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In der fünfeckigen Kammer sitzen Renata, der Meister und Ottmar beisammen.
Zwölf Stunden ununterbrochenen Schlafes haben Ottmar so gestärkt, daß er am Nachmittage das Bett mit einem Sessel vertauschen kann. Er hat ›dem Kaufmanne‹ einen Teil des Münchner Briefs in die Feder diktiert. Da jedoch diese anfangs wohltuende Arbeit ihn bald zu ermüden anfing, hat der Meister ihn überredet, sie zu unterbrechen.
»Ich habe hier den Rest,« sagt Ottmar, mißmutig auf einige Papierstücke zeigend, die seinen Entwurf enthalten, den er beim Diktat benutzt hat. »Es wäre zwar zur Not brauchbar, wie es ist. Ihr werdet aber nimmer daraus klug werden; das könnte höchstens mein Famulus.«
Der Gottesfreund schüttelt lächelnd den Kopf, nachdem er einige Sekunden lang die seltsamen Schriftzüge betrachtet hat.
»Ja, hätten wir nur den jungen Mann hier –!«
»Pst«, unterbricht ihn Ottmar mit einer entsetzt abwehrenden Bewegung – »Ihr wißt nicht, was Ihr wünscht.«
Renata, die gerade hereintritt, erbietet sich, den Versuch zu machen.
»Ich konnte deine Schrift in alten Tagen deuten ...«
»Ja, sie ist aber indessen viel schlimmer geworden.«
Ottmar nimmt ihr das Blatt aus der Hand.
Ungeduldig hat er sie erwartet. Nun ist sie endlich da, und sie sollte sich hinsetzen, um die Arbeit des Famulus zu verrichten!
»Wir wollen uns durch ein Stündlein Pause erfrischen. Der Brief kann dann noch immer vor Abend fertig werden.«
»Wie wäre es, wenn wir unterdessen unsere Baupläne vornähmen?«
»Ein trefflicher Gedanke! Wir haben zusammen den Entwurf für die Kapelle betrachtet. Nunmehr wollen wir unter der Leitung unseres baukundigen Freundes die größeren Grundrisse durchgehen.«
Bald sind die Pläne aus der Bibliothek herbeigeholt und auf dem Tisch ausgebreitet.
Sie beugen sich darüber – Ottmar im Sessel sitzend, der mit Lederkissen wohl gepolstert ist, der Kaufmann und Renata ihm zur Seite stehend, alle drei in die Linien des Grundrisses vertieft, während der Kaufmann mit dem Zirkel den beiden irgendeine Einzelheit zeigt: als die Tür zum Gange plötzlich aufgerissen wird.
Ottmar sinkt in die Rissen zurück mit einem Blick, als ob er ein Gespenst sähe.
Vincentius steht vor ihnen.
Der junge Mann, der mindestens ebenso überrascht ist, wie sie es sind, stammelt Entschuldigungen hervor.
»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Herr Famulus«, antwortet Renata. »Dies Zimmer war Euch ja überlassen, da Ihr aber wenigstens vorläufig nicht zurück erwartet wurdet, nahmen wir es der bequemen Lage wegen in Gebrauch. Seine Hochwürden hat nämlich wegen heftigen Unwohlseins die abseits gelegene Turmkammer mit diesem Gemach nebenan vertauscht, das ich zuerst für meinen hohen Gast bestimmt hatte.«
Mit Bestürzung und Besorgnis in den Zügen, will Vincentius sich nach dem Befinden seines vorgesetzten erkundigen, wird jedoch an der Schwelle scharf abgewiesen: –
»Wie kommt es, daß Ihr hier seid, da Ihr doch in Regensburg sein solltet?«
»Ich habe Euer Hochwürden zu melden, daß meine Reise sich sofort in Telheim als mißlungen herausstellte. Denn niemand konnte auch nur einen Augenblick annehmen ... daß ... hm ... daß ...«
Vincentius' Blick schweift unschlüssig zwischen Bischof und Kaufmann hin und her.
Der erstere beruhigt ihn rücksichtlich des letzteren.
»Fahrt nur fort im Texte. Ihr könnt frei reden.« Vincentius verbeugt sich.
»Niemand, sage ich, konnte auch nur einen Augenblick annehmen, daß der alte Volkssänger, den die Telheimer festgenommen hatten, und der allerdings verbotene Schriften bei sich führte, der große Gottesfreund sei. Ich fand deshalb nichts anderes zu tun, als ihn nach Regensburg zu schicken und selber hierher zurückzukehren.«
»Ich hatte Euch aber den weiteren Auftrag gegeben, bei der Beisetzung der Äbtissin im Mittelmünster mein Stellvertreter zu sein.«
»Gewiß. Das hatte ich jedoch so aufgefaßt, daß dieser Auftrag unter der Voraussetzung stünde, daß ich mich überhaupt in Regensburg befände.«
»Ich entsinne mich nicht, einen solchen Vorbehalt gemacht zu haben.«
»Es macht mich tief unglücklich, Euer Hochwürden mißverstanden zu haben, wie die Verhältnisse lagen, glaubte ich jedoch nicht, meinen Urlaub weiter ausdehnen und mich dadurch länger von meinem persönlichen Dienst bei Hochwürden fernhalten zu dürfen.«
Die Gesichtszüge des Bischofs sind zuerst verdrießlich, sogar zornig gewesen. Als er jetzt aber aufblickt, haben sie einen freundlichen Ausdruck angenommen. Offenbar sieht er ein, daß er dem jungen Mann doch Unrecht getan hat.
»Allerdings hätte ich sehr gewünscht, daß Ihr meinen Gruß an das Mittelmünster überbracht und der Verstorbenen in meinem Namen die letzte Ehre erwiesen hättet; indessen verdient Euer Eifer, Euren Dienst nicht länger zu versäumen, alle Anerkennung. In der Tat seid Ihr auch hier vermißt worden, und noch keine Stunde ist vergangen, seit der Wunsch laut wurde, daß Ihr zurück wäret, da Ihr der einzige seid, der das zu deuten vermag, was meine Feder zusammenkratzt. So liegt denn schon Arbeit hier und wartet Eurer. Mein Freund, Herr Johann Rinck, Kaufmann aus Basel, dessen Ihr Euch wohl von Lengefeld erinnert, ist so gut gewesen für Euch Dienst zu tun und hat mit sehr schöner Handschrift, was ich ihm in die Feder diktierte, aufs Papier gebracht. Es ist der Anfang eines Briefes an den Kanzler in München und betrifft die Einweihung unserer Ordenskirche. Diese Papiere enthalten einen Entwurf zur Fortsetzung. Seid also so gut, sobald Ihr Euch nach den Anstrengungen der Reise etwas erfrischt habt. Euch dieser Arbeit anzunehmen, dies abzuschreiben und das Schreiben nach meinen Entwürfen zu vollenden, – den Kanzleistil trefft Ihr besser als ich. Es war und ist meine Absicht, Euch mit diesem Briefe nach München zu schicken, eine Mission, die Euch an höchsten Stellen bemerkbar machen wird und durch die Ihr Euch mächtige Gönner gewinnen könnt. Also hier sind die Papiere. Eure Sachen werdet Ihr in der Turmkammer finden.«
Vincentius bedankt sich demütig für diese neue Gunstbezeugung seines Herrn und empfiehlt sich.
Nach den Schritten zu urteilen, die den Widerhall im Gange und auf der Treppe erwecken, scheint dieser musterhafte Famulus von dem seltensten Eifer, sich auf die Arbeit zu stürzen, beseelt zu sein.
»Wo mag nur Gertrud sein?«
Renata ist im Begriff sich zu erheben, aber Ottmar legt seine Hand auf ihren Arm.
»Laß deine Schwägerin bleiben, wo sie ist, wenn sie auch dem jungen Mann ein herzlicheres Willkommen bieten sollte, als dir wünschenswert erscheint. Wir haben hier etwas zu beraten, wobei sie am besten abwesend bleibt.«
Er steht auf, geht zur Tür, öffnet sie, späht hinaus, nach rechts und links, schließt und verriegelt sie.
»Mein Famulus ist ein Verräter, wie ich dir sagte. Er hat sich mit den schlimmsten aufrührerischen Volkskreisen der Stadt verschworen, mit dem Wirt vom goldenen Stierkopf und mit dem Hetzer, dem Franziskaner, den herzuberufen er selber mich überredet hat. Mit ihrer Hilfe hetzt er die vor Angst wahnsinnige Menge gegen ihre ketzerische Herrschaft auf und zugleich auch gegen seinen eigenen Herrn, den er nicht ohne Grund beschuldigt, diese Dame zu beschützen. Dafür Hab' ich schriftlichen Beweis, wäre nicht die sündhafte Verwirrung meiner Leidenschaft dazwischen gekommen mit ihrem Fieber im Gefolge, was mir den ganzen gestrigen Tag und auch diesen zur Hälfte raubte, so würden diese gefährlichen Leute jetzt längst in Regensburg hinter Schloß und Riegel sitzen. Jetzt aber hat Vincentius sich auf dem Rückweg mit ihnen beraten können, und seid versichert, daß er sich dazu Zeit gegönnt hat, wenn er auch noch so eilig erscheint, was bei seinem schlechten Gewissen und seiner Angst vor Entdeckung nicht verwunderlich ist. Nun, das ist nicht mehr zu ändern. Es ist aber von größter Wichtigkeit, daß er wenigstens von hier aus nicht mehr mit ihnen in Verbindung tritt.«
»Das ist schon ausgeschlossen. Ohne meine Erlaubnis kann niemand unter irgendeinem Vorwand die Burg verlassen.«
»Gut.«
Ottmar blickt stirnrunzelnd vor sich nieder und streicht sich mit der Hand übers Kinn.
»Wir könnten ihn natürlich sofort festsetzen lassen. Das würde aber peinliches Aufsehen machen und vor allem die ganze weibliche Besatzung der Burg, deine gute Schwägerin an der Spitze, in Erregung versetzen. Nein, wir wollen ihn am langen Seil halten. Einstweilen hab' ich ihm ja Beschäftigung gegeben, und ich zweifle nicht, daß er sich gänzlich der Arbeit widmen wird. Sollte er jedoch glauben, schon heute abend seine Münchener Reise antreten zu können, dann wird er sich wundern, wie besorgt ich um seine volle Nachtruhe bin. Morgen kann er in unserer Gesellschaft reisen. Denn wir dürfen jetzt nicht länger säumen, Renata. Morgen, vor Mittag noch, müssen wir aufbrechen mit allem, was wir an wehrhaften Männern mustern können.«
Renata neigt den Kopf.
»Ich werde sofort mit dem Hausmeier sprechen. Alles soll zu der Zeit fertig sein, die du bestimmst.«
»Und bis zuletzt wollen wir es unseren jungen Leuten verheimlichen. Ich meinem Famulus, du deiner Schwägerin.«
»Es wird schwierig sein, Gertrud von allen Vorbereitungen auszuschließen.«
»So lange wie nur möglich. Und daß sie dann nicht mehr mit ihm zusammenkommt. Ihr, Meister, folgt uns natürlich nach Regensburg.«
Der Kaufmann nickt.
»In meiner unmittelbaren Umgebung seid Ihr vorläufig sicher, wohin gedenkt Ihr Euch aber von dort zu wenden? Denn wie die Zeiten sich gestalten, dürft Ihr in Regensburg nicht gar zu lange verweilen.«
»Ich gedenke entweder über Basel nach den Alpen oder über Straßburg nach den Vogesen zu gehen.«
»Wir werden erforschen, welcher Weg der sichrere ist. Mit einem bischöflichen Geleitsbrief und Empfehlungsschreiben versehen, könnt Ihr dann gewiß eine stille Zuflucht in den Gebirgen im Süden oder Westen erreichen. Ob du in Regensburg bleiben kannst, Renata, ist eine Frage, die wir unterwegs erörtern wollen ... Ich sprach von Vincentius' Nachtruhe: – soll er dort oben in der Turmkammer schlafen?«
»Wo du selber wählst.«
»Er ist dort so weit weg. Ich meine, es ist besser, ihn unter Aufsicht zu halten, wenn du ein Polsterbett in der Stadtstube aufschlagen lassen kannst, habe ich ihn neben dem Alkoven gerade bei der Hand, die Tür kann sogar offen bleiben. Mir ist der Gedanke nicht recht, daß er so frei herumschleichen kann.«
»Dann wollen wir es so machen. Soll ich gehen und allein mit dem Hausmeier sprechen oder ihn rufen lassen?«
»Laß ihn lieber herkommen. Es ist besser, wir besprechen alles Nötige gemeinsam.«