Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Siebentes Kapitel

Michael Akominatos. Der byzantinische Klerus. Michael wird Erzbischof Athens. Die athenischen Metropoliten. Chronologische Graffit-Inschriften. Einzug des Akominatos in Athen. Die Parthenonkirche. Antrittsrede des Erzbischofs. Seine Enttäuschung über Athen. Seine Schilderung des Zustandes der Stadt und des Volks. Verfall des geistigen Lebens und der attischen Sprache. Legenden vom Studium der Ausländer in Athen. Der König David von Georgien. Der Dichter Sota Rustawel. Berichte vom Studium der Engländer in Athen. Fortleben des wissenschaftlichen Ruhmes Athens bei den Arabern. Akominatos und die Monumente der Stadt. Sein Klagelied über den Untergang Athens.

Ein Lichtstrahl fällt plötzlich in die dunklen Zustände Athens zu der Zeit, wo ein ausgezeichneter Mann jahrelang in ihr lebte und wirkte, zwar kein Athener von Geburt, sondern ein kleinasiatischer Grieche, welcher aber doch der letzte große Bürger und der letzte Ruhm der Stadt der Weisen gewesen ist. Seine Schicksale, seine Briefe und Schriften, von denen sich viele glücklich erhalten haben, bringen in die Geschichte Athens wieder Züge der Persönlichkeit, welche um so wertvoller sind, als diese im Altertum an historischen Charakteren überreiche Stadt während der nachklassischen Zeiten deren keine mehr aufweisen konnte.

Michael Akominatos, der ältere Bruder des namhaften byzantinischen Geschichtsschreibers und Staatsmannes Niketas, war um 1140 in Chonä oder Kolossä in Phrygien geboren.Sein Leben hat zuerst Ellissen monographisch behandelt (Michael Akominatos von Chonä, Erzb. von Athen, 1852). Von seinen auf uns gekommenen Schriften sind einige von P. Morelli, von Tafel und Ellissen ediert worden. Es ist das große Verdienst des Atheners Spiridon Lambros, die zerstreuten Reste der Werke Michaels aus den Bibliotheken Europas, namentlich in Florenz und Oxford, ans Licht gezogen zu haben. Μιχαὴλ ’Ακομινάτου του̃ Χονιάτου τὰ σωζόμενα, 2 Bde., Athen 1879–1880. In seiner Jugend ging er nach Konstantinopel, um sich in den Wissenschaften auszubilden. Die große Weltstadt glänzte damals unter der Regierung Manuels I. noch von Herrscherpracht und Lebensfülle, und in ihr blühten wieder Schulen der Beredsamkeit, der Philosophie und Theologie. Manche Männer erwarben sich dort den Ruhm klassischer Gelehrsamkeit, wie Johannes Xiphilinos, Konstantin Manasse, Theodor Prodromos, die beiden Tzetzes und vor allem der geniale Eustathios, der nachmalige Erzbischof von Thessalonike, welcher Lehrer und Freund des jungen Michael wurde. Sein Haus war der Sammelplatz der Schöngeister und Gelehrten Konstantinopels; mit den Akademien des alten Athen hat es Euthymios, der hochgebildete Metropolit von Neopaträ, zu vergleichen gewagt.Monodie des Euthymios, bei Tafel, De Thessal., p. 399.

Die Dynastie der Komnenen pflegte und förderte die Wissenschaft. Gerade die ruhmvollsten Herrscher derselben, Alexios I., Kalojohannes und besonders Manuel, waren kenntnisreiche Männer. Die Prinzessin Anna, die Gemahlin des nicht minder hochgebildeten Cäsar Nikephoros Bryennios, dessen Geschichtsbücher sie fortsetzte, konnte ihrem Vater in der Alexias ein biographisches Denkmal errichten, dessen Wert denjenigen mancher Werke byzantinischer Historiographen übertrifft. Die Bildung der Griechen jenes Zeitalters ohne schöpferische Kraft war freilich nur ein prunkvolles Gemisch von antiquarischem Klassizismus und theologischer Gelehrsamkeit und in der rhetorischen Schule so sehr überkünstelt, daß selbst die Schriften der besten Byzantiner, wie des Eustathios und der beiden Brüder Akominatos, durch schwülstige Überladung und das Scheingepränge gezierter Metaphern ermüden; und das sind immer Merkmale einer gesunkenen Literatur.

Während sich Niketas dem Staatsdienste widmete und durch seine Vermählung mit einer Byzantinerin aus dem Geschlecht der Belissarioten mit dem höchsten Adel des Reichs in Verbindung trat, trug sein Bruder Michael das geistliche Gewand. Er wurde Sekretär des Patriarchen Theodosios Boradioktes, dann aber war es sein Schicksal, und kaum ein beneidenswertes, der letzte griechische Erzbischof Athens zu sein, ehe diese Stadt ihrem Zusammenhange mit Byzanz für immer gewaltsam entrissen wurde.

Die hohe griechische Geistlichkeit zählte gerade damals unter ihren Mitgliedern bedeutende Männer, die in der Schule Konstantinopels gebildet waren. Manche Bischöfe in Hellas und dem Peloponnes, meist Freunde und Studiengenossen des Michael Akominatos, machten sich durch ihre klassische Gelehrsamkeit namhaft, so Euthymios von Neopaträ und Gregorios von Korinth, der Verfasser einiger grammatischer und theologischer Werke. Nikolaus von Methone schrieb noch in so später Zeit eine Widerlegung der platonischen Lehren des letzten athenischen Philosophen Proklos, was immerhin beweist, daß die Doktrinen des Neuplatonismus in Griechenland noch nicht ganz erloschen waren.Hertzberg, Griechenl. unter den Römern III, p. 528; und Gesch. Griechenlands seit dem Absterben des antiken Lebens I, S. 376. – Auch Nikaia glänzte durch seinen Metropoliten, den Aristoteliker Eustratios. J. Sakkelion, im Athenaion IV, 1875. Seit dem Jahre 1160 saß auf dem erzbischöflichen Stuhle Thessalonikes der gefeierte Eustathios, das glänzendste Licht der byzantinischen Gelehrtenwelt seit Michael Psellos. Er wirkte in dieser großen Stadt, als sein talentvoller Schüler Akominatos, vielleicht auf seine eigene Veranlassung, zum Metropoliten Athens ernannt wurde.

Das Jahr, in welchem dies geschah, kann nicht mit völliger Sicherheit festgestellt werden, denn die Reihe der athenischen Erzbischöfe auch des 12. Jahrhunderts ist uns so lückenhaft überliefert worden, daß wir nicht einmal den unmittelbaren Vorgänger Michaels anzugeben wissen. Im Jahre 1156 wird ein Georgios, 1166 Nikolaus Hagiotheodorites als Metropolit Athens genannt. Diesen Erzbischof hat der byzantinische Patriarch Lukas Chrysoberges, bei Gelegenheit des Verbotes von Heiraten in unerlaubtem Verwandtschaftsgrade, in einem Synodalschreiben jenes Jahres als einen Hirten gerühmt, der nicht nur die jetzt in dem »glücklichen« Lande Attika und in Athen Lebenden, sondern auch die Nachkommenden durch gesetzliche Ehen zu heiligen bemüht sei.Leunclavius, Jus graeco-rom., p. 218. Die von Fallmerayer (Welchen Einfluß, p. 39) in seinem Sinne gemachte Erklärung der Worte του̃ς έτι περιόντας τη̃ πανευδαίμονι χώρα τη̃ς ’Αττικη̃ς καὶ τρεφομένους ’Αθήναζε hat Hopf I, S. 162, abgewiesen. Das glänzende Zeugnis eines beglückten Zustandes, welches hier dem Lande Attika ausgestellt wird, könnte den Forscher nach den Verhältnissen Athens in jener Zeit irreführen, wenn es mehr gewesen wäre als eine gewöhnliche Kanzleiphrase.

So unsicher sind die Daten über die Erzbischöfe der Stadt, daß im Jahre 1182 Georg Xeros als solcher aufgeführt wird, obwohl damals schon Michael Akominatos jenen Sitz eingenommen haben muß.Ephim. Arch., 1856, p. 1437, n. 2950. Da n. 2949 sogar den Febr. 1190 als Todesdatum des athen. Metropoliten Georg Burtzes verzeichnet, wo doch Michael zweifellos Erzb. Athens war, so zeigt dies, wie unzuverlässig die Parthenoninschriften des Pittakis sind. Von diesem Burtzes, dessen Epoche heute nicht bestimmbar ist, ist eine Predigt erhalten, ediert von Basilios Georgiades, Athen 1882. Das bischöfl. Siegel ΦΡΑΓΙΣ ΑΘΗΝΩΝ ΠΟΙΜΕΝΟΣ ΓΕΩΡΓΙΟΥ schreibt Sp. Lambros (Athen am Ende des 12. Jh., p. 36) dem Xeros zu. Dies Xeros betreffende Datum findet sich in einer jener mittelalterlichen Parthenoninschriften, welche nebst anderen auf Denkmälern und Kirchen Athens zu einem merkwürdigen Gegenstande wissenschaftlicher Untersuchung geworden sind gleich den Graffitinschriften auf den Wänden der Häuser Pompejis. Zuerst entdeckte der russische Archimandrit Antonios solche unbestreitbar echten Inschriften auf der Mauer der Kirche des heiligen Nikodemos, und Pittakis fand eine Reihe anderer auf den Wänden und Säulen des Theseustempels und des Parthenon.Er edierte diese wie jene in der Arch. Ephim., die von ihm gefundenen n. 2914–2993; besser geordnet im C. I. Gr. I, n. 9321ff. Die Zweifel an ihrer Echtheit (Hopf I, S. 114ff.) gründen sich heute weniger auf die Annahme absichtlicher Fälschung, als auf die Richtigkeit der schwierigen Entzifferung. Spir. Lambros (Athen am Ende des 12. Jh., p. 21, und über die Quellen der athen. Gesch., Parnassos 1881, p. 240) hält sie, wie August Mommsen, für echt, trotz der vielen Abweichungen der Bischofsdaten von denen Le Quiens. Siehe dazu den Katalog der Bischöfe Athens vom Archimandriten Panaretos Konstantinides (Soter, Juni 1878). Sie sind von athenischen Priestern in Majuskel- und Minuskelschrift eingekratzt. Die meisten findet man am Haupteingange und an den Seitentüren der Kirchen, zumal solcher, die aus alten Tempeln entstanden sind. Sie sind in der Regel religiöser oder kirchlicher Natur, da sie Gebete an Gott und die Heiligen und im besondern nekrologische Daten enthalten. Nur wenige entdeckte man, die den Bau von Kirchen verzeichnen.Neben der fraglichen Inschrift des Pittakis, den Bau der Parthenonkirche 630 betreffend, ist wohl eine der ältesten die aus der nach 1834 zerstörten Kirche des Johannes Prodromos Mankutes, welche besagt, daß sie 871 von Konstantin u. Anastaso u. ihrem Sohne, dem Drungarius Johannes, gegründet wurde. Sakkelion im Deltion der hist. u. ethnol. Gesell. II., p. 29ff.

Die athenischen Forscher der Gegenwart haben erwiesen, daß solche christlichen Inschriften mit dem 7. Jahrhundert beginnen, daß die meisten dem 12. angehören und daß sich diese Epigraphik bis in die neueren Zeiten fortgesetzt hat. So hat man auf der Südseite des Theseustempels die Kunde von einer Pest im Jahre 1555 verzeichnet gefunden, welche Tausende vom Volk und von den Kastrioten, d. h. den türkischen Bewohnern der Akropolis, hingerafft habe. Wenige fragliche des 8. und 9. Jahrhunderts ausgenommen, die nach der Geburt Christi zählen, rechnen die Inschriften im allgemeinen, dem byzantinischen Stil gemäß, nach der Erschaffung der Welt, und erst seit 1600 werden die Jahre nach Christus gezählt und mit arabischen Zahlen geschrieben.Konstantin Zesios, χαράγματα επιγραφικὰ επὶ αρχαίων μνημείων καὶ χριστιανικω̃ν ναω̃ν τη̃ς ’Αττικη̃ς im Deltion der histor. u. ethnol. Gesell. Griechenlands, Bd. II., Athen 1885, p. 20ff. Herr Zesios verspricht diese schwierigen Untersuchungen fortzusetzen und über Attika auszudehnen. Siehe desselben χριστιανικαὶ αρχαιότητες ’Αθηνω̃ν, Ibid., I, p. 517ff.; und J. Sakkelion, ’Επιγραφὴ ’Αθηνω̃ν χριστιανική, Ibid., II, p. 29ff. So setzte das inschriftlustigste aller Völker, das athenische, eine alte Gewohnheit in freilich barbarischer Weise fort.

Die Einflüsse der Zeit und Witterung haben die Entzifferung dieser dürftigen Epigramme sehr schwierig gemacht, und im allgemeinen werfen sie kein Licht auf die Geschichte der Stadt Athen in den christlichen Jahrhunderten. Es läßt sich aber doch nicht denken, daß sich die Athener des Mittelalters mit jener kümmerlichen Epigraphie begnügt haben, denn sicher ist es nur die Zerstörung der Kirchen der Stadt in einigen Katastrophen namentlich während der türkischen Epoche gewesen, was den Untergang zahlreicher inschriftlicher Denkmäler verschuldet hat. Der Forscher über das Mittelalter der Stadt Rom befindet sich in einer günstigeren Lage, denn ihm wird, trotz vieler Verluste, in Kirchen, Klöstern, Katakomben, öffentlichen und bürgerlichen Bauwerken ein großes epigraphisches Material dargeboten, und eine lange Reihe von christlichen Grabmonumenten klärt ihn über die Geschichte und Kultur der ewigen Stadt auf. Diese in Stein gemeißelte Chronik der Toten fehlt ganz in Athen, wie dort auch die Katakomben, die wichtigen Schatzkammern des Christentums in seinen ersten Jahrhunderten, fehlen. Sie bricht ab mit den antiken Grabmälern und Inschriften, die an der Hagia Triada auf dem Wege nach der Akademie wieder ans Licht gekommen sind, wo jetzt der Wandrer mit Bewunderung die schönen Gebilde betrachtet, welche der Erinnerung an Dexileos, Lysanias, Hegeso und andere Athener und Athenerinnen geweiht sind. Sowenig als der Erforscher der Geschichte altchristlicher Kunst Urkunden in Farben und in Marmor zu Athen vorfindet, ist auch die byzantinische dort vertreten.Die wenigen Fragmente von christlichen Reliefs in den Museen Athens hat L. v. Sybel aufgezählt (Katalog der Skulpturen zu Athen, 1881, Einl. p. VII). Byzantin. christl. Skulpturen sind überhaupt selten. Ch. Bayet, Rech. pour servir à l'hist. de la peint. et de la sculp. chrétiennes en Orient, 1879. Dasselbe gilt von Kunstwerken des Mittelalters. Wir blicken nicht in Athen, wie in Rom, auf die marmornen Totengestalten von Bischöfen und Äbten, von Senatoren, Magistraten und Bürgern; wenige Grabsteine, ein paar bildlose Sarkophage und Inschriften ausgenommen, hat sich dort nichts dergleichen erhalten.Ich bemerke vorübergehend, daß im Sept. 1881 am Lykabettos das Grab eines bisher unbekannten Bischofs Klematios entdeckt worden ist. Ephimeris vom Sept.


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