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Fünftes Kapitel

Nur das Spankörbchen.

»Und wo ist Mutter Ursula?« fragt der Gottesfreund, als die Tür sich hinter den Weggehenden geschlossen hat und nur Renata, Gertrud und Konrad bei ihm zurückbleiben. »Hoffentlich doch nicht krank?«

»Nein«, antwortet Renata; »sie ist so rüstig wie immer. Sie pflegt den Bischof.«

»Da tut sie recht. Samariterdienst zu verrichten ist besser als der besten Predigt von dem barmherzigen Samariter zu lauschen.«

»Ursula war aber sehr betrübt, Euch heute nicht hören zu können«, sagte Gertrud. »Und ich mußte versprechen, gleich nach der Predigt zu ihr zu kommen und ihr davon zu berichten. Das ist nun freilich nicht so leicht getan; aber eine Stelle weiß ich, die werde ich gewiß wortgetreu wiedergeben, und sie wird meiner guten Ursula ganz besonders gefallen.«

»Welche Stelle mag das wohl sein? Da bin ich in der Tat neugierig.«

»Das ist die von dem Hunde des griechischen Königs.«

Konrad lacht schmunzelnd.

»Das trifft zu. Mutter Ursula liebt ihren ›Paßauf‹ zärtlich.«

»Und noch vor ein paar Tagen«, fügt Gertrud hinzu, »sagte sie mir: ›Gott verzeih' mir's! aber manchmal wünsche ich, ich könnte Gott so treu lieben, wie ›Paßauf‹ mich. Freilich hat er mich auch immer vor Auge, und das ist eine große Hilfe‹.«

»Ei, da hat die gute Ursula gar nichts Ungescheites gesagt. Freilich sind wir den Tieren gegenüber gleichsam die Götter, und der Hund kann seinen Gott sehen. Das ist ein Vorteil, aber auch ein Nachteil. Denn sein Gott ist danach. So wollen wir denn froh sein, einen Gott zu haben, den wir nicht sehen können, weil er ein Geist ist. Und wir wollen es deshalb auch nicht mit jenen halten, die sich vorzüglich deshalb an unseren Herrn Jesum klammern, weil er einmal sagt: ›Wer mich sieht, sieht den Vater‹ – als ob wir durchaus etwas sehen müßten, anstatt uns an dem ›Worte‹ zu erbauen, das von Anfang an bei Gott war und zu unserem göttlichen Teile spricht. Und so merkt Euch das, ihr Lieben: Je deutlicher jemand seinen Gott schaut, vom getreuen Hund an bis zur gelehrten Theologia, die ihn mit dem Auge des Denkens schaut: – je deutlicher und faßbarer, um so mehr ist sein Gott danach.«

»Aber« – wandte er sich an Gertrud – »vielleicht rechnest du auch dies zu den ›gar zu tiefen Reden‹, die du nicht verstehen kannst.«

Gertrud sieht Renata vorwurfsvoll an.

»Ja, ich habe schon dem Meister von unserem Gespräch in der Stadtstube erzählt, und daß du viele Fragen auf dem Herzen hast.«

Der Gottesfreund nickt dem Mädchen freundlich zu.

»Schüttle mir sie nur alle aus! Aber gar zu nahe sollst du dir's nicht gehen lassen, wenn dies und jenes dir zu tief erscheint. Meister Eckehart beschloß des öfteren seine Predigt mit den Worten: daß ihr dies verstehet, ist nicht vonnöten. So sage ich auch manches, was den meisten der Zuhörer, ja vielleicht allen nicht faßbar ist. Möglich, daß doch Einer da ist, der es versteht; den Anderen gibt es zu denken oder doch zu ahnen. Es ist aber besser, daß etwas wahr ist und wird gesagt und bleibt unverstanden, als daß nur das wenige Wahre, das leicht verständlich ist, gesagt werden sollte. Sage du aber nur der guten Ursula, was du verstanden hast, sie wird auch so nicht zu kurz kommen.«

»Das denk' ich auch«, meint Konrad treuherzig – »denn freilich, daß so ein gelehrtes Ritterfräulein, das sogar Lateinisch versteht, es sich vornimmt, über eine Predigt zu berichten, das läßt sich wohl noch hören; daß aber so ein ledernes Stück Hausmeiertum wie ich sich auch zu etwas Ähnlichem verleiten läßt – denn wie meinem gnädigen Fräulein mit der Mutter Ursula, so geht es mir mit Kunz –: was soll man dazu sagen?«

»Zum Beispiel«, antwortet der Gottesfreund, ihn aufmunternd auf die Schulter klopfend: – »manches Stück Leder, das da wähnte ein Stiefel werden zu sollen, ist zum Einband einer Postille gestreckt worden.«

Aber Konrad schüttelt mißmutig den Kopf.

»Ich weiß nicht, Meister, aber sicher ist es, daß ich Kunz versprach, wenn nicht gerade den Inhalt der Predigt, so doch ein paar gute Kernworte hinauf nach seinem Guckloch im Bergfried zu bringen, wo er gerade seine Morgenwache angetreten hat. Er wollte sie keinem andern anvertrauen bei der Wichtigkeit des Amtes gerade jetzt, wo Burg Langenstein den geächteten großen Gottesfreund beherbergt. Denn kein anderer besitzt sein altes Luchsauge, das alles sieht, was auf irgendeinem Pfade kriecht und schleicht. Es wäre freilich auch nicht leicht gewesen, einen Stellvertreter für ihn aufzutreiben, der gutwillig seine Morgenwache übernommen hätte; denn es dürfte wohl niemand hier auf Burg Langenstein geben, der nicht lieber sein Mittagsbrot entbehren wollte als diese Predigt.«

Der Gottesfreund lacht wohlgefällig: –

»Ihr haltet es hier wahrlich anders als in meinem Heimatsort, als ich noch jung war. Da war ein recht trockener Prediger. Das Kirchlein durfte jedoch nicht leer sein, wenn er auf der Kanzel stand, und jedes Gehöft schickte jemand hin, wenn es auch nur der jüngste Bube war. Da war es denn so eine Redensart bei uns: ›Irgendeiner muß halt die schlimmste Arbeit verrichten, sagte der Bub, er ging in die Kirche.‹«

Sie lachen alle über dies Geschichtchen, das der Meister mit Gutlaunigkeit in seiner urwüchsigen heimatlichen Mundart erzählt, die ihm so natürlich kommt aus der Erinnerung der Kindheit und der ersten Jugend, welche er vor allen Lebensstürmen in einem ruhigen Landstädtchen verlebt hatte.

»Gewiß«, sagt Renata, »wir halten es hier anders.«

»Das macht«, fügt Konrad hinzu – »Ihr lehret nicht wie die Schriftgelehrten, sondern wie einer, der Macht und Befugnis hat.«

Fast erschrickt er selber über diese dreiste Anwendung eines Schriftwortes. Er erwartet eine Rüge. Sie erfolgt auch, aber aus einer unerwarteten Himmelsrichtung.

Ein schneller, scharfer Blick der tiefen, dunkeln Augen trifft ihn: –

»Wenn ich Macht und Befugnis hätte, würde ich dir verbieten, den Gast deiner Herrin, Seine Hochwürden, so feindlich anzusehen, wie du es heute früh tatest.«

Renatas Augen blicken den Hausmeier vorwurfsvoll an. Gertrud lächelt ihm freundlich zu.

Der letztere Blick wird vom Meister im Fluge aufgefangen.

»Und dir«, – wendet er sich an das Fräulein – – »solche unchristliche Gesinnung durch einen solchen Blick zu ermuntern. Schwarze Frauenaugen können Schaden genug anstiften, ohne sich in den Dienst des Hasses zu begeben.«

Gertrud schlägt die Augen nieder und errötet wie ein Schulmädchen, das hinter dem Rücken des Lehrers bei einem bösen Streich ertappt wird.

Auch Konrad läßt den Kopf hängen.

»Ich kann halt nimmer vergessen, wie ich damals auf dem grünen Wörth meinen lieben jungen Herrn in den Armen hielt – –«

»Da haben wir dieselbe Sache, von der ich sprach. Ja, wenn damals der Teufel Haß in der Degenspitze Junker Ottmars von Winterstetten gesessen hätte, dann mochtest du eine Entschuldigung haben. Aber der Haß saß in der Degenspitze deines Herrn.«

»Der Haß war nur Liebe,« fährt Gertrud dazwischen, den Meister mit einem freimütigen Blicke ansehend, indem ihre Wange sich mit einer Röte ganz anderer Art färbt. »Verkleidete Liebe. Ihr wißt, es war die Zeit des Mummenschanzes.«

»Und treue Liebe war es, die ihn dazu drängte, mit der Waffe in der Hand seine Herrin zu verteidigen,« fügt Konrad hinzu, der sich wieder aufgerichtet fühlt.

»Ei, ei!« ruft der Gottesfreund lächelnd – »Ihr treibt mich ja hart in die Enge – noch dazu mit meinen eigenen Worten! Aber so ganz reine Liebe war es nun doch wohl auch nicht, da Teufelchen Eifersucht sich ihr zugesellt hatte. Doch ich will deinen Bruder nicht belasten. Er hat härter gebüßt, als er es verdiente. Schwesterlicher Liebe muß man etwas zugute halten. Deiner Treue auch, Konrad. Aber freilich bist du zu alt, um so lange unvernünftigen Groll zu hegen, und unvernünftig ist er.«

»Und der Preis, den er auf Euer Haupt gesetz hat?«

»Nun, ich denke, wenn ich ihm deshalb nicht grolle, brauchtest du es auch nicht zu tun.«

»Ihr müßt das besser verstehen, Herr, und ich werde mich noch für gnädig davongekommen erachten, wenn es bei seiner Hochwürden bleibt und ich nicht außerdem noch den Famulus lieben muß.«

Diesmal ist der Blick, den die schwarzen Frauenaugen dem Hausmeier zuschicken, weder aufmunternd noch freundlich. Er wird ebenso schnell wie sein Vorgänger vom Gottesfreunde aufgefangen.

»Der Famulus? – Ach ja, ich entsinne mich jetzt, ihn in Lengefeld, im Krug zur grünen Tanne, gesehen zu haben. Der junge Mann sah aus, als ob er nicht auf den Kopf gefallen sei.«

»Ich wünsche, er wäre es – und aus beträchtlicher Höhe!«

Der fromme Wunsch ist zwar eigentlich nur dem Barte anvertraut, jedoch für alle ziemlich vernehmbar.

Gertrud erblaßt und muß an sich halten, um nicht einen Schrei auszustoßen, der nunmehr sich nur als ein Schnappen nach Luft äußert.

Kopfschüttelnd wendet der Meister sich an Renata: –

»Genießt der junge Mann ebenso wenig Gunst bei den Frauen, wie bei diesem rauhen Vertreter der Schwertseite?«

»Ich will nicht so weit gehen wie Konrad,« antwortet Renata, die der bissige, nur halb verbissene Ausbruch des getreuen Dieners auch unheimlich berührt hat. – »Aber lieb wäre es mir, wenn ich ihn nie mehr zu Gesichte bekäme.«

»Und das Fräulein? Hat er auch dort keine Gnade gefunden?«

War Gertrud vorher blaß geworden, so errötet sie jetzt glühend unter dem fragenden Blicke, der bei allem Wohlwollen immer etwas Durchbohrendes, Herz und Nieren Prüfendes an sich hat. Sie antwortet nicht, sondern wendet sich mit vorwurfsvollem Unmut an ihre Hausgenossen: –

»Ich weiß wahrlich nicht, was ihr beide gegen den armen jungen Mann habt. Er war immer so freundlich zu mir. Wie hübsch half er mir Erdbeeren pflücken – mehr als eine Stunde lang – in der glühenden Hitze auf der Berglehne! Und er trug mir den Korb nach Hause, obwohl ich es anfangs nicht zulassen wollte.«

»Nun dann allerdings! Es wird wohl ein richtiger Tragkorb gewesen sein?«

Gertrud hat es sonst gern, wenn der Meister scherzt oder sie gar ein wenig neckt, und geht immer herzhaft darauf ein; sie fühlt sich ihm dabei so viel menschlich näher. Aber diesmal antwortet sie ganz kleinlaut:

»Nein, es war nur das Spankörbchen, aber es war übervoll und gar nicht leicht.«

Und da sie die Tränen schon in der Kehle fühlt, murmelt sie schnell etwas von Mutter Ursula, die sie gewiß ungeduldig erwarte, und eilt zur Tür hinaus, die der schon etwas reuige Hausmeier schleunigst öffnet. – Sie bekommt noch einen Gruß an Ursula mit auf den Weg: der Meister habe ihr treues Gesicht in der ersten Reihe recht sehr vermißt.


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