Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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2.

Die beiden Hauptstädte Theben und Athen werden unter der französischen Regierung manche Veränderung durch Neubauten erfahren haben. Indes, die La Roche waren nicht baulustige Fürsten, sei es, weil sie überhaupt solche Leidenschaft nicht besaßen oder weil sie nicht reich genug waren, ihr zu huldigen. Die Villehardouin und ihre Barone in Achaia haben mehr Denkmäler ihrer Herrschaft zurückgelassen als die La Roche, aber auch sie konnten in dem fremden Lande nichts wahrhaft Großes und Schönes ausführen, nichts, was sich mit den Bauwerken der Normannen und Hohenstaufen in Apulien und Sizilien vergleichen ließe. Ihre unablässigen Kriege, die kurze Blüte ihres Hauses und im ganzen auch der Mangel an Mitteln erklären es hinreichend, daß diese Frankenfürsten auf dem Boden der klassischen Schönheit nicht die Künste Griechenlands wieder zum Leben erweckten. Die Renaissance dieser fand erst in einem späteren Zeitalter und nicht mehr in dem abgestorbenen Hellas, sondern in Italien statt.

In allen ihren griechischen Ländern war die eifrigste Tätigkeit der lateinischen Barone auf die Erbauung von Burgen gerichtet, für deren Architektur und Befestigung wahrscheinlich die Frankenschlösser Palästinas zum Vorbilde dienten. Die zahlreichen Ruinen dieser gotischen Burgen sind nicht durch bauliche Schönheit ausgezeichnet; denn die fränkischen Lehnsherren errichteten sie in Hast und nur zum Zweck des Krieges, so daß es scheint, als seien sie sich der Flüchtigkeit ihrer Herrschaft in Griechenland bewußt gewesen.So urteilt ein französischer Forscher bei Gelegenheit der Burg Misithra: Bertrand, Fragm. d'un voyage dans le Péloponnèse 1850 (Arch. d. miss. scient. III, p. 412). Die griech. Frankenburgen verdienen aber doch wohl eine Untersuchung in Bezug auf ihre militärische Anlage. A. Bötticher hat sich mit Recht beklagt, daß sie von der Forschung bisher ganz vernachlässigt sind. (Die fränk. Burgen in Morea, Allg. Zeit., Beil. n. 21, 1885). Auch in dem neuen wichtigen Werk von G. Köhler, Die Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegführung in der Ritterzeit, sind sie kaum berücksichtigt. Die franz. Karte Griechenlands (1854) zählt deren als Paläokastra etwa 150 auf.

Im Herzogtum Athen wird nur ein einziges Frankenschloß als Prachtbau genannt, nämlich jenes auf der Kadmeia, welches der reiche Marschall Nikolaus von St. Omer ausführen ließ. Da dasselbe zerstört ist, so haben wir von seiner Architektur keine Vorstellung mehr. Ramon Muntaner, der es bei seinem Besuche des Infanten von Mallorca kennenlernte, hat nichts von ihm gesagt, nur die griechische Chronik von Morea hat es mit ein paar Worten als eines Kaisers würdig gerühmt. Freskengemälde, die ritterlichen Taten der Franken, vielleicht der Ahnen des St. Omer, im heiligen Lande darstellend, scheinen dort die Säle geschmückt zu haben.καὶ εκατιστόρησεν [το πω̃ς εκουγκέστησαν οι Φράγκοι τὴν Συρίαν]. Griech. Chron. von Morea, v. 6747. Der ›Liv. d. l. Cq.‹ sagt nichts davon, nur die italien. Bearbeitung der griech. Chronik hat deren Notiz wiedergegeben. Dies erinnert an die Burg des Helden im griechischen Epos, Digenis Akritas, der zum Andenken an seine Kämpfe mit den Sarazenen die Wände seines Schlosses mit Mosaiken bedecken läßt, welche biblische Szenen, aber auch die Taten des Bellerophon und des romanhaften Alexander abbildeten.Sathas, Le Roman d'Achille, p. 140.

Es ist freilich auffallend, daß der prachtliebende Nikolaus von St. Omer für jene Fresken nicht Stoffe aus der Eroberung Griechenlands selber wählte. Das Muster für seinen Bau konnte er den Frankenburgen im Peloponnes oder auch in Syrien entlehnen, wo unter andern das hohe Schloß der Ibelin in Beirut über dem Meer mit Mosaikfußböden, mit marmornem Getäfel und mit Deckengemälden versehen war, die auf azurblauem Grunde den Zephyr, das Jahr und die Monate versinnbildlichten.Prutz, Kulturgesch. der Kreuzzüge, S. 418 ff. Die Sitte der Byzantiner, ihre Paläste mit Malereien zu zieren, war sehr alt, und sie erhielt sich Jahrhunderte lang. Justinian hatte in seinem neuen Kaiserschloß seine oder Belisars Siege über die Vandalen und Goten in figurenreichen Mosaiken darstellen lassenProkopios, De Aedificiis I, c. 10. Und noch der prachtliebende Manuel Komnenos ließ die Säle, die er in den beiden Kaiserpalästen erbaute, mit Gemälden schmücken, die seine Taten verherrlichten.Niketas, De Manuele Comneno lib. VII, p. 269.

Athen selbst mußte sich unter der guten Regierung der Burgunder emporgehoben haben. Weil aber die La Roche häufiger in Theben residierten als dort, so konnte das nicht ohne Folgen für die eigentliche, doch in Wirklichkeit zurückgesetzte Hauptstadt des Herzogtums sein.Es ist sehr übertrieben, was Fallmerayer (Welchen Einfluß etc., S. 45) sagt: »Die Stadt wurde groß, reich, üppig, mit schönen Gebäuden geschmückt (mit welchen?) und stark bevölkert.« Weder auf den schattigen Abhängen des Hymettos noch im wasserreichen Kephissia, wo einst Herodes Attikus wie in Marathon köstliche Villen besessen hatte, haben die Herzöge Athens Lustschlösser gebaut. Sie setzten die antiken Marmorbrüche des Pentelikon nicht mehr in Betrieb, noch boten ihnen die schon im Altertum erschöpften oder verlassenen Silberminen Laurions Mittel für ihren Luxus dar.Es gibt keine Spur von Betrieb der Minen dort während des Mittelalters, doch muß es noch spät Bleiminen gegeben haben, da sich Spon (Voyage II, p. 265) sagen ließ, daß sie aus Furcht vor den Türken eingegangen seien.

Die klassischen Bauwerke Athens, so viele deren sich erhalten hatten, entgingen dem Schicksal der Zerstörung schon deshalb, weil das Bedürfnis großer Neubauten nicht vorhanden war. Selbst von Befestigungen der Akropolis hat man keine Anzeichen entdeckt, die mit Sicherheit den La Roche könnten zugeschrieben werden.Burnouf, La ville et l'acropole d'Athènes, p. 56. Dennoch müssen dort und in der Unterstadt solche im Laufe eines Jahrhunderts entstanden sein. Sogar die Anlage des Frankenturms auf dem Pyrgos des Niketempels kann der Zeit der letzten burgundischen Herzöge angehört haben. Nichts hindert uns ferner anzunehmen, daß schon diese Fürsten die Gründer eines Palasts auf der Akropolis gewesen sind. Glücklicherweise kamen sie nicht auf den ungeheuerlichen Gedanken, dort eine ganz neue Residenz aufzurichten, was noch im Jahre 1836 Otto, der erste König der Hellenen, nach Schinkels Plan im Sinne hatte, aber nicht ausführte. Es war minder beschwerlich und minder kostspielig, die leeren Räume der Propyläen zu einer fürstlichen Wohnung einzurichten. Daß schon die La Roche dies getan haben und die erste anspruchslose Anlage eines Propyläenpalasts ihnen angehört, ist sehr wahrscheinlich, wenn auch durch keine Urkunde zu erweisen.Buchon (Grèce contin., p. 67, 115, 127) will in den Resten des späteren Schlosses der Acciajoli noch Wappen der lateinisch-byzant. Kaiser, der Villehardouin und der La Roche gesehen haben, und dies ist eine Täuschung. Die Hypothese des Surmelis (Katastas. synopt., p. 36), daß sich die La Roche in der Unterstadt einen Palast erbaut hatten, und zwar in der Nähe der neuen Metropolis, ist unerweisbar.

Was die Kirchen Athens betrifft, so ist keine mit Gewißheit als ein Werk der Burgunder anzusehen, zumal bei dem Wiederaufbau der Stadt nach der Befreiung Griechenlands von den Türken viele verwüstete Basiliken mit andern Denkmälern der fränkischen Zeit abgetragen worden sind. Die La Roche haben überhaupt keine prachtvollen Kirchen und Klöster gebaut; denn zu solchem Aufwande fehlte nicht nur das Geld, sondern auch das Bedürfnis selbst. Die lateinische Geistlichkeit bildete im Herzogtum Athen nur eine von der Masse des griechischen Volks feindlich getrennte Kolonie; sie war weder reich noch mächtig; sie begnügte sich mit den übrigens sehr zahlreichen griechischen Kirchen, welche sie für den katholischen Kultus umgestaltete. Die merkwürdigste der athenischen Kirchen byzantinischen Stils ist das Katholikon, die Panagia Gorgopiko, ein kleiner Kuppelbau aus weißem Marmor, auf Wänden und Friesen aller vier Seiten mit byzantinischen Bildwerken und vielerlei alten Skulpturfragmenten bedeckt, unter denen der Festkalender über dem Hauptportal archäologische Berühmtheit erlangt hat.Carl Bötticher, Athenischer Festkalender in Bildern, Philolog. XXII (1865). Kunstforscher behaupten, daß diese Kirche entweder die fränkische Erneuerung eines altbyzantinischen Baues oder geradezu ein Neubau der französischen Herzöge sei.Abbildung bei Buchon, Atlas des nouv. rech. hist. sur la principauté franç. de Morée..., pl. II; und J. Gailhabaud, Mon. anciens et mod. II (Text von M. A. Lenoir). Aus vermeintlichen Wappenkreuzen der Villehardouin und anderen, die er dort zu sehen glaubte, schloß Buchon (Grèce contin., p. 129), das Katholikon sei nach 1218 von Villehardouin erbaut als Denkmal des geschlichteten Streites um die griech. Kirchengüter. Aber was hatte der Fürst von Achaia in Athen zu bauen? F. W. Unger (Griech. Kunst, Ersch u. Gruber LXXXV, S. 25) hat ohne weiteres die Ansicht Buchons angenommen. Allein der unbefangene Betrachter wird das Katholikon für eine der altbyzantinischen Kirchen Athens halten, welche die Zeit der Herzöge so gut überdauert hat wie die Kapnikareia, St. Theodoros und Taxiarchos.

Selbst die berühmte Klosterkirche Daphni, in welcher die La Roche ihre Gruftkapelle hatten, ist zwar von ihnen teilweise umgestaltet und mit einem Glockenturm und Toren gotischen Stils versehen worden, aber dies Kleinod christlicher Baukunst war ursprünglich eine byzantinische Anlage der Basilianer.C. Bötticher, Untersuchungen auf der Akropolis Athens, 1862 (S. 16), fällt das übertriebene Urteil, daß diese Klosterkirche eine Würde und Pracht zeige, von der keine einzige Kathedrale Europas außerhalb Griechenlands ein wetteiferndes Beispiel zu geben hat. Schon der erste La Roche hatte dort Zisterzienser aus der Abtei Bellevaux in Burgund eingesetzt, mit welcher auch seine Nachfolger in steter Verbindung blieben, da sie dieselbe mit Privilegien von Athen aus beschenkten.Guillaume, Hist. des sires de Salins, p. 66. Die Kolonie der Zisterzienser in dem attischen Kloster überdauerte alle anderen von Franken gestifteten Abteien desselben Ordens in Romanien. Im Jahre 1276 war nur noch sie in griechischen Landen erhalten; das Generalkapitel der Zisterzienser stellte dieselbe unter den Abt von Bellevaux.Martene und Durand, Thes. Nov. IV, 1453, n. 11. Einige Äbte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts weist Hopf nach (I, S. 296).

Daphni steht noch heute verlassen und halb zerfallen wenig mehr als eine Stunde weit von Athen am heiligen Wege, der nach Eleusis führt. Da diese Straße Attika mit Böotien und Phokis, mit Megara und dem Peloponnes verband, so mußte sie auch zur Frankenzeit eine große Verkehrsader sein. Sie lief vom alten thriasischen Tore, dem Dipylon, aus, durchzog den äußeren Kerameikos, von herrlichen Grabmonumenten zu den Seiten begleitet, und ging dann durch den Flecken Skiron und den breiten Gürtel des Olivenhaines weiter. Hier traf sie den Demos Lakiades, zog über die Brücke des Kephissos fort und stieg dann zu den Abhängen des Korydallos auf, welcher die Ebene Athens von der eleusinischen trennt.Die Feststellung der Namen des Gebirges dort und seiner beiden Gruppen (Korydallos, Ägaleos, Poikile) ist streitig. L. Roß, Königsreisen II, S. 94, nennt das ganze Gebirge vom Fuß des Parnes bis zur Meerenge von Salamis Ägaleos. Nach Fr. Lenormant, Voie Eleusinienne (Paris 1864), ist die Hauptmasse der Korydallos, südlich davon der Ägaleos, nördlich Poikile. Sie erreichte daselbst den Bergpaß, senkte sich abwärts und führte an den Rheiti oder Salzseen vorbei durch die thriasische Ebene nach Eleusis. Jener Bergpaß war, wie noch heute Mauerreste zeigen, im Altertum stark verschanzt. Dort stand als Grenzmarke der Städte Athen und Eleusis das Pythion, ein kleiner ionischer Apollotempel. Aus seinen Trümmern und denen des nahen Heiligtums der Aphrodite erbauten in byzantinischer Zeit die Basilianer ein Kloster mit einer Kuppelkirche.Nach Surmelis, Attika, p. 149, errichteten schon Honorius und Arkadios, als sie in Athen studierten, aus dem Apollotempel eine Kirche. Doch das ist nicht zu erweisen. Marmorfragmente des kleinen Aphroditetempels sahen nach Leake, Dodwell und Roß. Milchhöfer, Erläuternder Text zu den Karten von Attika, Heft II, S. 47. Sie gaben ihm den Namen Daphne, vielleicht weil der Ort selbst so hieß, da er im Altertum dem Apollo geweiht gewesen war. Als Meergott hatte dieser in Gestalt eines Delphins eine kretische Kolonie nach Delphi geführt, und als Delphinios wurde er in Athen, Knossos, Didyme und Massilja verehrt.Lenormant, Voie Eleusinienne, p. 512. W. Vischer (Erinner. aus Griechenland, Basel 1857, S. 93) leitet den Namen des Klosters von dem Lorbeer Apollos ab. Siehe auch Roß, Königsreisen II, S. 95. Durch Roß wurde Buchon darauf geführt, daß die in der Urkunde aus Mons vom 5. Okt. 1308 bezeichnete Gruftstätte der La Roche »dans le Monastère de Dalfinète« im Herzogtum Athen das Kloster Daphni sei. Im Testament Walters von Brienne wird gesagt »aux Daufenins«.

Die Abtei war zum Schutz gegen die Meerpiraten schon in byzantinischer Zeit mit festen Mauern umgeben worden, so daß Daphni ein Kastell bildete, ähnlich dem griechischen Kloster Grottaferrata im Albanergebirge bei Rom. Die Zisterzienser fügten einige gotische Anbauten hinzu. Heute ist noch die byzantinische Kirche übriggeblieben, mit ihrer mosaizierten Kuppel, die auf vier Pfeilern ruht. In einem Vorbau des Klosters sieht man eine antike Säule eingemauert; drei andere hat Lord Elgin ausbrechen und entfahren lassen.Pouqueville IV, p. 111. Pläne von Daphni bei Buchon, Atlas etc.

Wie den Villehardouin die Kirche St. Jacques zu Andravida als Familiengruft diente, so hatten die La Roche Daphni für sich dazu bestimmt. Der letzte ihres Hauses war daselbst am 6. Oktober 1308 bestattet worden, und auch Walter von Brienne hatte dasselbe Kloster zu seinem Begräbnisort ausersehen. Bonifatius von Verona war Zeuge seines Testaments gewesen; demnach hat er unzweifelhaft die Bestimmung des Herzogs ausgeführt und seine Reste dort bestattet, was die Katalanen ihm aus Achtung seiner Person nicht versagen konnten. Das Haupt Walters wurde im Jahre 1347 durch seine Erben von der Kompanie ausgelöst, nach Lecce gebracht und dort in der Kathedrale bestattet. Später ließ daselbst Maria von Enghien, die Gemahlin des Königs Ladislaus von Neapel, die von Isabella, der Tochter Walters, abstammte, ihrem unglücklichen Ahn ein Marmordenkmal errichten, welches, wie ihr eigenes, beim Umbau jener Kathedrale im Jahre 1544 zerstört worden ist.Antonello Coniger (in: Raccolta di varie chroniche appartenenti alla storia di Napoli) berichtet die Überführung nach Lecce zum Jahr 1347. – Antonius Galateus, De situ Japygiae, Basel 1558, p. 92. Summonte, Storia di Napoli III, p. 248.


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