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Bischof Ottmar steht mitten auf der Brücke.
Er hat Halt gemacht an der gewohnten Stelle, wo der letzte Mauerpfeiler dem ersten Balken begegnet, und schaut hinauf, wo die Steine der Burg aus denen des Felsens emporwachsen. Dort oben grüßt das einzige sichtbare Fenster, das der ›Stadtstube‹, in der er diesmal noch nicht gewesen ist. Ob sich wohl noch Gelegenheit findet, hineinzugehen? oder ob er selber sie herbeiführen wird, lediglich um von dort aus auf die Brücke hinunter zu sehen, wie er jetzt von der Brücke zur Burg emporblickt?
Während er sich diese müßige Frage stellt, hallt ein Wellenschlag vieler Stimmen an sein Ohr, ohne daß er sie doch vernimmt.
Aber beim Weiterschreiten wird er sich ihrer bewußt. Er sieht auch jetzt unter dem Laubdache der Kastanienbäume vor dem Wirtshause viele Leute versammelt. Als er, um zu lauschen, stehen bleibt, tritt gerade Stille ein. Eine einzelne, durchdringende Stimme ergreift dann das Wort. Vermutlich ein Bußprediger, den die Seuche herbeigerufen hat. Allein dies Aufbrausen einer Stimmenwelle hat nicht den frommen Klang eines Responsoriums, selbst eines noch so kunstlosen. Ottmar geht ein paar Schritte weiter. Ein neuer, zorniger Brandungsschlag des Stimmenmeeres läßt ihn stillstehen. Gleich dem Nachplätschern einer schweren Welle zwischen den Steinen eines Felsufers ertönen Einzelrufe:
– »Ketzerin« ... »Beginenburg« ... »unsere Frauen und Kinder« ... »Bischof« ... »Nest ausräuchern« ...
Dies ist ernst, Er erinnert sich der Worte seines Famulus von der Gärung in der Stadt – Worte, deren er wenig geachtet hat. Hier ist Gärung, und mehr als das.
Ein paar Schritte weiter, wo der innerste Brückenpfeiler mit seinem Strombrecher hinaustritt, befindet sich eine Bank. Ottmar jetzt sich und lehnt sich zurück, so daß sein Kopf kaum die Brustwehr überragt. Es dürfte sich wohl zu wissen lohnen, was hier vorgeht.
Die durchdringende Stimme herrscht wieder allein, schließt aber mit einer Frage, gerade als Ottmar sich zum Lauschen zurechtgesetzt hat.
»Oder wütet etwa die Seuche auch in Lengefeld, in Eilfersdorf, in Kaltenbrunn? Habe ich vielleicht nur nicht davon gehört? ... Ihr müßt es wissen.«
»Nein, nein! . . Nur hier ... Nur bei uns.«
»Nur hier? Merkt euch das: nur hier! Und wo, frage ich euch, ist in meilenweitem Umkreis der Ort, wohin – sollte man meinen – die Dämonen der Seuche sich weniger wagen dürfen? Kein anderer als eben dieser, eure eigene Stadt? Und warum? Nun, welches Zeichen bringt die Macht der Höllenpforten zum Zittern? Das Kreuz und das Bild des Gekreuzigten! –vor diesem Zeichen verkriechen sich die Dämonen. Aber sieht man denn nicht, wenn man sich eurer Stadt nähert, gerade dieses Zeichen, ja mehr noch: man sieht den Gipfel Golgathas mit seinen drei Kreuzen sich über die Dächer eures Städtchens erheben, wie über ein Jerusalem. Denn die Frömmigkeit eurer Väter hat jenen Berg, wo einst heidnische Dämonen hausten zu einem Heiligtume des Heilandes gemacht, auf daß kein Übel diese Stadt befallen möge. Seid ihr denn von deren gottgefälligen Wegen so weit abgewichen, daß auch das Stärkste nicht Macht genug besitzt, um euch gegen den Bösen und seine Heerscharen zu beschützen?«
Der Redner macht eine Pause, damit die Angst und Zerknirschung seiner Zuhörer sich äußern kann.
Vom ersten Augenblick an kam Ottmar die Stimme des Bußpredigers bekannt vor. Längst hat er sie jetzt als die Brüder Martins erkannt. Ach, welch unverzeihliche Torheit beging er doch, als er gegen seine bessere Überzeugung sich von Vincentius überreden ließ, diesen stierköpfigen, kuttetragenden Bauernklotz nur deshalb herzurufen, weil er ein paar Kräuterrezepte mehr kannte als der gute Bruder Klaus! Wo hatte er nur seine Gedanken gehabt? Wahrscheinlich bei Renata! Nun, um so mehr hätte er alles andere der Rücksicht auf ihre Sicherheit unterordnen und diesen blöden Fanatiker fernhalten müssen. Gepriesen sei der gottgesandte Gedanke, der ihn wenigstens zu dieser Stunde in die Stadt hinuntergeführt hat!
Mittlerweile ist die Graukutte in ihrem Texte weiter fortgefahren und zwar auf einer neuen und gefährlichen Fährte.
Allerdings sei dieser Berg ja nicht der einzige hier zur Stelle. Noch näher erhebe sich ein Fels, der sogar der Stadt ihren Namen gegeben habe – lapis offensionis et petra scandali, das ist: – ein Stein des Anstoßes und eine Klippe des Ärgernisses, mit Mauern befestigt, von Zinnen gekrönt, der Sitz einer Ketzerin, wie Alle wüßten. Ja, wüßten nicht auch Alle, daß diese Felsenfeste sich anschicke, eine reche Hochburg der Gottesfeinde zu werden?
»Und als ich mich heut' in der Frühe eurer Stadt näherte, gerade als Gott seine Sonne über Gute und Böse aufgehen ließ, o meine Brüder! da überfiel mich ein großes Grauen. Denn über die Stadt sah ich diesen Fels mit seiner Burg und hohem Turm ragen, gleich wie ein Satanshorn. Und ich sah seinen Schatten sich strecken und sich schwarz über eure Dächer hinlegen, so, als ob ich den schwarzen Tod selbst sein Siegel auf die Stadt drücken sähe.«
Bischof Ottmar findet, daß infolge der Lage es mit einem Wunder zugehen müsse, wenn bei Sonnenaufgang der Burgfels seinen Schatten nicht über die Stadt hinstreckte. Diese Betrachtung scheint jedoch den Langensteiner Bürgern fern zu liegen. Die versammelte Menge fängt an zu murmeln, zu jammern, zu heulen, wobei die Kettenhunde des Wirtshauses und einiger Nachbarhöfe sich zum Mitheulen verpflichtet fühlen und jenes unheimliche langgezogene Gröhlen anstimmen, das Hunde – wie Gott und jedermann weiß – für Gewitter und für Leichname bereit haben. Das Gewitter hat schon eine Woche lang in der Luft gelegen, und Leichname gibt es leider genug in der Stadt, auch werden noch mehr dazu kommen.
Dieser Nachhall wirkt so einschüchternd auf die Versammlung, daß plötzlich eine vollkommene Stille eintritt.
Ottmar sieht, wie die am nächsten Stehenden sich ducken und bekreuzen.
»Wundert es mich denn, daß jener Greuel des Ärgernisses, jene gekrönte Arche der Pestilenz noch dort oben thront? Ach nein! Und warum denn nicht? Weil, o meine Freunde, die Hand Gottes stark aber langsam ist, die des Menschen eilig, aber schwach. Der Hand Gottes würde es nicht mehr Mühe kosten, jene trutzig ragende Burg in Trümmer zu stürzen, als jenes Kruzifix auf dem Gipfel des Kalvarienberges umzuwerfen. Dies freilich vermögen auch Menschenhände gar leicht. Die Hände böser und gotteslästerlicher Menschen hätten dies schon längst getan, wenn sie es gewagt hätten. Damit ihr diesen Schutz nicht besäßet, damit es wäre, als sei Christus nicht für euch am Kreuze gestorben. Hingegen um jene Mauern zu brechen, jenen Turm zu stürzen, ach dazu sind Menschenhände schwach – sehr, sehr schwach – – –«
»Mönch! Mönch! Menschenhände sind schwach, sagst du –?«
Es ist ein gewaltiger Baß, der den Mund des Predigers schließt.
»Schau mal her? Nennst du diese Hände ›schwach‹? Gib mir eine Wagenstange dazwischen, wohl mit Eisen beschlagen, wie sie von meinem Amboß kommt, und ich will das morsche Burgtor einrennen mit diesen meinen Händen – ›schwach‹, wie? – ich will die Ketzerin heruntertragen und auf den Scheiterhaufen werfen, den ihr mittlerweile anzünden könnt. Denn meine Enkelin ist heut früh gestorben, und meine Tochter liegt in den letzten Zügen, wenn sich Gott nicht erbarmt, wir wollen nicht der vornehmen Ketzerin wegen zugrunde gehen ... »Eine Wagenstange, eine Wagenstange!«
»Nein, wir wollen nicht ihretwegen sterben ... auf den Scheiterhaufen mit der Ketzerin ... Gebt ihm die Stange! ... Hinauf nach der Burg! ... wir wollen sie mit unseren Händen herunterreißen ... Stein um Stein ... mit unseren blutigen Fingern ... Eine Wagenstange ... Vorwärts! ... es lebe Kaspar der Schmied! ... Wo ist Stephan der Wirt? ... her mit deiner Wagenstange! Hier, Stephan! ... Da sind sie mit der Wagenstange ... Hoch Kaspar der Schmied!«
»O, ihr Freunde – –«
Die durchdringende Stimme des Graumönches verschafft sich mitten durch den Lärm Gehör: –
»Es sei fern von mir, ihr Freunde, eure Hände schwach zu nennen, wofern der Geist Gottes in euch ist! Denn Gott ist stark in den Schwachen ... Und noch weniger saumse – – –«
Das Wort bleibt ihm in der Kehle stecken.
Das Beifallsmurmeln, das es begleitet, verstummt ebenso jäh.
Aller Blicke folgen seinen starren Augen.
Da, wo die Sonnenstrahlen zwischen die beiden dicken Kastanienstämme hereinschießen, steht ein Mann – ein Fremder.
Eine dunkle Gestalt in dem Sonnenglanze. Mittelhöhe – scheinbar höher durch die Schlankheit des Schattenrisses und wegen der langen schwarzen Kleidung, deren feiner Stoff von dem zusammenhaltenden Sammetgürtel in leichten Falten herabgleitet. Von der viereckigen Seidenmütze wallt ein schmaler Florstreifen über die rechte Schulter und Brust herab und ist an der silbernen Schnalle des Gürtels befestigt. An der rechten Hand, die fast so weiß wie die elfenbeinerne Krücke des Stockes ist, blinkt ein rubinroter Siegelring.
»Der Bischof!« geht es dumpf von Mund zu Mund.
Der Raum hinter den Kastanienbäumen erweitert sich, als dies blitzende Augenpaar mit langsamer Würde die Runde macht.
Als es zu seinem ersten Ausgangspunkte zurückkehrt, hat sich das Bild etwas verändert.
Das Bierfaß, das dem Mönch als Kanzel diente, ist leer, und der vergoldete Stierkopf, welcher der heiligen Glatze als Glorie diente, schwingt noch blinkend in der Luft als Zeugnis der Schnelligkeit, womit sich die Wagenstange in den Torweg zurückgezogen hat.
Hingegen steht der Kämpe, dem diese gewaltige Waffe zugedacht war, noch immer auf demselben Flecke, nur daß er sich nicht mehr nach dem Bierfasse wendet, sondern dorthin, wohin die Blicke aller gehen. Der Mund gähnt unter der schwarzen Bartfülle, als hätte mitten in einem Gebrüll die Lippen der Schlag gerührt, während er seine rußigen Hände am Schurzfell abreibt, offenbar unter dem unklaren Eindruck, in vornehme Gesellschaft geraten zu sein.
Ein paar Schritte seitwärts, in der ersten Reihe der Menge, steht eine ältliche hagere Mannsperson, die sich offenbar anderswo besser befunden hätte. Eine passive Bewegung des Hervorgeschobenwerdens ist noch krampfhaft in den wackligen Spindelbeinen sichtbar. Der kleine rückwärts aufgekrempte Filzhut in seinen Händen hat eine Kahlstirn bedeckt, auf der die Schweißtropfen perlen. Unter farblosen Brauen blinzeln kleine Augen verzweifelt gegen das Licht. Aus dem fast zahnlosen Mund dringt eine meckernde Stimme, die darauf bedacht ist, den mißfarbigen Bocksbart, der vom Kinn über das rostbraune Wams herabhängt, nicht zuschanden zu machen.
Die Stimme versichert, daß aus eigenem Antrieb und im Namen der hier versammelten – –
»Heda!«
Der Bischof erhebt die Hand, daß der Rubin funkelt.
»Heda – Bruder Martin!«
Der Franziskaner, der soeben daran ist, in derselben Richtung wie die Wagenstange zu verschwinden, gibt, sichtlich widerstrebend, dies Vorhaben auf.
»Ich habe dir ein paar Worte zu sagen – denn ich war gerade unterwegs dich aufzusuchen. Du hast mir so einige hundert Schritte erspart.«
Der Rubin blinkt gebieterisch.
Bruder Martin schiebt sich hinter die Menge auf den Bischof zu, einigermaßen wie ein Hund, der dem Rufe seines Herrn gehorcht, aber mit gutem Grunde keines sehr freundlichen Empfanges gewärtig ist.
»Auf eigenen Antrieb und von der ganzen hier versammelten Bürgerschaft – –«
Neue Unterbrechung.
Der Bischof kehrt sich ärgerlich um.
An seinem Ellenbogen befindet sich ein mächtiger, mit schäumendem Bier bis zum Rande gefüllter Zinnhumpen. Er wird emporgehalten von einer Person, von der Ottmar außer einer roten Zipfelmütze nur noch den feisten Leib sieht, der im Begriffe scheint, über einen fettigen Ledergürtel hinabzukollern. Eine dicke Stimme murmelt unter dem Zipfel etwas von einem bewillkommnenden Labetrunk, den Seine Hochwürden nicht verschmähen wollen.
»Ach so. Wohl der Wirt vom goldenen Stierkopf?«
Der Zipfel senkt sich noch tiefer, ohne daß auch nur ein Tropfen des köstlichen Nasses verschüttet wird, was fast wie ein Gleichgewichtskunststück erscheint.
»Hat mein Famulus Ihm gestern einen Gruß von mir gebracht?«
Diesmal neigt der Zipfel sich seitwärts, und aus einem runden rotfleckigen Gesichte schielt ein Triefaugenpärchen zum Frager hinauf – immer noch ohne daß ein Tropfen verloren geht.
Es ist Ottmar zweifelhaft, ob Vincentius seinen Auftrag gestern ausgerichtet hat; unzweifelhaft ist es ihm, daß bei dieser Gelegenheit Worte zwischen den beiden gewechselt wurden, die jetzt dem Krugträger schwer im Magen liegen.
»Da Er mir keine genaue Erinnerung davon zu haben scheint, will ich Ihm sagen, daß der Gruß ein paar Folterbänke betraf, die im Rathaus zu Regensburg stehen. Ich selber kann Ihm jetzt den guten Rat geben, seine Wagenstange innerhalb des Tores zu behalten, wenn kein Wagen dahinter ist ... Verstanden?... Gut. Übrigens kann Er sein Bier dem Mann dort anbieten, wenn er einen Schluck nimmt, gleiten ihm vielleicht die Worte heraus, anstatt in der Kehle stecken zu bleiben.«
Was ein wenig ungerecht ist, da es Seine Hochwürden selber war, der den Redner zweimal unterbrochen hat.
Dieser hat weder den Mut zu trinken noch einen Trunk, der von solch hohem Herrn geschickt wird, zurückzuweisen. Er schlürft bescheiden davon, gerade genug, um den Bocksbart entlang ein Bierbächlein über das rotbraune Wams hinunterrieseln zu lassen, wonach er ratlos dasteht, den Humpen in der Hand. Der Schmied befreit ihn davon und führt das mächtige Trinkgefäß an seinen eigenen Mund, der, wie er meint, wohl eine Labung für seine kräftigen Worte verdient.
»Wer ist Er? sprich, Mensch, und rühre Er seine Zunge!«
»Ich bin mit Verlaub Eurer Hochwürden der Friedensrichter Heinrich – –«
»Friedensrichter,« unterbricht ihn Ottmar, der würdigen Obrigkeitsperson ihren Familiennamen schenkend – »und sehr am rechten Ort, wäret Ihr nur auch zur rechten Zeit erschienen. Denn Unfriede und Anstiftung zum Unfrieden scheint mir hier zu herrschen, ohne daß ich das Vergnügen hatte, Eure mächtige Stimme zu hören.«
»Euer Hochwürden wollen gütigst bedenken, daß unsere Stadt sich in großer Not befindet, da diese schreckliche Seuche noch keineswegs in Abnahme begriffen ist –«
»Umsomehr Grund für Euch, die Ordnung aufrecht zu erhalten.«
»Gewiß ... unzweifelhaft, Euer Hochwürden, der allerdringendste Grund. Weshalb ich mich denn auch hierher begab, sobald ich hörte, daß diese guten Bürger sich hier versammelten, um das Gemeindewohl zu beraten – –«
Aber der unglückliche Redner sollte wieder unterbrochen werden, diesmal von seiten des Schmiedes.
Nachdem der Riesenhumpen in diese kräftige Hand hinübergewandert ist, hat sein im Sonnenglanze glühender Boden erst die Wandlungen des zunehmenden, dann die des abnehmenden Mondes durchlaufen, bis er jetzt sich unsichtbar gen Zenith kehrt. Das Gefäß war mit Stephans stärkstem Bier gefüllt, und obwohl der Schmied danach aussieht, etwas vertragen zu können, übt der Trunk jetzt seine Wirkung aus.
» Beraten,« brüllt er mit großmächtiger Verachtung, sobald er mit einem lauten Schwapp den zinnernen Zirkelrand von seinen Lippen getrennt hat –» beraten! gebt mir meine Wagenstange – wo bleibt die Wagenstange? Sich versammelten, um zu beraten! Friedensrichter, Ihr seid ein meckerndes, bocksbärtiges Schwatzmaul – das ist's was Ihr seid! Wo zum Teufel bleiben sie mit der Wagenstange? ... Um zu beraten? Um eine verfluchte Ketzerin zu verbrennen, die uns alle ins Verderben stürzt – – – «
Diese tapferen Worte finden bei der Menge kräftigen Widerhall. Denn sie hat sich nach und nach von der Beschämung und Angst, in welche sie das plötzliche Erscheinen des Bischofs versetzte, einigermaßen erholt. Allenthalben ertönen die Rufe: »Auf den Scheiterhaufen mit der Ketzerin« – »verbrennt die Hexe« – »die Giftmörderin« ...
Wüthend dreht sich Ottmar um, als eine einzelne Stimme dicht hinter ihm das Wort herausschleudert ...
Ein noch jugendlicher Geselle in auffallend buntem Anzug entzieht sich so schnell der unmittelbaren Nähe des erhobenen Ebenholzstockes, daß er heftig an einen der Trinktische stößt. Da dieser nur aus ein paar über drei Schrägen gelegten Brettern besteht, liegt der bunte Mann sofort auf der Erde zwischen Schrägen, Brettern und Krügen, deren einer ihm einen derberen Schlag auf den Kopf versetzt als ihm angenehm ist. Er wird von den Nächststehenden aufgesammelt und unter allgemeiner Teilnahme, wesentlich heiterer Art, der gefährlichen Nachbarschaft entzogen, – so daß der ganze Vorgang wohltuend und spannungslösend wirkt.
Bischof Ottmar sieht ihm mit dem Gefühl nach, die Hälfte seines Vermögens dafür geben zu wollen, wenn er ihn mit höchsteigenen wohlgepflegten Händen erwürgen könnte. Er ist sich bewußt, durch seine große Beweglichkeit seine bischöfliche Würde etwas in Gefahr gebracht zu haben, wenn es auch zuletzt glücklich abgelaufen ist. Nicht weniger leuchtet es ihm ein, daß die Art und Weise, auf die er einen unbekannten Gegner aus dem Felde schlug, nicht sehr überzeugend wirkt, während es doch gerade dringend geboten ist, so überzeugend wie möglich auf diese Menge einzuwirken.
Weshalb er sich an sie wendet und seine Hand erhebt.
Das Blinken des Rubins hat eine wunderbare Gewalt.
Augenblicklich tritt Ruhe ein.
»Ihr Langensteiner Bürger! Ihr alle habt gehört, welch anklagendes Schmähwort der feige Verleumder, dessen böses Gewissen ihn vor Euren Augen schlug, gegen Eure gnädige Herrschaft geschleudert hat. Ich zweifle nicht daran, daß, wenn jemand in der Burg in schwerem und tödlichem Leiden daniederlag – –«
»Ihr Gemahl« ...
Es ist eine einzelne Stimme aus den hinteren Reihen.
Sie weckt Bewegung ringsum, scheint aber den Bischof weder zu überraschen, noch zu verwirren.
»Wer auch der Kranke war, ich zweifle nicht, daß Frau von Laufen seine Schmerzen gelindert habe mit den Tropfen eines köstlichen arabischen Balsams, von dem mir wohlbekannt ist, daß er seit dem letzten Kreuzzug, an dem der Großvater der edlen Burgfrau ruhmreich teilnahm, im Besitze der Familie ist. Beim Tode meines eigenen Großvaters, des getreuen Kameraden Valentins von Langenstein, war ich Zeuge der schmerzstillenden Wirkung dieser sarazenischen Tropfen. So viel von dieser niederträchtigen Verleumdung, die strafbar ist und bestraft werden wird.«
Er ruft die letzten Worte mit erhobener Stimme, von einem Blicke begleitet, der eine Welle des Schauers durch die Menge jagt.
»Unzweifelhaft wird es sich zeigen, daß es mit der nicht weniger strafbaren Anschuldigung der Ketzerei dieselbe Bewandnis habe. Jedenfalls ist dies eine Frage, worüber Schmiede und Wurstmacher nicht zu Gericht sitzen können. Ihr werdet das Eurem Bischof überlassen. Eben zu diesem Zwecke bin ich nach Burg Langenstein gekommen, und meine Untersuchung ist schon in vollem Gange.«
Diese Ankündigung erregt Bewegung. Ottmar bemerkt zu seiner Befriedigung, daß die Wirkung von wesentlich vertrauenerweckender Natur ist. Er hat die Menge in der Hand und ist allein mit ihr. Der Schmied ist verschwunden. Die wenig furchtgebietende Gestalt des Friedensrichters befindet sich freilich noch vor der ersten Reihe, jedoch nicht als Wortführer, sondern vielmehr als Diener, der vom Munde Seiner Hochwürden seine Befehle erwartet; die er denn auch erhält.
»Und Ihr, mein Herr Friedensrichter, werdet Eure Mitbürger nach Hause schicken und Sorge tragen, daß sie sich nicht mehr versammeln, weder heute noch an den folgenden Tagen. Widrigenfalls Ihr des Ungehorsams schuldig seid gegen Eure kirchliche Obrigkeit und des Landfriedensbruches, mindestens des Versuches eines solchen. Ebenfalls halte ich Euch verantwortlich für jeden Zuwachs, den die Seuche erhalten möge durch die höchst törichte Zusammenrottung von Leuten aus allen Ecken der Stadt, ja, wie mir scheint, selbst aus nahen Dörfern; was mehr als alle Ketzerei geeignet ist, die Ansteckung weiter zu verbreiten ... Komm, Bruder Martin!«
Der Mönch hat seinen kurzen Bericht über den Zustand in der Stadt und seine vorläufigen Maßregeln erstattet, und sie sind so weit gekommen, daß die Bretter der Holzbrücke unter ihren Sohlen federn, als der Bischof plötzlich stehen bleibt. Er betrachtet seinen nunmehr schweigenden Begleiter mit einem Blicke, der die rätselhafte Wirkung hat, daß die kleinen Schweinsaugen des Mönches angestrengt in das fließende Wasser hinunterstarren, und ein tiefer Seufzer sich seiner breiten Brust entringt, um in ein feierliches › Eheu!‹ auszumünden.
Nicht übermäßig viel Latein steht Bruder Martin zu Gebot; aber er findet, daß die Feierlichkeit des Augenblicks diese Sprache dringend verlangt, was innig gern fortsetzen – findet nur ein › fugaces anni‹ – sieht ein, daß ›die flüchtigen Jahre‹ nicht anwendbar sind und gibt mit einem verzichtenden Seufzer den ehrgeizigen Versuch auf.
»Und wie kommt es, daß ich dich, Bruder Martin, auf einem Bierfaß stehend als Volksredner finde?«
Trotz der Abendröte, die das Flußtal erfüllt, nimmt Bruder Martins Gesicht eine graublasse Färbung an. Seine Zunge ist schwer, als er umständlich der Hoffnung Ausdruck gibt, Seine Hochwürden mögen Nachsicht üben mit einer Schwäche des Fleisches, über die er – wie er bekennen muß – noch nicht Herr geworden ist: eine Vorliebe nämlich – besonders an einem so heißen Tage – für einen Trunk kühlen Bieres. Eben dieser sündhafte Trieb war es, der ihn, nachdem er seine Runde von Krankenbesuchen erledigt hatte, hinunter nach dem goldenen Stierkopfe lockte. Hier habe er nun eine große Menge Bürger versammelt gefunden, die sich in sehr erregter Stimmung befanden, weshalb er fühlte – sehr gegen seine Neigung, die ihn im Gegenteil warnte, seine Kehle nicht noch trockener zu machen – fühlte er, daß seine Pflicht ihm gebiete, zu dem Volke zu reden, um die Gemüter zu beruhigen.
»Was dir ungefähr so gut gelang, wie wenn es einem roten Fähnchen einfiele zu flattern, um einen rasenden Stier zu beruhigen.«
»Einen rasenden Stier – ach ja, Euer Hochwürden treffen den Punkt genau, und Ihr wißt in Eurer Weisheit noch besser als ich, daß wenn man es mit rasenden Leuten zu tun hat, man zunächst auf ihre Verrücktheit eingehen muß, auf die eigene Art ihrer dementiae, indem man ihnen nach dem Munde spricht, um ihr Vertrauen zu gewinnen; wonach man sie dann leitet, wohin man will. So hatte ich schließlich den Langensteiner Bürgern gezeigt, daß Euer Hochwürden ja jetzt auf der Burg Euren Wohnsitz aufgeschlagen haben, und demnach von nun an statt des Fluches nur Segen von dort oben über ihre Stadt herabströmen werde.«
»Es ist allerdings schade, daß mir dieser Teil deiner Rede verloren ging. Obwohl ich dich hierher berief wegen deiner Kenntnis der Baderkunst und der edlen Wissenschaft des Hippokrates und nicht wegen deiner Beredsamkeit, welche,die Wahrheit zu gestehen, nie sehr groß war. Weshalb ich denn auch den weit jüngeren Bruder Ambrosius zum Prior ernennen mußte.«
Martins Gesichtsfarbe wechselt wieder – diesmal im Einklange mit der Abendröte, welche sie jedoch bei weitem übertrifft.
Ottmar lächelt: –
»Das Gesicht, das du machst, mein Sohn, erinnert mich an das Verschlucken deiner bitteren aber heilsamen Kräuterdekokte, die deine Stärke sind und woran du dich halten solltest – zumal in diesen Zeiten. Jeder an seinem Ort und alles zu seiner Zeit! Wer war das übrigens, der zu rechter Zeit seinen sehr passenden Ort zwischen umgestürzten Tischen und Krügen fand – jene bunte Person, die sie hinausschleppten?«
»Ein Meister der Schneiderzunft und Schwiegersohn des Wirtes im goldenen Stierkopf.«
»Ach so! ... Hm ... Du kannst übrigens auf dem Rückwege bei ihm vorsprechen, und sehen, ob er irgendeinen Schaden an den Gliedern oder am Gemüt davon getragen hat. Unzweifelhaft wird dir deine ärztliche Weisheit gebieten, ihm recht einzuschärfen, daß er sich eine Woche oder so ruhig zu Hause halte. Damit Gott befohlen!«
›Und dem Teufel, wenn es ihm gelüstet, dich zu holen!‹ murmelt der Bischof und schickt seinem schlecht angeschriebenen Untergebenen einen bösen Blick nach ...
›Jetzt muß Vincentius in Telheim angekommen sein.‹
Ottmar ist an der ersten Biegung des Felsenpfades stehen geblieben und blickt hinaus über das offene Land jenseits des Flusses.
Über einem blaßblauen Waldhügel versinkt die strahlenlose Sonnenscheibe in dicken Dunst, der schon die Hälfte von ihr verschlungen hat.
Vincentius in Telheim – –
Jedesmal, wenn das Bild seines Famulus in ihm aufsteigt, nimmt es einen dunkleren Farbenton an.
›Gut, daß ich ihn wegschickte, bevor dieser dickschädelige Fanatikus seine plumpen Bettelmönchsohlen auf die Straßen Langensteins setzte. Ich möchte wohl wissen, was eigentlich die Beiden verknüpft! Wie eifrig befürwortete Vincentius, daß dieser Martin Prior werden solle, obwohl mein Schreiber gescheit genug ist, um einzusehen, daß sich der Mann für eine solche Stelle gar nicht eignet. Sie sind doch sonst verschieden genug. Ist es jene rätselhafte affinitas, die immer zwei Schelme sich freudig begrüßen läßt, während zwei Ehrenmänner oft achtlos an einander vorübergehen? Möglich, daß ich Vincentius Unrecht tue. Jedenfalls paßt es mir aber nicht, daß die Beiden hier in Langenstein die Köpfe zusammenstecken. Stier und Fuchs im Bunde, das ist ein schlimmes paar Fabeltiere; da kann selbst der Leu einen schwierigen Stand bekommen. Er ist gerade jetzt in Telheim angelangt; morgen fängt er seine Untersuchung dort an. Übermorgen, spät am Nachmittage, kann er in Regensburg sein. Dort wird er hoffentlich ein paar Tage aufgehalten werden.‹
Ottmar scheint keine rechte Beruhigung in diesen Gedanken zu finden, die er lange verfolgt, während er hinausblickt, wo die letzte Sonnenglut erlischt, ohne auch nur ein schwaches Purpurfleckchen auf dem farblosen Himmelsgrunde zu hinterlassen.
Dann schüttelt er den Kopf.
›Ich weiß aber, was ich tue! Ich werde einen Boten an meine Kanzlei schicken, daß Vincentius von Regensburg nach München reisen soll, damit er dort wegen der Einweihung unserer Ordenskirche mit dem Kanzler Rücksprache nehme. Der Bau verdient wahrlich, daß der Herzog zu dieser Festlichkeit herkäme. Noch heute abend werde ich den Brief an den Kanzler schreiben.‹
Mit schnellen und leichten Schritten setzt Ottmar trotz der Schwüle des Abends seinen Aufstieg fort.
Welche Wirklichkeitsgrundlage nun auch das Vorgefühl haben mag, das ihm seinen Famulus als eine drohende Gefahr zeigt: – durch diesen Entschluß meint er ihr vorgebeugt zu haben.