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Während die bischöfliche Kirche Athens lateinisch eingerichtet wurde, befand sich ihr orthodoxer Metropolit im Exil. Da das alte byzantinische Reich zertrümmert, das neue der Laskariden in Nikaia noch nicht befestigt war, so mußte Michael Akominatos überall auf die fränkischen Eroberer stoßen. Noch ungewiß, wohin er sich wenden sollte, scheint er sich zuerst nach Theben, sodann nach Aulis begeben zu haben. Er selbst erzählt, daß er nach Thessalonike zum »Kardinal« gegangen war, und dies läßt denn doch auf Unterhandlungen mit dem päpstlichen Legaten Soffred schließen.ότε δε τω̃ν ’Αθηνω̃ν εξήειμεν... εκαναπλεύσαντες εις Θεσσαλονίκην παρὰ τὸν καρδινάριν: II, p. 312. Wenn diese die kirchlichen Verhältnisse Athens und vielleicht seine Herstellung als Erzbischof und Eigentümer seiner Güter betrafen, so scheiterten sie. Aber der Legat und die Stellvertreter des Königs Bonifatius in Thessalonike gestatteten dem ehrwürdigen Flüchtlinge, seinen Sitz ungekränkt außerhalb Athens zu nehmen.
Er ging nach Euböa, wo er sich einige Zeit lang zu Chalkis und Karystos aufhielt. Die dortigen Bischöfe, seine rechtmäßigen Suffragane, waren ihm befreundet, und er besaß daselbst, wie es scheint, Landgüter.Brief an den Sohn des Bisch. Demetrios von Karystos, II, p. 210. Aber auch die Zustände Euböas wurden durch die dort eingedrungenen Lombarden vom Hause der Carceri Veronas gewaltsam umgewälzt. Der unglückliche Greis entschloß sich deshalb, die Insel Keos zu seinem Asyl zu wählen, deren Bistum ihm gleichfalls untergeben war. Sicherlich bestimmte die Nähe Athens diese Wahl; denn das kleine Eiland, heute Tzia genannt, ist der Südspitze Attikas zugekehrt; von seinen Höhen erblickt man die attische Insel Helena und das Küstengelände von Sunion und Thorikos bis zum Hymettos hin, während dem Meere ringsum Euböa und die Kykladen entsteigen. Keos war im Altertum ein Besitztum Athens mit vier Städten, von denen Iulis, der jetzige Hafenort Tzia, die Heimat der Dichter Simonides und Bakchylides, des Peripatetikers Ariston und des Sophisten Prodikos gewesen war. Aristoteles hatte es nicht verschmäht, über die Verfassung des kleinen Inselstaates eine Abhandlung zu schreiben, welche leider verlorenging.Über Keos im Altertum: Bröndsted, De l'île de Céos, in: Voyages et recherch. dans la Grèce, Paris 1826. – Tournefort, Rélat. d'un voyage du Levant, Paris 1717. Ant. Meliarakis, 'γπονήματα περιγραφικὰ τω̃ν Κυκλάδων νήσων – – Athen 1880. Akominatos nennt die Vierstädte und die berühmten Männer von Julis, unter ihnen auch den Arzt Erasistratos, in seinem auf Keos verfaßten Gedichte ›Theano‹, Op. II, p. 387.
Michael Akominatos kam dorthin im Jahre 1206.In dem von dort geschriebenen Brief (II, p. 312) zählt er ein Jahr des Wanderns, seit er Athen verlassen hatte. Er fand das Eiland noch frei, denn der Megaskyr Athens konnte dasselbe nicht beanspruchen, während die Republik Venedig, welcher es zugewiesen worden war, noch keine Anstalten der Besitzergreifung machte. Mehr als zwei Jahre lang weilte der Flüchtling dort, ohne daß die verhaßten »Italer« das Asyl betraten, in welches er sich aus dem Schiffbruch seines Lebens gerettet hatte.An Basilios Kamateros, Oheim des Kaisers Laskaris, II, p. 257. Allein auch auf diesem stillen Strande erschienen bald genug lateinische Abenteurer. Es war die Zeit, wo die Märchen und Sagen wahr wurden, wo irrende Ritter Königskronen im Archipel fischten und auf schönen mythenvollen Eilanden des Griechenmeeres ihre gotischen Schlösser bauten. Verwegene Venezianer aus alten Geschlechtern, Andrea und Geremia Ghisi, Domenico Michiel und Pietro Giustinian, landeten auf Keos und setzten sich seit 1207 dort und auf andern Kykladeninseln fest, für welche sie dann die Lehnshoheit des Sanudo in Naxos anerkannten. Michiel begann sofort in Keos den Bau einer gewaltigen Burg.
Im Kloster des Prodromos hatte der athenische Verbannte seinen Sitz genommen, und hier verfolgten ihn die Franken nicht; allein sie beobachteten ihn voll Argwohn, daß er mit dem Despoten von Epiros in geheimer Verbindung stehe.Brief an Theodor Dukas, II, p. 326ff. Er vernahm in seiner Zelle die Kunden von der fortschreitenden Knechtung Griechenlands durch die Lateiner, aber auch von der freiwilligen Unterwerfung vieler Griechen. Selbst Bürger aus Argos, Hermione, Ägina, Korinth, wo Sguros herrschte, flüchteten aus Furcht vor diesem Tyrannen zu den Franken, während das Volk der von diesen besetzten Städte Athen, Theben und Chalkis ruhig in seinem Eigentum verblieb.II, p. 170. Die Insel Ägina scheint demnach in der Gewalt des Sguros gewesen zu sein. Er verwünschte Akrokorinth, die »Akropolis der Hölle«, wo jener verhaßte Tyrann saß, der ihm den Neffen entführt und diesen Jüngling dann im Rausch erschlagen hatte. Dann erfuhr er den Tod des Sguros. Unbezwungen von den ihn belagernden Franken starb der Archont im Jahre 1208 in seiner Burg Korinth. Er nahm wenigstens den Ruhm ins Grab, daß er alle Lockungen der fremden Eroberer, sich unter den vorteilhaftesten Bedingungen zu ergeben, verachtet hatte und als ein freier Mann und Hellene gestorben war. Da er keine Erben zurückgelassen hatte, erhob die griechische Nationalpartei zu ihrem Führer den Dynasten Michael Angelos Dukas, welcher das Reich Epiros gestiftet hatte und von dort aus Hellas den Franken zu entreißen hoffte. Die Städte des Sguros, Korinth, Argos und Nauplia, riefen ihn zu ihrem Herrn aus, und er schickte dorthin seinen Bruder Theodor Dukas, um von jenen Schlüsseln des Peloponnes Besitz zu nehmen.
Mit Genugtuung konnte Michael Akominatos diesen Aufschwung des epirotischen Herrschers betrachten. Aus Keos schrieb er viele Briefe an seine fernen Freunde und Schicksalsgenossen und die bedeutendsten Personen des zerstörten byzantinischen Staates, welcher jetzt in Nikaia langsam wieder erstand.Gerade die Sammlung seiner Briefe aus Keos ist stark ausgefallen; 91 gegen die 90 übrigen. Darunter sind solche an den Kaiser Laskaris, an Theodor Dukas, die Erzb. und Bischöfe von Theben, Neopaträ, Euripos, Karystos, Naupaktos, an die Patriarchen Autoreianos u. Euthymios Tornikis, an Geistliche, Staatsmänner, Ärzte usw. Dem Kaiser Laskaris, dem Gründer einer neuen Zukunft des Romäerreichs, welcher Asien zur Arche der Rettung aus der allgemeinen Sintflut gemacht habe, sprach er die Hoffnung aus, daß er der Befreier von Byzanz sein werde, aber er schlug den Ruf an seinen Hof aus, wie die Einladung des Theodor Dukas nach Arta. Auch lehnte er die Wahl zum Erzbischof von Naxos ab. Ich bin, so schrieb er dem Patriarchen in Nikaia, wie ein altersschwacher Vogel an einer Schnur, welcher vergebens aufzufliegen und ins Vaterland heimzukehren strebt. Er könne nicht nach Bithynien, nicht einmal mehr nach Euböa, Naxos oder Paros reisen.II, p. 154.
Mit Hilfe seiner Freunde gelang es ihm, einige Bücher zu erhalten, auch solche aus seiner zerstreuten Bibliothek wieder an sich zu bringen. So bat er den Bischof Theodor von Euripos, ihm eine Handschrift zurückzugeben, welche, wie er vernommen hatte, in dessen Besitz gekommen war und die für ihn selbst um so wertvoller sein mußte, da er sie mit eigner Hand kopiert hatte. »Du weißt«, so schrieb er jenem Bischof, »daß ich vielerlei Bücher von Konstantinopel nach Athen mitgebracht und dort neue erworben hatte. Ich ahnte nicht, für wen ich diesen Schatz sammelte. Denn wie konnte es mir Unglücklichem in den Sinn kommen, daß ich dies nicht für meine Sprachgenossen, sondern für die italienischen Barbaren tun würde. Diese sind weder imstande, die Schriften in der Ursprache zu lesen, noch sie mit Hilfe einer Übersetzung zu verstehen; eher werden Esel die Harmonien der Lyra begreifen und Mistkäfer den Duft der Myrtensalbe genießen, als jene den Zauber der Rede.«An Theodor von Euripos, II, p. 295. Die Handschrift war, wie Lambros gezeigt hat, die Exegese der Paulin. Briefe vom bulgarischen Bischof Theophylaktos aus dem 11. Jh. Ganz so wegwerfend sprach sich auch sein Bruder Niketas über die Unwissenheit der Barbaren aus, und doch war bereits die Zeit nahe, wo die altfranzösische Ritterromanze selbst die griechische Phantasie eroberte.
In Keos erschien sich der greise Michael als ein aus dem Paradiese Verstoßener. Nachdem er sich früher von dem »Tartaros Athen« hinweggesehnt hatte, blickte er jetzt von den Küsten des Eilandes auf die geweihten Fluren Attikas wie auf ein verlorenes Eden zurück.ως ’Εδέμ άλλης, II, p. 257. Er betrachtete mit tiefem Kummer von der hohen Felsenwarte »den panathenäischen Untergang«, aber er fuhr fort, soviel als möglich war, der Seelsorger und Helfer seiner verwaisten Gemeinde zu sein.An Theodor Dukas, II, p. 326.
Einmal wagte er sogar, nach Athen zurückzukehren. Dies geschah heimlich, vielleicht im Jahre 1217. Doch er verließ die Stadt wieder nach kurzer Zeit. »Wenn ich mich nicht«, so schrieb er an Theodor Dukas, »schnell entfernt hätte, so würde ich ein Bissen für die Zähne der Italiener geworden sein.«II, p. 327: τοι̃ς ιταλικοι̃ς οδου̃σιν ὲν εγεγόνειν κάταβρομα. Die fremden Gebieter Athens nennt er immer Italiker, da ihm Burgund unbekannt war, und er wußte, daß der Oberlehnsherr Ottos de la Roche der Lombarde Bonifatius war. In diesem Briefe sagt er, daß er schon das 12. Jahr in Keos sei und sich im vorigen Jahre nach Athen gewagt habe. Übrigens ist die Tatsache, daß der freiwillig Verbannte es wagen durfte, Athen zu besuchen, immerhin ein Zeugnis der Schonung, die er von den fränkischen Machthabern erfuhr. Freilich konnte diesen und dem lateinischen Erzbischof auf der Akropolis das Erscheinen des alten Metropoliten Athens nicht angenehm sein, da er fortfuhr, der dortigen Umwälzung seine Anerkennung zu versagen. Vielleicht aber hat sich Michael bei seinem flüchtigen Besuche doch mit eigenen Augen überzeugt, daß die Stadt Athen gerade unter diesen lateinischen Barbaren wirklich einem besseren Schicksal entgegenging. Die bisher von den byzantinischen Verwaltern gemißhandelten Athener nahmen die Fremdherrschaft ohne einen Versuch des Widerspruches auf sich. Sogar griechische Priester unterwarfen sich ihr. Akominatos selbst schrieb einmal dem Abt des Klosters Kaisariani auf dem Hymettos, welcher mit den Franken ein Abkommen getroffen hatte, daß man »den gegenwärtigen Herren gehorsam sein müsse«.II, p. 311. In diesem Briefe rechtfertigt er sich gegen die Anschuldigung, bei seinem Abzuge aus Athen Schätze mit sich genommen zu haben. Nur soviel habe er bei sich gehabt, als für seine Flucht nötig gewesen, und das in Jahresfrist ausgegeben.
Die Fremdherrschaft war in Athen vielleicht milder als auf Euböa, wo der reichste der Archonten, Chalkutzis mit Namen, seine Habe und seine Verwandten verließ, um nach Nikaia zu flüchten. Akominatos empfahl ihn dem Patriarchen Autoreianos.II, p. 277, 280. Es waren wohl überall wesentlich die Magnaten, die Besitzer von Latifundien, welche die wenigste Schonung von den Eroberern erfuhren und die meisten Verluste erlitten. Solche großen Grundherren aber gab es schwerlich in Athen. Einer der Freunde Michaels, Demetrios Makrembolitis, war nach der Stadt zurückgekehrt, wo er sich trotz der Franken wohl befand. Er wie andere Athener schickten dem Greise mancherlei Gaben, Wein, Gemüse, gedörrte Fische und Wachs.Schöner Brief an Makrembolitis, II, p. 301. Die Schar der Schicksalsgefährten, die er anfangs um sich in Keos versammelt hatte, lichtete sich, denn manche gingen nach Athen zurück, um sich mit der Frankenherrschaft auszusöhnen. Dies hatte sogar Michaels ehemaliger Suffragan, der Bischof Theodor von Negroponte, für klug gehalten; denn schon im Jahre 1208 hatte er dem lateinischen Erzbischof Athens die Obedienz geleistet, weshalb der Papst Innozenz dem Metropoliten von Neopaträ, dem Bischof von Davala und dem Abt von S. Luca in Negroponte befahl, Theodor in seinen Sitz wieder herzustellen.Potthast, n. 3553. Manche griechische Bischöfe trieb die Not zur Unterwerfung unter den Papst; dies hatte auch der Erzbischof von Neopaträ getan. Allein derselbe war wieder abgefallen und zu Sguros nach Korinth entwichen; das Haar hatte er sich wieder als Grieche wachsen lassen, die Waffen ergriffen, ein Jahr lang jenem Freiheitshelden gedient und manchen Lateiner erschlagen.Potthast, n. 4299. Der Papst trägt am 21. Aug. 1211 dem Bischof von Zaratora, dem Dekan von Theben und dem Kantor von Davala den Prozeß wider jenen Abtrünnigen auf.
Georg Bardanes, der Sohn des Bischofs von Karystos, und Michaels eigener Neffe Niketas, welche junge Männer er in den Wissenschaften unterrichtete, zogen nach Athen unter dem Vorwande, dort für ihre leidende Gesundheit zu sorgen. Bitter tadelte deshalb der greise Priester seinen Neffen, daß er sich nach der Stadt begeben, welche nichts mehr von den alten Grazien bewahrt habe, sondern nur eine Hölle des Jammers sei; dort werde er die vaterländische Freiheit vergessen und Sklave der Eroberer sein, ohne nur, gleich den Gefährten des Odysseus, sich mit der Süßigkeit des Lotos entschuldigen zu können, da der Honig des Hymettos durch die italische Tyrannei in Wermut verwandelt worden sei. Ihn selbst aber würden in seiner Verlassenheit noch ein paar Freunde und die Schriften der Weisen trösten.An seinen Neffen Niketas, II, p. 267ff.
Den bittersten Schmerz erlitt Michael, als sein Bruder ihm durch den Tod entrissen wurde. Der strenggläubige, nicht von religiösem Fanatismus freie Niketas hatte unter den letzten Komnenen, dann unter den Angeloi hohe Staatsämter bekleidet, den Fall Konstantinopels erlebt und sich endlich mit seiner Familie nach Nikaia geflüchtet, ohne am Hof des Laskaris seine frühere Stellung wiederzuerlangen. In seinen Mußestunden schrieb er sein schwülstig dunkles, oft von Parteihaß gefärbtes, aber wichtiges Geschichtswerk. Er schilderte darin den Sturz seines Vaterlandes unter die Franken und setzte in einigen Blättern seinem Bruder ein Denkmal. Dieser widmete dem Verstorbenen eine Totenklage oder Monodie, welche uns erhalten ist. Trotz des rhetorischen Pathos ist sie ein ergreifender Erguß des tiefsten Gefühls des vereinsamten, den Tod herbeisehnenden Greises.Εις τὸν αδελφὸν αυτου̃... I, p. 345ff. Ellissen, Mich. Akominatos, p. 145, gibt die Distichen des Morellus auf diese Elegie. Der edle Mann wurde um das Jahr 1220 von seinem Leiden erlöst; er starb im Kloster des Prodromos, und wohl ist er dort und nicht in Athen bestattet worden.Das Kloster, welches mit der Metropole verbunden war, ist untergegangen; Meliaraki entdeckte die Überreste davon in der jetzigen Volksschule, die darüber gebaut worden ist, a.a.O., p. 225.