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Drittes Kapitel

Vogler und Vogel

Es pocht.

Eine Küchenmagd zeigt sich in der Tür, ein mit Eßwaren wohl besetztes Brett tragend.

Über ihrer Schulter lächeln ihm Gertruds lebhafte Augen entgegen.

Das Edelfräulein bewillkommnet ihn auf Langenstein. Sie möchte wissen, ob alles nach Wunsch ist, was sie in der Eile zu seiner Verpflegung angerichtet hat? Ob er etwas Besonderes wünsche? Ob sie ihm vielleicht ein Fußbad heraufschicken solle?

Vincentius bedankt sich. Er habe kaum Zeit sich die Erfrischung durch ein Fußbad zu gönnen, da sein hoher Vorgesetzter ihm eine Arbeit gegeben hat, die keinen Aufschub verträgt.

Die schwarzen Brauen Gertruds ziehen sich unwillig zusammen ob solcher Tyrannei. Um so milder betrachten die sammetweichen Augen den schwer belasteten Jüngling. Dieser aber versichert ihr lächelnd, ein solches Willkommen habe ihm schon alle Müdigkeit weggeblasen.

Als nun das Ritterfräulein Miene macht, der Küchenmagd zu folgen, die eben um den Pfeiler der Wendeltreppe herum verschwinden will, ergreift er beherzt ihre Hand und zieht das sich sträubende Mädchen – das wegen der noch hörbaren Nähe jenes dienenden Geistes keinen lauten Widerspruch erheben kann – so weit in die Kammer herein, daß er hinter ihr die Türe schließen kann.

Worauf der Widerspruch laut wird.

»Nein, Gertrud! o ja, ich darf dich ›Gertrud‹ nennen! Du würdest dich nicht so bald und so kalt von mir trennen, wenn du wüßtest, in welcher Gefahr ich um deinetwillen schwebe.«

»Gefahr! mein Gott!«

»Du wirst blaß! Darf ich glauben, daß dir mein Leben teuer ist?«

»O Vincentius!«

Ihr Ausbruch stirbt eines seligen Todes auf seinen Lippen, die die ihrigen schließen.

»Dann komme, was kommen mag! Möge er sein Schlimmstes tun! Du bist mein. Ich will uns beide retten.«

»Aber hier kann dir keine Gefahr drohen, Vincentius!«

»Gerade hier, Geliebte! ... Wisse, daß Bischof Ottmar mich haßt, weil er mich fürchtet.«

»Er fürchtet dich?«

»Ja, weil ich Dinge von ihm weiß – Dinge – o, vor deinen jungfräulichen Ohren kann ich nicht einmal andeuten, was ich von ihm weiß. Deshalb will er mich aus dem Wege räumen. Ja, Gertrud! Ich weiß, daß er im Besitze gewisser Papiere ist, Briefe von meiner Hand mit unvorsichtigen Äußerungen – Worten, die, falsch gedeutet, gegen mich zeugen können... Der Prior in Weltenburg, der mir wohl gesinnt ist, hat mich gewarnt. Er wollte mir in seinem Kloster eine Zufluchtsstätte geben – –«

»Und du kehrtest zurück! O Vincentius – doch nicht, um mich wiederzusehend«

»Das allein hätte mich schon zurückgerufen. Aber es war nicht alles, wie hätte ich denn mich selbst retten können und dich, ohne Schutz, hier in seiner Macht bleiben lassend«

»In seiner Macht? Ich?«

»Du und deine Schwägerin – Ihr alle hier seid in seiner Gewalt... auch dieser Kaufmann aus Basel ... ja, der ganz besonders... wann kam er?«

»Gestern.«

»In der Nacht?«

Gertrud stutzt.

»Ja.«

»Als der Blitz auf den Kalvarienberg niederschlug?«

»Gerade als er die Höhe betrat, zersplitterte der Blitz das Kruzifix. Der Schlag hätte beinahe Bischof Ottmar getötet – er ist noch von der Erschütterung krank.«

»Bischof Ottmar? War er denn auch dort?«

»Ja. Er muß gewußt haben, daß der Kaufmann kam. Du weißt ja, daß er ihn aufgefordert hatte, Langenstein zu besuchen. Er war ihm mitten in der Nacht entgegen gegangen. Niemand wußte etwas davon ... Vincentius!«

Ihre Stimme ist ängstlich, bittend ... oder als ob sie ihren Liebhaber zu sich zurückrufen wollte.

Er starrt vor sich hin – gerade auf sie. Aber es ist, als sehe er durch sie in einen Abgrund hinab, dessen lockende Tiefe ihn schwindlig macht.

Gerade in dem Augenblick, wo sich jene Beiden begegneten – gerade als der Fremde seinen Fuß auf das Langensteiner Golgatha setzte, hat der himmlische Zorn das Schutzheiligtum der Gegend, das wunderwirkende Kruzifix zerschmettert!

›Mein Gott! wer ist denn der Mann, der durch sein vermessenes Betreten des Heiligtums den Blitz aus der Wolke holt? ...

Wer anders als der Erzketzer – der große Gottesfreund?‹

In Vincentius' kirchlichem Gemüt läßt ein solches Wunder keinen Zweifel zurück.

Aber er bedarf eines Zeugnisses von allgemeiner Überzeugungskraft – und er hat es bei der Hand.

»So ist es ihm wirklich gelungen!«

»Was meinst du, Vincentius?«

»Bischof Ottmar hat ihn in seine Macht bekommen – den großen Gottesfreund.«

»Den großen Gottesfreund –?«

»O Gertrud! hast du nicht mehr Zutrauen zu mir? Ich weiß ja sehr wohl, wer dieser Kaufmann ist. wie kannst du aber glauben, ich würde einen Mann ins Unglück bringen, der dein Freund ist? – ›dein Freund und Gottes‹, wie er in deine Epistelverdeutschung schrieb, wenn du mich wirklich liebst, kannst du so etwas nicht von mir glauben.«

»O nein, gewiß nicht, Geliebter! Aber es ist doch ein so großes Geheimnis. Ich hatte kein Recht, es jemandem anzuvertrauen. Er ist von Gefahren umgeben, wir müssen alle hier vorsichtig sein. Und erst ich! Was bin ich nicht diesem Manne schuldig! Denke dir, er hat das Leben meines Bruders gerettet.«

»Ist's möglich!«

»Ja, das ist lange her. Es geschah in Straßburg, wo mein Bruder mit Junker Ottmar um Renatas willen kämpfte.«

»Das hast du mir nicht erzählt.«

»Nichts Aber ich erzählte dir, daß Junker Ottmar mit Renata verlobt war und sie schimpflich verließ. Darum forderte ihn mein Bruder heraus und verfolgte ihn bis Straßburg.«

»Verfolgte ihn?«

»Ja, denn Ottmar von Winterstetten verschwand heimlich aus Regensburg.«

Vincentius' Gesicht strahlt.

»Er flüchtete! Der Feigling! Das sieht ihm ähnlich .. Und sie kämpften in Straßburg?«

Gertrud nickt.

»Dort wurde Hugo schwer verwundet. Verwandte, die wir dort hatten, pflegten ihn. In deren Haus kam der große Gottesfreund. Das heißt, damals nannte ihn noch niemand so. Er war Kaufmann, war aber weniger der Kaufgeschäfte wegen nach Straßburg gekommen, als um Tauler zu hören, von dessen Predigten man viel Rühmliches redete. Auf seinen Reisen im Welschland hatte er manches von der Heilkunst erlernt; er pflegte Hugos Wunde und sprach dabei viel mit ihm von Tauler und von dem Leben in Gott. Mein Bruder, der sich am Rande des Todes glaubte, war darum empfänglicher für solche Betrachtungen, als er es wohl sonst gewesen wäre. So fand er einen Arzt sowohl für die Seele wie für den Körper und hing seitdem mit großer Liebe an diesem bürgerlichen Freund. Seine Wunde aber heilte so gut, daß er noch leben würde, wenn sie nicht durch einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde wieder aufgebrochen wäre.«

»Dann ist Bischof Ottmar der Töter deines Bruders?«

Gertrud nickt, und ihre dunklen Augen werden noch dunkler, blank von aufsteigenden Tränen.

›Sie haßt den Bischof,‹ denkt Vincentius. ›Auch das Schlimmste, was ich von ihm sagte, würde sie bereitwillig glauben!‹

»Ja, dieser Mann ist gewiß für uns alle verhängnisvoll. Du siehst nun, wie sehr ich recht hatte, als ich vorhin sagte, er habe uns in seiner Gewalt. Uns alle. Selbst deinen unglücklichen Bruder – wenn er lebte, würde der Bischof ihn in seiner Macht haben, wegen seiner Verbindung mit dem großen Gottesfreund. Wie viel mehr denn Renata! Und über ihren Kopf hält er auch noch das weltliche Schwert. Er erhebt gegen sie die Anklage: sie habe ihren Gemahl durch Gift aus dem Wege geräumt.«

»Ist die schändliche Beschuldigung auch dem Bischof zu Ohren gekommen? Ich habe wohl gehört, daß Stephan der Wirt, den Renata aus ihrem Dienste wegjagen mußte, solche Gerüchte verbreitet, um sich zu rächen. Aber ich, die ich selber dabei stand, weiß es am besten: als sie ihm die vielen Tropfen gab, die seinem bösen, tödlichen Leiden ein Ende machten, war sie von eitel Mitleid bewegt und konnte seinen Bitten nicht widerstehen.«

›Also doch! Welch wichtiges Zeugnis!‹ denkt Vincentius. Er sagt aber:

»Ich habe mir immer gedacht, wenn das wahr wäre, müsse es etwa so zugegangen sein.«

»Aber in einem Punkt irrst du dich, Vincentius. Bischof Ottmar will Renata sicher keinen Schaden verursachen, sondern sie vielmehr auf jede weise beschützen. Freilich hat er sich damals abscheulich gegen sie betragen, als eine leichtsinnige Base Renatas, die alle wunderschön fanden, ihn in ihr Garn gelockt und bezaubert hatte. Aber jetzt liebt er sie, dessen bin ich gewiß – mehr als einem Bischof erlaubt ist zu lieben.«

»Um so wichtiger für ihn, im Besitze von Machtmitteln zu sein, womit er sie nach seinem Willen beugen kann.«

Gertrud, deren letzte Worte ihr das Blut bis in die Schläfen getrieben haben, blickt ihn mit großen erschrockenen Augen an.

»Das möchte immerhin sein, wenn er nur nicht auch dich in seiner Macht hätte.«

»Mich? was siehst du denn für Gespenster an, hellen Tag? Du törichter Mann, du hörst nur mit einem halben Ohr, was ich dir sage! Hab' ich dir nicht gerade erklärt, daß er in Renata verliebt ist? Ist er doch offenbar nur deshalb hierher gekommen, weil er es vor Sehnsucht nicht mehr aushielt! Was kann ihm dann daran liegen, ob er mich in seiner Macht hat oder nicht?«

»O du holde Unschuld! weißt du denn nicht, daß solche Männer mehr denn Eine lieben können, und daß du schöner bist als deine Schwägerin?«

»Vincentius! treibst du Spott mit mir? Als ob es mir einfiele, mich mit Renata zu vergleichen! wüßtest du nicht schon, daß ich die deine bin, ich müßte glauben, du wollest mich durch falsche Schmeichelei gewinnen.«

»Mir muß es jedenfalls erlaubt sein, dich schöner zu finden. Und daß du weit jünger bist, kannst du nicht leugnen. Glaubst du, er sei blind gegenüber deiner Frische, deiner magdlichen Anmut – er, Bischof Ottmar! Ich sage dir, der Sultan in seinem Harem ist ein Heiliger gegen einen solchen Kirchenfürsten.«

Gertrud ist weiß und rot geworden. Sie hat sich auf die Ruhebank gesetzt und ringt die Hände.

»Mein Gott! ist so etwas möglich!«

Vincentius nimmt Platz neben ihr und bemächtigt sich ihrer linken Hand.

»Er glaubt zwar, dich in seiner Macht zu haben, aber er wird sich täuschen. Darum bin ich ja hier.«

Sie drückt warm seine Hand.

»Und bist du in Lebensgefahr?«

»Denke nicht daran! wir beide werden ihm zu stark sein. Aber sage mir: glaubst du, daß es uns möglich ist, aus diesem Gefängnis zu entschlüpfen?«

Gertrud blickt eine Weile mit peinvoll zusammengezogenen Brauen vor sich nieder, und schüttelt dann hoffnungslos den Ropf.

»Es gibt eine kleine Tür in der Mauer, unter einem Erker, weißt du? Könntest du nicht den Schlüssel dazu bekommen?«

Wiederum hoffnungsloses Kopfschütteln.

»Die Tür wird freilich sonst selten abgeschlossen. Sie muß noch gestern Nacht offen gestanden haben, denn aus ihr ist der Bischof hinausgegangen, ohne daß jemand davon wußte. Aber Konrad – unser Hausmeier – sagte heute früh zu mir, daß er sie jetzt jeden Abend selber abschließt und den Schlüssel mit den Hauptschlüsseln zusammen an Renata abgibt, und sie hütet sie unter ihrem Kopfkissen.«

»Hm ... Teilst du die Schlafkammer mit ihr?«

»O nein! .. Ich schlafe unten mit der Ursula zusammen – das ist die Haushälterin, die einst meine Amme war. Denn ich fürchte mich nachts allein zu sein. Renata aber will am liebsten allein sein.«

»Nun, ich hatte auch darauf wenig gebaut. Glücklicherweise habe ich unten in Langenstein einen guten Freund, einen angesehenen Mann, dem Alle folgen, der wird uns nicht im Stiche lassen. Die Hauptgefahr ist, daß der Bischof plötzlich aufbricht und uns mit sich fortschleppt, mich auf die Folterbank im Regensburger Rathaus, dich in seinen Palast. Weiß ich nur das im voraus, dann werde ich schon Hilfe schaffen. Natürlich wird er verhindern, daß ich umhergehe und irgend etwas entdecke, aber vor dir können sie es nicht verbergen, wenn du die Augen offen hältst.«

»Daran soll es nicht fehlen, und alles, was ich bemerke, sollst du sofort erfahren. Aber Liebster, was nützt es, da du von jeder Verbindung mit jenem mächtigen Freund abgeschnitten bist? Wer ist es übrigens? Er kann unten nicht ansässig sein, sonst müßte ich doch den Mann kennen.«

»O nein! Er hält sich jetzt nur dort auf, um der Bevölkerung in ihrer großen Not zu helfen. Und ich bin auch nicht gänzlich von ihm abgeschnitten ... Sage mir, kann ich in die Stube hineinkommen, wo – – wo ich dich zuerst sah?«

Ein liebevoller Blick und ein weicher Händedruck sagt ihm, daß er die richtigste Benennung gefunden hat.

»O ja. Die ›Stadtstube‹, wie wir sie nennen, ist nur selten abgeschlossen. Und sollte das auch der Fall sein, so kann ich dir leicht dazu verhelfen, denn ich habe alle Augenblicke in dem Schranke dort etwas zu suchen. Aber was kann das dir nützen?«

Sie blickt ihn plötzlich mit ängstlich forschenden Augen an und ergreift krampfhaft seinen Arm: –

»Vincentius! du gedenkst doch nicht, an einer Strickleiter hinabzuklettern?«

Er blickt hinweg, als ob ihm dieser Gedanke nicht gerade neu wäre.

»Wäre ich allein, würde ich lieber das wagen, als in der Gewalt dieses Mannes bleiben.«

Seine finstere Entschlossenheit macht sie erzittern, Er fühlt, daß er das Rechte getroffen und sie damit am besten vom Ernste der Gefahr überzeugt hat.

»Vincentius – Geliebter, Einziger! Versprich mir, nie mehr daran zu denken! Ein Versuch ist der sichere Tod.«

»Wie könnte ich es jetzt, da ich doch dich hier zurücklassen müßte?«

Gertrud ist getröstet und überzeugt.

»Ich zweifle aber nicht, daß mein Freund zur Zeit des Sonnenunterganges sich auf der Brücke ergehen wird, und wenn er mich dann am Fenster stehen und mit einem Tuche winken sieht, dann weiß er wenigstens, daß ich nicht gefesselt im Turm liege, und das wird ihm zum Troste gereichen. Indessen möchte ich sehr gern ein rotes Tuch haben – das wird ihm um so mehr auffallen, er wird dann auch sicher sein, daß nicht zufällig jemand dasteht und hinunterwinkt. Kannst du mir ein solches verschaffen?«

»Mit der größten Leichtigkeit. Aber jetzt muß ich dich verlassen. Sonst könnten sie mich leicht vermissen.«

»Du hast recht. Wir dürfen keinen Verdacht erwecken. Leb wohl, meine Geliebte! Halte den Mut aufrecht und diese herrlichen schwarzen Augen klar und wach. Sei mein mutiges Mädchen – leb wohl!«

Eine lange Umarmung ... ein letzter Kuß ... ein allerletzter – für diesmal ... wer weiß? vielleicht für immer!

Und Gertrud verläßt die Turmkammer, möglicherweise ein ganz klein wenig enttäuscht, weil ihr Liebhaber sie nicht länger festgehalten hat ... Obwohl es hohe Zeit war, daß sie ging.

Jedoch auch nicht zu spät. Denn als sie leise an der fünfeckigen Kammer vorüberschleicht, hört sie Stimmen, die bezeugen, daß Renata und die beiden Männer drinnen noch in tiefer Beratung sitzen. Auch die rauhen Kehllaute Konrads sind vernehmbar.

Kein Zweifel, daß etwas Wichtiges im Werke ist.

Und für sie hat man keinen Gebrauch!

Oder hat man sie schon vergebens gesucht?

Sie überzeugt sich bald, daß niemand nach ihr gefragt habe, als etwa vor einer halben Stunde Konrad in die fünfeckige Kammer gerufen wurde . .

Was haben sie nur vor, das sie nicht wissen soll?

›O Gott, wenn mein getreuer Vincentius nicht wäre! Und wenn er nur an seine eigene Rettung dächte, wie verlassen stände ich da! Dieser schreckliche Bischof Ottmar hätte dann uns alle in seiner Gewalt!‹


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