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Gleich nach den Stromschnellen biegt der Fluß nach Südost um.
Auf dieser Seite der Burg befindet sich der kleine Turm, dessen Zimmer Bischof Ottmar in Besitz genommen hat.
Man sieht hier nichts von der Stadt. Durch das eine Fenster fliegt der Blick frei übers offene Land hinaus, dessen Felder von Dörfchen unterbrochen werden. Alles beherrschend erhebt sich hier, unmittelbar jenseits des von einem Stege durchwateten Flusses, der Kalvarienberg. An seinem Abhange, wo überall Felsblöcke hervorbrechen, zupfen Schafe und Ziegen das spärliche Gras. Hier und da stehen alte Eichen, einzeln oder in Gruppen – Reste eines Opferhaines, der im grauen Altertum irgendeinem germanischen Gotte geweiht war. Durch ihre Schatten schlängelt sich der Passionsweg mit den kleinen, weißen Kapellen seiner Stationen. Oben wird der Gipfel von drei großen Kruzifixen gekrönt, jedes mit einem breiten Schutzgiebel versehen.
Von dem anderen Fenster sieht man hinüber nach dem Bergwald und hinab in den Garten.
An diesem steht Ottmar. Sein Blick ruht auf der Laube. Rechts davon bewegt sich etwas Weißes. Da geht Gertrud von Laufen nach dem Walde hinüber. Der heiße Nachmittag hat sie ihr graues Werktagskleid mit einem weißen Gewande vertauschen lassen. Es fällt dem Bischof auf, daß die Frauen in dieser unansehnlichen, fast nonnenhaften Tracht umhergehen. Nicht nur Renata. Bei ihr könnte man es allenfalls auf Rechnung der Witwenschaft schreiben. Nun, dies junge Mädchen ist also wenigstens nicht damit verwachsen. Er muß an das Gerücht denken, die Gebieterin Langensteins gehöre halb oder ganz der Sekte der Beginen an, bei der das graue Kleid eine Art Ordensanzug ist.
Darüber muß er lächeln. Solches Wesen scheint ihm wenig zu Renata zu passen, die er als junges frohmütiges Ritterfräulein kannte und die er wegen krankhafter Zweifel verließ – törichterweise um ihres weltlichen Treibens willen verließ. Allerdings, sie ist im Laufe der Jahre ernster geworden – mit einem Ernst, der ihre geistige Gestalt erhöht, ohne ihr etwas von ihrer anmutigen Lieblichkeit zu nehmen. Möglich übrigens auch, daß sie damals mehr Ernst beherbergte, als er in dem Schattenzustande seines Trübsinnes bemerken konnte; ja hat sie es nicht selber angedeutet?
Das Lächeln weilt noch auf seinen Lippen. Der Gegensatz zwischen dem weißen Kleid und dem verdächtigen Beginengrau erinnert ihn an seine Rolle als Inquisitor, in der er sich hierher begeben hat; während doch der wirkliche Charakter, in dem er hier umhergeht, der eines alten Liebhabers ist – ein Gegensatz, der den Sinn Seiner Hochwürden für barocken Humor ungemein anregt.
Ein plötzliches Brauenrunzeln verscheucht das Lächeln.
Das weiße Kleid schimmert nur noch durchs Laub herüber und verschwindet dort, wo die hohle Gasse abwärts führt. Gertrud hatte ein Körbchen am Arm. Bischof Ottmar besinnt sich noch sehr wohl, daß die Erdbeeren am dichtesten reifen zwischen der Straße und dem Fußsteg nach dem Städtchen, Vincentius ist im Städtchen. Es ist zu wünschen, daß diese beiden sich nicht begegnen – weder zufällig noch unzufällig, was der junge Mann so selbstzufrieden von der mutmaßlichen Neigung des Ritterfräuleins äußerte, ist weit davon entfernt, Seiner Hochwürden zu gefallen. Überhaupt gefällt es ihm nicht, daß Vincentius in der Burg umhergeht und Späherei auf eigene Faust treibt. Das muß entschieden aufhören. Mit Freuden hat er deshalb seinem Famulus Urlaub für diesen Nachmittag gegeben; er muß aber auf mehrere Tage und in die Ferne weggeschickt werden ... irgendein Vorwand wird sich finden.
Schon zu wissen, daß Vincentius nicht da ist, gibt ihm ein Gefühl der Freiheit. Auch Gertrud von Laufen wird in den nächsten paar Stunden kaum anwesend sein. Ob wohl Renata aus diesem Gedanken ein ähnliches Freiheitsgefühl schöpft? Jedenfalls begünstigt dieser Umstand in hohem Grade den Wunsch, der ihn während der letzten Stunden ausschließlich in Anspruch nahm: noch ein vertrauliches Gespräch mit ihr zu haben, wüßte er nur, wo er sie treffen könnte!
Schon tritt er zur Tür hinaus und steigt, die verschiedenen Möglichkeiten erwägend, zögernd die Wendeltreppe hinab. Im Garten war sie nicht – so viel hatte er schon gesehen. Wenn nur ihre gastliche Gesinnung sie nicht in die Küche getrieben hat: seines Nachtmahles wegen! dann wären seine Hoffnungen auf diese günstige Stunde vernichtet.
Ihm ist ganz wie in jungen Tagen zumute, als er noch nicht wußte, ob Renata seine Liebe erwidere. Sie war damals so scheu wie ein Reh; es galt ihr scheinbar zufällig zu begegnen und sie zu einem Gespräch unter vier Augen zu bringen, bevor sie es recht merkte.
Ja, die jungen Tage!
Überhaupt fühlt sich Bischof Ottmar so jung. Er weiß selber nicht, weshalb er errötet. Aus Schamhaftigkeit wegen solches Jungborntrunkes, wozu ein Hochwürden wohl Grund haben mochte? Oder etwa lediglich, weil es zur Jugend gehört, Blut in den Wangen zu haben?
Pst! unten, im Gange wird eine Tür aufgemacht.
Eine Männerstimme ertönt. Tief und rauh. Er erkennt die des Hausmeiers. Offenbar spricht er in das Zimmer zurück, das er zu verlassen im Begriffe steht.
Drinnen antwortet eine Stimme – kaum hörbar und doch so leicht zu erkennen!
Nun weiß er, wo er sie zu suchen hat.
Wie manche Stunde hat er nicht dort in der Bibliothek zugebracht! Er selbst hatte das Zimmer so getauft, weil es einen Schrank voll von alten auf Burg und Stadt sich beziehenden Urkunden beherbergte; ein Regal mit einigen Folios und Quartos, darunter ein Vergilius, der ihn halbe Tage gefesselt hatte; endlich auch einen Tisch mit Schreibsachen, an dem er so manches lateinische Carmen zu Papier brachte, seine ›Lydia‹ bald in Sapphischen, bald in Asklepiadeischen Versen besingend und die heidnische Göttin Venus mit der heiligen Jungfrau zu einem seltsamen mythologischen Doppelgeschöpfe verbindend.
Die Erinnerung daran lockt ein halb wehmütiges, halb sarkastisches Lächeln auf seine Lippen, als er dort hinter dem Pfeiler der Wendeltreppe steht und wartet, während die schweren Schritte des Hausmeiers, nachdem sie den Widerhall des gewölbten, mit Fliesen belegten Ganges geweckt haben, nunmehr sich die ausgetretenen Sandsteinstufen hinab entfernen ...
Als er hereintritt, sitzt Renata am eichenen Tische, dessen schwarze Platte von Papieren und Pergamenten fast verborgen ist.
Sie will aufspringen, aber sein abwehrendes Handausstrecken verhindert es.
»Störe ich? – Es wird in der Bibliothek gearbeitet, wie ich sehe.«
»O, damit hat es gute Weile, will Euer Hochwürden – –«
»Seine Hochwürden will nichts und ist weit von hier ... Nein, Renata, als du unten in der Laube mir jene Worte sagtest, die in meinem Herzen bis zu meiner Todesstunde widerhallen werden, da nanntest du mich ›du‹ –«
»wenn ich einen Augenblick sollte vergessen haben, was ich – –«
»Vergessen! Du hast dich dessen erinnert, was keines von uns vergessen kann, noch soll!«
Mit plötzlicher Veränderung seiner Stimme und Miene zeigt Ottmar auf die Papiere, die den Tisch bedecken.
»Baupläne scheint's?«
Renata spürt eine gewisse Unruhe, als sie antwortet: –
»Ja, ich habe einige Neuerungen vor.«
»Nicht wahr? Ich habe in Regensburg davon reden hören.«
Ihr Blick spricht von peinlicher Überraschung, aber sie erwidert nichts.
Ottmar rückt einen Stuhl zurecht und setzt sich.
»Ja, Einige wollen wissen, daß du mit dem Gedanken umgehst, deine Burg in einen Spittel oder ein Stift zu verwandeln – etwa so, wie es der reiche Straßburger Merswin auf dem grünen Wörth, einer Insel im Illflusse, baut, die mir wohl bekannt ist. Denn dort begegneten Hugo und ich uns seinerzeit, um es zwischen uns auszufechten, ohne von der Stadtwache belästigt zu werden ... Ja, von Merswins › Fluchthaus‹ hast du wohl gehört?«
Renata nickt: –
»Ja, etwas derartiges schwebt mir vor. Ein Zufluchtsort für einsam stehende Frauen, die sich von der Welt zurückziehen wollen und ein frommes, beschauliches Leben in Abgeschiedenheit und doch mit Gleichgesinnten vereint führen möchten.« »Ein schöner Gedanke und ein lobenswerter Vorsatz. Ich selber hänge so sehr am Alten hier – wie du dir denken kannst – daß jede Veränderung mir ins Herz schneiden wird, geschweige denn eine solche, die den ganzen Charakter umschafft. Indessen, ich muß mich darüber der guten Sache zuliebe hinwegsetzen, die du vorhast und der auch ich gern förderlich sein möchte.«
Er streckt die Hand aus und zieht eine architektonische Zeichnung näher an sich heran.
»Ein hübscher Entwurf zur Kapelle, Edel in aller Einfachheit. Aber nur eine flache Holzdecke! Nun ja, ich verstehe schon, daß du keine unechte getünchte Wölbung haben möchtest, und daß dir eine steinerne zu teuer kommt. Aber ich denke, der bischöfliche Geldschrein wird dafür sorgen können, daß die Langensteiner Burgkapelle eine gewölbte steinerne Decke erhält, deren Bogen den Geist erhöhen und das Gemüt zu seinem Schöpfer emporheben können.«
»Ich danke dir herzlich für deine gute Absicht. Und doch weiß ich nicht recht, ob es in einem Hause der Andacht so sehr darauf ankommt, das Gemüt zu erhöhen und emporzuheben, was wohl am besten unter der freien Himmelskuppel geschieht, und nicht vielmehr darauf, das Gemüt zu sammeln und sich selbst demütig zu machen, ja sich selbst zu vernichten, damit die göttliche Gnade Raum finde und hereinströme. Und dann denke ich auch immer, daß die ersten Gemeinden, die unsere Vorbilder in der Nachfolge Christi sein sollen, gewiß nicht unter steinernen Wölbungen gebetet haben; auch hab' ich gehört, daß in Welschland, ja in Rom selbst, sich sogar prächtige Dome mit flacher Holzdecke befinden.«
»Das ist so, und wenn das mit deiner Besinnung und deinem Geschmack besser übereinstimmt, dann sei es fern von mir, dir etwas anderes einreden zu wollen. Ich sagte es ja nur, weil ich meinte, daß lediglich die Rücksicht auf die Rosten hier den Plan bedingt hatte.«
»Ich verstehe das wohl und danke dir dafür.«
»Übrigens – ein seltsamer Zufall.«
»Welcher?«
»Ich erzählte dir gestern von einem Kaufmanne, den ich in Lengefeldt traf.«
In ihrer Stimme ist ein leichtes Zittern, in ihrem Blick ein überraschtes, unruhiges Funkeln – das ihm nicht entgeht.
»Auch daß er auf seinen Reisen Kenntnisse in der Baukunst, besonders in der kirchlichen, erworben hatte. Wir kamen ganz natürlich auf unsere Ordenskirche zu sprechen, die, wie du vielleicht gehört hast, nach hundertjähriger Arbeit nun vollendet ist. Gern gab er mir zu, daß sie in ihrer Art der feinste Bau Deutschlands, vielleicht der Welt sei. Er war aber gegen die steinernen Wölbungen eingenommen und zog die alte Basilika mit flacher Decke vor. Und er gab dafür ziemlich dieselben Gründe an wie du.«
»Was beweist, daß ich mit meinem Urteil nicht allein stehe.«
»Und tätest du's, glaubst du, es würde mir deshalb weniger wertvoll sein?... Nun, ich sehe, in diesem Punkte brauchst du meine Hilfe nicht. Aber es wird sich wohl anderes finden, und du solltest es nicht verschmähen, einen Bischof mit beim Werke zu haben.«
»Wenn der Bischof Ottmar von Winterstetten heißt, sicherlich nicht.«
»An deiner Seite bin ich am liebsten schlecht und recht Ottmar, das weißt du. Aber, glaube mir, der Bischof ist auch kein schlechter Mitarbeiter. Du weißt nicht, wie sehr ein Unternehmen wie das deinige des Schutzes einer kirchlichen Obrigkeit bedarf, welchen Mißdeutungen es ausgesetzt ist, welche Gefahren ihm drohen. Es gibt immer jemand, der Einem feindlich gesinnt ist. Das Wort Begine ist bald geflüstert, und es ist ein gefährliches Wort, wenn es von Hunderten gerufen wird.«
Ein unwillkürlicher Seufzer, der die Brust hebt, ein Schaudern, das die Schulterrundung zittern läßt, zeigt, daß seine Warnung nicht taube Ohren trifft.
»Du weißt, ich steh' an einer hohen Stelle. Auf solcher Warte spürt man eher als Andere, woher der wind weht. Der Föhn, dessen heißen Hauch ich gefühlt habe, wird, fürchte ich, Scheiterhaufen anfachen von den österreichischen Erblanden bis zur Rheinmündung, noch bevor einige Monate vergangen sind. Begarden und Beginen werden eine böse Zeit bekommen, und der ist klug, der beizeiten den sicheren Schutz der Kirche aufsucht.«
Er sieht sie bedeutungsvoll an, und das Blut strömt zu seinem Herzen, als ihr Blick auf einmal so warm und so traurig dem seinigen begegnet. Denn er fühlt, daß jetzt nicht das Bangen um ihre eigene Sicherheit sie bewegt; daß es vielmehr Sorge um seinetwillen ist, welcher Art sie nun auch sein möge, und außerdem – so dünkt es ihm – irgendeine Beunruhigung, deren Richtung er nicht erraten kann.
»Du fürchtest das, sagst du; und doch hast du selber einen Preis für die Gefangennahme des großen Gottesfreundes ausgesetzt!«
»Weil ein Mann wie er viele unschuldige oder doch wenig schuldige Menschen in Bedrängnis und Unglück, ja sogar auf den Scheiterhaufen bringt. Denn hier handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Waldenser- oder Begardenapostel und wie sonst diese im Grunde genommen nicht bösartigen Sektierer sich nennen. Oft sind es nur fromme Seelen, deren einziger, wenn auch gefährlicher Irrtum darin besteht, daß sie über den äußeren Mängeln der Kirche, die wir ja alle sehen, ihre göttliche Grundlage und Unentbehrlichkeit vergessen. Ihnen gegenüber lasse ich gern die alte christliche Regel walten: › In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas‹. In notwendigen Sachen Einheit, in zweifelhaften Freiheit, in allen Liebe.«
»Es freut mich, dies aus deinem eigenen Munde zu vernehmen. Dieser Satz ist ja auch, soweit ich weiß, einer, auf den sich diese Leute berufen.«
»Nur daß sie in seinem ersten Gliede vergessen, daß die heilige katholische Kirche und ihre unitas vor allem zu den necessariis gehört. Dennoch ist Milde diesen Leuten gegenüber am Platze. Nicht so bei diesem Manne. Er gehört zu den Brüdern des freien Geistes, dieser satanischen Sekte, in der der Antichrist sichtbarlich sein Antlitz und seine Stimme erhebt und verkündet, daß Gott in allem ist, im Fleische sowohl wie im Geiste, und nicht am wenigsten in den tierischen Erleben, so daß der wirksamste Gottesdienst darin besteht, der Unzucht und allen Lastern zu frönen, wahrlich, die Priester Baals und Astartes haben nichts Schlimmeres verkündet; wozu noch die Verspottung hinzukommt, sich für ein Glied des Körpers Christi zu erklären und den Heiland als denjenigen zu preisen, der alle Schranken des Gesetzes niedergerissen habe ... Soll ich mich darein finden, daß der Apostel einer solchen Lehre in meinen Landen umherzieht und die Gemüter, die meiner Fürsorge anvertraut sind, verwirrt, ja, ins Verderben stürzt?«
»Gewiß nicht, wenn er wirklich solches verkündet. Aber auch von dem großen Lehrer deines eigenen Ordens, Meister Eckehart, hat man behauptet, er stehe in Verbindung mit den Brüdern des freien Geistes und huldige ihrer pantheistischen Irrlehre.«
»Das ist eine schändliche Verleumdung! Eine Erfindung neidischer Franziskaner, die, wir Dominikaner längst zurückgewiesen haben.«
»Gewiß war das eine Verleumdung dieses großen Mannes. Könnte aber jene Beschuldigung nicht ebenso falsch und grundlos sein?«
»Du weißt etwas von diesem Manne?« »Ich habe nur immer gehört, seine Lehre sei frommer und innerlicher, vor allem auch rein geistiger Art.«
»Das kann eine Larve der Menge gegenüber sein. Solche ruchlose Lehren werden nur den Eingeweihten mitgeteilt.«
Ottmar blickt sie unverwandt an. Sollte es möglich sein, daß sie diesen Mann kennt? Tut sie das und steht sie für ihn ein, dann sind die Anschuldigungen, die gegen ihn vorgebracht wurden, zweifellos falsch und nichtig.
Renata hat einen Zirkel ergriffen und läßt seine Schenkel über einen großen Bauriß wandern. Er hatte sie über denselben gebeugt gefunden, als er eintrat, und sie offenbar vermutete, es sei der Hausmeier, der zurückkehre ...
»Ich möchte wissen, ob er kommt,« murmelt Ottmar vor sich hin.
Sie blickt verwundert auf: –
»Wer?«
»O, ich dachte wieder an den Kaufmann.«
Der Zirkel tritt so hart auf das Papier, daß seine stählerne Zehe das Papier auf der Tischplatte festnagelt und mit einem kleinen Ruck herausgezogen werden muß.
Ottmar bemerkt es mit einem Lächeln und fragt sich selber, ob sie vielleicht etwas gegen diesen Besuch habe, und zwar aus demselben Grunde, warum er ihm selber jetzt unerwünscht käme.
»Ich bedaure eigentlich, daß ich ihn einlud.«
»Warum denn? Wenn er so baukundig ist, könnte er uns mit einem guten Rat helfen.« »Als ob wir eines Dritten brauchten – zumal bei dieser Arbeit, die eine gemeinsame werden soll, dem Werke, das unsere Lebensfäden wieder zusammenknüpfen muß! Ein Dritter hier in diesem Zimmer! Wie sparsam ist uns eine Stunde wie diese zugemessen – uns, die wir durch so viele Rücksichten gebunden sind! Ich sehe aber in diesem Werke – nicht etwa nur in den Vorbereitungen durch Bauarbeiten und anderen Vorrichtungen, sondern vor allem in der ganzen Leitung einer solchen Anstalt, Vielen zu Nutz und Frommen, ja, so Gott will, zum Heile – ich sehe darin ein dauerndes Zusammenleben für uns beide.«
Renata nickt gedankenvoll und lächelt – etwas wehmütig.
»Ich habe dir schon gesagt, Renata, auf welche weise ich dir in dieser Sache helfen kann. Das ist nicht wenig. Denn sehr wohl kann es dahin kommen, daß ich zwischen dir und einem furchtbaren Tode werde stehen müssen. Und doch, wenn du mir glauben willst, es ist nur wenig gegen die Hilfe, die du mir leisten kannst.«
Die goldigbraunen Augen begegnen den seinen mit einem Blicke, den er richtig deutet.
»Du meinst wohl, daß dies übertrieben sei, und doch verhält es sich nicht so. Denn was ist der Tod eines Unschuldigen – wie schrecklich er uns auch dünkt – gegen ein schuldbeladenes Leben in der Hölle! Renata! Du wirst zwischen mir und der Hölle stehen!«
»Einmal wähntest du, ich stünde zwischen dir und dem Himmel.« »Das tat ich. Und unten in der Laube sagtest du mir heute, seit dem Augenblicke meines wahnbefangenen Entschlusses sei mein Weg ein solcher gewesen, daß ich Grund hätte, mit der Wahl zufrieden zu sein, die ich damals traf, O nein, nein! glaube das nicht! Er führte nicht zum Frieden, jener Weg! Der Fluch folgte mir auch da Schritt für Schritt, weder Fasten noch Bußübungen, noch Studium Tag und Nacht, noch Ehren und Rang und Reichtum haben meiner Seele dauernde Befriedigung verschafft oder vermochten nur für eine kurze Zeit jenen Schatten zu bannen, der mein Erbteil ist. Und je leerer es in mir wurde, um so mehr hungerte ich nach dem, was – wie ich wußte – keine Nahrung gibt: nach Macht und Ehre« ...
Er schweigt eine Weile und starrt vor sich hin. Dann stiehlt sich ein bitteres Lächeln über seine Lippen.
»Als ich dort unten, nachdem du gegangen, in der Laube saß, kam mein Famulus. Um mir zu schmeicheln, sprach er von meinen vermutlichen Aussichten auf die höchsten Rangstufen der Hierarchie, auf den Kardinalshut, ja auf die Tiara selbst. Ich haßte ihn, weil er in den geheimsten Winkel meiner Seele hineinspähte. Ja, den Stuhl Sankt Peters einst zu besteigen, die Welt mit den Waffen des Geistes zu beherrschen – das ist jahrelang ein Traum gewesen, der alle Fasern meines Wesens spannte und am Mark meiner Knochen sog. Und dieser junge Fant durchschaut das! er wagt es, mit tastendem Finger diese verborgene Feder zu berühren! Ja, ich haßte ihn in dem Augenblick. Zwar fügte er sofort hinzu: wenn ich so hoch strebe, sei es nur, um die Kirche aus dem Stande ihrer Erniedrigung empor, zuheben, um der schmählichen Avignon'schen Gefangenschaft ein Ende zu bereiten, um als Papst frei in Rom zu thronen, ja als ein zweiter Hildebrand der Christenheit eine neue segensreiche Aera zu schaffen. Ich weiß nicht, ob er es meinte, aber auch das Wort war nicht unwahr.«
»Kein unwürdiges Ziel für das Streben eines Mannes.«
»Meinst du?«
»Wie könnte ich anderes meinen?«
»Lüge, Lüge – eitel Lug und Trug! Ist es denn die Schmach der Kirche, ist es die Gefahr der Seelen, die mich bewegt, mich rastlos vorwärts treibt?«
»Wie kannst du fragen, Ottmar?«
»Ich sage dir, das ist es nicht! Es ist Macht, Ehre, Glanz und Ruhm – ein unsterblicher Name, das heißt einer, den jeder Schulfuchs künftiger Geschlechter auswendig wissen muß – das und nichts Anderes ... Leerer Plunder, wonach ich greife, um die Leere zu füllen, die hier, hier – –!«
Er spannt beide Hände über die Brust. Es ist kein Blick in den Augen, die nach innen zu schauen scheinen ... in diese Leere hinein.
Renata ist aufgesprungen, über die unerwartete Heftigkeit dieses Ausbruches erschrocken.
Als ein Jüngling war er hereingetreten; er sieht aus wie ein Greis jetzt.
Leise legt sich ihre Hand auf seine Schulter: –
»Warum willst du lieber auf dein selbstquälerisches Gewissen hören als auf meine Stimme, Ottmar?«
»Ach, Gott weiß, nur zu gern lausche ich ihr!«
»Tu' es! sie wird dich nicht betrügen. Denn es ist ja nicht, wie du sagst, und wie du dir's vorstellst. Mag auch noch so viel weltliche Eitelkeit und Ehrgeiz, ja sogar Machtgier dabei sein – die scheinen ja bei euch Männern, wo es sich um solch übermächtiges Streben handelt, immer mit im Spiele zu sein; – mag auch ein Drang, innere Leere scheinbar auszufüllen, ein ewig zehrendes Entbehren durch äußerliche Tätigkeit zu übertäuben und Ersatz für das zu gewinnen, was auf der seelischen Seite zu kurz kam – und das kann ich mitfühlen: – mag all das mitgewirkt haben –, die Hauptsache war doch dein Wille zum Guten, dein Wunsch, etwas Großes auszurichten, Gott und der Christenheit zu dienen. Und wenn du hofftest, dadurch Frieden zu gewinnen, den Fluch, den du dein Erbteil nennst, von dir abzuwälzen, ja die ewige Krone zu gewinnen: – ist denn eine solche Hoffnung tadelnswert?«
»Ich weiß nicht, ob es ist, wie du sagst ... ich zweifle ... aber es soll jetzt so werden – durch deine Hilfe! ... O, nun ist es auch nicht länger leer hier; nur die Erinnerung an das Gewesene redete soeben aus mir. Jetzt, nachdem du in der Laube zu mir sprachst, ist in meinem Herzen Fülle und Wärme ... Ja, als mein Famulus mit jenem eitlen Gerede kam, da entbrannte zwar mein Zorn, weil ich meinen geheimen Götzentempel durch einen fremden Blick entdeckt sah. Aber zugleich wußte ich, daß ich, ohne mich vernichtet zu fühlen, ja sogar ohne tief erschüttert zu sein, jenen Tempel zertrümmert sehen kann; habe ich doch jetzt in der innersten Herzenstiefe ein neues und doch so uraltes Heiligtum als Sammelpunkt, jenes, das als Inschrift deinen Namen der Wiedergeburt trägt: – Renata!«
Er hat die Hand, die auf seiner Schulter ruht, ergriffen und hält sie fest, während er von seiner großen Einsamkeit spricht, in der er wie in einer Wüste lebte, und von den Anfechtungen, die von jeher in solchen Wüsten heimisch waren, von seinen Zweifeln und Ängsten, von seiner Zerknirschung, von versuchenden und drohenden Visionen, von dem krampfhaften Wechsel von Reue und Ehrgeiz: Reue, mit den tränenschweren Augen in der Vergangenheit verloren; Ehrgeiz, dessen fieberstammender Blick die Zukunft mit Wahngebilden erfüllt, zwei Vampyre, die seiner Gegenwart das lebendige Blut ausgesogen hatten, von seiner Sehnsucht nach ihr, einer Sehnsucht, die in ihrer Hoffnungslosigkeit zur bittersten Qual durch das Bewußtsein wurde, daß die Vermißte ihn hasse und verabscheue. Zuerst und zuletzt jedoch von seiner Liebe, von der Anbetung, die er, der in seinem ganzen kirchlichen Glanz Nichtwiedergeborene ihr widmete, deren Gestalt, in stiller madonnenhafter Jugendherrlichkeit strahlend, ihm mehr und mehr das Bildnis ihres so bedeutungsvollen Namens ward, der Wiedergeborenen, so daß er schließlich seiner Sehnsucht nachgeben mußte, und kam, und sie noch größer und edler fand, ihres Namens noch würdiger, als sie in seiner Erinnerung stand – – –
Von diesen schwer auszusprechenden Dingen spricht er mit Worten, die aus den verborgensten Tiefen seines Wesens wie ein Sprungquell hervorsprudeln – – bis sie sich über ihn beugt und ihre Lippen seine Stirn berühren mit einem Kuß, der wie der Hauch eines Geistergrußes ist. Er fühlt ihre Hand aus der seinen gleiten ... und hört, wie die schwere Eichentür hinter ihm sich schließt – leise, um sie gleichsam nicht auszuschließen, – vorsichtig, damit er sich nicht verlassen fühle ...
Lange bleibt Bischof Ottmar dort sitzen,ein Lächeln um seine Lippen, das von demjenigen sehr verschieden ist, das sein Famulus nicht mag – eins, das diesen jungen Mann, wenn er es gesehen, gar sehr gewundert hätte ...
Als Renata plötzlich so erschrocken aufsprang, ist der große Bauriß auf die Diele hinabgeglitten.
Er hat ein Stück der altersschwarzen, blanken Eichenholzplatte gerade dort entblößt, wo ein heller halbmondförmiger Fleck sichtbar ist. Wie oft hat Ottmar diesen angestarrt, wenn er in alten Tagen einen fehlenden Trochäus oder Daktylus suchte!
Und während er ihn nun anstarrt, kann er kaum einen Unterschied zwischen damals und jetzt empfinden.