Sathas und Legrand.

Dagegen wurde die Einbildungskraft der Griechen von den romantischen Dichtungen des Abendlandes beeinflußt. Hellenische Dichter gaben den antikisierenden Stil und die Nachahmung der Sophisten- und Professorenromane des Iamblichos, Heliodor und Tatios auf und nahmen französische Romanzen zum Muster. Selbst in den Sagenstoff des Achill drang fränkisches Wesen ein.Le Roman d'Achille, griech. Gedicht aus dem 13. Jh., aufgefunden von Sathas (Annuaire de l'assoc. des études gr. XIII, 1879). Achill kämpft sogar mit einem franz. Ritter. So entstanden in griechischer Vulgärsprache das dem Kreise der Arthursage angehörige Epos ›Der alte Ritter‹, der trojanische Krieg, Flor und Blancheflore, Belthandros und Chrysantsa, Libystos und Rhodamne und andere Dichtungen, mochten sie aus wirklichen französischen Quellen geflossen sein oder nicht.Ch. Gidel, Études sur la litt. gr. mod., Paris 1866, und Nouvelles études..., 1878. Siehe auch Ellissen, Anal. der mittel- und neugr. Lit. V. Vieles dieser Art steckt noch in Bibliotheken, wie Joh. Müller, Byz. Analekten, S. 12, im Jahre 1852 bemerkt hat. Aber vieles ist seither ans Licht gezogen. Ich verweise auf die bekannten Schriften und Sammlungen von W. Wagner, Legrand, Sathas, Zampelios, Maurophrydes, Spir. Lambros usw. Sie sind der Niederschlag des fremden zur Herrschaft gelangten Ritterideals in einer sich neu bildenden volkstümlichen Poesie der Hellenen, einer gasmulisch zu nennenden Bastardliteratur aus der Zeit, wo die byzantinischen Herrscher durch die Frankendynastien, die Helden der Ilias durch die Ritter der Tafelrunde verdrängt waren, wo gotische Burgen auf antiken Akropolen standen, das griechische Volk in Nikli, Andravida, Theben und Korinth und vielleicht auch in Athen Turnieren zuschaute; kurz, wo Faust mit Helena sein Vermählungsfest beging.

Die Stätten solcher Verschmelzung der französischen Romantik mit der neugriechischen Dichtung mögen eher in Morea als im eigentlichen Hellas und namentlich auf Zypern und Rhodos zu suchen sein.Sp. Lambros, Collection de romans Grecs en langue vulgaire et en vers, Paris 1880, Einl., p. XXXIII. Was Athen betrifft, so entzieht sich die Teilnahme dieser Stadt an jenem Literaturprozeß unserer Kenntnis. Es ist auffallend, daß dieselbe in den griechischen Romanen nicht als Szene für Erlebnisse und Taten der sagenhaften Helden dient.Die Handlung des Gedichtes Erotokritos spielt zum Teil am Hofe des Königs Herakles von Athen; aber dieser weitverbreitete Roman ist erst im 16. Jh. von dem Gräzovenezianer Vincent Kornaros in Kreta verfaßt. Gidel, Nouv. Études sur la littér. grecque moderne, p. 477ff. Im Abendlande lebte noch die Erinnerung an die Bedeutung der Stadt aller Weisheit bei Dichtern fort; so wird im Sagenkreise des Amadis erzählt, daß Agesilaos von Kolchos in Athen seine Studien machte und die ritterlichen Künste mit seinem Gefährten, einem Spanier, erlernte.Florisell von Nichea, Sohn des Amadis von Griechenland.

Wenn nun auf einem neutral zu nennenden, sehr kleinen Gebiet literarischen Phantasielebens eine Verbindung der beiden Nationalgeister stattfinden konnte, so blieb diese doch aus der kirchlichen, staatlichen und bürgerlichen Sphäre ausgeschlossen. Ramon Muntaner hat einmal bemerkt, daß in dem fränkischen Griechenland ein so gutes Französisch geredet wurde wie in Paris; allein dies Urteil ist sicherlich eine Übertreibung des katalanischen Geschichtsschreibers. Es konnte auch niemals auf die eingeborenen Griechen, sondern nur auf den Hof und die vornehme fränkische Gesellschaft bezogen werden. Und selbst in dieser mußte mit der Zeit die französische Sprache so verwildern wie in dem normannisch gewordenen England. Chaucer läßt in den Canterbury-Geschichten die Priorin französisch sprechen, wie man es zu Stratford in den Schulen lernte, aber »Französisch von Paris verstand sie nicht«.

Das hellenische Volk als solches hat niemals die Sprache seiner Eroberer erlernt, mochten diese die Römer des Sulla und Augustus oder die Franken des Villehardouin und La Roche, endlich die osmanischen Türken sein. Nur drangen immer mehr französische und italienische Worte in den täglichen Gebrauch der griechischen Vulgärsprache. Dagegen waren die Lateiner in Hellas, wo sie fortdauernd in entschiedener Minderzahl blieben, gezwungen, die Sprache ihrer Untertanen sich anzueignen. Schon unter den letzten La Roche, zumal infolge ihrer Verschwägerung mit dem Hause der Angeloi, gewann der Hellenismus immer mehr Einfluß. Der Hof in Theben und Athen war sicher zweisprachig, wenn auch die amtliche Sprache des Staats noch immer die französische blieb. Da die Kanzlei der Herzöge untergegangen ist, so können wir nicht mehr dartun, daß schon in ihrer Zeit Aktenstücke auch griechisch abgefaßt wurden. Fränkische Barone aber hielten es doch bereits für passend oder nötig, ihre Bauwerke mit griechischen Inschriften zu versehen. So tat dies Anton le Flamenc, als er im Jahre 1311 zu Karditsa dem heiligen Georg eine Kirche erbaute. Ihre griechische Inschrift läßt fränkische Orthographie erkennen.Buchon, Note zu p. 409 des ›Livre d. l. Cq.‹.

Die aus Burgund und der Champagne eingewanderten Fremdlinge trennte im allgemeinen eine unausfüllbare Kluft der Religion, Kultur und Sitte von den Griechen. Sie blieben eine eigenartige Kolonie von Rittern, Kriegern und Priestern, so unfähig, sich der hellenischen Volksart anzupassen, als es diese war, sich zu latinisieren. Die fragmentarische Geschichte des fränkischen Athen ist für uns überhaupt nur diejenige seiner Fürsten, Ritter und Hommes d'armes. Sie erscheint vollkommen als eine Übertragung der altfranzösischen Romanzen, der Chansons de geste, aus der Dichtung in die Wirklichkeit. Wie in diesen nur Könige, Helden und Ritter, aber keine Bürger und kein Volk zu finden sind, so lassen sich solche auch nicht in den historischen Überlieferungen Athens unter den Franken entdecken. Während des vollen Jahrhunderts des burgundischen Regiments schweigt für uns jede Kunde vom Leben der Hellenen in Attika und Böotien; nirgends wird berichtet, daß es dort noch ein nationales Bewußtsein gab, nirgends von einem Versuch des Widerstandes oder der Erhebung der Griechen gegen die Fremden berichtet. Das hellenische Volk ist aus der Geschichte des attischen Landes so völlig verschwunden, daß für uns weder Spuren seines Gemeindelebens in den Städten noch Denkmäler seiner fortlebenden Literatur sichtbar sind, noch auch nur der Name eines griechischen Bürgers in irgendeiner angesehenen Stellung am Hof, im Staat oder im Heer der Franken erscheint. Für den herzoglichen Heerbann wurden auch die Griechen aus den Städten und vom Lande ausgehoben, aber nur zum Kriegsdienst als Masse. Auch wurde das Söldnerwesen selbst für den athenischen Staat ein Bedürfnis; in dem Kriegszuge Guidos gegen die Herrscherin von Epiros dienten unter seinen Fahnen neben den Thessalioten auch Wlachen und Bulgaren, und Walter von Brienne war schließlich genötigt, die Katalanen in Sold zu nehmen.

Aus diesen Zuständen ist durchaus der Schluß zu ziehen, daß jenes System der gewaltsamen Herabsetzung des griechischen Volks in den Stand rechtloser Unterwürfigkeit, wie es die Invasion mit sich gebracht hatte, trotz der mildernden Zeit im großen und ganzen fortgesetzt wurde. Wie in Zypern unter den Lusignan mußten auch in Hellas der einheimische Adel und das größere Bürgertum verschwunden oder in eine untergeordnete Stellung geraten sein. Paröken, an die Scholle gebunden, zinspflichtige Kolonen, Handwerker und Kaufleute bildeten die große Mehrzahl des Griechenvolks. Die volle persönliche Freiheit gab nur das Frankenrecht, und dieses erlangten wohl mit der Zeit immer mehr Griechen durch herzogliche Freibriefe. In einem Zeitalter unentwickelter Volkswirtschaft konnten die Eingeborenen für die Verdrängung aus dem Staatsleben nicht einmal durch die Vorteile des Handels und der Industrie entschädigt werden. Denn von Theben abgesehen, wo die Erzeugung kostbarer Seidenstoffe immer von Griechen und Juden fortgesetzt wurde, haben wir von keiner Blüte der Kunstgewerbe Kunde.

Das schon unter den Byzantinern verfallene griechische Bürgerturn ist auch nicht durch ein fränkisches hinreichend ersetzt worden, weil die ritterliche und militärische Einwanderung aus dem Abendlande immer zahlreicher war als die der Kaufleute und Handwerker. Daher erklärt es sich auch, daß die La Roche während ihrer hundertjährigen Herrschaft weder neue Städte gegründet noch alte erneuert haben, obwohl sie die Ruinen so vieler Orte in Attika und Böotien einladen konnten, Gemeinden von Bürgern und Bauern anzusiedeln und die vernachlässigte Bodenkultur neu zu beleben. Das Herzogtum Athen blieb immer ein militärischer Feudalstaat, und sein beschränktes Prinzip erwies sich unfähig zur Kolonisation. Belebend und schöpferisch hat dasselbe auch unter dem milden Regiment der Burgunder nicht auf Griechenland zu wirken vermocht.


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