Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 2
Johann Wolfgang von Goethe

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1606

Reise-Tagebuch

Viertes Stück.

Venedig.

1786.

Venedig.

So stand es denn in dem Buche des Schicksals auf meinem Blatte geschrieben, daß ich d. 28 Sept. Abends, nach unsrer Uhr um fünfe, Venedig zum erstenmal, aus der Brenta in die Lagunen einfahrend, erblicken, und bald darauf diese wunderbare Inselstadt, diese Biber Republick betreten und besuchen sollte. So ist denn auch Gott sey Danck Venedig kein bloses Wort mehr für mich, ein Nahme der mich so offt, der ich von jeher ein Todtfeind von Wortschällen gewesen bin, so oft geängstigt hat.

Wie die erste Gondel an das Schiff anfuhr, fiel mir mein erstes Kinderspielzeug ein, an das ich vielleicht in zwanzig Jahren nicht mehr gedacht hatte. Mein Vater hatte ein schönes Gondelmodell von Venedig mitgebracht, er hielt es sehr sehr werth und es wurde mir hoch angerechnet wenn ich damit spielen durfte. Die ersten Schnäbel von Eisenblech, die schwarzen Gondelkäfige, alles grüßte ich wie eine alte Bekanntschafft, wie einen langentbehrten ersten Jugend Eindruck.

Und da ich mir blos zu reisen scheine um dir zu erzählen; so setz ich mich nun hin, da es Nacht ist, dir mancherley vorzusagen.

Ich bin gut logirt in der Königinn von England, nicht weit vom Marcus Platz, der größte Vorzug des Quartiers.

Meine Fenster gehn auf einen schmalen Kanal, zwischen hohen Häusern, gleich unter mir ist eine Brücke und gegenüber ein schmales belebtes Gäßgen. So wohn ich und so werd ich eine Zeitlang bleiben, biß mein Packet für Deutschland fertig ist und biß ich mich am Bilde dieser Stadt satt gesogen habe.

Die Einsamkeit nach der ich so oft sehnsuchtsvoll geseuftzt habe, kann ich recht genießen, wenn ein Genuß darin ist, denn nirgend kann man sich einsamer fühlen als in so einem Gewimmel, wo man ganz unbekannt ist, in Venedig ist vielleicht kaum ein Mensch der mich kennt und der wird mir nicht begegnen. Wir hatten herrlich Wetter zur Fahrt auf der Brenta her die Volckm[ann] p. 636. gut beschreibt, ich ging mit dem öffentlichen Schiffe und kann den Anstand, die Ordnung einer so gemischten Gesellschafft des mittlern Standes nicht genug loben. Einige recht hübsche und artige Weiber und Mädgen waren drunter. Es wird mir erstaunend leicht mit diesem Volcke zu leben. Ohnfern Venedig nahm ich mit noch einem eine Gondel und wir fuhren herein. Es ist groser respecktabler Anblick.

Ich eilte auf den Markus Platz und mein Geist ist nun auch um dieses Bild reicher und weiter. Heut Abend sag ich nichts weiter. Ich werde hier Zeit finden dir meine Gedancken mitzutheilen. Lebe wohl! Du immer gleich herzlich und zärtlich Geliebte.

29. früh.

Es hatte sich gestern Abend der ganze Himmel überzogen, ich war in Sorge es mögte Regen eintreten, den auch die Wasser Vögel verkündigten. Heut ists wieder herrlich Wetter. Mein Pensum an der Iph[igenie ist] absolvirt und ich ziehe mich nun an und gehe aus. Vorher begrüß ich dich und wünsche dir einen guten Morgen.

Michälistag Abends.

Nach einem glücklich und wohl zugebrachten Tage, ist mir's immer eine unaussprechlich süße Empfindung wenn ich mich hinsetze dir zu schreiben. Ungern verließ ich den Markus Platz da es Nacht wurde; aber die Furcht zuweit zurückzubleiben trieb mich nach Hause.

Von Venedig ist alles gesagt und gedruckt was man sagen kann, darum nur weniges wie es mir entgegenkommt. Die Haupt Idee die sich mir wieder hier aufdringt ist wieder Volck. Große Masse! und ein notwendiges unwillkührliches Daseyn. Dieses Geschlecht hat sich nicht zum Spaß auf diese Insel geflüchtet, es war keine Willkühr die andere trieb sich mit ihnen zu vereinigen, es war Glück das ihre Lage so vorteilhaft machte, es war Glück daß sie zu einer Zeit klug waren da noch die ganze nördliche Welt im Unsinn gefangen lag, ihre Vermehrung ihr Reichthum war nothwendige Folge, nun drängte sichs enger und enger Sand und Sumpf ward zu Felsen unter ihren Füßen, ihre Häuser suchten die Luft, wie Bäume die geschloßen stehn, sie mußten an Höhe zu gewinnen suchen was ihnen an Breite abging, geitzig auf iede Handbreit Erde und gleich von Anfang in Enge Räume gedrängt, ließen sie zu Gaßen nicht mehr Breite als Haus von Haus zu sondern und Menschen einigen Durchgang zu laßen und übrigens war ihnen das Wasser statt Straße, Platz, Spazirgang, genug der Venetianer mußte eine neue Art von Geschöpf werden und so auch Venedig nur mit sich selbst verglichen werden kann. Wie dem grosen Canal wohl keine Strase in der Welt sich vergleichen kann; so kann dem Raume vor dem Markus Platz wohl auch nichts an die Seite gesetzt werden. Den grosen Spiegel Wasser meyn ich der an der einen Seite von dem eigentlichen Venedig im halben Mond umfaßt ist, gegen über die Insel St Giorgio hat, etwas weiter rechts die Giudecca und ihren Canal, noch weiter Rechts die Dogana und die Einfahrt in den Canal Grande. Ich will auf dem Plan von Venedig den ich beylege zum Überfluße Linien ziehen auf die Haupt Punckte die in das Auge fallen wenn man aus den zwey Säulen des Heil. Markus Platzes heraustritt. |: NB ich habe es unterlaßen weil es doch kein Bild giebt :|

Ich habe das alles mit einem stillen feinen Auge betrachtet und mich dieser grosen Existenz gefreut. Nach Tische ging ich, um Stufenweise zu schreiten, erst zu Fuße aus und warf mich ohne Begleiter, nur die Himmelsgegenden merckend ins Labyrinth der Stadt. Man denckt sichs auch nicht ohne es gesehen zu haben. Gewöhnlich kann man die Breite der Gasse mit ausgestreckten Armen entweder ganz oder beynahe messen, in kleinern Gäßgen könnte man die Arme nicht einmal ausstrecken. Es giebt breitere Strasen, aber proportionirlich alle eng. Ich fand leicht den Grosen Canal und den Ponte Rialto. es ist ein schöner groser Anblick besonders von der Brücke herunter, da sie mit einem Bogen gewölbt in die Höhe steigt. Der Canal ist gesät voll Schiffe und wimmelt von Gondeln, besonders heute da am Michaels Fest die wohlangezognen Frauen zur Kirche wallfahrteten und sich wenigstens übersetzen liesen. Ich habe sehr schöne Wesen begegnet.

Nachdem ich müde worden, setzt ich mich in eine Gondel die engen Gassen verlaßend, und fuhr nun den Canal grande durch, um die Insel der heil. Clara herum, an der Grosen Lagune hin, in den Canal der Jiudecka herein, bis gegen den M[arkus Platz] und war nun auf einmal ein Mitherr des Adriatischen Meers, wie jeder Venetianer sich fühlt, wenn er sich in seine Gondel legt. Ich gedachte meines armen Vaters in Ehren, der nichts bessers wußte als von diesen Dingen zu erzählen.

Es ist ein groses, respecktables Werck versammelter Menschenkraft, ein herrliches Monument, nicht Eines Befehlenden sondern eines Volcks. und wenn ihre Lagunen sich nach und nach ausfüllen und stincken und ihr Handel geschwächt wird, und ihre Macht gesuncken ist, macht dieß mir die ganze Anlage der Republik und ihr Wesen nicht um einen Augenblick weniger ehrwürdig. Sie unterliegt der Zeit wie alles was ein erscheinendes Daseyn hat.

Viel, viel wollen wir darüber schwätzen; auch worüber man hier nicht reden soll, über den Staat und seine Geheimniße, die ich alle ohne einen Verräther, recht gut zu wißen dencke.

Nun einige Bemerckungen nach Anleitung des Volckmanns. 3. Theil.

p. 509 Die Markus Kirche muß in einem Kupfer von dir gesehen werden die Bauart ist jeden Unsinns werth der jemals drinne gelehrt oder getrieben worden seyn mag. (ich pflege mir die Facade zum Scherz als einen kolossalen Taschenkrebs zu dencken. Wenigstens getrau ich mir irgend ein ungeheures Schaalthier nach diesen Maaßen zu bilden.)

p. 513 Alte Pferde diese kostbaren Thiere stehen hier, wie Schaafe die ihren Hirten verlohren haben. Wie sie näher zusammen, auf einem würdigern Gebäude, vor einem Triumphwagen eines Weltbeherrschers standen, mag es ein edler Anblick gewesen seyn. Doch Gott sey Danck daß der kristliche Eifer sie nicht umgeschmolzen und Leuchter und Crucifixe draus gießen laßen. Mögen sie doch zu Ehren des Heil Markus hierstehn, da wir sie dem Heil. Markus schuldig sind.

515 Der herzogliche Pallast, besonders die Facade nach dem Markus Platz. Das sonderbarste was der Menschen Geist laub ich hervorgebracht hat. Mündlich mehr. Ich habe einen Einfall den ich aber auch nur für einen Einfall gebe. Ich sage die ersten Künstler in der Baukunst scheinen die Ruinen der Alten wie sie noch halb vergraben waren nachgeahmt zu haben und der Geist ihrer Nachfolger hat nun den Schutt weg geräumt und die schöne Gestalt hervorgebracht.

Wenn du solche Säulen siehst glaubst du nicht ein Theil stecke in der Erde und doch ist der untere Gang des herzoglichen Pallasts von solcher Taille.

p 528 Saülen auf der Piazzetta.

Beyde von Granit die eine die wohl 10 Durchmesser Höhe hat ist von rothem Granit dessen Politur und Farbe sich schön erhalten hat sie ist schlanck und reizend, daß man sich nicht satt an ihr sehen kann.

Die andre hat etwa 8 Durchmesser Höhe, mag also zur dorischen Ordnung wie jene zur kompositen gehören, sie ist von weißem Granit, der von der Zeit gelitten hat und eine Art von Schaale, etwa einen starcken Messerrücken dick, gekriegt hat, die von aussen matt geworden ist und nun an verschiednen orten abfällt. An der Seite der Markus Kirche nach der Piazetta zu, stehen zwey kleinere Säulen von eben diesen Steinarten angebracht, an denen man dasselbe bemerckt.

Ausser der Markus kirche hab ich noch kein Gebäude betreten. Es giebt aussen genug zu thun, und das Volk interessirt mich unendlich. Ich war heute lang auf dem Fischmarckt und sah ihnen zu, wie sie mit einer unaussprechlichen Begierde, Aufmercksamkeit, Klugheit feilschten und kauften.

So ist auch das öffentliche Wesen und Weben ihrer Gerichts Plätze lustig. Da sitzen die Notaren pp ieder hat seinen Pult und schreibt, einer tritt zu ihm ihn zu fragen ein Schreiben aufsetzen zu lassen pp. Andre gehn herum pp das lebt immer mit einander und wie nothwendig die Bettler in diesen Tableaus sind. Wir hätten auch sonst die Odyssee nicht und die Geschichte vom reichen Manne nicht. Ich sudle wieder ganz entsetzlich ich kanns aber nie erwarten daß das Wort auf dem Papier steht.

30. Abends.

Wenn des Venetianers Leben angeht, zieh ich mich nach Hause zurück um dir etwas zu sagen. Sogar die Hausmagd warf mirs gestern vor; daß ich kein Liebhaber vom Abendspazieren sey.

Heute hab ich wieder meinen Begriff von Venedig sachte erweitert. Ich habe nun den Plan, dann war ich auf dem Markusthurm, wo sich denn wohl dem Auge ein einzig Schauspiel darstellt. Es war um Mittag und heller Sonnenschein daß ich ohne Perspecktiv Nähe und Ferne genau unterscheiden konnte. Die Fluth bedeckte die Lagunen.

p 532 Über den sogenannten lido, einen schmalen Erdstreif der die Lagunen schließt, sah ich zum erstenmal das Meer und einige Seegel drauf, in den Lagunen liegen einige Galeeren und Fregatten die zum Ritter Emo stoßen sollen, wegen ungünstigen Windes aber liegen müssen.

Die Paduanischen und Vicentinischen Berge und das Tyroler Gebirg, schließen gegen Abend und Mitternacht das Bild ganz trefflich schön.

Gegen Abend verlief ich mich wieder ohne Führer in die entferntesten Quartiere der Stadt und suchte aus diesem Labyrinthe, ohne jemand zu fragen nach der Himmelsgegend den Ausgang. Man findet sich wohl endlich, aber es ist ein unglaubliches Gehecke in einander und meine Manier die beste sich davon recht sinnlich zu überzeugen, auch hab ich mir bis an die letzte Spitze das Betragen, die Lebensart, Sitten und Wesen der Einwohner gemerckt. Du lieber Gott was für ein armes gutes Thier der Mensch ist.

Am Ufer ist ein angenehmer Spaziergang.

Schon die drey Tage die ich hier bin hab ich einen geringen Kerl gesehen, der einem mehr oder wenig grosen Auditorio Geschichten erzählt. Ich kann nichts davon verstehen. Es lacht aber kein Mensch, manchmal lächelt das Auditorium, das, wie du dir dencken kannst, meist aus der ganz niedern Classe besteht. Auch hat er nichts auffallendes noch lächerliches in seiner Art, vielmehr etwas sehr gesetztes und eine Manigfaltigkeit und Precision in seinen Gebärden, die ich erst heut Abend bemerckt habe. Ich muß ihm noch mehr aufpassen.

Auf künftigen Montag geht Opera Buffa und zwey Comödientheater auf. Da wollen wir uns auch was zu gute thun. Ich hoffe es soll besser werden als in Vicenz.

Sonst kann ich dir heute nicht viel sagen. Ausser einigem Fleis an der Iphigenie, hab ich meine meiste Zeit auf den Palladio gewendet, und kann nicht davon kommen. Ein guter Geist trieb mich mit soviel Eifer das Buch zu suchen, das ich schon vor 4 Jahren von Jagemann wollte verschrieben haben, der aber dafür die neueren herausgegebnen Wercke kommen ließ. Und doch auch! was hätten sie mich geholfen, wenn ich seine Gebäude nicht gesehn hätte? Ich sah in Verona und Vicenz was ich mit meinen Augen ersehen konnte, in Padua fand ich erst das Buch, jetzt studier ich's und es fallen mir wie Schuppen von den Augen, der Nebel geht auseinander und ich erkenne die Gegenstände. Auch als Buch ist es ein großes Werck. Und was das ein Mensch war! Meine Geliebte wie freut es mich daß ich mein Leben dem Wahren gewidmet habe, da es mir nun so leicht wird zum Grosen überzugehen, das nur der höchste reinste Punckt des Wahren ist.

Die Revolution, die ich voraussah und die jetzt in mir vorgeht, ist die in jedem Künstler entstand, der lang emsig der Natur treu gewesen und nun die Überbleibsel des alten grosen Geists erblickte, die Seele quoll auf und er fühlte eine innere Art von Verklärung sein selbst ein Gefühl von freyerem Leben, höherer Existenz Leichtigkeit und Grazie.

Wollte Gott ich könnte meine Iphigenie noch ein halb Jahr in Händen behalten, man sollt ihr das mittägige Clima noch mehr anspüren.

d. 1. Oktbr.
Abends 8 Uhr

Heute komm ich später zu dir als gewöhnlich und hätte dir doch recht viel zu sagen. Heute früh schrieb ich lang an der Iphigenie und es ging gut von statten. Die Tage sind sich nicht gleich und es wundert mich daß es in dem fremden Leben noch so geht es ist aber ein Zeichen daß ich mich noch gut besitze. Dann ging ich nach dem Rialto und nach dem Markusplatz. Seitdem ich weiß daß Palladio zu einer Brücke auf diesen Platz einen Riß gemacht hat; seitdem ich ihn in seinen Wercken gesehen habe, sey es mir erlaubt Picks auf den Rialto zu haben wie er jetzt steht, ich werde sie mündlich auslegen. Dann bin ich durch einige Quartiere gegangen und nach dem Platz und habe, da es eben Sonntag war über die Unreinlichkeit meine Betrachtungen angestellt. Es ist wohl eine Art Policey in diesem Artickel. Die Leute kehren den Quarck in die Eckgen, ich sehe große Schiffe hin und wiederfahren, auch an Orten stille liegen, die das Kehrigt mitnehmen, Leute von den Inseln umher die ihn als Mist brauchen. Aber es ist doch unverzeihlich daß die Stadt nicht reinlicher ist, da sie recht zur Reinlichkeit angelegt ist. Alle Strasen geplattet, die entfernten Quartiere selbst wenigstens mit Backsteinen auf der hohen Kante, wo es nötig in der Mitte ein wenig erhaben, an den Seiten Vertiefungen um das Wasser aufzufassen und in unterirdische Canäle zu leiten. Noch andre Vorsichten der ersten Anlage würden es unendlich erleichtern Venedig zur reinsten Stadt zu machen, wie sie die sonderbarste ist. Ich konnte mich nicht abhalten gleich im Spazierengehn einen Plan dazu anzulegen.

Nach Tische studirt ich wieder im Palladio, der mich sehr glücklich macht und ging alsdann mit dem Plan der Stadt in der Hand die Kirche der Mendicanti aufzusuchen die ich auch glücklich fand.

Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war wie gewöhnlich voll Zuhörer. Die Musick sehr schön und herrliche Stimmen. Ein Alt sang den König Saul, ich habe mir diese Stimme nicht gedacht. Einige Stellen der Musick waren unendlich schön, der Text liegt bey, es ist so italiänisch Latein daß man an manchen Stellen lachen muß; Aber der Musick ein weites Feld. Es wäre ein trefflicher Genuß geweßen, wenn nicht der vermaledeyte Kapellmeister den Tackt, mit einer Rolle Noten, wider das Gitter, so unverschämt geklappt hätte, als wenn er mit Schuljungen zu thun hätte, die er erst unterrichtete, und sie hatten das Stück oft gemacht, es war absolut unnötig und zerstörte allen Eindruck, nicht anders als wenn man mir eine schöne Statue hinstellte und ihr Scharlachläpgen auf die Gelencke klebte. Der fremde Ton hebt alle Harmonie auf und das ist ein Musicker und er hört es nicht, oder er will vielmehr daß man seine Gegenwart am Klappen vernehmen soll, da es besser wäre er liese seinen Werth an der Vollkommenheit der Ausführung errathen. Ich weiß die Franzosen habens an der Art, den Italiänern hab ich's nicht zugetraut. Und das Publikum scheint es gewohnt.

Ich habe auch darüber speculirt und einige Gedancken, die ich wenn ich sie mehr bestätigt finde dir mittheilen werde.

Morgen will ich anfangen einiges zu besehn. Ich bin nun mit dem Ganzen bekannt das einzelne wird mich nicht mehr confuß machen, und ich werde ein sichres Bild von Venedig mit fortnehmen. Heut hat mich zum erstenmal ein feiler Schatz bey hellem Tage in einem Gäßgen beim Rialto angeredet.

Heute Abend war herrlicher Mondschein. Ein Gewitter kam übers Meer von Südost, also von den dalmatischen Gebürgen, wetterleuchtete, zog am Mond vorbey zertheilte sich und ging nach dem Tyroler Gebirg, das ist also immer der selbige Wind der alle Mittägiger entstehende Wolcken nach dem deutschen Gebirg wirft und auch in Norden vielleicht Übel bringt. Doch hab ich gute Hofnung für euch die Gebirge sind meist klar.

Einige Striche hab ich auf grau Papier gemacht von dieses Abends Erscheinung auf dem Wasser.

Lebe wohl. Abends fühl ich mich denn doch müde. Du nimmst auch wohl mit dem guten Willen vorlieb, wenn ich auch nicht viel klugs vorbringe.

d. 2. Oktbr. Abends

Eh ich zur Oper gehe ein Wort.

p. 569. St Giorgio ein schönes Andencken von Palladio ob er gleich da nicht sowohl seinem Geiste als dem Geiste des Orts nachgesehn.

p. 566. Carita. Ich fand in des Palladio Wercken daß er hier ein Gebäude angegeben, an welchem er die Privat Wohnungen der Alten, versteht sich des höhern Standes nachzuahmen sich vorgesetzt. Ich eilte mit dem größten Verlangen hin aber ach! es ist kaum der 10 Theil ausgeführt. Doch auch dieser Theil seines himmlischen Genius werth. Eine Vollkommenheit in der Anlage und eine Akkuratesse in der Ausführung die ich noch gar nicht kannte, auch im Mechanischen da der meiste Theil von Backsteinen |: wie ich zwar mehr gesehen habe :| aufgeführt ist, eine kostbare Präcision. Ich habe heut nach seinen Wercken gezeichnet und will mir ihn recht herzlich eigen machen.

p. 530. Bibliotheck vielmehr Antickensaal, der voraus geht, kostbare Sachen. Ein Gewand einer Minerva, einer Cleopatra; ich sage Gewand, weil meine Gedancken die Restauration der Köpfe und Arme gleich wieder wegschlagen. Ein Ganimed der von Phidias seyn soll und eine berühmte Leda. auch nur Stücke, erstes gut, das zweyte mäsig restaurirt, aber von hohem sinnlichen Sinn.

Die Carita kann ich nicht vergessen, auch hat er eine Treppe angebracht, die er selbst lobt und die würcklich gar sehr schön ist.

d. 3. Oktbr.

Gestern Abend Oper a St. Moisé. Nichts recht erfreuliches. Es fehlte dem Poem, der Musick, den Ackteurs eine innere Energie, die allein die Sachen auf den höchsten Punckt treiben kann. Es war alles nicht schlecht, aber auch nur die zwey Weiber liesen sichs angelegen seyn, nicht sowohl gut zu agiren, als sich zu produciren und zu gefallen. Das ist denn immer etwas. Es sind schöne Figuren gute Stimmen, artig munter und gätlich. Unter den Männern ist auch dagegen gar nichts, von innerer Gewalt und Lust dem Publiko was aufzuheften. Auch keine decidirt brillante Stimme.

Das Ballet von elender Erfindung, ward auch ausgepfiffen. Einige herrliche Springer – und Springerinnen, welche letztere sichs recht zur Pflicht rechnen, das Publikum mit jedem schönen Theile ihres Körpers bekannt zu machen.

Heut hab ich dagegen eine andre Commödie gesehen, die mich mehr gefreut hat. Im herzoglichen Pallast, pläidiren zu hören.

Es war eine wichtige Sache und wurde, auch zu meinen Gunsten, in den Ferien verhandelt.

Der eine Advokate der sprach, war alles was ein Buffo caricato nur seyn sollte. Figur: dick kurz doch beweglich. Ein ungeheuer vorspringendes Profil. Eine Stimme wie Erz und eine Hefftigkeit, als wenn es ihm im tiefsten Grund des Herzens Ernst wäre was er sagte. Ich nenn es eine Commödie, weil alles wahrscheinlich schon fertig ist, wenn diese öffentliche Producktion geschieht und die Richter auch schon wissen was sie sprechen wollen. Indeß hat diese Art unendlich viel gutes gegen unsre Stuben und Canzleyhockereyen. Von den Umständen und wie artig ohne Prunck, wie natürlich alles geschieht mündlich.

Abends.

Viel gesehn. Wenig Worte zum Andencken.

p. 565 I Scalzi, Marmor genug und nicht auf die schlimmste Weise zusammengesetzt; aber nichts von dem hohen Geiste der sich allein in dem unnachahmlichen Maas, Ordnung, Harmonie spüren läßt.

566 La Salute das mittelste Gefäß worauf der Dom ruht als Höhe und Breite nicht zu verachten. Aber das Ganze bis in's einzelne Muster über Muster eines schlechten Geschmacks, eine Kirche die Werth ist daß Wunder drinne geschehn.

567. Hochzeit zu Kana. Ein Bild das man aus Kupfern kennt und da schon reizend ist. Herrliche Frauensköpfe und der abgeschmackte Gegenstand eines langen Tisches mit Gästen gar edel behandelt. Die Deckenstücke von Titian sind zu Deckenstücken sehr toll gewählte Gegenstände; doch schön und herrlich ausgeführt.

Isaac, den der Vater beym Schopfe hat, sieht mit niederhängenden Haaren, gar artig gewendet herunter. David, nachdem Goliath liegt, faltet die Hände gar leicht und frey gen Himmel pp.

p. 577. Il Redentore. Ein schönes groses Werck von Palladio.

Die Facade viel lobenswürdiger als die von St Giorgio. Es sind diese Wercke in Kupfer gestochen, wir wollen darüber reden. Nur ein allgemeines Wort. Palladio war so von der Existenz der Alten durchdrungen und fühlte die Kleinheit und Enge seiner Zeit, in die er gekommen war, wie ein groser Mensch, der sich nicht hingeben, sondern das Übrige soviel als möglich nach seinen edlen Begriffen umbilden will. So war er unzufrieden, wie ich aus gelinder Wendung seines Buch's schließe, daß man bey den Kristlichen Kirchen auf der Form der alten Basiliken fortbaute, er suchte die seinigen der Form der alten Tempel zu nähern. Daher entstanden gewiße Unschicklichkeiten die mir bey St Redentor sehr glücklich überwunden, bey St. Giorgio aber zu auffallend scheinen. Volckmann sagt etwas davon er trifft aber den Nagel nicht auf den Kopf.

Inwendig ist St Redentor auch ganz köstlich, es ist alles, auch die Zeichnung der Altäre von Palladio. Nur die Nischen die mit Statuen ausgefüllt werden sollten prangen mit ausholzausgeschnittnen Gemahlten Figuren.

Dem Hl. Franziskus zu Ehren hatten die PP. Capuc. einen Seiten Altar mächtig ausgeputzt. Man sah nichts vom Stein als die Corinth. Kapitäle. Alles übrige schien mit einer Geschmackvollen, prächtigen Stickerey, nach art der Arabesken, überzogen und war das artigste was ich in der Art gesehen hatte. Besonders wunderte ich mich über die breite goldgestickte Rancken und Laubwerck. Ich ging näher und fand einen recht hübschen Betrug. Alles was ich für Gold gehalten hatte war breitgedrücktes Stroh, in schönen Desseins auf Papier geklebt und der Grund mit lebhaften Farben angestrichen, und das so manigfaltig und artig, daß dieser Spas, der an Material keinen Thaler werth war, und den wahrscheinl. einige unter ihnen selbst umsonst ausgeführt haben, mehrere Tausend Thaler müßte gekostet haben wenn er hätte ächt sein sollen. Man kann es gelegentlich nachmachen. Einen Fehler im weißen und anstreichen dieser Kirchen bemercke ich hier, nur um zu gedencken.

573 Gesuati. eine wahre Jesuitenkirche. Muntre Gemählde von Tiepolo. An den Deckenstücken sieht man an einigen liebenswürdigen Heiligen, mehr als die Waden, wenn mich mein Perspecktiv nicht trügt. Das von Volckm. angeführte Bild, ist ein alberner Gegenstand; aber recht schön ausgeführt.

Vom Herzogl. Pallast den ich heute früh sah sollt ich noch mehr sagen. Vielleicht morgen. Es ist alles im Flug geschossen wie du siehst. Aber es bleibt in einem feinen Aug und Herzen.

4. Oktbr. Mittag

Es hat heute geregnet und ich habe die Zeit gleich angewendet an der Iph. zu schreiben. Nun der Geliebten einige Worte.

Gestern war ich in der Kommödie Theatro S. Luca, die mir viel Freude gemacht hat. Ein extemporirtes Stück in Masken, mit Viel Naturel, Energie, und Bravheit ausgeführt. Sie sind nicht gleich. Der Pantalon ist recht brav, und die eine Frau die der Gr[äfin] Lanthieri sehr ähnlich sieht, keine grose Acktrice aber spricht exzellent und weis sich zu betragen. Ein tolles Sujet, das mit unglaublicher Abwechslung gern 3 Stunden unterhielt. Doch ist immer wieder das Volck die Base worauf das alles steht. Das Ganze machts, nicht das einzelne. Auf dem Platz und am Ufer und auf den Gondeln und im Pallast. Der Käufer und Verkäufer, der Bettler der Schiffer die Nachbarinn, der Advokate und sein Gegner alles lebt und treibt und läßt sichs angelegen seyn und spricht und betheuert und schreyt und bietet aus und singt und schilt und flucht und lärmt. Und abends gehn sie in's Theater und sehn und hören das Leben ihres Tags, nur künstlich zusammengestellt, artiger ausgestutzt mit Mährgen durchflochten pp und freuen sich kindisch und schreyen wieder und klatschen und lärmen, es ist alles von Nacht zu Nacht, ja von Mitternacht zu Mitternacht immer dasselbe.

Ich habe nicht leicht natürlicher agiren sehn, als diese Masken, aber ein ausgezeichnetes glückliches Naturell.

Da ich das schreibe ist ein Lärm auf dem Canal unter meinem Fenster, der bis nach Mitternacht anhält. Sie haben im Guten und Bösen immer etwas zusammen.

In dem Hause Farsetti ist eine kostbare Sammlung von Abgüßen der besten Antiken. Ich schweige von denen die ich von Mannheim her und sonst kannte, und erwähne nur neuer Bekanntschafften Der Cleopatra die kolossalisch ruht den Aspic auf den Arm gebunden hat, und in den Todt hinüber schläft. Der Mutter Niobe die ihre jüngste Tochter mit dem Mantel vor den Pfeilen des Apolls deckt, Einiger Gladiatoren, eines in seinen Flügeln ruhenden Amors, eines sitzenden und stehenden Marius, es sind Wercke an denen sich Jahrtausende die Welt freuen kann und erschöpft den Werth des Künstlers nicht. Auch sehr schöne Büsten. Ich fühle nur auch jetzt wie weit ich in diesen Kenntnißen zurück bin, doch es wird rücken, wenigstens weiß ich den Weg. Palladius hat mir ihn auch dazu und zu aller Kunst und Leben geöffnet. Es klingt das vielleicht ein wenig wunderlich, aber doch nicht so paradox, als wenn Jakob Böhme bey Erblickung einer zinnernen Schüssel über das Universum erleuchtet wurde.

Komm ich zurück und du bist mir hold; so sollst du auch um meine Geheimniße wißen.

Auch steht in dieser Sammlung ein Abguß eines Stücks der Friese und des Carnises vom Tempel des Antonins und der Faustina wovon ich, dir eine flüchtige Idee zu geben, aus den Wercken des Palladius, die Formen leicht durchzeichnen will. Obgleich in keiner Zeichnung die vorspringende Gegenwart der Architecktur erreicht wird. Dies ist ohne dies nur ein armes Bildchen. |: Ich Hab es weggelaßen es war gar nichts :|

Morgen Donnerstag spielt die Truppe zu St. Luca nach der Anzeige eine Art historisches Stück. Sonnabend ist solenne Messe bey der Hl. Justina welcher der Doge beywohnt, den ich dann auch in Pontifikalibus mit dem Adel sehen werde. Sonntag ist der Weihe Tag der Markuskirche wo er auch wieder erscheint. Bis dahin wollen wir sehn was uns an der Iphig. und den Venetianischen Merckwürdigkeiten zu sehen noch übrig bleibt.

p. 523. Paradies von Tintoret. Auch eine Verherrlichung der Mutter Gottes. Aber reicht nicht an Geist an jenes in der Casa Bevi l'aqua zu Verona. Eine Bemerckung glaube ich zu machen daß Tintoretten kleinere Figuren beßer geriethen als große, daß er da ganz der Grazie und Leichtigkeit seiner Natur sich überlaßen konnte und daß ein größer Maas ihn genirte.

auch in diesem Paradies sind die Figuren gröser und das Bild ist immer von ihm, aber iener Glanz des Geistes wird hier vergebens gesucht. Auch hat er jenes gewiß jung gemahlt, wie ich aus allem und der reitzenden Eva schliese, dieses im Alter. Eva ist ganz versteckt. Die übrigen Gemälde im Pallast hab ich alle gesehn und mir sie erklären lassen, und habe wenigstens ein Bild in der Seele vom ganzen und von den merckwürdigsten Gegenständen.

Ich habe jetzt einen Lohnbedienten. Einen trefflichen Alten. Einen Teutschen – der mir täglich was er mich kostet erspart. Er ist mit Herrschafften durch ganz Italien gegangen und weis alles recht gut. Er dressirt die Italiäner, auf die rechte Weise. So giebt er Z. E. genau das wenigste Trinckgeld an jedem Orte, ich muß überall für einen Kaufmann passiren.

Er zanckte sich mit einem Gondolier um 10 Soldi, mit einem ungeheuren Lärm, und der Gondol. hatte noch dazu Recht. Er nimmt aber keine Notiz, heut im Arsenal hat ers eben so gemacht. Er sieht ohngefähr aus wie Wende, hat auch die Manieren. Es ist mir lieb, daß ich die ersten Tage allein war und lieb daß ich ihn nun habe.

Es war mir die Lust angekommen mir einen Tabarro mit den Apartinentien anzuschaffen, denn man lauft schon in der Maske. Hernach dauerte mich aber das Geld und bin ich ihnen nicht schon Maske genug? ich will mir dafür einen Vitruv kaufen und mir eine Freude bereiten die auch ausser Venedig und dem Carneval dauert.

Abends.

Ich bin recht gut gewöhnt, wenn es Nacht schlägt geh ich nach Hause. Der lärmige Platz wird mir einsam und ich suche dich. Nun einiges.

Ich habe nun öffentlich reden hören:

  1. 3 Kerls auf dem Platze nach ihrer Art Geschichten erzählend.
  2. 2 Prediger
  3. 2 Sachwalter
  4. Die Commödianten, besonders den Pantalon.

alle haben etwas gemein, sowohl weil sie von Einer Nation sind, die beständig im Leben und sprechen begriffen ist, als auch weil sie sich unter einander nachahmen. Sie haben gewiße Lieblings Gesten, die ich mir mercken will, und überhaupt üb' ich mich sie nachzumachen und will euch in dieser Art Geschichten erzählen, wenn ich zurückkomme ob sie gleich mit der Sprache vieles von ihrer Originalität verliehren, auch liegt die Figur des einen Advocaten bey, die viel unter der Carikatur des Originals ist.

Heute am Fest des Heil. Franciskus war ich in seiner Kirche Francesco alle vigne. Des Kapuciners laute Stimme, ward von denen Verkäufern vor der Kirche mit ihrem Geschrey, gleichsam als einer Antiphone, accompagnirt, ich stand zwischen beyden und es nahm sich gut aus. Diese Kirche ist auch von Palladio auf eine alte gepfropft, und die sonderbaren Widersprüche, deren ich gestern gedachte, zeigen sich auch hier. Ich bin voll Verlangen das alles in der Folge näher zu studiren.

Heut Abend will ich in das Theater St Chrysostomo wo sie Comödien, aus dem Französchen übersetzt, spielen, ich will auch sehn, was das thut.

p. 520 in einem Zimmer neben der Scala del Consiglio di Dieci welches auch diesem fürchterlichen Tribunal gehört hängt ein köstlicher Albrecht Dürer gegen einem Raphael über; als ich den ersten betrachtete, kam aus dem Nebenzimmer einer der Avogadoren heraus, eine ungeheure Figur, in seiner Kleidung wohl anzusehn und meine Begleiter neigten sich fast zur Erden. Er rief jemanden und war sonst ganz leutseelig, ging wie er gekommen war. Man lies mich auch einen Blick in das Zimmer thun, wo die 3 Staats Inquisitoren zusammen kommen, daß ich doch also auch weis wie es darinn aussieht. Mich freut nur wie man meine Vögel in Ordnung hält.

5. Nach Tische

p. 547.

Heute früh war ich im Arsenal und mir interessant genug, da ich noch kein Seewesen kenne und also auch hier gleichsam die untre Schule besucht habe. Denn freylich sieht es hier sehr nach einer alten Familie aus, die sich noch rührt aber wo die Blüte und die beste Zeit der Früchte vorüber ist.

Da ich auch den Handwerckern nachgehe, hab ich manches merckwürdige gesehn. Ein Schiff von 84 Canonen dessen Gerippe fertig steht hab ich bestiegen.

Ein gleiches ist vor sechs Monaten, ganz fertig, ausgerüstet, an der Riva de Sciavoni, bis auf's Wasser verbrannt. Die Pulverkammer war nicht sehr gefüllt und da sie sprang that es keinen grosen Schaden. Die benachbarten Haüser büsten ihre Scheiben ein.

Schönes Eichen Holz aus Istrien hab ich verarbeiten sehn. Ich kann nicht genug sagen, was mir meine sauer erworbnen Kenntniße der natürlichen Dinge die doch der Mensch als Materialien braucht und zu seinem Nutzen verwendet überall helfen und mir die Sachen aufklären. So ist mir die Mineralogische und Oryktologische Kenntniß der Steine ein großer Vorsprung in der Baukunst.

Auf dieser Reise hoff ich will ich mein Gemüth über die schönen Künste beruhigen, ihr heilig Bild mir recht in die Seele prägen und zum stillen Genuß bewahren. Dann aber mich zu den Handwerckern wenden, und wenn ich zurückkomme, Chymie und Mechanik studiren. Denn die Zeit des Schönen ist vorüber nur die Noth und das strenge Bedürfniß erfordern unsre Tage.

Ich habe schon Vorgedancken und Vorgefühle über das Wiederaufleben der Künste in Italien, in der Mittlern Zeit, und wie auch diese Asträa wieder bald die Erde verlies und wie das alles zusammenhängt. Wie mir die Römische Geschichte entgegen steigt! Schade schade meine Geliebte! alles ein wenig spät. O daß ich nicht einen klugen Engländer zum Vater gehabt habe, daß ich das alles allein, ganz allein habe erwerben und erobern müssen, und noch muß.

Es regnet und ich sitze am Camin, wann werd ich dir an dem Meinigen wieder Thee vorsetzen.

Da ich dir Caffee von Alexandrien versprach, dachtest du wohl nicht daß ich ihn selbst in Venedig hohlen würde. Ich habe schon an verschiednen Orten gefragt und durch Kundige fragen laßen, noch aber trau ich nicht, ich muß ganz gewiß seyn. Der welchen ich gesehen, sollten 7 Pfd. einen Dukaten gelten, das wäre nicht viel. Freylich macht der Transport bis in das mittelländische Thüringen noch etwas aus, genug aber du sollst dessen haben.

Gestern bin ich nicht nach meinem Vorsatz in die Commödie gekommen. Heut hoff ich eine Tragödie zu sehn und bin recht neugierig darauf.

Mit der Baukunst geht es täglich besser. Wenn man ins Wasser kommt lernt man schwimmen. Ich habe mir nun auch die Ordnungen der Säulen rational gemacht und kann das Warum meist schon angeben. Nun behalt ich auch die Maaße und Verhältniße die mir als blos Gedächtnißwerck immer unbegreiflich und unbehaltbar blieben.

Ein Wort vom Bucentaur. Es ist eine Pracht Galeere. Aber ein schöner Gedancke und gut ausgeführt. Ich komme immer auf mein altes zurück wenn der Künstler einen ächten Gegenstand hat; so kann er etwas ächtes machen. Hier war die Aufgabe eine Galeere zu machen die werth wäre die Häupter einer Republick, an dem feyrlichsten Tage zum Sakramente ihrer alt hergebrachten Herrschafft zu tragen. Und es ist brav ausgeführt. Ganz Zierath! Also darf man nicht sagen mit Zierrath überladen. Ganz Schnitzwerck und verguldet, sonst zu keinem Gebrauch, eine wahre Monstranz um dem Volck seine Häupter recht herrlich zu zeigen. Und wir wissen daß das Volck, wie es gern seine Hüte schmückt, auch seine Obern gerne herrlich und geputzt sieht. Es ist ein rechtes Familienstück, woran man sehn kann was die Venetianer waren und sich zu seyn dünckten.

Ich schreibe dir so alles hin daß ich nicht viel zu erzählen haben werde. Wohl kann ich sagen daß ich keinen Gedancken, der mir nur werth dünckt gehabt habe, ohne ihn wenigstens mit einigen Worten anzuzeigen. Da es noch nicht Komm[ödien] Zeit ist ein Wort von Palladio das an die gestrigen paßt. Ich habe an seinen ausgeführten Wercken, besonders den Kirchen, manches tadelnswürdige gesehn, neben dem Größten, so daß es mir war als wenn er dabey stünde und mir sagte: das und das hab ich wider willen gemacht, aber doch gemacht, weil ich nur auf diese Weise unter diesen gegebnen Umständen meiner höchsten Idee am nächsten kommen konnte.

Es scheint mir er habe bey Betrachtung eines Platzes, einer Höhe und Breite, einer schon stehenden Kirche, eines älteren Hauses, wozu er Facaden errichten sollte, nur überlegt: wie bringst du hier das Ganze in die größte Form, im einzelnen muß du eins und das andere verpfuschen, da oder dort wird eine Inkongruität entstehen, aber das mag seyn das Gantze wird einen hohen Styl haben und du wirst dir zur Freude arbeiten, und so hat er das große Bild was er in der Seele hatte auch dahin gebracht wo es nicht ganz paßte, wo er es zerstücken und verstümmeln mußte. Drum ist mir der Flügel in der Carita so werth, weil er da ganz seinem Geiste gefolgt ist. Wäre es fertig; so würde vielleicht kein vollkommner Stück Baukunst jetzt auf der Welt existiren.

Dieses |: nämlich wie er gedacht und wie er gearbeitet :| wird mir immer klärer, jemehr ich seine Wercke lese, oder vielmehr sehe wie er die Alten behandelt. Denn er macht wenig Worte sie sind aber alle gewichtig. Es ist das vierte Buch von Antiken Tempeln, das eine rechte Einleitung ist Rom mit Sinn zu sehen.

Recht merckwürdig ist wie andre Baumeister vor und nach ihm, an diesen Schwürigkeiten gekaut haben und wie diese sich mit einer goldnen Mittelmäsigkeit aus der Sache gezogen haben. Ich will das alles noch besser faßen wenn ich nur erst die untern Claßen durchlaufen habe.

Nachts.

Ich komme noch lachend aus der Tragödie auf meine Stube und erzähle dirs vor Schlafengehen. Das Stück war nicht schlimm. Der Verfaßer hatte alle tragische Matadors zusammen gesteckt und die Schauspieler hatten gut spielen. Die meisten Situationen waren bekannt, einige aber neuer und ganz glücklich. Zuletzt blieb nichts übrig als daß die beyden Väter sich erstachen, welches auch glücklich vonstatten ging. Worauf unter grosem Händeklatschen der Vorhang fiel. Aber das Klatschen vermehrte sich nur, es ward fuora gerufen und endlich bequemten sich die zwey Hauptpaare, hinter dem Vorhang hervorzukriechen, ihre Bücklinge zu machen und auf der andern Seite wieder abzugehn. Das Publikum war noch nicht befriedigt, sondern klatschte fort und rief: i morti! – das dauerte so lang biß die zwey Alten auch herauskamen und sich bückten, da denn einige Stimmen riefen: bravi i morti! Es wurde ihnen viel geklatscht und sie gingen ab. Es verliert diese Poße viel wenn man nicht das bravo! bravi! das die Italiäner immer im Munde haben, so in den Ohren hat wie ich, und dann auf einmal auch sogar die Todten mit diesem Ehrenwort anrufen hört. Ich habe recht innerlich gelacht. Gute Nacht! Felicissima notte! sagt der Ital[iäner].

d. 6. früh.

Die Tragödie gestern hat mich manches gelehrt. Erstlich hab ich gehört wie die Italiäner ihre Eilfsylbige Jamben behandeln und deklamiren. Dann hab ich gesehen wie klug Gozzi die Masken mit den Tragischen Figuren verbunden hat. Das ist das eigentliche Schauspiel für dieß Volck. Denn es will auf eine krude Weiße gerührt seyn. Es nimmt keinen innigen zärtlichen Antheil am Unglücklichen, wie mich dünckt, es freut sie nur wenn der Held gut spricht, denn aufs reden halten sie viel, dann wollen sie wieder lachen, oder was albernes vornehmen.

Lustig wars, als der Tyrann seinem Sohn das Schwerdt gab und forderte daß dieser seine eigne Gemahlin umbringen solle, die gegenwärtig war, das Volck fing laut an sein Misvergnügen über diese Handlung zu zeigen und es fehlte nicht viel, so wäre das Stück unterbrochen worden, und sie hätten verlangt der Alte solle seinen Degen zurücknehmen. Da denn die ganze Entwicklung wäre zu Grunde gegangen. Es war auch würcklich besonders unter den Umstünden eine alberne, unnatürliche Situation und das Volck fühlte es gleich.

Ich verstehe auch jetzt besser die langen Reden und das Dissertiren pro und contra in den Grichischen Trauerspielen. Die Athenienser hörten noch lieber reden, und verstanden sich noch besser darauf als die Italiäner, und von den Gerichtsstellen wo sie des ganzen Tags lagen lernten sie was.

Nachmittags.

Ich fuhr heute früh mit meinem alten Schutzgeiste, al lido, einer Erdzunge die die Lagunen schließt und vom Meer absondert. Wir stiegen aus und gingen queer über die Zunge, ich hörte ein starckes Geräusch es war das Meer, und ich sah es bald. Es ging hoch gegen das Ufer indem es sich zurückzog, denn es war um Mittag, Zeit der Ebbe. So hab ich auch das mit Augen gesehn und bin auf der schönen Tenne die es weichend zurückläßt ihm nachgegangen. Da hätte ich mir die Kinder gewünscht um der Muscheln willen. Ich habe selbst kindisch ihrer genug aufgelesen, besonders da ich sie zu einem Gebrauch widme.

Es wird der Dintenfisch hier viel gegeßen, ich habe mir von der schwarzen Feuchtigkeit geben laßen und will ihrer noch mehr nehmen. Diese laß ich in den Muscheln eintrocknen und schicke sie dir, Du brauchst davon und hebst mir auf, ich bringe dessen zusammen soviel ich will. Die Farbe ist ganz schwarz mit Wasser vermischt ein wenig grißelich, wird aber mit Bister gut thun. Man muß nun versuchen und ich will mich erkundigen ob sonst noch etwas dabey zu bedencken und zu thun ist.

Auf dem Lido nicht weit vom Meer liegen Engländer und weiter hin Juden begraben, die in geweihtem Boden nicht ruhen sollen. Ich fand das Grab des edlen Consul Smith, und seiner ersten Frauen, ich bin ihm mein Exemplar des Palladio schuldig und danckte ihm auf seinem ungeweihten Grabe dafür.

Das Meer ist ein großer Anblick. Ich will doch sehn eine Fahrt in einem Fischer Kahn hinauszuthun.

Abends.

Ich bin recht glücklich und vergnügt seit mir Minerva in Gestalt des alten Lohnbedienten zur Seite steht und geht. Solche Präcision in allem, solche Schärfe der Ersparniß hab ich nicht gesehn. Immer den nächsten Weg, immer den geringsten Preis, immer das Beste dessen was gesucht wird. Wäre es meiner Bestimmung gemäß nur ein Vierteljahr hier zu bleiben, daß ich Venetianische Geschichte lesen, in Bekanntschafften nur wenig steigen könnte. Mit meiner Art die Sachen zu sehn; mit diesem redlichen Spion wollt ich ein braves Bild von Venedig in die Seele faßen.

Am Meere hab ich heut verschiedne Pflanzen gefunden, deren ähnlicher Charackter mir ihre Eigenschafften näher hat kennen laßen. Sie sind alle zugleich mastig und streng, saftig und zäh und es ist offenbar daß das alte Salz des Sandbodens, mehr aber die Salzige Luft ihnen diese Eigenschafft giebt. Sie strotzen von Säften wie Waßerpflanzen, sie sind fest, zäh, wie Bergpflanzen. Wenn ihre Blätter Enden zu Stacheln incliniren wie bey Disteln sind sie gewaltig spitz und starck. Ich fand einen solchen Busch Blätter, es schien mir unser unschuldiger Huflattig, hier aber mit scharfen Waffen bewaffnet und das Blatt wie Leder, ich habe etwas eingelegt. (Erygnium maritimum)

So auch die Samenkapseln, die Stiele alles mastig und fest. Die Binsen spiz und steif daß sie wohl stechen. Einige Schwammarten, Insecktengehäuse fand ich ausgeworfen. Wie wohl wird mir's daß das nun Welt und Natur wird und aufhört Cabinet zu seyn.

Mit Freuden seh ich nun jeder Känntniß entgegen, die mir von da und dort zunickt und ich werde gern zu den Büchern wiederkehren.

Der Fischmarckt und die vielen Seeproduckte machen mir Vergnügen ich gehe offt drüber und beleuchte die unglücklich aufgehaschten Meersbewohner.

Heut früh sah ich auch des Doge Zimmer, wo sein Portrait hängt, ein schöner, wohl und gutmütig gebildeter Mann.

Auch ein Bild von Titian. köstlichen Pinsels, aber sonst nichts rühmenswerthes.

Die Pferde auf der Marckuskirche in der Nähe. Treffliche Gestalten! Ich hatte von unten auf leicht bemerckt, daß sie fleckig waren, theils einen schönen gelben Metallglanz hatten, theils kupfergrünlich angelaufen. In der Nähe sieht und erfährt man daß sie ganz verguldet waren und sieht sie über und über mit Striemen bedeckt, da die Barbaren das Gold nicht abfeilen sondern abhauen wollen. Auch das ist gut, so ist wenigstens die Gestalt geblieben. Ein herrlicher Zug Pferde. Ich möchte einen rechten Pferdekenner darüber reden hören.

Was mir sonderbar scheint ist daß sie oben schwerer und unten vom Platze, leicht wie die Hirsche aussehen, doch läßt sichs auch erklären.

Die Kuppeln und Gewölbe nebst ihren Seitenflächen der Markuskirche sind bunte Figuren auf goldnem Grunde alles Mosaische Arbeit. Einige sind recht gut, andre geringe, ie nach dem die Meister waren, die den Carton machten und die Künstler die ihn ausführten. Es fiel mir recht auf daß doch alles auf die erste Erfindung ankommt, daß die das rechte Maas und den wahren Geist habe, da man mit viereckten Stückgen Glas, und hier nicht einmal auf die sauberste Weise, das gute sowohl als das schlechte nachbilden kan. Diese Kunst ist wie du weißt jetzt sehr hoch hinaufgetrieben.

7. früh.

Heute hab ich keinen Vers an der Iphigenie hervorbringen können, darum will ich dir gleich schreiben damit ich doch meine erste Tageszeit gut anwende.

Gestern Nacht sah ich Elecktra von Crebillon auf dem Theater St. Crisostomo. versteht sich übersetzt. Was mir das Stück abgeschmackt vorkam und wie es mir fürchterliche Langeweile machte, kann ich nicht sagen. Die Ackteurs sind übrigens brav und das Publikum mit einzelnen Stellen abzuspeisen. Orest hat allein drey verschiedne Erzählungen |: poetisch aufgestutzt :| in Einer Scene, und zuletzt wird er zum rasend werden rasend. Die Elecktra ist wie die Bechtolsheim, nur gröser, stärcker, hat einen guten Anstand, spricht die Verse schön nur immer von Anfang bis gegen das Ende toll, wie es leider die Rolle verlangte. Indessen hab ich doch wieder gelernt. Der Italiänische immer eilfsilbige Jamb hat grose Unbequemlichkeiten, in der Deklamation, weil die letzte Sylbe immer kurz ist und also Widerwillen des Deklamators immer in die Höhe schlägt. Auch hab ich mir überlegt, daß ich mit dieser Truppe und vor diesem Volcke, wohl meine Iphigenie spielen wollte, nur würd ich eins und das andre verändern, wie ich überhaupt hätte thun müssen, wenn ich sie auch unsern Theatern, und unserm Publiko hätte näher bringen wollen.

Aber ach. Es scheint daß der letzte Funcken von Anhänglichkeit ans Theater ausgelöscht werden soll. Du glaubst nicht, wie mir das alles so gar leer, so gar nichts wird. Auch fang ich nun an zu begreifen wie Euripides von der reinen Kunst seiner Vorfahren herunter stieg und den unglaublichen Beyfall erhielt. Man muß nur sehen, wenn man Augen hat und alles entwickelt sich.

Abends

Wenn ich dir nicht zu erzählen hätte, ich wäre nicht nach Hause gegangen. Der Vollmond, an einem ganz reinen Himmel, über den Lagunen, den Inseln, der sonderbaren Stadt, macht ein Herrliches Schauspiel, der Platz sieht wie eine seltsame Operndekoration aus und alles ist voll Menschen.

Nun in der Ordnung.

Heut früh war ich bey dem hohen Amte das der Doge, an diesem Tage, wegen eines alten Türcken Sieges, abwarten muß. Es ward in der Kirche der heil. Justina gehalten.

Wenn die vergoldeten Barcken ankommen, die ihn und einen Theil des Adels bringen, die seltsam bekleideten Schiffer sich mit ihren rothen Rudern bemühen, am Ufer die Geistlichkeit, die Brüderschafften mit denen hohen auf Stangen und tragbaren langen silbernen Leuchtern gesteckten Wachskerzen stehen und drängen und warten, und die langen Violeten Kleider der Savii, dann die langen rothen der Senatoren auftreten und endlich der Alte im langen goldnen Talar mit dem hermelin Mantel aussteigt, drey sich seiner Schleppe bemächtigen, und dann wieder soviel Nobili folgen, alles vor dem Portal einer Kirche, vor deren Thüre die Türckenfahnen gehalten werden; so glaubt man aufeinmal eine alte Gestickte Tapete zu sehn, aber eine recht gut gezeichnete Tapete.

Mir nordischen Flüchtling hat diese Cärimonie viel Freude gemacht. Bey uns, wo alle Feierlichkeiten kurzröckig sind, und wo die grösten, die man sich dencken kann, mit dem Gewehr auf der Schulter begangen werden, mögte so etwas nicht am Orte seyn; aber hier her gehören diese Schleppröcke und diese friedliche Begehungen. Der Doge ist ein gar schön gewachsner und schön gebildeter Mann. Man sieht ihm aber an daß er kranck ist und sich nur noch so um der Würde willen unter dem schweeren Rocke grad hält, sonst sieht er eben aus wie der Grospapa vom ganzen Geschlechte, und ist gar hold und leutseelig.

Die Kleidung steht sehr gut. Das Läppchen unter der Mütze beleidigt nicht, indem es ganz fein durchsichtig ist und auf den weisesten, klarsten Haaren von der Welt ruht.

Etwa fünfzig Nobili in langen dunckelrothen Kleidern waren mit ihm, meist schöne, keine einzige vertrackte Gestalt. Mehrere groß, mit großen Köpfen, vorgebauten Gesichtern, weis, weich, ohne schwammig oder fatal satt auszusehn. Vielmehr klug ohne Anstrengung, ruhig selbst gewiß. Leichtigkeit des Daseyns und durchaus eine gewiße Fröhlichkeit.

Wie sich alles in der Kirche rangirt hatte und die Messe anfing, zogen die Brüderschaften zur Hauptthüre herein und zur rechten Seitenthüre hinaus, nachdem sie Mann für Mann, oder vielmehr Paar und Paar das Weyhwaßer empfangen und sich gegen den Hochaltar, den Doge und den Adel geneigt hatten.

Ich sah den Pallast Pisani. Schade daß man ihm das republikanische so sehr anspürt und doch ist auch das gut. Nach und nach gebaut, wegen nachbarlicher Hinderniße nicht ausgeführt, sehr hoch pp. eine schöne Aussicht über ganz Venedig ist auf dem Dache. Schöne Zimmer auch angenehm bewohnbar, obgleich nicht viel raffinirte Degagements, davon man ohnehin vor alten Zeiten wenig wußte und was hier ist, ist alles alt. |: Versteht sich von der Anlage :|

Hier bemerck ich eine schöne Art Estrich, den ich öffter gesehn habe, sie machen alle Arten Granit und Porphyr recht schön, auch wohl mit etwas phantastischen Farben nach, und die Boden sind reinlich und glänzend gehalten.

Scuola di St. Marco. Schöne Gemählde von Tintorett. den ich lange lieb habe und immer mehr lieb gewinne.

Ballon. Wie in Verona. Es waren zwey die exzellent schlugen. Das Publikum wettete und hatte große Freude. Und der gemeinste hatte ein Wort mit zu reden.

Heut Abend hatte ich mir den famosen Gesang der Schiffer bestellt, die den Tasso und den Ariost auf ihre Melodie singen. Bey Mondenschein bestieg ich eine Gondel, einen Sänger vorn den andern hinten die ihr Lied anfingen und abwechselnd Vers nach Vers sangen. Die Melodie, die wir durch Rousseau kennen, ist eine Art zwischen Choral und Recitativ, sie behält immer denselbigen Gang, ohne einen Tackt zu haben, die Modulation ist auch immer dieselbige nur wenden sie, ie nach dem Innhalt des Verses, mit einer Art Deklamation sowohl Ton als Maas.

Der Geist und das Leben davon ist aber eigentlich dieses.

Wie sich die Melodie gemacht hat will ich nicht untersuchen, genug sie paßt trefflich für einen müsigen Menschen, der sich was vor modulirt und Gedichte die er auswendig kann diesem Gesänge unterschiebt. Mit einer durchdringenden Stimme |: das Volck schätzt Stärcke vor allem :| sitzt er am Ufer einer Insel eines Canals, auf einer Barcke, und läßt sein Lied schallen soweit er kann. Über den stillen Spiegel verbreitet sichs weit. In der Ferne vernimmts ein andrer, der die Melodie kennt, die Worte versteht und antwortet mit dem folgenden Verse, der erste diesem wieder und so ist einer immer das Echo des andern und der Gesang währt Nächte durch unterhält sie ohne sie zu ermüden. Je ferner also sie von einander sind desto reitzender ist das Lied, wenn der Hörer zwischen ihnen beyden ist, steht er am rechten Flecke. Um mich dieses hören [zu] laßen stiegen sie am Ufer der Giudecka aus, sie theilten sich am Canal hin, ich ging zwischen ihnen auf und ab, so daß ich immer den verlies der zu singen anfangen sollte und mich dem wieder näherte der aufhörte. Da ward mir der Sinn des Gesangs erst aufgeschloßen. Und alsdann, als Stimme aus der Ferne klingt es sonderbar, wie eine Klage ohne Trauer – und hat etwas unglaublich, biß zu Trähnen rührendes. Ich schrieb es meiner Stimmung zu, aber mein Alter sagte auf dem Hauswege: é singolare come quel canto intenerisce, é molto piu quando é piu ben cantato. Er erzählte mir daß man die Weiber vom lido, besonders die äussersten von Malamocco und Palestrina müsse singen hören, sie sängen den Tasso auch auf diese und ähnliche Melodien. Sie haben die Gewohnheit, wenn ihre Männer aufs Fischen im Meer sind, sich ans Ufer zu setzen und mit durchdringender Stimme Abends diese Gesänge zu singen, biß sie auch von Ferne die Stimme der Ihrigen wieder hören und sich so mit ihnen unterhalten. Findst du das nicht schön? sehr schön! Es läßt sich leicht dencken daß ein naher Zuhörer wenig Freude an diesen Stimmen haben mögte, die mit den Wellen des Meers kämpfen. Aber wie menschlich und wahr wird der Begriff dieses Gesangs. Wie lebendig wird mir nun diese Melodie, über deren Todten Buchstaben wir uns sooft den Kopf zerbrochen haben. Gesang eines Einsamen in die Ferne und Weite, daß ihn ein andrer gleichgestimmter höre, und ihm antworte.

Warum kann ich dir nicht auch einen Ton hinüber schicken, den du in der Stunde vernähmest und mir antwortetest.

Gute Nacht meine Liebe ich bin müde vom vielen Laufen und Brückensteigen. Gute Nacht.

d. 8 Oktbr. Nach Tische.

Der gute Alte Doge ist heute nicht zur Funcktion nach St Marco gekommen, er ist kranck und wir haben statt dieser Feyerlichkeit andre Gegenstände besucht, wir fahren fort die Stadt zu durchlaufen, das Wesen und Gewerb zu beschauen, und die Schätze einen nach dem andern aufzusuchen.

Palazzo Pisani Moretta. Ein Paolo Veronese, der einem einen Begriff von dem ganzen Werthe des Meisters geben [kann]. Es ist frisch, als wenn es gestern gemahlt wäre und seine große Kunst, ohne einen allgemeinen Ton, der durchs ganze Stück durchginge, blos mit den abwechselnden Lokalfarben, eine köstliche Harmonie hervorzubringen, ist hier recht sichtbar. Sobald ein Bild gelitten hat, erkennt man nichts mehr davon.

Was das Costum betrifft darf man sich nur dencken: er habe ein Sujet des sechzehnten Jahrhunderts mahlen wollen und so ist alles gut. Das jüngere Prinzeßgen ist gar ein artig Maüsgen, und hat so ein ruhig eigensinnig Gesichtgen. Das Übrige mündl.

Scuola di St. Rocco. p. 554

Diese sogenannten Scuole, sind Gebäude, die verschiednen Brüderschafften gehören, wo sie ihre Zusammenkünfte halten, und ihre Geräthschafften und Schätze bewahren. Die Brüderschafft von St. Roch ist besonders nach einer Pest reich geworden, weil fromme Seelen diesem Patron und der Santissima Vergine die Befreyung von der Pest danckten, die, nachdem sie vom März bis in den November gewüthet hatte, nun gegen den Winter von selbst aufhörte.

Heute fiel mir recht auf, wie doch eigentlich der Mensch das Unsinnige, wenn es ihm nur sinnlich vorgestellt werden kann, mit Freuden ergreift, deßwegen man sich freuen sollte Poet zu seyn. Was die Mutter Gottes für eine schöne Erfindung ist, fühlt man nicht eher als mitten im Catholicismus. Eine Vergine mit dem Sohn auf dem Arm, die eben darum santissima Vergine ist, weil sie einen Sohn zur Welt gebracht hat. Es ist ein Gegenstand, vor dem einem die Sinne so schön stillstehn, der eine gewiße innerliche Grazie der Dichtung hat, über den man sich so freut und bey dem man so ganz und gar nichts dencken kann; daß er recht zu einem religiösen Gegenstande gemacht ist.

Leider aber sind diese Gegenstände die Geißel der Mahler gewesen und Schuld daß die Kunst gesuncken ist, nachdem sie sich kaum erhoben hatte. Eine Danae ist immer eine andre Aufgabe für den Künstler, als eine Empfängniß Mariä und doch im Grund derselbe Gegenstand. Nur daß der Künstler aus der ersten viel, aus der zweyten nichts machen kann.

Das Gebäude der Sc[uola] di St Rocco ist prächtig und schön, ohne ein Meisterstück der Baukunst zu seyn.

Damals war noch eine Zeit für Mahler. Tintorett hat die großen Gemählde des Hauptsaals verfertigt. Auch eine große Creutzigung in einem Nebenzimmer.

Meine neuliche Bemerckung bestätigt sich mir, doch muß ich mich genau erklären.

Hier sind auch große Figuren, trefflich gemahlt und die Stücke gut gedacht; aber die Gemählde würden alle mehr Reitz haben wenn sie kleiner wären. Die Gestalten sind ihm, wenn ich so sagen darf, in einem kleineren Formate erschienen und er hat sie nur nach dem Maasstabe vergrösert, ohne ihre innerliche Natur vergrößern zu können.

Seine Gestalten seine Compositionen haben nicht die Sodezza welche zu großen Figuren erfordert wird. Sie beschäfftigen das Auge angenehm und geben einen fröhlichen Begriff in einem kleinen Maasstab, aber sie haben nicht innerlichen Gehalt genug um einen so großen Raum einzunehmen um uns mit ihrer Gegenwart zu imponiren.

So ist zum Exempel nicht genug daß eine Figur kolossal sey, wenn sie 9 oder 10 Fus hat, ihre Natur muß kolossal seyn, sie muß mir nicht durch ihr Maas, sie muß mir durch ihre Existenz imponiren, daß ich nicht an sie reiche, wenn ich mich auch selbst vergrößre.

In dem Saale halt ich das Abendmal, neben dem Altar für das beste Stück, wenigstens war es mir das gefälligste. Er hat den Tisch zurückgesetzt und vorwärts einen großen Bettler und ein Weib auf Stufen sitzend angebracht, alle Hinter Gründe und die Figuren darauf haben eine unbeschreibliche Vaghezza.

Als dann war ich in dem Judenquartier und an andern Ecken und Enden.

Abends.

Heute hab ich dir nicht viel zu erzählen, ich war wieder ai Mendicanti, wo die Frauenzimmer die Musicken aufführen, sie haben wieder ganz herrlich gesungen, besonders die eine die ich dir neulich rühmte. Wenn man nur so einen Eindruck im Ohr behalten könnte.

Hernach bin ich mit einem alten Franzosen der kein Italiänisch kann und hier wie verrathen und verkauft ist, u. mit allen Rekommandations Briefen doch manchmal nicht recht weiß woran er ist. Es ist ein Mann von Stande und sehr guter Lebensart, dem ich sehr höflich begegne und mit ihm über alle Dinge rede, ich sprach ihm von Venedig pp er fragte mich wie lang ich hier sey, ich sagte ihm; noch nicht 14 Tage, Er versetzte: il paroit que Vous n'ayes pas perdu votre tems. Das ist das erste Testimonium meines Wohlverhaltens, das ich aufweisen kann. Morgen werd ich eine große Fahrt unternehmen.

Wenn ich dich nur der einen Arie und des Mondscheins am Ufer und auf dem Platze durch gute Geister theilhaftig machen könnte. Gute Nacht.

9. Oktbr.

Ein köstlicher Tag von Morgends biß in die Nacht. Ich fuhr biß Palästrina, gegen Chiozza über wo die großen Baue sind, die die Republick gegen das Meer führen läßt, sie sind von gehaunen Steinen und sollen eigentlich die lange Erdzunge sichern, welche die Lagunen von dem Meere trennt, ein höchst nöthiges und wichtiges Unternehmen. Eine große Carte die ich mitschicke wird dir die Sache begreiflich machen.

Die Lagunen sind eine Würckung der Natur, daß in dem Busen des Adriatischen Meers sich eine ansehnliche Landstrecke befindet welche von der Fluth besucht und von der Ebbe zum Theil verlassen wird. Wie Venedig, die Inseln, die Canäle die durch die Sümpfe durchgehn und auch zur Zeit der Ebbe befahren werden ietzt stehn und liegen, ist ein Werck der Kunst und des Fleißes; und Kunst und Fleiß müßen es erhalten.

Das Meer kann nur an zwey Orten in die Lagunen, bey den Castellen gegen dem Arsenal über und am andern Ende des lido bey Chiozza. Die Fluth tritt gewöhnlich des Tags zweymal herein und die Ebbe bringt das Wasser zweymal hinaus, immer durch denselben Weg, in der selben Richtung, füllt die Canäle und bedeckt die Morastige Landstellen und so fliests wieder ab, läßt das erhabnere Land, wo nicht trocken, doch sichtbar und bleibt in den Canälen stehn. – Ganz anders wäre es wenn es sich nach und nach andre Wege suchte, die Erdzunge angriffe und nach Willkühr hinein und herausströmte. Nicht gerechnet daß die Ortgen auf dem lido: Palestrina, St. Peter pp leiden würden; so würden die Canäle stellenweis ausgefüllt werden, das Wasser würde sich neue Canäle suchen, den lido zu Inseln und die Inseln die jetzt in der Mitte liegen vielleicht zu Erdzungen machen. Dieses nun zu verhüten, müssen sie den Lido bewahren was sie können. Nicht daß das Meer wüchse, sondern daß das Meer nur willkührlich das angreifen und hinüber und herüber werfen würde, was die Menschen schon in Besitz genommen, dem sie schon zu einem gewißen Zweck, Gestalt und Richtung gegeben haben.

Bey auserordentlichen Fällen, wie deren gewesen sind, daß das Meer übermäsig wuchs, ist es auch immer gut, daß es zu zwey Orten herein kann und das übrige verschloßen ist, es kann also doch nicht so schnell nicht mit solcher Gewalt eindringen und muß sich dann doch auch wieder in einigen Stunden dem Gesetz der Ebbe unterwerfen und auch so wieder seine Wuth lindern. Übrigens hat Venedig nichts zu besorgen, die Langsamkeit mit der das Meer abnimmt, läßt ihr Jahrtausende Raum, und sie werden schon den Canälen klug nachhelfend sich im Besitz des Wassers zu halten wißen. Wenn sie ihre Stadt nur reinlicher hielten, das so nothwendig und so leicht ist, und würcklich auf die Folge von Jahrhunderten von großer Consequenz. So ist Z. E. bey schwerer Strafe verboten nichts in die Canäle zu schütten noch Kehrig hineinzuwerfen. Einem schnell einfallenden Regen aber ists nicht untersagt, alle den in die Ecken geschobenen Kehrigt aufzusuchen und in die Kanäle zu schleppen. Ja, was noch schlimmer ist, den Kehrigt in die Abzüge zu führen, die allein zum Abfluß des Waßers bestimmt sind und sie zu verschlemmen. Selbst einige Carreaus auf dem kleinen Markus Platze, die, wie auf dem großen zum Abfluß des Waßers gar klug angelegt sind, hab ich so verstopft und voll Waßer gesehen. Wenn ein Tag Regenwetter einfällt ist ein unleidlicher Koth. Alles flucht und schimpft. Man besudelt, beym Auf und Absteigen der Brücken, die Mäntel, die Tabarros, alles läuft in Schu und Strümpfen und bespritzt sich, und es ist kein gemeiner sondern wohl blitzender Koth. Das Wetter wird wieder schön und kein Mensch denckt an Reinlichkeit. Der Souverain dürfte nur wollen; so geschäh es, ich möchte wißen ob sie eine politische Ursache haben, das so zu laßen, oder ob es die kostbare Negligenz ist, die dieses hingehn läßt.

Heute Abend ging ich auf den Markusthurn. Da ich neulich die Lagunen in ihrer Herrlichkeit, zu Zeit der Fluth, von oben gesehn hatte, wollt ich sie auch zur Zeit der Ebbe in ihrer Demuth sehn, und es ist nothwendig diese beyde Bilder zu verbinden, wenn man einen richtigen Begriff haben will. Es sieht sonderbar aus, da überall Land erscheinen zu sehen, wo vorher Wasserspiegel war. Die Inseln sind nicht mehr Inseln, sondern nur höhere bebaute Plätze eines großen graugrünlichen Morastes den schöne Canäle durchschneiden. Der Sumpfige Theil ist mit einem Wassergras bewachsen und muß sich auch dadurch nach und nach heben, obgleich Ebbe und Fluth beständig dran rupfen und wühlen und der Vegetation keine Ruhe laßen.

Ich kehre noch einmal ans Meer zurück! Dort hab ich heut die Wirthschafft der Seeschnecken, Patellen |: Muscheln mit Einer Schaale :| der Taschenkrebse gesehen und mich herzlich darüber gefreut. Was ist doch ein lebendiges, für ein köstlich herrliches Ding. Wie abgemeßen zu seinem Zustande, wie wahr! wie seyend! Und wieviel hilft mir mein bischen Studium und wie freu ich mich es fortzusetzen!

Gute Nacht meine Liebe! Ich habe nun einen Vitruv den muß ich studiren, damit ich erleuchtet werde. Gute Nacht.

d. 10 Oktbr.

Heut hab ich angefangen mein Tagebuch durchzugehn und es zur Abreise zuzurichten. Die Ackten sollen nun inrotulirt und dir zum Urteilsspruche zugeschickt werden. Schon jetzt find ich manches in den geschriebnen Blättern das ich näher bestimmen, das ich erweitern und verbeßern könnte. Es mag stehen als Denckmal des ersten Eindrucks, der, wenn auch nicht immer wahr, uns doch köstlich und werth ist.

Ich fange auch an mich zum Schluße zu bereiten. Iphigenie wird nicht fertig; aber sie soll in meiner Gesellschafft unter diesem Himmel nichts verlieren. O könnt ich dir nur einen Hauch dieser leichten Existenz hinübersenden.

Ach wohl, ist den Italiänern das Vltramontano ein dunckler Begriff! mir ist er's auch. Nur du und wenig Freunde winckt mir aus dem Nebel zu. Doch sag ich aufrichtig das Clima ganz allein ists, sonst ists nichts was mich diese Gegenden jenen vorziehen machte.

Denn sonst ist doch die Geburt und Gewohnheit ein mächtiges Ding, ich möchte hier nicht leben, wie überhaupt an keinem Orte wo ich nicht beschäfftigt wäre.

Die Baukunst steigt vor mir wie ein alter Geist aus dem Grabe, sie heist mich ihre Lehren wie die Regeln einer ausgestorbnen Sprache studiren, nicht um sie zu üben oder mich in ihr lebendig zu freuen, sondern nur um die ehrwürdige und ewig abgeschiedne Existenz der vergangnen Zeitalter in einem stillen Gemüth zu verehren.

Gott sey Danck wie mir alles wieder lieb wird was mir von Jugendauf werth war. Wie glücklich bin ich daß ich mich der römischen Geschichte, den alten Schrifftstellern wieder nahen darf! und mit welcher Andacht les ich den Vitruv!

Jetzt darf ich's sagen, darf meine Kranckheit und Thorheit gestehen. Schon einige Jahre hab ich keinen lateinischen Schrifftsteller ansehen, nichts was nur ein Bild von Italien erneuerte berühren dürfen ohne die entsetzlichsten Schmerzen zu leiden.

Herder scherzte immer mit mir, daß ich alle mein Latein aus dem Spinoza lernte, denn er bemerckte daß es das einzige lateinische Buch war das ich las. Er wußte aber nicht daß ich mich für jedem Alten hüten mußte. Noch zuletzt hat mich die Wielandische Übersetzung der Satyren höchst unglücklich gemacht ich habe nur zweyn leßen dürfen und war schon wie toll.

Hätt ich nicht den Entschluß gefaßt den ich jetzt ausführe; so war ich rein zu Grunde gegangen und zu allem unfähig geworden, solch einen Grad von Reife hatte die Begierde diese Gegenstünde mit Augen zu sehen in meinem Gemüth erlangt. Denn ich konnte mit der historischen Erkänntniß nicht näher, die Gegenstände standen gleichsam nur eine Handbreit von mir ab waren aber durch eine undurchdringliche Mauer von mir abgesondert.

Denn es ist mir wirklich auch jetzt so, nicht als ob ich die Sachen sähe, sondern als ob ich sie wiedersähe. Ich bin die kurze Zeit in Venedig und die Venetianische Existenz ist mir so eigen als wenn ich zwanzig Jahre hier wäre. Auch weis ich daß ich, wenn auch einen unvollständigen, doch gewiß einen ganz klaren und wahren Begriff mit fort nehme.

Mitternacht.

Nun kann ich denn endlich auch einmal sagen daß ich eine Commödie gesehn habe. Sie spielten heut auf dem Theater St. Luca

Le baruffe chiozzotte

welches sich allenfalls übersetzen ließe, les crialleries de Chiozza oder die Händel in Chiozza.

Die Handelnde sind lauter Seeleute, Einwohner von Chiozza und ihre Weiber und Schwestern und Töchter. Das gewöhnliche Geschrey, im Guten und Bösen dieser Leute, ihre Händel, Heftigkeit, Manieren, Gutmütigkeit, Plattheit, Witz, Humor pp sind gar brav nachgeahmt. Das Stück ist noch von Goldoni. Da ich erst gestern in der Gegend war, und mir der Eindruck der Stimmen und Manieren der Leute noch in Aug und Ohr wieder schien und wieder klang, so machte mirs große Freude und ob ich gleich manches bon mot nicht verstand; so konnt ich doch dem Ganzen recht gut folgen und mußte herzlich mitlachen. Aber auch so eine Lust hab ich nicht gesehn als das Volck hatte, sich und die seinigen so spielen zu sehn. Ein Gelächter und Gejauchze von Anfang biß zum Ende. Ich muß aber auch sagen daß die Ackteur es exzellent machten. Sie hatten sich gleichsam nach der Anlage der Caracktere in die verschiednen Stimmen getheilt die dem Volck gewöhnlich sind. Es betrog einen von Anfang biß zu Ende.

Die erste Acktrice war allerliebst, viel besser als neulich in der Helden Tracht und Passion. Die Frauen überhaupt, besonders aber sie, machten Stimme Gebärden und Wesen des Volcks aufs anmutigste nach.

Vorzüglich ist aber der Verfasser zu loben, der aus nichts den angenehmsten Zeitvertreib seinem Volck verschafft hat, man sieht die unendlich geübte Hand durchaus.

d 11. Abends.

Ich war wieder in der Carita |: siehe p. 13b dieses Stücks :| zu den großen Gedancken des Palladio wallfahrtend. Jahre könnte man in der Betrachtung so eines Wercks zubringen. Morgen früh will ich wieder hin. Denn mich dünckt ich habe nichts höhers gesehn. Und ich glaube daß ich mich nicht irre. Dencke aber auch, der treffliche Künstler mit dem innerlichen Sinn fürs Große gebohren, den er mit dem größten Fleiß ausgebildet hatte |: denn von seiner Mühe die er sich um die Wercke der Alten gegeben hat man gar keinen Begriff :| findet Gelegenheit einen Lieblingsgedancken auszuführen, eine Wohnung der Alten nachzubilden, Gelegenheit da wo der Gedancke ganz paßt. Er ist in nichts genirt und läßt sich von nichts geniren. Von der Erfindung und Zeichnung sag ich nichts; nur ein Wort von der Ausführung. Nur die Häupter und Füße der Säulen und einige andre Theile pp die ich wohl gemerckt habe sind von gehaunen Steinen. Das übrige alles |: ich darf nicht sagen von Backsteinen :| von gebranntem Thon, denn solche Ziegeln kenn ich gar nicht, du kannst dir die Schärfe dencken da die Frise mit ihren Zierrathen auch daraus gebrannt ist und die verschiedne Theile des Karnieses auch. Er hat also voraus zu allem Formen machen laßen, die soviel gröser müßen gewesen seyn als der Thon schwindet, die Theile sind alle gebrannt fertig gewesen und man hat das Gebäude nur so mit wenigem Kalck zusammengesetzt. Die Zierrathen der Bogen, alles ist so gebrannt. Diese Art war mir nicht ganz neu, aber wie es hier ausgeführt ist, geht über meine Gedancken. In Dessau haben sie auch diesen Weg eingeschlagen, und vermuthlich hat ihn Palladio von den Alten. Aber ebendeßwegen ist das Ganze wie Ein Guß, wenn es nun abgetüncht wäre daß alles eine Farbe hätte, es müßte bezaubernd seyn. Du liebes Schicksal das du so manche Dummheit begünstigt und verewigt hast, warum liesest du das Werck nicht fertig werden.

Von einer Treppe |: einer Wendeltreppe ohne Säule in der Mitte :| die er selbst in seinen Wercken lobt – la quale riesce mirabilmente – hab ich glaub ich noch nichts gesagt. Du kannst dencken, wenn Palladio sagt che riesce mirabilmente, daß es etwas seyn muß. Ja es ist nichts als eine Wendeltreppe die man aber nicht müd wird auf und abzusteigen. Auch hab ich heute die Sakristey gesehn, die gleich an der Treppe liegt und nach seinem Riße ausgeführt ist, morgen kehr ich noch einmal hin. Wenn ich mirs nur recht in Sinn und Gemüth eindrucken könnte.

Das lustigste ist wie ich meinem Alten Lohnbedienten das alles demonstrire, weil das Herz voll ist geht der Mund über, und er das wunderbare immer auf einer andern Seite sucht.

Leb wohl. Mein Alter Franzoße der nun 8 Tage hier ist geht morgen fort, es war mir köstlich einen recht eingefleischten Versailler in der Fremde zu sehn. Er reißt auch, an dem hab ich mit Erstaunen gesehen wie man reisen kann, und es ist auf seinem Flecke ein recht ordentlicher Mann. Lebe wohl beste.

d. 12. Oktbr.

Ich bin heute zu Hause geblieben um meinen Sachen Ordnung zu geben, zu rechnen, Zeitungen zu lesen, zu schreiben und mich zum Abschied und zur weitern Reise vorzubereiten. Im Vorhofe hab ich mich gut umgesehn, wir wollen weiter das beste hoffen.

In meinem Tagebuche findest du die ersten augenblicklichen Eindrücke, wie schön wird es seyn, wenn ich dir die Verbindung und Erweiterung der Begriffe dereinst mündlich mittheilen und dich in guten Stunden unterhalten kann.

Gestern gaben sie zu St. Luca ein neues Stück l'Inglisimo in Italia. Da viele Engländer in Italien leben, ists natürl. daß ihre Sitten Einfluß haben, ich dachte da etwas zu erwischen, was mich in der Folge leitete, aber es war nichts. Karikatur wie immer, einige glückliche Narrenscenen, aber übrigens viel zu schwer und ernstlich gemeynt, und war nur gegen das gemeinste gerichtet. Auch gefiel es nicht und war auf dem Punckte ausgepfiffen zu werden.

Und dann auch die Schauspieler waren nicht in ihrem Elemente, nicht auf dem Platze von Chiozza.

NB von der Truppe Sacchi, welche übrigens zerstreut ist hab ich die Smeraldina gesehn. Der Brighella ist auch noch hier, aber auf St. Grisostomo, ein Theater das mir ein wenig entlegen ist.

Über Masken und wie sich dergleichen decidirte Figuren von selbst bilden in der Folge mehr.

Lebe wohl für heute. Mir ist der Kopf wüste, von meinem heutigen einsamen thätig, unthätigen Tage.

d. 13. Octbr.

Nun meine liebste muß ich schließen. Morgen geh ich ab, und dieses Packet auch. Des Sehens bin ich müde und überdencke mir in der Stille das Vergangne und was bevorsteht.

So viel ich geschrieben habe: so bleibt doch viel mehr im Sinne zurück, doch ist das meiste angedeutet.

Über die Nation selbst und das pro und contra aller Nationen unter einander, über den Grundkarackter und die Hauptexistenz von dieser; über das Leben der Vornehmern, ihre Wohnungen, Art zu seyn pp darüber mündlich wie über manches andre.

Mir sey jetzt genug dir mit Freuden alles zu schicken was ich auf dem Wege aufgerafft habe, damit du es selbst beurtheilest und mir zum Nutzen und Vergnügen aufbewahrest. Die erste Epoche meiner Reise ist vorbey, der Himmel segne die übrigen und vor allen die letzte die mich wieder zu dir führen wird.

Die Beylagen und Zeichnungen hab ich in den Kasten gethan der den Kaffee bringen wird. Es ist der ausgesuchteste von Alexandrien den man hier haben kann. Du erhälst 25 Pfd. davon gieb 5 der regier[enden] Herzoginn mit den schönsten Empfehlungen und 5 an Herders das übrige behalte für dich. Schmeckt er; so kann ich mehr verschaffen.

Lebe wohl. Ich schließe ungern. Wenn alles recht geht; so erhälst du dieses vor Ende Oktobers und das Tagebuch der zweyten Epoche sollst du Ende Novembers haben. So werd ich dir wieder nah und bleibe bey dir. Lebe wohl. Grüse die deinigen. Ich bin fern und nah der Eurige.

G.

Fortgesetztes Verzeichniß der Steine.

36  Steine aus den Paduanischen Gebirgen womit sie in Padua und Venedig pflastern. Ob Lava? ob Porphyr?
37.  Kalckstein der mit der Säge geschnitten und verschieden zu Gebäuden gebraucht wird aus den Vordergebirgen der großen Kette. Vitruv gedenckt seiner.
38.  Kalcksteine die eine Zeitlang im Meer gelegen und von Meerwürmern angefressen sind.
39.  Meeres Schlamm zusammen gebacken. Wohl die neuste aller Steinarten.
40.  Basaltgeschiebe aus dem Adriatischen Meer.
41.  Kalck von der Mauer bey Palestrina mit Traß gemischt.

1607

[Venedig, Sonnabend 14. Oktober]

Wieder ein kleines Lebenszeichen von deinem Liebenden und ich hoffe und weiß Geliebten. Mein erstes auf einem ähnlichen Blättchen wirst du erhalten haben. Ich bin wohl, habe das schönste Wetter und geht mir alles glücklich. Mein Tagebuch ist zum erstenmal geschloßen, du erhälst ehstens die genaue Geschichte jedes Tags seitdem ich dich verließ, alles was ich gethan gedacht und empfunden habe. Behalt es aber für dich, wie es nur für dich geschrieben ist, wir wollen bey meiner Rückkunft, jedem daraus das seinige mittheilen. Bald meld ich auch wohin du mir schreiben kannst, und wie freu ich mich von dir zu hören und deine Hand wieder zu sehen. Fritzen wünsch ich hundertmal zu mir. Ich habe das schönste Wetter. Ich fürchte nur aus allerley Symptomen und Nachrichten daß es euch übel geht.

Ich habe dir zeither soviel gesagt, dir so alles aufs Papier gesetzt, daß ich dir nichts hinzuzuthun weiß, du mußt nur noch vom Empfang dieses Briefs etwa 14 Tage Geduld haben; so hast du alles.

Anfangs gedacht ich mein Tagebuch allgemein zu schreiben, dann es an dich zu richten und das Sie zu brauchen damit es kommunikabel wäre, es ging aber nicht es ist allein für dich. Nun will ich dir einen Vorschlag thun.

Wenn du es nach und nach abschriebst, in Quart, aber gebrochne Blätter, verwandeltest das Du in Sie und liesest was dich allein angeht, oder du sonst denckst weg; so fänd ich wenn ich wiederkomme gleich ein Exemplar in das ich hinein korrigiren und das Ganze in Ordnung bringen könnte.

Du müßtest aber doch daraus nicht vorleßen, noch kommuniciren, denn sonst hab ich nichts zu erzählen wenn ich zurückkomme. Auch sagst du nicht daß du es hast, denn es soll noch niemand wißen, wo ich sey und wie es mit mir sey.

Lebe wohl. Behalte mich lieb. Meine Hoffnung ist dich wieder zu sehn. Ich verliere keine Stunde und bleibe nicht länger aus als nötig ist. Lebe wohl. Grüße Fritzen ich kann ihm heute nicht schreiben. Ich freue mich seiner in Hoffnung.

G.


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