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Der Hausmeier hält den breiten, gestickten Zügel, während der Famulus bereit steht, seinem hohen Herrn beim Absitzen behilflich zu sein – sorgfältige Vorbereitungen, die, wie sich sogleich zeigt, lediglich zeremoniellen Wert haben.
Der milchweiße Zelter steht so still vor den Stufen des Portals, als wäre er aus Marmelstein gebildet; und trotz des langen Gewandes schwingt sich der Reiter mit derselben Behendigkeit vom Sattel, wie er es an derselben Stelle vor anderthalb Jahrzehnt schon so oft getan hat – springt aus dem Steigbügel und befindet sich im blendenden roten Scheine der Kieferfackeln zwei Frauengestalten unmittelbar gegenüber. Die eine in einem einfachen, aber anmutigen Werkeltagskleide; die andere, wie zum Fortgehen bereit, in einen dunkelgrauen Kappenmantel gehüllt – beide sich so tief verneigend, daß sie fast knieen.
Und während er die Hände segnend emporhebt, fliegt sein Blick forschend zu der Frau im Mantel.
Die Gestalt ist zu tief in den eisengrauen Strom geknickter Falten getaucht, als daß es möglich wäre, zu erkennen, ob sie jungfräuliche Schlankheit gegen matronenhafte Würde eingetauscht hat. Die Rundung der Wange, undeutlich in flüchtender Linie erblickt, scheint eher ihre Weichheit eingebüßt zu haben. Aber das Haar – diese braunen Flechten, deren Fülle, mit Goldwirbeln im Scheine der wabernden Fackelflammen flimmernd, über das Bogenjoch des weißen Nackens fließt und deren Glanz in der Grotte der zurückgeschlagenen Kapuze erlischt: – ist es Verblendung? ihm scheint, es sei noch prachtvoller, noch königinhafter geworden! Und als nun die segnenden Hände sich senken, streifen die Fingerspitzen der Rechten diese Haarfülle, so daß der große Siegelrubin einen zögernden Augenblick zwischen den Flechten glüht und blitzt. Eine Berührung, so leicht wie ein Hauch, und doch springt dadurch ein Funken der Lebensflamme in seinen Körper hinüber, daß ihm ist, als wäre dieser Körper fünfzehn lange Jahre nur ein sinnlich wahrnehmender und denkender Leichnam gewesen.
Was hätte er nicht darum gegeben, dieses haargekrönte Haupt mit beiden Händen umfassen zu können, diese Gestalt zu sich emporzuheben, nein, selber vor ihr niederzusinken, sein Gesicht in diesen Mantelfalten zu verbergen und zu schluchzen – – –!
Aber schon ist neues Emporheben der Hände erforderlich – diesmal drinnen in der Halle, wo das versammelte Burggesinde kniend den Segen des Kirchenfürsten erbittet und empfängt.
Jetzt kann Renata den Kopf erheben. Hier, wo die Fackeln mit fast stillstehenden Flammen brennen, kann sie endlich sein Gesicht betrachten.
Ja, er hat sich verändert. Die gebogene Nase erscheint schärfer und länger zwischen den eingesunkenen Wangen, die hellgrauen Augen haben sich tiefer unter die Stirn zurückgezogen; besonders aber ist die Linie, die sich vom Nasenflügel um den Mundwinkel herumzieht, scharf geworden und hat sich bis in das Kinn hinaus fortgesetzt.
Er hat viel gedacht, noch mehr gelitten.
Noch gänzlich in Anspruch genommen von diesem neuen Gesicht, welches das alte ist, bringt sie ihre förmlichen Entschuldigungen vor, daß sie Seine Hochwürden in dieser Kleidung empfangen müsse, die so wenig der feierlichen Gelegenheit angepaßt sei, sowie auch, weil sie das Gesinde nicht habe ordentlich versammeln können, um Hochwürden einen Empfang zu bereiten, wie ihn unter günstigen Verhältnissen Burg Langenstein ihrem bischöflichen Oberherrn gegenüber gewiß nicht hätte vermissen lassen.
Und es ist nichts Neues in diesem leuchtenden Lächeln, womit Bischof Ottmar – nein, schlecht und recht Ottmar – ihren Entschuldigungen lauscht und sie für völlig überflüssig erklärt; und ebensowenig in dem fast schalkhaften, womit er den Bericht seines Famulus über dessen Unfall empfängt, und das die Bereitwilligkeit des geborenen Junkers, die ungelenke Reitkunst des bürgerlichen Schreibers in Rechnung zu ziehen, gar deutlich widerspiegelt. Neu ist ihr auch nicht der besorgte Ausdruck menschenfreundlicher Teilnahme, der aus seinen Augen spricht, als er sie selber und den Hausmeier nach dem Zustand des verseuchten Städtchens fragt.
Als er nunmehr aber kurz und klar dem Famulus Anweisung gibt, verschiedene Schriftstücke an seine Kanzlei aufzusetzen, dieses und jenes Inhaltes, alle zu dem Zwecke, schnelle und wirksame Hilfe zu schaffen – Sendung von allerlei Heilmitteln und eine Mission von arzneikundigen Franziskanern – Briefe, die ihm noch heute Abend zur Unterschrift vorgelegt werden und dann mit reitenden Boten abgehen müssen – als er so in der Würde und Macht seines Amtes dasteht, da wird auch das Neue sichtbar: das Gepräge des fertigen Mannes, der gewohnt ist, Verhältnisse und Anforderungen des Augenblicks zu übersehen, um schnell seine Entschlüsse zu fassen, und der gewiß ist, daß seine Verfügungen ausgeführt werden.
Mehr als einmal hat Renata von Ottmar sagen hören, er würde bis zu den höchsten Rangstufen der Hierarchie emporsteigen. Jetzt sagt sie sich selber, daß ein Kardinalshut nicht übel auf diesem Kopfe sitzen müßte.
Vergeblich aber späht sie mit ängstlicher Erwartung nach dem Neuen, das sie fürchtet: einem Glutschimmer des Fanatismus, einem Schatten des Dunkelmännertums, das doch nicht ganz fehlen kann bei einem Manne, der soeben einen Preis auf den Kopf ihres Herrn und Meisters, des großen Gottesfreundes, ausgesetzt hat.
Dies Element hat keine Gelegenheit gefunden, sich zu offenbaren, und findet sie auch vorläufig nicht. Denn von seinem Famulus wendet er sich jetzt an sie selbst, während jenes leuchtende Lächeln noch immer auf den ausdrucksvollen, vielleicht etwas zu kräftig geschnittenen Lippen liegt:
»Ich darf Euch wohl bitten, edle Frau, meinem Famulus eine ruhige Ecke anzuweisen, wo er seiner Schreiberei obliegen kann, die, wie ich hoffe. Eurem Städtchen zu Nutz und Frommen gereichen wird. Habt Ihr übrigens schon Bestimmungen getroffen, wo Ihr den ungebetenen Gast unterbringen wollt, der Euch zu so später Stunde überfällt? Ihr habt kurze Frist dazu gehabt.«
»Ich brauchte keine lange, Hochwürden. Das Gemach meines Vaters ist der einzige Raum, der sich für einen Gast Eures Ranges ziemt. Ihr werdet auch dort den Vorteil genießen, Euren Famulus unmittelbar bei der Hand zu haben, da er ja in der fünfeckigen Kammer wohnen kann.«
»Nichts könnte bequemer sein! Indessen bin ich froh, daß wegen der kurzen Frist noch keinerlei Veranstaltungen getroffen worden sind. Denn ich habe, als ich heraufritt, mir gedacht, daß ich heute Nacht gern an der alten Stelle schlafen möchte.«
»In der Turmkammer!« ruft Renata.
Eine zarte Röte breitet sich über ihre blassen Wangen. In diesem Gedanken liegt etwas, das sie überrascht und ihr zu Herzen geht.
Bischof Ottmar nickt: –
»In der Turmkammer, ja.«
»Wir können natürlich sehr wohl ein Bett hinaufschaffen ... Nur – die Kammer ist lange nicht benutzt worden ... ich fürchte, für einen Mann in Eurer Stellung – – «
»– in ecclesia militans! Nun, da muß man gerade zum Kampieren bereit und nicht verwöhnt sein, was ein Bett betrifft, so würde die alte Ruhebank, wenn sie sich noch dort oben befindet, mir vollkommen genügen. Ich glaube, ich werde auf ihr leichter einschlafen, als auf dem weichsten Seidenbett, zumal wenn ich vorher, so wie ich mir es versprochen habe, einen Blick nach dem Kalvarienberg hinüberschicke und die kleinen Kapellen im Mondschein herüberleuchten sehe. Kein Zug, den die einfache Kunst des Holzschnitzers seinen Gestalten gegeben hat, dessen ich mich nicht gar wohl erinnere. Ich habe seitdem so manche berühmte Passion gesehen, aber keine, die mich so tief gerührt hätte.«
Die Stimme des Bischofs ist weich geworden, weniger denn je ist in seinen Gesichtszügen irgendein Zug von Fanatismus zu entdecken. Ein Mann, würde man sagen, für den der Glaube eitel Gefühl und schwärmerische Andacht ist.
»Daß Euer Hochwürden das Wenige, was unsere Gegend bietet, in so wohlwollender Erinnerung behalten haben, ist uns sehr lieb zu hören,« bemerkt Renata leise.
»Also die Turmkammer. Ihr seht, edle Frau, daß ich über Eure Burg verfüge, fast als ob ich hier zu Hause wäre. Ja, ich habe mir sogar unterwegs die Freiheit genommen, einen Gast hierher einzuladen.«
»Jeder Gast, den Euer Hochwürden mit einer Einladung beehrt, wird uns willkommen sein.«
»Und Ihr fragt nicht einmal, wer dieser Gast wohl sein mag?... Wodurch Ihr mich freilich einigermaßen in Verlegenheit brächtet. Das ist eben ein kleines Reiseabenteuer. Als wir gestern nachmittag in Lengefeldt rasteten, traf ich im Wirtshause einen Kaufmann, mit dem ich ins Gespräch kam. Es war leicht, sich mit ihm zu unterhalten, denn seine Reisen hatten ihn weit umher geführt, nach Italien, ja sogar bis ins ferne Ungarland; zudem besaß er eine seltene Redegabe und eine so herrliche weiche und tiefe Stimme, wie ich sie kaum je gehört habe. In der Lehre der Kirche war er wohl beschlagen, weit über die Grenzen gewöhnlicher Laienkenntnis hinaus, und auf seinen Wanderungen hatte er sich gründlich mit der kirchlichen Baukunst vertraut gemacht. So befanden wir uns mitten in einem sehr ernsthaften Gespräch, das ich zu meinem lebhaften Bedauern abbrechen mußte, um meine Reise fortzusetzen. Da er sich nun in dieser Gegend wegen seiner Kaufmannschaft aufhält, um alte Verbindungen zu befestigen und neue anzuknüpfen, forderte ich ihn auf, während meines hiesigen Aufenthaltes auch die Burg Langenstein zu besuchen, was er denn auch versprach.«
»Wir leben hier sehr zurückgezogen und haben, wie Ihr Euch denken könnt, nur wenig Verwendung für Waren, wie sie ein so weit gereister Kaufmann abzusetzen wünscht. Euretwegen aber ist er uns willkommen. Und nun darf ich vielleicht Euer Hochwürden dahin geleiten, wo Ihr Euch ausruhen könnt, indes meine Schwägerin und ich dafür sorgen, daß es an nichts fehle, was das Haus Euch zu bieten vermag.«
Als Renata und Gertrud durch die nunmehr leere Halle zurückkehren, um sich in die Küche zu begeben, bleibt die Burgfrau plötzlich auf demselben Stein in der Mitte stehen, wo sie vor dem Bischof stand, und berührt den Arm ihrer Schwägerin.
»Was hältst du von jenem Kaufmann, Gertrud?«
»Kaufmann?«
»Ja, von dem der Bischof sprach.«
Gertrud, die mit einer verwunderten Frage die Schwägerin anschaut, als diese plötzlich von einem Kaufmann spricht, wendet den Blick ab und errötet.
Sie hatte sich in der Halle nur damit beschäftigt, den Famulus zu betrachten, dessen Gesichtszüge sie oben bei dem spärlichen Tageslicht eher erraten als erblickt hatte. Hier im Fackelschein erwiesen sie sich nicht ganz so jugendhaft, wie sie es sich vorgestellt; dafür um so eigentümlicher und bedeutender. Kein Wunder, daß dies Studium ihr wenig Aufmerksamkeit für das, was der Bischof sagte, übrig gelassen hatte! Jetzt freilich glaubt sie, sich darauf zu besinnen, daß er irgendwo einem Kaufmann begegnet sei.
»Ganz recht – der Kaufmann ... Ja, was sollte ich wohl von ihm halten?«
»Fiel dir dabei gar nichts auf? Die herrliche tiefe Stimme, seine Kenntnisse der Kirchenlehre, seine weiten Reisen, die ihn sogar ins Ungarland geführt – –«
»Renata!... meinst du denn – –?«
»– – dieser baukundige Kaufmann – –«
»Alle Heiligen!... Könnte es – –«
Die Hand der Burgfrau legt sich weich aber fest auf die Lippen des Mädchens.
»Ich denke, wir haben erfahren, worauf wir so begierig waren. Und ich zweifle, ob er sein höfliches Versprechen halten wird und Burg Langenstein besuchen, während Bischof Ottmar hier weilt.«