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Noch spät am Abend brennt Licht in der Turmkammer.
Bischof Ottmar hat sein Vorhaben, an den Kanzler in München zu schreiben, nicht vergessen.
Eine kleine messingene Öllampe spendet spärlichen Schein. Er hat aber eine der kurzen, dicken Wachskerzen, die er immer auf Reisen mit sich führt, zu Hilfe genommen.
Ein Entwurf nach dem anderen. Er ist zu allem anderen als zum Schreiben aufgelegt – es wäre denn zum Schlafen, woran gar nicht zu denken ist.
Der letzte Entwurf womöglich noch weniger befriedigend als der erste – fort damit! Ottmar wirft die Feder hin und beginnt, sich eine neue zurechtzuschneiden.
Die kleine Arbeit ist ihm angenehm, weil sie ihn daran erinnert, daß Vincentius jetzt fast zwei Tage lang fern ist. Durch die peinliche Sorgfalt, die sie erheischt, wirkt sie auch beruhigend und gedankenfördernd.
Es fällt ihm ein, daß ein Schreiben vom Kanzler da ist, das sich gerade auf die bevorstehende Einweihung der Dominikanerkirche bezieht und das eine Äußerung enthält, die sich vortrefflich zum Ausgangspunkte dieses Briefes eignet. Das Schreiben muß sich in der fünfeckigen Kammer unter den Papieren befinden, die er Vincentius zum Aufbewahren gegeben hat.
Eine Sache bis morgen zu verschieben ist etwas, das Ottmar gegen das Blut geht. Er schiebt den Stuhl zurück, brennt an der Kerze eine kleine Handleuchte an und löscht Licht und Lampe aus. Der Schlüssel zur Kammer seines Famulus hängt an einem Nagel an der Tür. Mit diesem und mit seiner Leuchte bewaffnet, begibt sich der Bischof auf seine nächtliche Wanderung in das Labyrinth von Gängen, Treppen und Stiegen, das er aus und ein kennt.
Wenig ahnt es ihm, wohin sie ihn führen wird.
Auf dem Tische des Famulus findet er die Papiere mit der zärtlichen Sorgfalt geordnet, die eine der trefflichen Eigenschaften dieses jungen Mannes ist. Allein, wie es fast immer einmal diesen tadellosen Ordnungsmenschen ergeht, daß ihnen gelegentlich der Teufel durch ihre Pünktlichkeit selbst einen Streich spielt, indem der unfehlbare ›Punkt übers i‹ sich eigenmächtig über einen Nachbarbuchstaben setzt und das ganze Konzept verrückt: so ist es auch hier Vincentius ergangen.
Der Kanzlerbrief ist bald gefunden. Da alles Kirchliche sorgfältig in einem Stoße zusammenliegt, ist das Schreiben vom Mittelmünster nicht weit. Es fällt Ottmar ein, auch dieses mitzunehmen, um es Renata zu zeigen. Ein loses Blatt flattert dabei heraus. Er hebt es vom Fußboden auf. Natürlich liegt der Entwurf zur Beantwortung des Briefes, den er Vincentius übergab, richtig an dem Orte, wo er hingehört; wirklich eine unschätzbare Sache, ein so ordnungsliebender Famulus!
Aber – ist denn das seine eigene Handschrift?
Weder Krähenfüße noch Adlerkrallen – sondern Fliegenbeine – –
› Pattes de mouche – wie wir sie in der Sorbonne nannten, wenn wir einen Studenten neckten, der von weiblichen Händen briefliche Mitteilungen empfing, wie sie eilfertig übers Papier huschen! ... das ist ja Vincentius' Schrift... Ha – was ist dies? ...›Frater Martinus ... Schuld der Ketzerin ... der Bischof ihr alter Liebhaber‹ ...‹
Ottmar setzt sich, rückt die Leuchte näher heran, öffnet die kleine Hornscheibe, lehnt sich über das Blatt...
Je länger er liest, um so finsterer wird sein Gesicht.
›Aha, mein guter Vincentius! Vermutlich streckst du dich jetzt recht mit Behagen in dem schönen Bette, das dir das beste Gastzimmer in Telheims ›Weißem Roß‹ bietet. Aber ich möchte wissen, ob du so leicht einschliefest, wenn du mich hier mit diesem Brief in der Hand sitzen sähest ... Nur ein Entwurf. Der Brief selber ist via goldener Stierkopf an Frater Martinus gegangen. Par nobile fratrum! Also es war jedenfalls nicht daneben getroffen, daß ihr Beide unter einer Decke steckt!... Nur ein Entwurf, aber genug, um euch Beide hängen zu lassen, wenn's mir beliebt ... von dem elenden Wirt gar nicht zu reden.‹
Er legt Vincentius' Entwurf zum Münchner Brief und verwahrt sie beide in einer kleinen Ledertasche, die an einer Stahlkette an seinem Gürtel hängt. Das Schreiben vom Mittelmünster hingegen legt er an seinen Platz im Papierstoße zurück; dafür wird er jetzt doch keinen Gebrauch haben. Wenn er morgen mit Renata spricht, handelt es sich um dringlichere Dinge.
Er bleibt noch immer in der dunklen Kammer sitzen, wo die kleine Leuchte nur einen schmalen Lichtstreifen über die Tischplatte sendet, auf der seine Finger trommeln.
›Für Vincentius ist durch seine Münchener Reise gesorgt. Arbeit für morgen: – sofort den Wirt und den Bruder Martin festnehmen lassen ... möglichst früh und in aller Stille ... und nach Regensburg befördern, zugleich mit den Briefen an meine Kanzlei ... Martin wird nicht in sein Kloster eingeliefert sondern bei den Dominikanern, die ihn in einer wohlvergitterten Zelle verwahren. An seine Stelle kommt Bruder Klaus nach Langenstein, was er von Anfang an hätte tun sollen. Das war mein Fehler. Nun, es scheint sich ja alles zum Besten zu wenden. Ohne ihn würde ich dies für mein Verhältnis zu Vincentius so wichtige Dokument nicht in meiner Tasche haben ... Und das alles, denk' ich, macht es doppelt und dreifach klar, daß Renata von Langenstein fort muß.‹
Pst ... Hört er nicht Schritte nebenan?
Sollte sie noch wach sein? Es ist spät – wie spät weiß er nicht, aber es wird wohl auf Mitternacht gehen.
Ottmar erhebt sich, schleicht zu einer kleinen Tür in der Ecke des Zimmers, bleibt stehen und horcht. Dann schüttelt er den Kopf – er muß sich geirrt haben.
Er tritt wieder an den Tisch, legt den Papierstoß genau so zurecht, wie er ihn fand und verläßt die fünfeckige Kammer.
Aber er geht nicht in der Richtung zurück, aus der er herkam.
Er bleibt draußen im Gange stehen und späht nach links, während er die Leuchte abgewandt hält.
Ist nicht dort ein schwacher Lichtstreifen zu sehen, links unten, ein Dutzend Schritte entfernt?
Jetzt steht er an der Tür.
Ja, da drinnen ist Licht.
Er lauscht atemlos.
Schritte. Jemand geht hin und her.
Er pocht. Leise – sehr vorsichtig.
Die Schritte hören auf.
Er hat zu leise gepocht. Die Schritte entfernen sich wieder.
Nochmals pocht er an, immer noch sehr leise.
Die Schritte hören auf, gerade an der Tür.
Er lauscht.
Lauscht jemand jenseits der Tür? Kann er nicht Atemzüge von drinnen hören?
Das Blut hämmert in seinen Schläfen, läutet vor seinen Ohren. Wie sollte er durch die Tür Atemzüge vernehmen?
Nur noch ein leises Anklopfen.
Lautlos öffnet sich die Tür ein wenig.
»Ottmar, bist du es?«
»Ja, ich bin's, Renata.«
Vorsichtig schiebt er die Türe halb auf.
Er steht drinnen – im Gemache Renatas.